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Donnerstag den 20. Mai 1920
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100. Zahrgane
Tagesspiegel
„Der Putsch-Schwmdel"
Unter dieser Uederschrifr behandelt die der gegenwärtigen Putschgeschichte unbeteiligt gegenüberstehcnoe „Köln. Ztg." das Vorgehen der preußischen Regierung und des Berliner Polizeipräsidiums gegen die Vaterländischen Verbände. Das Blatt schreibt: Die Gerüchte über einen angeblichen Rcchtsvukscll seien von amtlicher preußischer Seite in die Welt gesetzt und unglaublich ausgebauscht worden. Ohne Frage seien die Haussuchungen bei angesehenen Persönlich- keiter- des öffentlichen Lebens durchaus unberechtigt. Bezeichnend für die parteipolitische Aussiebung der Putschgerüchte sei die Tatsache, daß in der amtlichen preußischen Pressestelle eine vertrauliche Besprechung mit der Rcicksbannerpresse zur Unterstützung der Putschausregung einberufen worden ist, ehe überhaupt der Reichsregierung und dem Reichskanzler von den angeblich drohenden Gefahren Mitteilung gemacht wurde. Die Rolle der amtlichen preußischen Pressestelle in der ganzen Angelegenheit sei geradezu übel. Sie har in ihrem amtlichen Organ, dem Preußischen Pressedienst, die Gefahren, die dem Staat drohten, von Tag zu Tag in schärfern Farben geschildert, während schließlich nichts anderes übrig geblieben ist als einige unwichtige Briefe des Zustizraks Dr. Claß vom Alldeutschen Verband. Mas sonst noch der Oeffentlichkeit unterbreitet worden ist, waren „olle Kamellen". Die blutrünstige „Notverordnung" ist schon mehrere Fahre alt und stammt aus der Zeit, als in den Köpfen der verschiedenen Verbände noch alles drunter und drüber ging. Der famose ..Aufmarscholcm gegen Berlin" liegt schon seit geraumer Zein in der Schublade des preußischen Ministers des Innern, Se » ering. Man geht wohl in der Annahme nicht fehl, daß er zum mindesten nicht ohne seine Kenntnis abgefaßt und ursprünglich als eine gemeinsame Abweyr von Reichswehr und 'Vaterländischen Verbänden gegen einen gewaltsamen kommunistischen Putsch in Berlin versaßt morden ist. Wenn schließlich einige poli-
Deutschland verlangt Abrüstung
Genf. IN. Mai. In der gestrigen öffentlichen Rachinitivgs- sitzung führte Lore Rollert Cecil (England) aus. die w i r t- sch östliche Seile der Abrk'sftmgsfrage fei in England wic überall: schwere Steuern und Arbeitslosigkeit. Die Frage der nationalen Sicherheit liege in England einfacher als in andern Ländern. Die Stärke des Land- Heeres hänge weniger von der Stärke anderer Heere ab Für die Flvite sei seinerzeit in Washington ein erfreuliches Abkommen geschlossen worden. 2n der Luftfabri sei England von den Büßungen anderer Staaten abhängig Gras Bern stör ff (Deutschland) erklärte, schon aus sittlichen Gründen sei die Abrüstung nötig: aus politischen, weil die Geschichte lehrt, daß übertricl cne Rüstungen immer wieder Krieg sichren: aus wirtschaftlichen, weil die verarmte Well auf die Dauer keine schweren Rüstungen tragen kann, Im Vertrag von Versailles steht geschrieben, daß die Abrüstung Deutschlands das Beispiel zu einer planmäßigen allgemeinen Abrüstung dnrch den Völkerbund sein solle, die übrigens durch den Vertrag von Locarno ausdrücklich vorgesehen ist. Ans Grund der erwähnten Vereinbarungen Hai das deutsche Volk vollständig abgerüstek und seine Streik- uräfte reichen zur Garantie seiner nationalen Sicherheit im Sinn des Artikels 8 der Bölkerbundsfatzungen nicht mehr aus. der alle Mitglieder des Völkerbunds zur Abrüstung verpflichtet. Ohne Abrüstung wird der Völkerbund nicht erfolgreich fein können. Deutschland darf mit gutem Recht erwarten, daß die anderen Nationen ihm auf diesem Weg
Deutscher Reichstag.
