Sette 2 Rr. 186

Nagolder LagblattDer Gesellschafter"

Donnerstag, 12. August 1926

Italiens und Frankreichs erfolge. Außenminister Nintschitsch versicherte, Serbien liege jeder Angriffsgedanke fern. (!) Der Minister begab sich darauf zum König nach Veldes.

Der Kirchenstreik in Mexiko.

Mexiko. 11. August. Der Erzbischof von Puebla hat einen Auen Vorschlag für den Abschluß eines Waffenstillstands im okirchenstreik gemacht: Präsident Calles möge die Erlasse über die Kirche bis zur Einberufung des Kongresses außer Kraft setzen.

Die katholische Union für internationale Fragen, Sitz Freiburg (Schweiz), hat an die mexikanischen Bischöfe ein Justnnuutngstelegramm gerichtet.

Württemberg

Schwäbische Brüder in Not

ep. Dem dringenden Hilferuf für die Opfer der furcht­baren Unwetterschäden im ganzen Land, den die Zentral­leitung für Wohltätigkeit verschiedentlich erließ, war leider nicht der Erfolg beschieden, um den Brüdern in Not wesent­lich helfen zu können. Zu den großen Verheerungen, die Hochwasser und Hagelschlag im Oberland Anfang Juli an­gerichtet haben, gesellen sich neue Unwetterschäden in andern Teilen unseres Landes. Wirbelstürme, verbunden mit Ha­gelschlag und Wolkenbrüchen, haben am IS. Juli in einer Reihe von Oberämtern Feld und Flur verwüstet, Gebäude beschädigt. Tausende von Obstbäumen entwurzelt, ganze Waldstrecken niedergelegt. Allein in den vom Unwetter heimgesuchten Gemeinden des Oberamtes Spaichingen be­trägt der angerichtete Schaden nach amtlicher Schätzung 1546 000 Mark. Im Oberamt Rottweil ist er mindestens ebenso groß. Im Bezirk Mergentheim wurde die Ernte, die schöner stand denn je, zu mehr als 50 v. H. vernichtet. In diesem Herbst müssen dort die Weingärtner mit einer Er­tragsminderung von 8090 v. H. rechnen- Nur wenige der Geschädigten dürfen mit einer Deckung des Schadens durch Versicherungen rechnen.

Gewiß haben Staat, Amtskörperschaften und Gemeinden Mittel zur Hilfe bereitgestellt. Aber der Schaden ist so groß, daß diese Gelder nicht ausreichen, um auch der drückendsten Not zu wehren. Darum hält es die Zentralleitung für Wohl­tätigkeit für ihre Pflicht, die dringende Bitte um Hilfe zu wiederholen.

Denket der Brüder in Not; helft ihnen, damit sie nicht mutlos werden, wenn sie die Frucht jahrelanger Mühe und Arbeit vernichtet sehen. Denket daran, daß in Bälde vielleicht ihr es seid, die um Hilfe rufen müssen; die Not der deutschen Brüder fei zugleich eure Not!

Gaben für die Unwettero-lchädigten werden entgegen­genommen von den Bezirkswohltätigkeitsvereinen (Ober­amtspflegen) und den durch Plakate kenntlich gemachten Sammelstellen.

Stuttgart. 11. August. Rettungsmedaille. Der Staatspräsident hat dem Landwirt Karl Philipp Rieger in Mariäkappel OA. Crailsheim die Rettungsmedaille ver­liehen.

Der Brand im Proviantamt. Die Ursache des Brands im Proviantamt in Feuerbach ist wahrscheinlich auf das Warmlaufen des Transporteurs des Aufzugs oder darauf zurückzuführen, daß sich Heu in die Ouerläuferwelle wickelte und bei den raschen Umdrehungen in Brand geriet. Im ganzen sind nach den letzten Angaben etwa 6000 Zentner Heu vernichtet worden. Ulmer Pioniere haben die zwischen beiden Schuppen stehende Brandmauer gestern abend ge­sprengt.

