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Nr. 121

Segrüncket 1826

Freitag, den 28. Mai 1926

Kernsprecher Nr. 29

10V. Jahrgang

Tagesspiegel

Der Reichstag tritt am Montag, Sen 7. Juni wieder zu­sammen.

Der Oberreichsanwalt hat die von der preußischen Re- sterung eingesandten Beweise für einen angeblichen Hoch- oerrak der Rechtsverbände als unerheblich bezeichnet und die Einleitung eines Strafverfahrens abgelehnt. Me preußische Regierung wird aber die verfügte Auflösung -er Verbände trotzdem nicht zurücknehmen.

Pilsudsky hak die polnischen Generale Rozwadowski, Aagorski und Inswinski, die auf Serken der Regierung Wikos gekämpft haben, ins Gefängnis nach Wilna bringen lassen. Ne sollen wegen verschiedener früherer Verfehlungen vor ei« Kriegsgericht gestellt werden.

Abd el Krim ist in der französischen Linie eingekroffen und »ach Taza weikergeleikci worden. Er soll ehrenvoll behandelt «erden.

Gedanken zur Abrüstungskonferenz

Die Großen Vier von Versailles haben es, unter dem Druck des gar so friedensfreundlichen Wilson, nicht vermei­de» können, die völlige Entwaffnung Deutschlands damit zu begründen, daß sie ihrerseits ebenfalls an die Abrüstung gehen wollten. Von den stehenden Heeren sollten nur kleine Bruchteilezur Aufrechterhaltung der Regierungsautorität" übrig bleiben. Ob irgendein ernsthafter Politiker in denSie- gerländern" wirklich an dies erhabene Kriegsziel geglaubt hat, ist sehr fraglich, immerhin hatte man so einen vortreff- sichen Vorwand gefunden, die Entwaffnung Deutschlands mit besonderem Eifer zu betreiben. Selbstverständlich wußte vorm B^finn der Weltentmilitarisierung erst einmal das fürchter­liche Gewehr Michels nachweislich in taufend Stücke zerbro­chen worden fein. Inzwischen ist jetzt in Genf die Abrüstungs­konferenz zusammengetreten und noch kurz vor ihrem Zu­sammentritt wurden Regierungen und Presse der Gewinner von Versailles nicht müde, immer wieder auf angebliche Ver­ringerung ihrer Soldatenmassen und Motten, auf die Herab­setzung der Dienstfristen hinzuweisen, während in Wirklichkeit die Militärausgaben überall gewaltig in die Höhe gegangen find. Und das Bemerkenswerteste ist: In all diesen Staaten hat man die militärische Jugenausbildung rück­fichtslos durchgeführt. Zumeist noch unterm Schein der Frei­willigkeit. Aber Zwang und Zweck lauern allenthalben da­hinter.

An der Spitze dieser Länder, die ihre Zukunft sichern wollen, indem sie schon die Jugend soldatisch organisieren, steht Nordamerika. Welch ein Geist seine Maßgeben­den beseelt, das erhellt aus einer Ansprache bei der Preis­krönung des in militärischen Dingen offenbar besonders be­wanderten Gymnasiums Jvva:Chemie, Erdkunde, Algebra sind wertvoll und notwendig als Unterrichtsfach; aber das Wichtigste ist doch die Kenntnis von der Verantwortlichkeit gegenüber Gott und dem Vaterland, die Achtung vor der Flagge, vor Amerika und seinen Grundsätzen. Die älteren Schüler und Schulentlassenen sind berufen, das Vaterland in der Gefahr zu verteidigen; darum muß die militärische V o r be r e i t u n g die wertvollste Tätigkeit der Schule fein". Alle Mittel- und höheren Schulen der Vereinigten Staaten haben sogenannte Junior-Divisionen eingerichtet; pünktlich mit der Vollendung des vierzehnten Lebensjahres setzt die Ausbildung der Rekruten ein. Das Heer stellt Offiziere und Unteroffiziere als Lehrer. Sobald die jungen Leute dann die Universität beziehen, strömen sie in die Senior-Abtei­lungen, die den Zweck haben, dem Heer gegebenenfalls aus­gebildete Reserveoffiziere zu liefern. Kein junger Mann ver­mag sich dieser militärischen Ausbildung zu entziehen, es sei denn, daß Stiftung und Bestimmung seiner Lehranstalt jede' soldatische Betätigung verbietet. Im übrigen aber muß er, ob er will oder nicht, Reserveoffizier, beziehentlich Reserve­unteroffizier werden. Neben den Jung- und Alt-Divisionen, die sich nur aus Zöglingen -der höheren Schulen und Universi­täten Zusammenleben, wirken für die übrigen Schulen und ihre Entlassenen die Juaendschützen, deren Zahl auf etwa eine Million geschätzt wird. Umfangreiche Uebungslaaer, in denen jeder Jugendliche willkommen ist, haben allein im Sommer 1624 rund 276 000 Mann neben 34 000 Offizieren ausgenommen.

