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Nr. 177

Gegründet 1826.

Montag, den 2. August 1926

Fernsprecher Nr. 29

166. Jahrgang

Der Magdeburger Fall

Tagesspiegel

An amtlicher Stelle in Berlin ist von Rückiritksabstchten des Reichswehrministers Dr. Gehler nichts bekannt.

Die bayerische Regierung hat gegen den sozialdemokra­tischen Reichstagsabgeordneten Dr. Levi-Derlm wegen Verleumdung des bayerischen Justizministers Dr. Gürtnec Anklage erhoben. Levi hatte behauptet, die bayerische Re­gierung begünstige die Fememörder.

Das französische Justizministerium hat einen Gesetzent­wurf zur Bekämpfung der Selbstverwaltungsbestrebungen in Elsaß-Lothringen ausgearbeitek.

Die italienische Regierung versendet starke Truppen­verbände nach Abessinien.

Nach einer Moskauer Nachricht ist der Privatsekretär des verstorbenen Volkskommissars Dscherschinski unter der Beschuldigung, an dessen Ermordung beteiligt zu sein, ver­haftet worden. Dscherschinski soll mit einem Dolch im Rücken tot aufgefunden worden sein.

Die All. Preß verbreitet, der auf der Urlaubsreife in Europa befindliche amerikanische Schatzsekrelär Mellon habe keine Vollmacht, Verhandlungen in der Schuldenregelung zu führen.

Neuyorker Blättern zufolge kam es in einer Straße in Mexiko zwischen mehreren Parlamentariern zu einem Zu­sammenstoß, wobei der Senator Salvan und ein vorüber­gehender Richter erschossen und ein anderer Unbeteiligter verletzt wurde. Ein Kaufmann in Puebla. der in seinem Schaufenster den Hirtenbrief der Bischöfe ausgehängt hatte, schlug auf einen General ein, der den Hirtenbrief abreiß-n wollte. Die wütende Volksmenge schlug den Kaufmann tot. Die Regierung soll die Entwaffnung der Mitglieder der Kirchenpartei beschlossen haben.

Die Austeilung Abessiniens

Es scheint, als ob die Unabhängigkeit Abessiniens, des einzigen noch selbständigen Staats auf afrikanischem Boden, das letzte Ständlein geschlagen hat. Abessinien, das Alpen- chochland im östlichen Quellgebiet des Nils, wird nach dem Meer hin völlig eingeschlossen von italienischem, fran­zösischem, englischem u. wieder italienisch. Kolonial­besitz, während es nach der Landseite völlig von englischem 'Kolonialbesitz umrahmt wird. Es war kein Wunder, daß Lei dieser Lage die Ausdehnungslinien der drei Mächte sich Ho vielfach schnitten, daß sich ihnen sehr bald die Notwendig­keit einer gegenseitigen Verständigung aufdrängen mußte. >Diese ist 1906 zum erstenmal erfolgt- Frankreich, das bereits eine Eisenbahn von seinem Hafenplatz Dschibuti in> sdas Hinterland bis Dire Darua am Fuß des Gebirges ge­baut hatte und schon seit zwei Jahren die Erlaubnis des Kai­sers Menelik zur Weiterführung der Bahn nach der abessini- Hchen Hauptstadt Addis Abeba besaß, erhielt nunmehr die Zustimmung Englands und Italiens zu diesem Bahnbau mit der Zusicherung, daß beide Mächte die Interessen Frank­reichs im Hinterland seiner Kolonie sowie der Eisenbahn­zone schützen würden: praktisch wurde damit Ostabessinien -dem französischen Einfluß überlassen. Italien, das vor ider Niederlage bei Adua die Schutzherrschaft über ganz Abes­sinien beansprucht und sie über den nördlichen Teil (Tigre) auch eine Zeiklang besessen hatte, erhielt von England und Frankreich die Anerkennung und den Schutz seiner Inter­essen im Hinterland seiner nördlichen wie seiner südlichen Kolonie sowie das Recht zugesichert, eine Landverbindung zwischen beiden herzustellen, die aber mit Rücksicht auf die französische Bahn westlich von Addis Abeba verlaufen müsse. Damit war der größte Teil Mittelabessiniens dem italienischen Einfluß Vorbehalten. England endlich hatte schon seit der Wiedergewinnung des Sudans sein Auge auf die Ouell- slüsse des Nilsystems und namentlich auf das große natür­liche Wasserbecken geworfen, das der T a n a - S e e im Nord­westen Abessiniens bildet, und hatte bereits 1902 mit Mene­lik einen Vertrag abgeschlossn, worin Abessinien sich ver­pflichtete, keine Bauten am Blauen Nil oder Tana-Ses aus­zuführen, die den Abfluß der Gewässer in den Nil aufhalten könnten, während England die Erlaubnis erhielt, in diesem Gebiet Wasserwerke anzulegen. Jetzt gaben Frankreich und Italien ihre Zustimmung zu diesem Vertrag. Um jedoch das unabhängige Vorgehen eines einzelnen Stgats zu verhin­dern, vereinbarten die drei Parteien, daß sie dieUnver­sehrtheit Abessiniens" schützen, bei etwaigen Veränderungen im Innern sich neutral verhalten und gegen Störungen von außen her gemeinsam Vorgehen wollten.