Schlaganfall. Heute morgen erlitt eine Frau in Vok- nang beim Straßenkehren einen tödlichen Schlaganfall. Oberlehrer König in Boknang ist den Folg n des Scklag- antalls. der ihn gestern betroffen hat, erlegen. Ein Mann

in Boknang, der sich vor einigen Wochen zu vergiften suchte, ist nunmehr gestorben.

Rückfälliger Dieb. Ein ISjähriger Schneider, der schon vor einigen Jahren der Fürsorgeerziehung in Heidenheim entlaufen und, als er darauf in die Fürsorgeanstalt Schön­bühl verbracht wurde, auch dort entwichen war. entwendete in einer Stuttgarter Herberge einem reisenden Bruder den Haftentlassungsschein, mit dem er sich unter dem falschen Na­men von der Landesversicherungsanstalt eine Jnvaliden- karte erschwindelte. Die Karte diente dem Burschen dazu, vom Verein zur Fürsorge für entlassene Strafgefangene Unterstützungen herauszuschlagen, über die er mit falschem Namen quittierte. Das Schöffengericht erkannte auf eine mäßige Gefängnisstrafe, die durch Untersuchungshaft ver­büßt ist, verfügte aber, da er trotz seiner Jugend als Dieb rückfällig ist, seine Ueberweisung an die Landesbehörde.

Vom Tage. In einem Haus der Militärstraße wurde ein 24 I. a. Maurer tot aufgefunden. Es liegt Selbstmord durch Gasvergiftung vor. In der Friedhofstraße kam eiy 52 I. a. Mann beim Verlassen eines Straßenbahnwagens während der Fahrt zu Fall. Er zog sich hierbei eine bedeutende Kopf­verletzung zu.

Aus dem Lande

Ditzingen OA. Leonberg, 11. Aug. Verschiedenes. Vorgestern stürzte ein 100 Jahre alter Steingiebel in sich zusammen und riß einen Teil der Scheune mit ein. Unfälle für Menschen und Tiere sind nicht entstanden. Im Ge­wand Bild wird die erste Baulandumlegung durchgeführt, damit wird ein sehr wertvolles Gelände unmittelbar beim Bahnhof zu Bauzwecken erschlossen, was bisher durch die Kleinparzellen nicht möglich war.

Waiblingen, 11. August. Bauunfall. Nachmittags stürzte der 19 I. a. Zimmermann Hecke! von der Bassindecke des Wafserturms etwa 10 Meter in das Innere des Wasser­behälters herab und mußte mit schweren inneren Verletzun­gen ins Bezirkskrankenhaus gebracht werden.

Winkerbach OA. Schorndorf, 11. August. Gut abge - laufen. Aus dem Zug gefallen ist am Samstag mittag ein junger Mann, der nach Amerika auswandern wollte und zu dessen Abschied sich die ganze Ortschaft auf dem Bahnhof eingefunden hatte. Der junge Auswanderer winkte vom untersten Trittbrett seinen Landsleuten zu, wobei er her­unterfiel. Da ein Schaffner des Zugs sofort die Notbremse zog, konnte der Mann ohne besonderen Schaden seine Reise fortsetzen.

Enzweihingen, 11. August. Eine Ansprache des Generalfeldmarschalls von Mackensen. Bei der Huldigung, die hier dem Generalseldmarfchall von Mackensen zuteil wurde, hielt der Generalfeldmarschall an die Mitglieder der Kriegewereine eine Ansprache, in der er lautEnzbote" ausführte: Der Stolz, der Euch hierher

