Nr. 120
Amts- und Anzeigeblatt für den OberamtsbezirL Calw.
98. Jahrgang.
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Donnerstag, den 22. Mai 1924.
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Neueste Nachrichten
Me »Daily Mail" hat gestern mit der Veröffentlichung einer Artikelreihe über angeblich« deutsche Rüstungen begonnen. Die aufgestellten Behauptungen find aus. nahmslos reine Erfindungen »»er tendenziöse Entstellungen.
Fm italienischen Ministerrat bestätigte Mussolini das belgisch-italienische Einvernehmen.
Die Verhandlungen zwischen de« Deutschnationalen und den Parteien der Mitte find vorläufig abgebrochen wor. den, da die von den Deutschnationale« aufgestellte« Forderungen «amentlich in Bezug auf Persönlichkeiten von den Parteien der Mitte abgelehnt wurden. Die Verhandlungen sollen zwar wieder ausgenommen werden, allein es ist fraglich, ob sie zu einem befriedigenden Ergebnis führen.
Der württembergische Landtag hat sein« gestrige Sitzung vollständig mit einer Kommunistendebatte ausgefüllt und sich sodann auf etwa eine Woche vertagt zur Anbahnung von Verhandlungen für die Wahl des Staatspräsidenten. Das Rätselraten über den zukünftigen Staats- präfidente« tan« weiter gehen; eine Klärung der Regierungsbildung in Württemberg ist noch nicht eingetrete«.
Zur Reparationsfrage.
Erneute Drangsalierung der Stadt Düsseldorf. Düsseldorf, LI. Mai. Die Franzosen haben neuerdings von der Stadtverwaltung die Errichtung einer großen Stallung für 70 Pferde gefordert. Sollte der Bau, ebenso wie der Neubau der Artilleriekaserne, abgelehnt werden, so wird die Stadt mit der beschlagnahme weiterer wichtiger Gebäude bedroht,
Wie gegen Deutschland gehetzt wird.
Berlin, 22. Mai. Die „Daily Mail" hat gestern mit der Veröffentlichung einer Artikelreihe über angebliche deutsche Rüstungen mit einem an erster Stelle abgedruckten Bericht eines Sonderberichterstatters begonnen. In diesem Bericht wird durch eine Reihe von Behauptungen darzutun versucht, daß Deutschland nicht seinen Verpflichtungen gemäß abrüste, sondern sich i>iy Widerspruch zu den Bestimmungen des Versailler Vertrages bewaffne Es handelt sich hier um Veröffentlichungen, die von einer an einer Militärkontrolle besonders interessierten Stelle veranlaßt werden, um auf die zu, Beratung stehende Antwortnote über di« deutsche Militärkontrolle vom 1. April Einfluß auszuüben. Die Behauptungen sind ausnahmslos entweder reine Erfindungen oder tendenziöse Entstellungen. Von amtlicher Seite wird gegenüber der Behauptnug der„Daily Mail" festgestellt, daß die Stärke ded deutschen Heeres die im Vertrag« von Versailles festgesetzte Zahl von 100 000 Mann nicht übersteigt und daß im Heere nur Leute eingestellt werden, die sich zu einer 12jährigen Dienstzeit verpflichten. Kriegsmaterial wird in Deutschland nur in den im Vertrag von Versailles vorgesehenen Grenzen angefertigt. Versuche mit Tanks und Gas haben seit dem Friedensschluß nicht mehr stattgefunden. Es ist auch nicht richtig, daß deutsche Offiziere, die 1918 tm Großen Eeneralstab waren, mit Stellen im Ministerium des Innern betraut worden sind, um diejenigen Zweige der Eeneralstabstätigkeit, die als historische und geographische Abteilungen bekannt sind, zu erhalten. Das Reichsministerium des Innern unterhält keine Aemter für militärische Zwecke. Soweit Aemter, die jetzt dem Reichsministerium des Innern nachgeordnet sind, Aufgaben erfüllen, die früher von Militärbehörden vorgenommen wurden, so find diese Aufgaben bei der lleber- nahme auf die innere Verwaltung umgestaltet worden, sodaß die Aemter nunmehr lediglich wirtschaftlichen oder wissenschaftlichen Zwecken zu dienen in der Lage sind. Die interalliierte Militärkontrollkommission hat mehrmals diese Behörden einer Prüfung unterzogen und hierbei wesentliche Beanstandungen nicht mehr machen können. Soweit Beanstandungen erhoben wurden, find sie berücksichtigt worden. Wenn die Behauptunkien der „Daily Mail" in diesem Punkte zuträfen, hätte es die
düngen bei der deutschen Regierung zu erheben. Die Behauptung, daß das Reichsministerium des Innern durch reine Mi- litärpolizeikörperichasten in ganz Deutschland Mobilisattons- büro eingerichtet habe, ist eine glatte Erfindung.
