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Nummer 88
Fernruf 479
Samstag den 13. April 1S35
Fernruf 47S
70. Jahrganr
Der erste Tag in Stresa
Solidarität der drei Mächte
Stresa, 12. April. Von englischer Seite wurde folgende Darstellung über den Verlauf des ersten Verhandlungstages gegeben:
Die Besprechungen waren von freundschaftlichstem Geiste getragen. Der Standpunkt der britischen Delegation zu allen wesentlichen Fragen wurde vollkommen klar üargelegt. Es wurde vor allem von britischer Seite festgestellt, dag man alles run werde, um dieSolidaritätunterdendrei Mächten zu stärken Es sei klar, daß England, Frankreich und Italien nicht getrennt werden könnten. Sie müßten Zusammenhalten, um den Frieden zu sichern. Diese Solidarität wurde von britischer Seite sehr ausdrücklich unterstrichen. Weiter gab S i r John Simon einen genauen Bericht über seine und Edens Reisen nach Berlin, Moskau, Warschau und Prag. Hierbei wurde vor allem klargemacht, daß die leitende Idee dieser Besuche nicht die war, Deutschland glauben zu machen, daß seine Handlungsweise vom 16. März von der englischen Regierung nicht unwidersprochen bleibe, sondern festzustellen, ob noch irgend eine Hoffnung dafür vorhanden sei, Satz Deutschland in ein gemeinsames System zurückkehren werde.
Die Leitidee Englands sei, ein kollektives Abkomme n zur Sicherung des Friedens zu erreichen. England glaube, daß der Völkerbund ein geeignetes Instrument sei, um den Frieden zu organisieren. Die kollektive Sicherheit müsse in jedem Falle erreicht werden. Hierbei wolle England mithelfen, soweit es dies könne.
Als weiteres englischesZiel wurde bezeichnet, ein Abkommen über den Stand der Rüstungen zu erreichen — nicht über Abrüstung — und zwar durch ein bindendes internationales Dokument. England ist im übrigen auch mit der Kontrolle völlig einverstanden. England will weiter das gegenseitige Vertrauen zwischen den Völkern wieder Herstellen. Dies alles wurde am Donnerstag morgen von englischer Seite ausführlich auseinandergesetzt. In diesem Zusammenhang wurden all Sir-John Simon eine Reihe von Fragen gerichtet, auf die er antwortete. Es wurde weiter von englischer Seite betont, daß die drei Staaten vollkommen im Ziel und imPrinzipüberein stimmten, obgleich noch Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der anzuwendenden Methoden und andere Fragen beständen. Diese Gegensätze erstreckten sich jedoch nicht au? das Endziel. Im ganzen, so wurde weiter erklärt, sind am heutigen Tage die meisten Fragen summarisch behandelt worden.
Heikle und schwierige Lage in Stresa
London, 12. April. Der diplomatische Korrespondent des „Daily Herald" meldet aus Stresa, am Ende ihres ersten Tages stehe die Konferenz einer heiklen und schwierigen Lage gegenüber. Es bestehe eine ausgesprochene Meinungsverschiedenheit über die Deutschland gegenüber in Genf einzunehmende Haltung. Die französische Forderung, daß auf der Sondersitzung des Völkerbundsrates eine Verurteilung von „Vertragsbrüchen" und eine Androhung von wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen für den Fall „weiterer Vertragsverletzungen ausgesprochen werden solle, werde, wie der Korrespondent meint, bei den Engländern und den Italienern schwerlich Unterstützung finden, denn die Annahme dieses Vorschlags würde darauf hinauskommen, daß im Falle einer Vertragsverletzung dieselben Zwangsmaßnahmen zur Anwendung gebracht werden würden, die in der Völkerbundssatzung nur für den Fall eines tatsächlichen Angriffes vorgesehen seien.