geführt hat, der leuchtet aus Eurem Auge- Er sagt mir, daß Ihr Euch fühlt als alte Soldaten, daß Ihr durchdrungen seid von der Freude, der alten Armee angehört zu haben, die auch unsere Feinde anerkennen mußten, und die sich als die Hochschule der nationalen Kraft unseres Volks erwiesen hat. Ihr seid jetzt die Träger dieser Hochschule. Nun sorgt dafür, daß der Geist dieser alten Armee unserem Volk und Eurem Kreis erhalten bleibt und daß er auch übergeht auf unsere Jugend. Ihr habt auch im Zivilrock noch Dienst am Vater­land zu leisten wie einst im Donnerwetter der Schlachten. Ihr müßt die Einigkeit in unserem Volk erhalten. Ihr habt bewiesen, daß der Deutsche unbesiegbar ist, solange er einig ist. Vergeht das nicht und erzählt es auch der Jugend! Sie weiß gar nicht, was ihr vorenthalten ist, indem uns der Feind di« allgemeine Wehrpflicht genommen hat, aber den Geist -er alten Armee konnte und kann er uns nicht nehmen. Einigkeit sei Euer erster Gedanke. Dann müßt Ihr aber auch Vorbilder und Erzieher unserer Jugend sein. Auf diese Weife wird unser Vaterland sich wieder aufrichten und wieder zu dem kommen, was es verloren hat. Wir dürfen nur nicht den Glauben an uns verlieren und diesen Glauben zu festi­gen, das sei auch die Aufgabe dieser Stunde.

Neckarsulm. 11. August. Kein Raubmord. Die am Samstag bei der Wehrbrücke aus dem Wasser gezogene Leiche wurde als die eines 31 I. a. led. Invaliden von E. festgestellk. Ob der Verunglückte einem Ilnglücksfall zum Opfer fiel oder freiwillig den Tod gesucht hat, konnte nicht festgestellk werden.

ZNurrhardk, 11. August. Jäher Tod. Der frühere chinesische Zolldirektor H. E. Wolf, der in Hausen wohnt, wurde auf dem hiesigen Bahnhof, als er mit seiner Frau nach München reisen wollte, unwohl. Kaum war er nach Haufen zurückgekehrt, da starb er.

Alunsiagen, 11. August. AusderSchule. In einem nahen Albdorf sitzt das Jaköble in der ersten Schulklasse und ist ami"-Malen. Er schreibt die ganze Reihe, jedoch grund­sätzlich ohne das Tüpfele. Die Lehrerin meint in ihrer mütter­lichen Art: ,,Jaköble, dene i fehlt doch no ebbes", worauf das Jaköble im Tone männlicher Ueberlegenheit sagte:Kantscht et warte, bis i fertig be".

Tübingen, 11. Aug. Berufung. Dr. Eugen Locher, seit vier Monaten außerordentlicher Professor der Rechte an der Universität Tübingen, erhielt einen Ruf als ordent­licher Professor der Rechte nach Erlangen, wo er mit Be­ginn des Wintersemesters seine Voriesungen aufnehmen wird.

Oberndorf a. R-, 11. August. Ein Taubendieb. In verschiedenen Gemeinden des Bezirks wurden in den letzten Monaten eine Anzahl Taubendiebstähle verübt; in sämtlichen Fällen lenkte sich der Verdacht auf einen in Reu­tin wohnhaft gewesenen, vor einiger Zeit in Radolfzell wegen Fahrradiebstahls festgenommenen jungen Burschen. Der zurzeit im Amtsgefängnis hier in Untersuchungshaft befindliche jugendliche Dieb hat nun, neben einer Reihe von Taubendiebstählen, auch einen in Dornhan verübten Fahrrad­diebstahl zugegeben.

Aichhalden OA. Oberndorf. 11. August. Explosion. Eine hiesige Wirtsfrau stellte eine brennende Laterne in die Nähe eines Gaskessels, der sofort unter gewaltigem Krachen explodierte. Der Frau wurden die Zähne aus dem Mim­geschlagen.

Alm, 11. August. Matrosen besuch. Am Samstag und Sonntag weilten in den Straßen der Stadt größere Gruppen von Matrosen. Die Truppen, die der 1. Schiffs- stammdivision der Nordsee angehören, machen zur Zeit Schießübungen auf dem Uebungsplatz in Münsingen und be­nutzten ihre freien Tage zur Besichtigung von Ulm.

Der Art.-Unteroffizier Fritz Mählich, der am Sonn­tag, den 1. August, bei einem Booksunglück in der Donau hier ertrunken ist, winde in T Idenburg bei Kelheim auf­gefunden.