In den nächsten Jahren bis zum Krieg zeigten sich weder England und Italien besonders beflissen, die gewonnenen Rechte auszunutzen, während Frankreich nach allerlei Schwie­rigkeiten seine Bahn bis Addis Abeba auszubauen und da­mit einen wichtigen Stützpunkt zu gewinnen vermochte. Als aber der Krieg vorüber war, beschlossen die beiden Mächte, den Fortschritten Frankreichs nicht länger untätig zuzuschauen, zumal es seine Bahn nicht nur dem abessinischen Sklavenhandel öffnete, sondern auch reichliche Waffen - .sendungen auf diesem Weg ins Innere gelangen ließ. Sie veranstalteten daher im Jahre 1919 in London eine Sonderkonferenz an sich schon ein Verstoß gegen den Geist des Abkommens von 1906, wobei sich aber neigte, daß auch die englischen und italienischen Interessen

In der letzten Zeit war in den Blättern viel von einem Mord zu lesen, der in Magdeburg im Vorjahr begangen, aber jetzt erst entdeckt worden ist. Die Meldungen darüber waren von Anfang an so dunkel und widerspruchs­voll, daß der kritische Blick sofort erkennen mußte, daß hier etwas nicht stimme und daß es geraten sei, eine Klärung al.- zuwarten, um die Zeitungsspalten nicht mit unnötigem Ballast zu beschweren und das Urteil der Leser zu verwirren. Der Fall hat nun plötzlich eine eigenartige Deutung und eins Wendung ins Parteipolitische erfahren, so daß er sich zu einer die Allgemeinheit berührenden Sache auswachsen zu wollen scheint.