Wenn die „Daily Mail" die Technisch« Nothilfe mit Mobilisationszwecken in Zusammenhang bringt, so kann das nur von ihrem bösen Glauben zeugen. Die Technische Nothilfe ist eine freiwillige Arbeitsgemeinschaft von Männern und Frauen ohne Unterschied der Parteizugehörigkeit, die sich der Allgemeinheit bei Notfällen für Leib und Leben der Bevölkerung zur Verfügung stellt und für deren Nothilfetätigkeit ganz bestimmte bindende Richtlinien festgelegt find, die jede Verwendung für militärische Zwecke völlig ausschließen. Schließlich sei noch festgestellt, daß Offizier« der Reichswehr nicht zu Zivilposten abkommandiert worden sind. Dieser erste Artikel, der von der „Daily Mail" angekündigten Artikelserie über angeblich« deutsche Rüstungen stellt hiernach vom Anfang bis zum Ende eine ftrupel- lose und plumpe Hetze dar.
Mussolini bestätigt das belgisch-italieuiiche Einvernehmen.
Rom, LI. Mai. Im Ministerrat berichtete Mussolini über den Stand der hauptsächlichsten außenpolitischen Probleme und erklärte bei dieser Gelegenheit, das herzliche llebereinkommen über die Zusammenarbeit Italiens mit der Tschechoslowakei stelle einen wesentlichen Bestandteil des Friedens in Mitteleuropa dar. Zu den Besprechungen in Mailand, über die er den Ministerrat ebenfalls unterrichtete, bemerkte er, sie hätten die Einheitlichkeit in der Aktion und in der Richtung der italienisch-belgischen Politik in der Reparaionsfrage herbeigeführt.
Ausland.
Besprechungen bei Millerand.
Paris, 21. Mai. Der Besprechung im Elysee, die, wie gemeldet, um 10 Uhr vormittags begann, wohnten bei: der Präsident der Republik, Millerand, Ministerpräsident Poincarä, Finanzminister Marsal und die Führer der neuen Kammermehrheit, Herriot und Painlevö. Die Besprechung dauerte annähernd zwei Stunden. Es wurde folgendes EommuniquS ausgegeben: Auf Veranlassung des Ministerpräsidenten hat im Kabinett des Präsidenten der Republik eine Sitzung stattgefunden. Ministerpräsident Poincarä und Finanzminister Marsal haben den Abgeordneten Herriot und Painlevö im einzelnen die französische Finanzlage auseinandergesetzt. PainlevS und Herriot haben die Ueberzeugung ausgesprochen, daß ein strenger Ausgleich des französischen Budgets für jede Regierung, wie sie sich auch zusammensetzen möge, geboten sei.
Paris, 21. Mai. Herriot hat einem Vertreter des „Temps" beim Verlassen des Elysees erklärt, es sei von nichts anderem als der französischen Finanzlage und dem Ausgleich des Budgets die Rede gewesen. Nach dem „Temps" werden in den nächsten Tagen, wenn die Finanzlage es notwendig macht, weitere Unterredungen in der Art der heutigen stattsinden.
Harte Strafe.
London, 21. Mai. Nach einer Meldung aus Kanton verbannten die Behörden durch ein Dekret einen chinesischen Redakteur, der die falsche Meldung über den Tod Sunjatsens verbreitete, auf 10 Jahre.
Zum Streik im Bergbau.
Die Vermittlungsaktion im Ruhrstreik.
Berlin, 21. Mai. Im Reichsarbeitsministerium traten heute vormittag die vom Vorläufigen Reichswirtschaftsrat vorgeschlagenen unparteiischen Juristen zur Abgabe des Rechtsgutachtens zusammen. Der Reichsarbeitsminister eröffnete im Beisein von Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Verhandlungen persönlich und zeichnete die zu begutachtende Frage dahin, welche Arbeitszeit im Ruhrbergbau unter Tage nach Ablauf des Manteltarifvertrages und der Vereinbarung vom 29. November 1923 ab 1. Mai 1924 zu Recht bestanden habe. Es handelt sich
also nicht, wie in der Oeffentlichkeit anscheinend vielfach irrig angenommen werde, um eine Beurteilung der gesamten Rechtslage, sondern lediglich um die Begutachtung eines einzelnen Streitpunktes, der nach den bisherigen Erklärungen der Parteien für die Entscheidung des Kampfes von entscheidender Bedeutung war. Die Sachverständigen haben unter dem Vorsitz des Reichsgerichtsrates Dr. Berver sofort mit der Anhörung der Parteien begonnen. Ihr Gutachten dürste noch heute zu erwarten sein.