Laupheim, 11. August. Flußregelung. Anläßlich der letzten großen Hochwasserschäden sieht sich die Stadt ver­anlaßt, eine Regelung der Rottum in Angriff zu nehmen. Das Wasserbauamk Ehingen wurde um Ausarbeitung eines diesbezüglichen Plans gebeten.

Ochsenhausen, OA. Biberach, 11. August. Messer­held. Am Dienstag bedrohte der led. Franz Huchler einige Kinder mit dem Messer. Thomas Wespel, der sein Kind aus der gefährlichen Lage befreien wollte, erhielt einen Stich in die linke Schulkerseike. Huchler wurde vom Landjäger und zwei andern Männern verfolgt, er stellte sich aber erst» als er einen Streifschuß am Kinn erbalten hatte.

Winkerbach OA. Ravensburg, 11. August. Scheuer­brand. Bei Oekonom Merz in Weiherhof ist am Montag abend in der an das Wohnhaus angebauten Scheuer Feuer ausgebrochen. Die Scheune brannte vollständig nieder, während das Wohngebäude gerettet werden konnte. Der Schaden ist beträchtlich; Merz ist schlecht versichert.

Blitzenreuke, OA. Ravensburg, 11. August. Kreuz­otternbiß. Ein Bediensteter der Domäne Oberspringen fand eine Kreuzotter und oriff nach ihr, wurde aber alsbald in den Daumen gebissen und mußte ärztliche Hilfe in An­spruch nehmen, da die Hand sofort zu schwellen anfing.

Der gute Einfall

Skizze von Reinhard Hansen.

Edgar Schilling hatte die letzte Mark verausgabt und grü­belte bereits seit einigen Stunden, woher er wohl die Mittel zum nötigsten Lebensunterhalt nehmen sollte. Sein Roman war zwar von manchem Kritiker anerkannt worden, aber das Buch eines Neulings fand noch nicht genügend Leser, um den Autor ernähren zu können. Eine andere Tätigkeit, die ihn bis zum Beginn besserer Zeiten hätte über Wasser halten können, blieb ihm versagt. Seine Komödie hatte zwar eine bekannte Provinzbühne für die nächste Saison zur Aufführung angenom­men, doch der Direktor war allen Bitten um Vorschuß abge­neigt und entschuldigte sich mit dem Hinweis auf die für alle Theater schlechten Zeiten.

Edgar überlegte immer wieder. Er war fest davon über­zeugt, daß nur noch ein Vierteljahr bis zur Aufführung ver­gehen und daß er bis dahin mit dreihundert Mark auskommen würde. Aber woher nehmen? Wenn er doch wenigstens einen rettenden Einfall gehabt hätte! Doch je mehr er grübelte, um so verwirrter wurde er.

Da tauchte plötzlich in seiner Erinnerung der Name Droll auf. Droll... Das war ja ein glänzender Einfall! Droll, sein alter Schulfreund, war nämlich jetzt Teilhaber der großen väterlichen Holzhandlung; er hatte Edgar in früheren Jahren oftmals geholfen und würde sicher auch jetzt nicht versagen, um in späteren Zeiten damit renommieren zu können, eine Leuchte der Literatur im richtigen Augenblick gefördert zu hoben.

Ein glänzender Einfall!" jubelte Edgar Schilling und wagte sogar einen Freudensprung. Dann traf er eifrig alle Besuchs­vorbereitungen,plättete" ein selbst gewaschenes Taschentuch in «nein geerbten, dicken Handatlas, verlieh seinen Schuhen den höchstmöglichen Glanz, radierte seinen Stehkragen sauber und Üeh sich vom Zimmernachbarn einen buntschillernden Schlips. Zwei Stunden später begab er sich auf den Weg zum Holz­händler Droll...

Sein Freund öffnete ihm selbst:Schilling alter Junge ^ bist du es? Das ist doch nett von dir, daß du uns 'mal be-

Uns" sagst du. Du hast dich doch wohl nicht verheiratet?"