Der Korrespondent berichtet dann über den Verlauf der Besprechungen, wobei er bemerkt, Mussolini sei ziemlich schweigsam gewesen, außer hinsichtlich des Donaupaktes. Was die Denkschrift der französischen Regierung über die Gründe der Anrufung des Völkerbundsrates anbelange, so habe allgemein Einigkeit darüber bestanden, daß eine bloße Erklärung des Völkerbundsrates, der „Friedensvertrag sei verletzt worden", keinen Zweck hätte und daß eine S t ra f m a ß na h m e gegen Deutschland (!) nicht in Frage komme.
Infolgedessen werde die Ansicht immer allgemeiner daß folgende Dinge notwendig seien: 1. müsse das Sicherheitssnftem durch Stärkung des Völkerbundes gekrästigt werden, indem eine Kollektivmaßnahme gegen einen Angreifer sicherer und überwältigender gemacht werde: 2. müsse es Deutschland ermöglicht werden, jetzt oder in der Zukunft seinen Platz in diesem Kollekt-'v- system einzunehmen. Irgend welche Beschwerden, die Deutsch land zu haben glaube, müßten einer sorgfältigen und teilnehmenden Erwägung sicher sein. "
Englische Berichte über den ersten Tag
Französische Sanktionswünsche
London, 12. April. Der Sonderkorrespondent der „Times" in Stresa meldet u a.. der erste Tag der Konferenz sei im aroneu und ganzen befriedigend und ermutigend verlaufen.
Ueber Macdonalds Ausführungen sagt der Korrespondent, der britische Premierminister habe erklärt, kein Land dürfe un Fnteresse seiner eigenen Politik glauben, daß Frankreich, Italien und Großbritannien bei der Verfolgung ihrer Po»
i'ttl zur Sicherung des Friedens wuropas getrennt werden könnten. Großbritanniens Standpunkt sei. daß der Völkerbund die eine Organisation sei, durch die Verhandlungen über internationale Vereinbarungen zur Sicherung des europäischen Friedens geführt und durchgeführt werden sollten. Großbritannien sei bereit, seinen Beitrag für die kollektive Sicherheit in jeder möglichen Weise zu leisten. Es' werde sich weiterhin um Rüstungsbegrenzung und internationale Kontrolle bemühen. Der Premierminister habe Nachdruck auf diesen Wunsch Großbritanniens gelegt, Deutschland wieder im Völkerbund zu sehen, habe aber auch deutlich gemacht, daß die Türen nicht in einer Weise geöffnet werden dürften, die das europäische Vertrauen erschüttern könnten. Die französischen und italienischen Vertreter seien über die Ausführungen beruhigt und befriedigt gewesen.
Zu den Erklärungen Simons meldet der Korrespondent, Simon habe auf Befragen erklärt, Hitler habe sich in Berlin zu dem Gedanken eines Ucberbaues von Pakten gegenseitigen Beistandes, die sich auf ein umfangreiches System von Nichtangriffspakten gründen würden, ablehnend geäußert.
Ueber die Haltung der französischen Regierung, die auf der Nachmittagssitzung zum Ausdruck kam. bemerkt der Korrespondent, es verlaute, daß die Denkschrift, die dem Völkerbundsrat vorgelegt werden soll, noch nicht völlig ihre endgültige Fassung erhalten habe. Daraus folgere, daß die Franzosen, denen der britische Wunsch bekannt sei, daß Deutschland jede Möglichkeit zur Rückkehr in die europäischen Beratungen offen gehalten werden soll, bereit seien, den endgültigen Wortlaut ihrer Denkschrift bis zu einem gewissen Grade von dem Maße der Unterstützung abhängig zu machen, das Großbritannien in Stresa der Völkerbundssatzung, dem Locarnovertrag und der Heiligkeit von Vertragspflichten zuteil werden lasse.
Zu dein in der ganzen Morgenpresse gemeldeten Aufsatz des „Popolo d'Jtalia" über die Möglichkeit einer zweiten erweiterten Konferenz sagt der Korrespondent, die wahrscheinlichste Erklärung sei, daß Mussolini sich noch immer um die Verwirklichung des Viermächtepaktes bemühe, den er gegebenenfalls um eine oder zwei Mächte zu erweitern gedenke. Man glaube aber keineswegs allgemein, daß ein Sechsmächtepakt durchführbar sein werde.