Die Aussprache über den Putsch
tische Einspänner in Deutschland erwägen, ob man an Stelle der bestehenden Karikatur eines parlamentarischen Systems nicht für eine Uebergangszeit eine Diktatur einsetzen könne, so ist doch darin kaum etwas Besonderes zu sehen, da eine Diktatur auf verfassungsmäßiger Grundlage nach Artikel 48 der Reichsverfassung wohl möglich ist. Gerade der Mißbrauch der Parlamentstribüne reizt zu solchen Plänen, weil er jede gedeihliche Arbeit am Gemeinwohl brach legt und in der Oeffentlichkeit Stimmungen erzeugt, die Volks- vcrhetzung statt Bolksversöhnung herbeiführen.
Aber diese Aufbauschungen waren wohl notwendig, um das gesetzwidrige Vorgehen der preußischen Polizei zu erttären, die. ohne daß Gefahr im Verzug war, auf eigene Faust, also ohne richterliche Anordnung, Haussuchungen bei einer großen Anzahl von Persönlichkeiten vornahm, für die nicht die geringste Berechtigung oorlag, und dort Material beschlagnahmte, das mit den „Verschwörungen" in keiner Weife in Zusammenhang stand, wohl aber für die parteipolitische Agitation von Wert erscheinen konnte. So sind u- a. Listen mitgenomm«» worden, aus denen hervorging, was bestimmte Männer und Betriebe zu den Wahlfonds der verschiedenen Parteien gezahlt haben.
Man wird dem Bla,.- beipflichten müssen, welchen politischen Standpunkt man auch cinnehmen möge, daß durch solch unvorsichtiges Vorgehen, wie es die pr-mßische Regierung wieder an den Tan gelegt hat — mau denke nur auch an alle ihre unglückselioen Vorstöße gegen Bayern — der Geist der Zwietracht immer von neuem angefacht wird und schließlick eine ^Spannung künstlich gtk'.affen werden kann, die so oder so einmal zu einer gewaltmäßigen Entladung drängt. Die preußische Re«ü?"iw'» fördert also in !brem blinde:' Eifer gerade das, was sie nach ibrer Behauptung zu bekämpfen sun t.
folgen werden, woraus sich für Europa und für die ganze Welt ein Zustand dauernder Befriedung und gegenseitigen Vertrauens ergeben wird.
Der amerikanische Vertreter Gibson erklärte, nach amerikanischer Anschauung verlange vor allem die wirtschaftliche Lage der einzelnen Völker eine Abrüstung. Diese könne aber besser durch Abkommen von Land zu Land als durch allgemeine Regelung erreicht werden.
Zur Frage: Was ist unter Rüstung zu verstehen: ist es möglich, die etwaigen Kriegsrüftungcn eines Landes nie- derzuschlagcn oder soll sich die Abrüstungsmaßnahme nur auf dicFriedensabrüstnng erstrecken? — erklärt Cecit, unter Rüstungen sollte man nur diejenigen Kräfte verstellen, die im Kriegsfall schnell mobilisiert werden
Nonnen, denn sonst müßte stch ei« Abrüstung «»ck -j, Natnrkräfte erstrecken.
Paul B oncour (Frankreich) widersprich. Frankreich defmde sich einem Land (Deutschland) gegenüber, dessen Reichtum, besten hochentwickelte Industrie und Eisenbahn ihm gestatten, im Kriegsfall schnell seine Friedensindust, le in eine Kriegsindustrie umzuwandeln. Die Vertreter Italiens, General deMarini, und Belgiens, Brouqoeres, schließen stch dem Franzosen an.
Die Frage: Was ist Rüstung? wird einem Unterausschuß überwiesen, der aus dem ständigen Militärausschuß des Völkerbunds gebildet ist unter Beiziehnng militärischer Sachverständigen der eingeladcnen Staaten.
Der deutsche Botschafter in Paris von Höfch, der an den Beratungen des Prüfungsausschusses für die Völkerbunds- ratsvermehrung teilgeuommen hat» ist zur Bericksterstatkuug ia Berlin eiagetrosfea.
Me Lage ia Polen soll nach neueren Berichten immer noch sehr ernst sein.