,^Das kannst du aber glauben, du wirft gleich meine Mit- Whuldige zu sehen bekommen. Und einen kleinen zweijährigen lockenkopf haben wir als Zugabe bekommen. Nee, das ist Mch hübsch von dir! Meine Frau wird sich riesig freuen, die Bekanntschaft der werdenden Berühmtheit zu machen. Häng' Getuen Hut ab und tritt näher."

Ja, danke schön. Aber höre mal, ich komme doch nicht »«gelegen?"

Aber ich bitte dich! Das hätte garnicht besser passen Können. Meine Frau hat nämlich gerade für heute abend ein paar Hähnchen bestellt, da können wir gemeinsam schmausen. Nimm Platz und rauche 'ne Zigarre ich kann dir diese emp­fehlen mittelleicht und aromatisch!"

Er bot seinem Freunde Feuer an. Eine halbe Minute rauchten sie schweigend.

Meine Frau kommt gleich, sie bringt nur eben unfern Jungen zu Bett."

Wie vornehm du doch wohnst. Feine, alte Kupferstiche, echter Silber... Ja, du hast es verstanden, das Glück beim Schopfe zu packen!"

Ach ja, es stecken aber auch Geld und Arbeit in all' diesen Sachen..."

Meinen Roman hast du wohl gelesen?"

Eine leichte Röte glitt über das Antlitz des Freundes:Nee, du ehrlich gestanden noch nicht. Meine Frau und ich erwarteten nämlich ein Exemplar mit Dedikation vom Ver- fasser."

Danke dir bestens für das Interesse, das du meinen Pro­duktionen entgegenbringst", erwiderte Edgar mit leicht verletztem Selbstgefühl.Du glaubst doch wohl nicht, lieber Droll, daß Schriftsteller und Verleger alle im Nebenberuf einen kleinen, soliden Holzhandel betreiben?"

Es fehlen noch fünf Minuten zu acht", bemerkte Droll mit unterdrücktem Lächeln, indem er sich erhob und zum Telephon ging, das auf dem großen Schreibtisch stand.Bloß ein Wort zu meinem Buchhändler... Amt da? Bitte 1287... Ist Pe- tersen dort? Hier ist Holzhändler Droll. Wollen Sie mir den Roman des Schriftstellers Edgar Schilling besorgen... Wie der heißt? Ja, das müssen Sie doch wissen..."

Abgötter!" unterbrach Edgar erläuternd.

also der heißtAbgötter". Wann kann ich ihn haben? Uebermorgen?... Schön!... Na, alter Junge, nun wollen wir einen recht vergnügten Abend verleben, du, meine Frau und ich. Uebrigens deine Komödie ist ja jetzt ausgenommen, wie ich..."

... angenommen."

... na, angenommen, wie ich neulich las. Das gibt schwere Gelder, habe ich gehört. Es freut mich, daß du jetzt auf einen grünen Zweig gekommen bist!"

Jetzt hielt Edgar Schilling den Augenblick für gekommen, um sich seinem Freunde anzuvertrauen und ihm die mit seinem Besuch verbundenen lichtscheuen Absichten zu beichten, woran er bis jetzt nur durch die überströmende Freude des Wiedersehens und die unerwartete Herzlichkeit, mit der man ihn empfangen hatte, verhindert worden war. Aber im gleichen Augenblick trat die Frau des Hauses zur Tür herein, und Edgar wurde der jungen Mutter vorgestellt, die bei dem festen Händedruck und dem ehrerbietig bewundernden Blick seiner braunen, glän­zenden Augen ihr Haupt lieblich errötend senkte.

Der Abend nahm einen heiteren Verlauf. Es war Edgar nicht möglich, auch nur fünf Minuten mit seinem gastfreien Wirt allein zu sein. Es war, als ob seine Dreistigkeit und der Mut, sein Anliegen vorzubringen, durch die überströmende Liebens­würdigkeit und Gastfreundschaft, mit der er in diesem eleganten Heim überhäuft wurde, geknebelt und gebunden sei. Die zahl­reichen Versicherungen während des vortrefflichen Soupers, welche Freude und Ueberraschung der talentvolle Schriftsteller dem Hause durch seinen Besuch bereitet hätte, entwaffneten ihn in dem Grade, daß er sich auf Gnade und Ungnade ergab und so langsam in das Elysium des Rausches hinüberglitt. Ms er seine letzte Havanna zu Ende geraucht hatte und fühlte, daß seine Zunge anfing, ohne Mitwirkung seines Verstandes Worte zu wählen, erhob er sich langsam und nahm Abschied von seinen Gastgebern, die ihn eindringlich baten,bald einmal wieder zu kommen."-