Noch nachdrücklicher geht Frankreich ms Zeug. Sein Bevölkerungsrückgang hat die Verantwortlichen des Landes dazu veranlaßt, mit der Ausbildung der Jugendlichen bereits nn sechsten Lebensjahr zu beginnen. Ja, schon vorm Schul­besuch, vom vierten Jahr an, soll der Nachwuchs von der Mutter im sozusagen militärischen Sinn erzogen werden! Be­stimmte tägliche Uebungen sind vorgeschrieben. Dem Schü-

selbst flößt man unausgesetzt alle soldatischen Tugenden and, wie die französischen Schullesebücher zeigen, wilden Haß gegen die Deutschen ein. So vorbereitet, tritt der junge Mensch dann in einen der rund 6000 staatlich unterstützten Ltusbildungsvereine, die sich nicht allein dieser Unterstützung wegen die größte Mühe geben, dem Heer geschliffenes Ma­terial zu überweisen. Noch besteht zwar kein Zwang, sich m einer dieser Organisationen ausbilden zu lassen. Aber schon « "et niemand im Staats- oder Gemeindedienst eine Anstellung, der nicht die vorgeschriebene Leibeserziehung aurchgemacht hat. Bis zum 36. Lebensjahr, also auch nach «em Heeresdienst, dauern die Hebungen fort. Einen schär- keren und umfassenderen Zwangsmilitarismus hat es nie qe- Leben, solange die Welt besteht.

Des Rifkriegs Ende

Abd el Krim ergibt sich den Franzosen

Der marokkanische Freiheitsheld Abd eI Krim hat sich nach dem Abfall der bedeutendsten Stämme des Riss ge­nötigt gesshest, den Kampf gegen die Uebermcrcht der ver­einigten Franzosen und Spanier auszugeben und mit seiner Familie die eigene Freiheit zu opfern, indem er sich unter den Schutz Frankreichs stellte. Durch den Abfall, um nicht zu sagen den Verrat der Rifstämme war es den Franzosen gelungen, die Hauptstellungen Abd el Krims, die er seit sechs Jahren mit so viel Glück verteidigte, zu besetzen; ein weiterer Widerstand wäre nun einfach ein Todesopfer ohne Gewinn gewesen.

Man kann dem Berberhelden das Mitgefühl bei seinem Schicksal nicht versagen. Er hatte es fertiggebracht, die in innerer Uneinigkeit gespaltenen zahlreichen Stämme zu einigen und zum mutigen Verteidigungskampf zuerst gegen die Spanier, dann gegen die Franzosen, und zuletzt gegen beide zu begeistern. Aus den ungeschul'sn Horden schuf er ein außerordentlich tüchtiges Heer, das den Franzosen, vor allem aber den besonders gehaßten Spaniern schwere Niederlagen beibrachte. Abd el Krim stand allein. Ab und zu mögen Schmuggelschiffe ihm Munition und vielleicht Heilmittel und dergleichen zugeführt haben, im großen ganzen war seine Kriegführung auf die Beure angewiesen, die er den Feinden abnahm. Und die war allerdings reich­lich. Im Jahr 1624 muhte sich ihm z. B. nach einem blu­tigen Kampf eine ganze spanische Division gefangen geben.

Nach der Besiegung der Spanier, die nur noch unbedeutende Gebietsteile um die Seefestungen Ceuta und Mesilla herum zu halten vermochten, schien Abd el Krim unbestrittener Herr des Rifgebiets zu sein. Zur Ernährung der Rlsbevötterung war das Tal des Uergafluises im Südwesten unentbehrlich: Abd e! Krim mußte es dem Rif­gebiet angliedern, wenn er dessen Selbständigkeit behaup­ten wollte. Nun ober machten dis Franzosen plötzlich ihr Vorrecht" aus das Tal geltend, in dem die französische Schutzherrschaft" niemals ausgeübt worden und niemals ein französischer Soldat zu sehen gewesen war. So kam es anfangs des Jahres 1925 zum Kampf mit den Franzosen, denen der <^>-sicins"kl",- i" c->ine einoelwrenen T'NIVVSN

zur Verfügung stellte. Aber die Franzosen erlitten Schk'appa aus Schlappe. Niederlage aus Niederlage; Abd el Krim» konnte sogar die wichtige Bahn von Marokko nach Mgie« zum Teil zerstören und die Stadt Fez so bedrohen, daß die weiße Bevölkerung an die Küste in Sicherheit gebracht! wurde. In ihrer Bedrängnis riefen die Franzosen nc^hj einmal, nach langen Verhandlungen, das marokkomüdck Spanien zur Hilfe herbei. Viele Monate dauerte der gleiche Kamp'. Die bekannteLandung bei Alhucemas" wav ein kurzer Scheinerfolg der Spanier; dagegen rückten di« Kabylen im Westen bis vor das spanische Hauptquartier? in Tetuan, das sie aufs ernstlichste bedrohten und miÜ einigen schweren Geschützen beschossen.