Um Kohlen zu sparen, wird in Entstand eine Einschränkung der Pfingstsondcrzüge notwendig sein. Für den allgemeinen Personenverkehr auf den Eisenbahnen werden 50 v. H. der gewöhnlichen Züge vorgesehen.
Bei neuen Zusammenstößen zwischen Hindus und Mohammedanern l»m Kalkutta wurden S Personen getötet, 21 schwer verletzt.
3m Zusammenhang mit der Frankenbaiffe find in Frankreich in den letzten Tagen die Preise für sämtliche Lebensmittel bedeutend in die Höhe gegangen.
Die internationale Annäherung
Es ist leider eine bekannte Tatsache, daß heute noch dem französischen Volk mit leidenschaftlichem Fanatismus der Haß gegen Deutschland in die Köpfe gehämmert wird. In welch giftiger Weise zum Beispiel die französische Schuljugend im Haß gegen das deutsche Volk erzogen wird, beweist ein Blick in die französischen Schullesedücher. Man könnte ein Jahr lang Spalten mit Proben dieser Haßerziehung füllen und käme doch nicht zu Ende. Und zwar ist es gerade auch Herriok, der sich darin hervorgetan hat- Unter diesen Amständen an die Möglichkeit, eine deutsch-französische Annäherung durch Ansprachen in kleineren Kreisen zu schaffen, kann kaum jemand glauben, der den Wunsch nicht für dic Tatsache nimmt. Gewiß, es gibt in Frankreich auch Anhänger des Gedankens einer deutsch-französischen Verständigung. Aber diese Leute stehen, ebenso wie in England und anderswo, abseits vom Tageslärm der Politik. Auch unter den im Vordergrund der Ereignisse stehenden Persönlichkeiten findet man immer wieder Verfechter der Verständigung. Verfechter, aber nicht immer Bekenner. Es gibt, wie in Deutschland, so auch in Frankreich, eine Anzahl Politiker, die in kleinem Kreis vernünftige Aeußerungen über die Notwendigkeil ablegen, daß Deutschland und Frankreich in politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Fragen Hand iv Hand gehen sollen. Aber dieses Bekenntnis öffentlich ablegen? Dazu fehlt der Mut, da müssen noch zu sehr „Empfindlichkeiten" des französischen Nationalismus geschont werden. Mehr ist da schon von der praktischen Arbeit der Wirtschaftler zu halten, die uns immer wieder die Notwendigkeit hinstellen, daß die Völker im wirtschaftlich und politisch kranken Europa wenigstens wirtschaftlich Zusammenarbeiten müssen. Aber wie sieht es denn damit in der europäischen Praxis aus? Daß wir mit Frankreich und Polen die größten Hindernisse bei einer Verständigung zu überwinden haben, weiß alle Welt.
Um so besser, sollte man denken, müsse es um die wirtschaftlichen Beziehungen zu England bestellt sein, das immer den Ruf für sich in Anspruch genommen hat, Hüter des „freien Handelsverkehrs" zu sein. Gewiß, wir haben vor Jahresfrist mit England einen Handelsvertrag abge- slPossen, einen Meistbegünstigungsvertrag sogar, in dem viel von der Freiheit des Verkehrs zwischen beiden Ländern die Rede ist. Unbekümmert darum aber hat das ehrenwerte England schon vom Tag des Vertragsabschlusses an eine gegen die deutsche Wirtschaft stch richtende Schutzzollpolitik verfolgt. Und wie steht es denn heute noch mit dem freien, persönlichen Verkehr? Er steht zwar dem Engländer in Deutschland zu, nicht aber dem Deutschen auf der britischen Insel. Der Deutsche muß erst um Aufenthaltserlaubnis nachsuchen und darf, wenn sie ihm endlich erteilt ist, nicht länger als drei Monate drüben verweilen. Dann muß er wieder nach Haufe und von neuem um Erlaubnis bitten. Und daß der Deutsche auf dem Luftweg mit deutschen Fahrzeugen bisher nicht ins Jnselland kommen durfte, obwohl man dem Briten einen regelmäßigen Flugzeugbetrieb zwischen Köln und London zugestanden hat, dos schmeckt auch nicht gerade nach Annäherung oder nach Gleichberechtigung.