Der Korrespondent schließt, der vorherrschende französische Wunsch sei die endgültige Feststellung, ob etwas und was im Falle eines neuen Verstoßes durch Deutschland getan werden würde. Die Franzosen dächten vor allem an wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen. Bei der Aufrollung dieser Frage werde die Konferenz in einen etwas schwierigeren Abschnitt eintreten. Der britische Wunsch sei, nichts zu tun. was Deutschlands Rückkehr in den Völkerbund erschweren würde. Die britische Delegation habe eine Abnbigung dagegen, diese F r a g e d e r „Sanktionen" gegen künftige Vertragsverletzungen mit der französischen Forderung in Verbindung zu bringen, Deutschland einer bereits begangenen Vertragsverletzung schuldig zu erklären. Die Franzosen würden aber diesen Plan schwerlich aufgeben.
Französisches Echo zum ersten Berhandlungstag
Paris, 12. April. In den französischen Berichten aus Stresa wird der Eindruck erweckt, als ob die französische Politik mit dem ersten Verhandlungstage recht zufrieden sein könnte. Man hebt die angebliche französisch-italienische Uebereinstimmung und die etwas entferntere Zustimmung Großbritanniens hervor und verspricht für das Ende der Konferenz, die bis Samstag oder gar Sonntag dauern könnte, schon jetzt eine Einigung.
Nach dem „Malin" habe der französische Außenminister in Stresa den Standpunkt vertreten, in Zukunft müsse der, der
Kurze Tagesübersicht
Am zweiten Verhandlungstag in Stresa ist zwischen den drei Mächten eine Einigung hinsichtlich ihrer Haltung in Eens erzielt worden. M
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Man rechnet in Stresa mit dem Abschluß der Verhandlungen am Samstagabend, sofern nicht weitere Schwierigkeiten eintreten.
Die Arbeitslosenzahl hat in Südwestdeutschland im März um 32 243 abgenommen.
Weite Teile der Süd- und Mittelstaaten in Nordamerika wurden von neuen furchtbaren Sandstürmen heimgejucht. Bis nach Chicago reichen die Auswirkungen.
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In Frankreich und in der Tschechoslowakei haben sich schwere Flugzeugunglücke ereignet, wobei es sieben Todesopfer yab. ^ . _ _
einen Vertrag verletzte, dem Angreifer gleichgesetzt und entsprechend behandelt werden (!). Jede neue Verletzung eines bestehenden Vertrages müsse sofort automatisch wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen gegen den der Verletzung Ueberführten nach sich ziehen. Außerdem müsse in Stresa die Stellung Oesterreichs befestigt werden. Frankreich, Italien und die Kleine Entente schienen bereit, sich materiell und moralisch zu verständigen, um den Zusammenbruch Oesterreichs zu verhindern, selbst wenn sich England darauf beschränken würde, dieser Abmachung nur seinen Segen zu geben, ohne selbst ihr beizutreten. Des weiteren habe Frankreich die Absicht, den geplanten Luftpakt nicht einen zu allgemeinen Charakter zu geben, sondern die Möglichkeit vorzubehalten, in das Gefüge des ! Luftpaktes besondere zweiseitige Pakte, gegenseitige Verpflich- ! tungen und im voraus festgelegte Abmachungen, die jederzeit in Tätigkeit treten könnten, einzupassen.
„Petit Puristen" erfährt von seinem nach Stresa entsandten Sonderberichterstatter, man müsse die deutscherseits begangenen Verletzungen (!) verurteilen, aber außerdem vor allem eine Einrichtung schaffen, die die Wiederholung ähnlicher Handlungen in Zukunft verhindere. „Petit Paristen" spricht in diesem Zusammenhang von einer angeblich bereits bestehenden Gemeinsamkeit der Auffassungen zwischen Frankreich und Italien.