Die von Berliner und Essener Zeitungen verbreitete Nachricht, daß die gesamte Kruppsche Fabrik stillgelegt werde, falls der Kohlenmangel bis Donnerstag nicht behoben sei, ist verfrüht, da das Direktorium der Firma erst morgen früh über eine eventuelle Stillegung beraten wird.
Berlin, 21. Mai. Nach einer Blättermeldung aus Esten werden die Kruppschen Werke stillgelegt werden, wenn nicht bis Donnerstag mittag der Kohlenmangel behoben ist. Die etwa 30 000 Mann zählende Belegschaft wäre dann auf die Erwerbslasenfürsorge angewiesen. Auch die Verwaltung der Dortmunder Union gibt bekannt, daß wegen Kohlenmangels bald ihr Werk werde stillgelegt werden müssen. Die Phönixwerke in Rnhrort dürften gleichfalls noch diese Woche schließen» wahrend diejenigen in Düsseldorf und Hamm noch für etwa 14 Tage mit Kohlen versehen find.
Berlin, 21. Mai. Reichs- und Staatskommistar Weh- lich hat die Parteien des Ruhrbergbaues auf Freitag Vormittag 10 Uhr nach Esten zu einer Besprechung der zwischen ihnen strittigen Fragen eingeladen.
Esten, 21. Mai. Abgesehen von den gestrigen Zusammenstößen in Recklinghausen ist es im Laufe des heutigen Tages im Ruhrgebiet, soweit bis abends bekannt geworden, zu keinerlei neuen Zusammenstößen gekommen.
Das Rechtsgutachten der Sachverständigen für das Ruhrgebiet.
Berlin, 21. Mai. Auf die vom Reichsarbeitsministerium vorgelegte Frage: Welche Arbeitszeit galt am 1. Mai 1924 im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau für Arbeiter unter Tage? haben die vom Reichsarbeitsministerium einberufenen sachverständigen Gutachter beschlosten: Am 1. Mar 1924 war die Arbeitszeit in folgen, der Weise geregelt: 1. Die normale Arbeitszeit betrug 7 Stunden nach Maßgabe des § 2. des Manteltarifes. 2. Zugleich bestand die Verpflichtung zur Leistung einer lleberstunde nach Maßgabe des Tarifabkommens vom 29. November 1923. 3. Bei der Schwierigkeit der rechtlichen Beurteilung ist nicht anzunehmen, daß die Weigerung der Arbeitnehmer zur Leistung der lleberstunde auf ein schuldhaftes vertragswidriges Verhalten zurückzuführen ist. — Die Sachverständigen werden zu diesem Gutachten eine Begründung ausarbeiten, die der Oeffentlichkeit gleichfalls mitgeteilt werden wird.
Deutschland.
Die Verhandlungen der Deutschnationalen mit den Mittel» Parteien find bis jetzt ergebnislos verlaufen.
Berlin, 22. Mai. In Ergänzung des von der Deutschnationalen Volkspartei veröffentlichten parteiamtlichen Berichtes teilen die Blätter mit, daß die Fraktion der Deutschnatioualcn Volkspartei gestern nachmittag nach längerer Aussprache beschlosten habe, di« an di« Mittelparteien gerichtete Einladung zu neuen Verhandlungen, die heute vormittag ftattfinden sollten, zurückzuziehen.
Wie die Blätter bemerken, wird es nunmehr Sache der Mittelparteien sein, in den Parteibesprechungen über die Regierungsbildung wieder die Initiative zu ergreifen.
Ueber den Verlauf der gestrigen Besprechungen zwischen den Deutschnationalen und den Mittelparteien gibt das „Berliner Tageblatt" folgende Darstellung: Die Deutschnationalen stellten den Antrag, eine gemeinsame Entschließung dahin zu fasten, daß als voraussichtlicher Reichskanzler der Großadmiral von Tirpitz in Betracht komme. Dieser Antrag der Deutschnationalen wurde von den Mittelparteien abgelehnt und zwar teils aus persönlichen Bedenken gegen den vorgeschlagenen Kanzlerkandidaten, teils mit der Begründung, man würde durch dieses Verfahren der Entscheidung des Reichspräsidenten vergreifen.