Aber die Uebermacht der vereinigten Feinde war ebe» doch zu groß. Und als die größeren Stämme, die wöhk auch durch Bestechung mürbe gemacht worden stin möge»« abzufallen anfingen, da wandte sich eben erst vor wenige» Wochen das Kriegsglück aus die Seite der Eroberer. el Krim mußte sich unbesiegt ergeben.

Die Waffen werden schweigen; aus wie lange, das W eine andere Frage. Zunächst aber werden die Diplomaten^ sich an den Tisch setzen, um den Strich unter die Reche»-» aufgabe des Rifkriegs zu setzen. England wird süh mel­den, und vor allem Mussolini, der bekanntlich in Ron« und Tripolis das Mittelmeer fürdie römische See" er­klärt hat. In Paris befürchtet man wohl eine EinmiB schung Italiens, weshalb die Regierungsblätter fkU beeilen, einer Fortsetzung der französisch-spa-s Nischen Waffenbrüderschaft eifrig das Wort -uj reden. Daß dabei dieAlldeutschen" und das bol-s schewistische Rußland als die Schuldigen für di« schweren Blut- und Geldopfer Frankreichs und Spanien« hingestellt werden, bedarf keiner Erwäbnung. Brian« aber hat nun doch die Genugtuung, daß er alsSiegers vor die Kammer treten kann, wenn sie demnächst von ihn» Rechenschaft für die um io unglücklicheren Bemühungen dsff Regierung für die Stützung des Frankenkurses verlange« wird. Vielleicht wird derSieg in Marokko" das Kabinett! Vriand noch einmal retten, denn ersahrnnasoemäß läßt ei« zu rechter Zeit vom Zaun gebrochener frischer fröhlich»! Krieg die Franzosen innere Not rasch vergessen.

Daß sich England von seinen hohen Verbündeten nichr schlagen lassen will, liegt auf der Hand. Hier smü besonders die Knaoenschützerwereine zu erwähnen mit etwa 150 000 Mitgliedern, die dem künftigen Soldaten die wichtigsten Erundeigenschaften beibringen: Eine ruhige Hand, ein ziel­sicheres Auge, kaltes Blut. Neben den Schützenvereinen, mächtiger und stärker als sie, stehen die Boy Scouts mit rund 300 000 Mitgliedern. Rechnet man die übrigen Verbände für militärische Jugendausbildung hinzu, so kommt man in Eng­land allein aus rund 700 000 Knaben und Jünglinge, wäh­rend in den Kronländern sicherlich weitere 300 000 Soldaten erzogen werden.

Polen und die Tschechen die Säulen des Kleinen Verbands, wollen hinter ihren großen Vorbildern nicht zu­rückstehen. In Tschechien beginnt die Ausbildung mit dem 18. Jahre; der junge Mensch geht dann unmittelbar ins Heer über und genießt nun die Vergünstigung, zwei Monate von seiner Dienstzeit geschenkt zu erhalten. Wer durch keinen Iugendverein gegangen ist, muß diese zwei Monate länger dienen. 2400 Sokol-Vereine mit 380 000 Mitgliedern, da­neben Turn- und andere Sportvereine mit 100 000 Mitglie­dern bilden weitere gewaltige Sammelbecken für die künftige tschechische Militärmacht. Selbst der sozialdemokratische Turn­verein mit etwa 35 000 Mitgliedern genießt staatliche Unter­stützung, steht also im Ruf hoher Militärfreundschaft. Seinen alten Volksinstinkten gemäß, gemäß der Sehnsucht jedes jungen Polen nacheinem Pferd und einem Säbel", bemüht sich Polen, noch mehr als alle anderen ,zu leisten. Die Organi­sation seiner Jugendausbildung ist ungemein klug und scharf durchdacht und, was sie im Gegensok zu den sowjet-russischen Bestrebungen auszeickmet. in jeder Bestellung durchführbar. Gerade mit Bezug auf Polen sagen dieSüddeutschen Mo­natshefte", deren April-Heft die obigen Daten in der Haupt­sache entnommen sind, daß Polen unserein Vaterland in der militärischen Vorbereitung der Jugend und durch sie in der Verteidigungsbereitschaft des Volks weit voraus ist. Von Jahr zu Jahr, je mehr bei uns die vorkriegs- und kricgs- gedienten Jahrgänge in das nicht mehr waffenfähige Alter übertreten, wird sich der Abstand vergrößern. Polens Vor­rat an ausgebildetem oder vorbereitetem Soldatenmateria! wächst durch die dort allgemeine Dienstpflicht und Jugend- ausbildung weit über unsere Kraft hinaus, und wiederholt schon haben führende Pisten einigermaßen unvorsichtig ihre geheimsten Gedanken verraten: Je mehr in Deutschland die Zahl der noch kriegsgedienten Männer.obnimmt, je günstiger dadurch für Polen das personelle Rüstungsverhältnis zu Deutschland wird, desto näher der Augenblick des polnischen Losschlagens zur Befreiung der unerlösten Gebiete.