Der Tatbestand ist folgender: Im Juni 1925 ist in Magde­burg der Kaufmann Helling spurlos verschwunden. Nie­mand, am allerwenigsten die Kriminal-Polizei, scheint sich um das Verschwinden groß gekümmert zu haben. Erst nach Dreivierteljahr entdeckte man bei einem jungen Menschen namens Schröder das Scheckbuch und zwei Uhren des Helling. Schröder wurde unter Mordverdacht verhaftet. Er lenktr den Verdacht der Mittäterschaft auf den Fabrikanten Haas, bei dem Helling in Stellung gewesen war. Helling sollte am Tag seines Verschwindens vor dem Finanzamt gegen die Firma Haas aussagen, und die Untersuchung nahm zunächst an, Haas habe den Helling beseitigt, um sich den unangeneh­men Folgen seiner Aussage zu entziehen. Der Verdacht wurde später fallen gelassen, nachdem die preußische Regie­rung in das schwebende Verfahren eingegriffen und den Berliner Kriminalkommissar Busdorf nach Magdeburg geschickt hatte. Der Magdeburger Kriminalkommissar Ten - hold, der Haas verhaftet hatte, wurde am 26. Juli kait- gestellt und sogar ein Dienststrafverfahren gegen ihn ein­geleitet. Der die Untersuchung führende Landgerichtsrat Kölling in Magdeburg erhob gegen die Kaltstellung des Magdeburger Kriminalkommissars Tenhold und gegen die Herbsiziehung des Berliner Kriminalkommissars Busdorf und anderer Kriminalpolizisten scharfen Einspruch bei dem Polizeipräsidenten Weiß in Magdeburg. Weiß erwiderte, er könne nicht gegen die Anordnungen des Oberpräsidenten Hörsing handeln. Landgerichtsrat Kölling erklärt nun weiter, Tenhold sei der einzige gewesen, der allein von An­fang an die Entwicklung der Untersuchung miterlebt habe und er sei für ihn, den Untersuchungsrichter (Kölling), nicht zu ersetzen- Tenhold habe sich außerordentlich bewährt und einwandfrei gearbeitet. Es sei geradezu unbegreiflich, wie gegen diesen Beamten auch noch ein Strafverfahren ein­geleitet werden konnte. Dagegen seien, seit die von Minister Severing von Berlin gesandten Kriminalpolizisten in Magdeburg tätig seien, viele Mitteilungen in die Blätter ge­leitet worden, die die Sacklage verwirrten und in hohem

London, 1. August. Der diplomatische Mitarbeiter des Daily Telegraph" schreibt, es liege England sehr viel daran, daß sich die Aufnahme Deutschlands in den .Völkerbund und in den Rat in der Tagung im Sep­tember ohne Störungen vollziehe. Es werde gefordert, daß die Ausnahme Deutschlands schon am ersten Verhand­lungstag erfolge, während über die nichtständigen Rats­sitze erst am achten oder zehnten Tag entschieden werden soll. (Deutschland könnte dann gegen die Ratserweiterung nichts mehr machen.) Polen stelle jedoch, wenn es sich mit einem nichtständigen Sitz begnügen solle, verschiedeneA u s- gleichsforderungen", die Bedenken erregen; sür einen ltändiaen Ratssik Svaniens ickeine auch Deutschland stimmen zu wollen. Zu diesen Fragen

nicht mehr unter einen Hut zu bringen waren, unr- w ging die Konferenz ergebnislos auseinander.

In Addis Abeba waren inzwischen neue Männer ans

Maß den Gang einer sachlichen Untersuchung erschwerten. Die Mitteilungen haben nur durch die Berliner Kriminalkommissare in die Presse gelangen können. Gegen Busdorf sei aber kein Dienststrafverfahren ein- aeleitet worden, obgleich es klar zutage lag, daß durch sein Verhalten der Mörder oder Mordanstifter begünstigt wurde. Ihm, Kölling, selbst seien, besonders nachdem er das Zusammenarbeiten mit Busdorf abgelehnt hatte, so vic': Schwierigkeiten in den Weg gelegt worden, daß er dann nur das Be st reden erblicken könne, dem Fortaan z der Untersuchung entgegenzuwirken. Durch Zulassung solcher Beamten wie Busdorf würde er (Köllin-s auf das schwerste gegen seine Richterpflicht verstoßen und sich schwer strafbar machen. Er verlange daher die sofortige Einstellung des Strafverfahrens gegen Tenhold und fordere, daß Tenhold ihm für die weitere Untersuchung zur Verfügung gestellt werde.

Durch den amtlichen preußischen Pressedienst gab daraus Minister Severing eine Erklärung ab, er habe dcn Magdeburger Polizeipräsidenten Weiß veranlaßt, das Schreiben Köllings unbeantwortet zu lasten; es bleibe b»i feinen (Severings) Anordnungen- Er werde gegen die -n dem Schreiben Köllings enthaltenen Vorwürfe gegen Be­amte das weitere an zuständiger Stelle veranlassen.