Als Droll eine Viertelstunde später seine Gattin ins ehe­liche Schlafzimmer geleitete, fragte er:Weißt du, was er wollte, Herta?"

Nein."

Er wollte, wie schon früher oftmals. Geld von mir leihen. Ich merkte es, sowie ich ihn sah."

Hättest du ihm denn nicht helfen können?"

Warum? Ich verdiene mir selbst mein Geld! Hindere ich etwa andere, das gleiche zu tun?"

Dann drehte er die elektrische Lampe auf dem Nachttisch aus. küßte seine kleine, hübsche Frau und kroch ins Bett.--

Draußen durch die Straßen schritt der Schriftsteller Edgar Schilling und fühlte, wie rasch die Kühle Nachtlust seinen erhitz­ten Kops ernüchterte. Er steckte die Hände in die Taschen sie waren so leer wie zuvor! Da erkannte er, daß ein guter Einfall zwar zur Vorfreude führen, aber selbst einem Lite­raten zuweilen nichts nützen kann...

Und da gibt es noch Schriftsteller, die lediglich aus einen guten Einfall warten!

Die gefallene Masche

Bon Kory Tomsk a.

Im Strickzeug gab'S große Aufregung: eine Masche war ge­fallen. Entrüstet klapperten und plapperten die fünf dicken Nadeln durcheinander.

Gefallen!"Da hat Man's! Das sind die Folgen!" Sehr richtig! Was hatte sie leichtsinnig herumzuspringen, statt ruhig an ihrem Platz zu sitzen und ihre Pflicht zu tun!"Das ist die heutige Zeit! Keiner ist mit seinem Platze zufrieden! Egoismus und Genußsucht regieren die Welt! Bescheidenheit? Die Mode von vorgestern. Moral? Lächerlich!"Ja, ja, es ist jammervoll! Aber nun hat sie's! Nun liegt sie da! Nun mag sie sehen, wohin Leichtsinn und Vergnügungssucht führen! Und alle fünf gleißten vor Tugend und Entrüstung.

Die alte Dame, der das Strickzeug gehörte, bemühte sich, die gefallene Masche wieder aufzuheben. Aber die fünf Sicken Nadeln wollten ihr nicht dabei behilflich sein, im Gegenteil, sie hinderten das Rettungswerk.

Wie käm' man denn dazu," klapperten sie erbost,sich jn Unkosten zu stürzen wegen so Einer!"Ich kann kein Mit­leid haben mit einer Gefallenen!"Von mir aus mag sie zugrunde gehen, ich Hab' Besseres zu tun, als dem Leichtsinn wieder auf die Beine zu Helsen!"Jawohl, nur ein falsches Erbarmen! Damit unterstützt man nur die Schlechtigkeit! So­was ist ein ganz gutes Exempel für die klebrigen!"

Inzwischen war die unglückliche Masche immer tiefer und tiefer gesunken, so daß die alte Dame sie zuletzt beim besten Willen nicht mehr ausheben konnte. Und da es sich um eine Kunststrickerei handelte und das Muster verdorben war, entschotz sie sich mit schwerem Seufzer, die ganze Geschichte aufzutrennen und neu zu beginnen. ..

Erst nun, da es zu spät war, erkannten die fünf dicken Nadeln ihren Irrtum. Hätten sie beizeiten geholfen, so waren sie nicht gezwungen gewesen, die ganze Arbeit noch einmal zu machen. Was ist Tugend ohne Nächstenliebe? Eine Dummheit. Die Welt ist eine Kunststrickerei. Wer «ine Masche hilflos sinken läßt, verdirbt das ganze Muster.