So ist alle Well denn auch Italien, Sowjet-Rußland und Japan gehen mit 'der sistdatischen Erstehung ihrer Heran­wachsenden mächtig voran angespannt bei der Arbeit, die Werdenden, ohne daß sie es eigentlich werten, ins Heer hinüberzuführen. Statt der viel berufenen Abrüstung macht fick) überall die Tendenz geltend, durch militärische Schulung der Juaend die stehenden Heere gewaltig zu verstärken und

ihnen für alle Fälle das kräftige Rückgrat im Lande zu schaf­fen. Zwischen den schwer Bewaffneten aber, die ihren letzten Jungmann heranholen, steht vollkommen wehrlos Deutsch­land. _ .

Neuestes vom Tage

Die Wahlen in Rumünieu

Bukarest, 27. Mai. Bei den Kammerwahlen sielen aus die Regierungspartei des Generals Aoarescu über 300 von 387 Sitzen. Die Liberale Partei der bisherigen Minister, Brü- der Bratianu, ist auf einen kleinen Rest zusammengeschmok- zen. Die zweitgrößte Fraktion stellt die Bauernpartei. Aoarescu steht bekanntlich aus seiten des von Bratianu av- gesetzten Kronprinzen Karol.

Die ägyptischen Wahle«

London, 26. Mai. Die Wahlen m Aegypten haben in England große Beunruhigung hervorgerufem Die konser­vativen und liberalen Blätter verlangen, daß England an seinenVorrechten" in Aegypten nicht rütteln lasse: 1. Sche­rung der Derkehrsverbindungen des britischen Weltreichs in Aegypten; 2. Schutz der Ausländer und Minderheiten; 3.Schutz Aegyptens" gegen ausländische An- und Ein­griffe; 4. Wahrung der englischen Sonderstellung >m «udan.

Unter dem Druck der stark anwachsenden nationalen Be­wegung hatte sich die englische Regierung 1922 bequemen müssen, der Unabhängigkeit des Landes einige Zugeständnisse zu machen. Unter dem außerordentlich geschickten Minister­präsidenten Saad-Pascha Zaglul, dem Führer der Natio­nalpartei, nahm die Unabhängigkeit 1924 eine Gestalt an. die der britischen Herrschaft gefährlich zu werden drohie- Da wurde im November 1924 gerade rechtzeitig für Eng­land der britische Statthalter im Sudan, General sir Lee Sta ck, ermordet. Der Hauptgrund dieses Verbreche iis, das der ägyptischen Nationalpartei selbst höchst unerwimschr war, und an dem sie schwerlich beteiligt war, ist bis heme noch nicht aufgehellt; England benützte jedoch die Gelegen­heit um durch ein Ultimatum Millionen aus dem Land her­auszuholen, sämtliche Errungenschaften der ägyptischen Un­abhängigkeit zu beseitigen und sich mit verdoppelter Sicher­heit im Sudan festzusetzen. Zaglul mußte zurücktreten, ^das Parlament wurde aufgelöst und die englische Krearur s > - war-Pascha mußte unter Ausschluß der Anhänger der Wasd (Partei Zagluls) eine Scheinregierung bilden. Aegypten schien für das britische Weltreich geretter.

Daß sich eine nationale Bewegung aber nicht durch Waffengewalt unterdrücken läßt, stellte sich nach den Neu­wahlen im März 1925 heraus. Bei der Wahl des Vorla- mentspräsidenten wurde Zaglul mit großer Mehrheit ge­wählt. Siwar löste das Parlament daraufhin aus und ver­zögerte unter allen möglichen Vorwänden die Neuwahlen,