Der preußische Justizminister hat es bis jetzt abgelehnt, gegen Landgerichtsrat Köllina vorzuaehen.

Dazu kommt nun die politische Seite des Falls, indem sich seiner die Parteipresse bemächtigte. Anfangs wurde der Rechten vorgewvrsen, sie wolle die Mordsache vertuschen, zoeil es sich um einen Großkapitalisten handle. Daraus soll ! Oberpräfident Hörsing auf di« Linkspresse eingewirkt Mi Lrn, die Angriffe gegen Haas einzustellen, denn Haas ftß der beste Geldgeber für das Reichsbanner Schwarz-rot-gM», Die Rechte warf dann der Linken vor, daß sie Len Jud««, Schieber und Steuerschwindler Haas schützen wolle. So kft die Sachlage nun so, daß der Mordfall fast ganz in denl Hir^er^und getreten ist und der politische Streit die Lag«

Berlin, 1. Aug- Die B.Z. berichtet, der preußische Innen­minister Severing habe den Stellvertreter des preußischen! Justizministers, Staatssekretär Fritze, davon verständigt, daß er gegen Landgerichtsdirektor Kölling eine Beschwerde erhoben habe.

Der Staatsanwaltschaft Magdeburg ist «ne Straf­anzeige gegen den Berliner Kriminalkom­missar Busdorf wegen strafrechtlicher Begünstigung S-Segangen.

werde gegenwärtig eifrig zwischen verschiedenen Staaten verhandelt.

Vriand und Vandervelde

Paris, 1. August. Der belgische Außenminister Van­dern elde hatte eine Besprechung mit Außenminister Briand. Nach den Blättern sollen die Minister überein­gekommen sein, an der Ueberlassung eines Sitzes im Völker­bundsrat an Deutschland festzuhalten, dagegen auch den Rat zu erweitern, wodurch Argentinien und Spanien veranlaßt werden dürften, Mitglieder des Völkerbundes zu bleiben. (Diese beiden Staaten sollen also Ratsfitze erhalten.) Mit dem anspruchsvollen Polen Pil- sudskis scheinen die Außenminister weniger zufrieden zu sein, als sie es mit dem gewiß nicht bescheidenen Polen Gkrzinskis waren.

Ruder gelangt und die von Menelik vor zwanzig Jahren gemachten Zusagen waren nahezu vergessen. Daher trat England im vorigen Herbst aufs neue an Italien heran, und man gelangte bald zu einer Verständigung, Eng- land erkannte jetzt tatsächlich das abessinische Ouell- gebiet des Nils als italienischen Einfluß- bsreich an und stellte nur die Bedingung, daß Italien sei­nerseits die alten WasterrechteAegyptens und des Sudans" anerkenne und in den Quellgebieten des Weißen und des Blauen Nils wie ihrer Nebenflüsse keine Bauten auffühve, welche die Wassermenge dieser Flüsse wesentlich verändern Knuten. Auch sonst erhielt Italien seinen Willen: seine Eisenbahn sollte durch die Automobilstraße nicht behindert werden dürfen, und Westabessinien nebst dem ganzen Eisenbahnbereick sollte als ausschließlich italie- nisches Einslußgebiet von England anerkannt wer­ben, nachdem dieses mit italienischer Hilfe die Berechti­gung zum Bau des Stauwerks im Tana-See von der abes­sinischen Regierung erhalten habe. Man sieht aus allem dem, daß Italien in Englands Augen künftig als der tat- pchkkhe Herr des Gebiets gelten soll. Daß hier eine Gegen­leistung Englands an Italien sür dessen Haltung in der Mossulsrage vorliegt, die um dieselbe Zeit im Völkerbund zuounsten Englands entschieden wurde, üt un­zweifelhaft.

Frankreich, der dritte Teilhaber im alten Bund, war von diesen Verhandlungen und Abmachungen ausge- schaltet worden, unter der Bearünduna. daß sie sein Ein-

Englischer Eis« sör die Aasna-ine ' in den Völkerbund