Thomas C a r l y l e, der englische Historiker und unerbittliche Richter über sein Volk, hat einmal gesagt: „Alles, was ein Engländer tut und spricht, ja, das meiste von dem, was er denkt, ist ein Gewebe von halben Wahrheiten und ganzen Lügen..." Den Beweis hierfür aus der neuesten Zeit liefert Chamderlain mit seiner Politik. Und Frankreich? Man kann zwar dort die Tatsache verstecken, aber doch nicht aus der Welt schaffen, daß dos französische Volk heule immer noch ganz unter der Herrschaft der politischen Phrase steht. Das wissen die Regierenden, das wissen auch die Politiker und die „Gebildeten". Von der Phrase zur Lüge ist aber nur ein kleiner Schritt. Solange nicht ein Franzose von Rang und Namen das innere Bedürfnis fühlt, vor seinen Volksgenossen Deutschland in seiner wahren Gestalt oorzuführen, solange wird die Annäherung kaum Fortschritte machen, und nur ein Franzose, hinter den Masten seines Volks stehend, wird einmal in der Lage sein, in Frankreich den Geist der wahren Verständigung zu verkünden.
Frankreichs Notenfälschunqen im Ruhrgebiet
In der frairzöjychen Regierung hat ein Berich» der Deutschen Reichsbank peinlich berührt, in dem unter Bezugnahme auf die bekannten Angaben des Prinzen Win- disch-Grätz im Bndapester Noienfälschungsprozeß angedentet wird, daß durch die „Notenmaßnahmen" der französischen Regierung dos Reich um 20 Millionen Go'dmark geprellt worden sei. Bekanntlich hak die Regierung Poincares während der Ruhrbesctzung die in Druckereien des Ruhrgebiets hergestellten, von der Reichsbank aber noch nicht anerkannten und gestempelten Reichsbanknoten beschlagnahmt und als vollgültige Noten ausgegeben und nach verbürgten Nachrichten auch selbst Reichsbanknoten drucken lassen. Das ist nichts anderes als gemeine Notensälschung. Die (jetzige) Regierung in Paris kann die damaligen Maßnahmen zwar nicht bestreiten, sie sagt aber, angesichts des passiven Widerstands habe die Regierung die Notenbestände der Reichsbankstellen im besetzten Gebiet, auch die von der Reichsbank noch nicht anerkannten Neudrucke, beschlagnahmen müssen (!). Die Ausgabe von „Notgeld" (!) durch Franzosen and Belgier, also von Reichsbanknoten, die auf Bestellung der französischen und belgischen Behörden nachgedruckt wurden, sei „in den gesetzlichen Grenzen" geblieben.
Die französische Regierung kann also die Fälschung von mindestens 26 Millionen Goldmark Reichsbanknoten während des Ruhrem'alls nicht in Abrede ziehen.
Bkrlin. t9 Mai
204. Sitzung. Schluß. Sämtliche Handelsverträge werden in 2. und 3. Lesung gegen Kommunisten und Völkisch» angenommen. Gegen das französische Abstommen stimme« auch die Deutschnationalen.
Es folgt dann die Beratung eines völkischen Antrags zM Aufhebung des Gesetzes zum Schutz der Re - publik. Der Rechtsausschuß schlägt Ablehnung rar.
Abg. Kube (Volk.) bekämpft das Republikschutzgesek das eine unerhörte Ausnahmemoßnahme sei- Die Gewaltherrschaft Severings und seiner jüdisch-zionistischen Umgebung müsse endlich ein Ende gemacht werden. Severin- habe durch seine Subjekte die bayerische Regierung in Mür» chen dauernd bespitzeln lassen. Dos preußische System s^ gekennzeichnet durch die Namen Heitmann, Severing, Bar- mar. Die Verdächtigung der Reichswehr durch den jüdische« Abg. Heilmann sei Hoch- und Landesverrat. Der Redner wendet sich dann gegen die letzten Verhaftungen hervorragender Persönlichkeiten. Ein Minister, der sich so etwas herausnehme, würde in keinem Balkan st aat länger geduldet werden. Der Redner erhebt Einspruch gegen di» beabsichtigte Zerschlagung der Vaterländischen Verbände.
Aba. Dr. Rosenbera (Komm.) stimmt dem völkischen