Die nach Genf entsandte außenpolitische Mitarbeiterin des „Oeuvre" erklärt, der Entwurf der französischen Erklärung, die die Aufrüstung Deutschlands tadelt und der in Genf vorgelegt werden sollte, sei bereits beiseite geschoben worden, wahrscheinlich weil man ihn für zu scharf gehalten habe. In Stresa sei man mehr für einen Text, der zwar auf Deutschland hindeute, aber Deutschland nicht ausdrücklich nenne.
Alsdann macht die Berichterstatterin des „Oeuvre" folgende interessante Enthüllungen über Militärbündnispläne:
Vor einigen Tagen habe der Duce der Pariser Regierung ein französisch-italienisches Militärbündnis zur Verteidigung Oesterreichs vorgeschlagen. Dieses Bündnis habe mehr oder weniger bestimmte Versprechungen enthalten, wonach Rom mit der Kleinen Entente und mit der Balkan-Entente, also mit den Nachbarstaaten Oesterreichs Militärabkommen abschließen sollte. Die ganze Frage sei im französischen Ministerrat eingehend erörtert worden und der Ministerrat habe Flandin und Laval in dieser Hinsicht volle Handlungsfreiheit gelassen.
Der Außenpolitiker des „Echo de Paris" bestätigt ebenfalls, daß man den französischen Entwurf für eine Erklärung des Völkerbundsrates in Sachen der Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland bereits fallen gelassen habe und verlangt, daß Frankreich diesen Text in Eens trotzdem aufrecht erhalte und sich nicht etwa mit in Stresa vorgeschlagenen weniger scharfen Lösungen begnüge.
Italienische Stimmen zn Stresa
Mailand, 12. April. „Corriere della Sera" überschreibt seinen Artikel über Stresa mit den Worten: „Erste Klärungen". Um seine eigene Sicherheit nicht von Abmachungen abhängig zu machen, deren Wert durchaus zweifelhaft sei, habe es Italien als das beste befunden, sich militärisch zu organisieren. Die Geschichte der letzten Zeit habe gezeigt, daß das Ergebnis einer Konferenz meistens darin bestehe, daß eine andere daraus hervorgehe. Und doch könne man nicht behaupten, daß diese Zusammenkunft im ganzen unnütz sei. Denn eines sei gewiß: Aus der Konferenz von Stresa werde ein noch höher geachtetes Italien hervorgehen, das noch entschiedener bereit fei, zu handeln. Es sei durch die Haltung verschiedener Regierungen kostbare Zeit verloren worden. Zusammenfassend lasse sich über den ersten Verhandlungstag sagen, daß ein Gefühl von vertrauter Zusammengehörigkeit und Zusammenarbeit geherrscht habe, da im Hinblick aut die zukünftigen Beschlüsse nichts überschätzt werde, aber auch nichts verschwiegen werden dürfe.
„Popolo d'Jtalia" betont den aufrichtigen Wunsch Italiens zur europäischen Zusammenarbeit, der mit Rücksicht auf die Entwicklung der Ereignisse durch Millionen von Bajonetten unterstützt werde. Iialien sei moralisch, politisch und militärisch in einer starken Stellung. Italien stelle dank der Politik Mussolinis eine Einheit dar. die nichts ähnliches in der Geschichte habe. Die großen und kleinen Nationen wünschten, daß man Italien wegen seiner gerechten Politik immer vertrauen müsse und daß das Wort Mussolinis auch für Jahrzehnte in Zukunft Gültigkeit habe. Das Ansehen und die Kraft Mussolinis zeigten sich auch in der Konferenz von Stresa. von der Italien nichts erwarten könne, von der aber Europa vielen praktischen Nutzen haben könne Ueber die erste Begegnung könne man sagen, daß eine Atmosphäre von gegenseitigem Verständnis herrsche. Die allgemeine europäische Lage sei aber so verwickelt, daß zur Stunde strengste Zurückhaltung gegenüber allen Möglichkeiten von morgen nötig sei.
Die Freitag-Besprechungen
in englischer Darstellung
Stresa. 12. April. Die Staatsmännerbesprechung des Freitag vormittag auf der Jsola Bella wurde nach fast vierstündiger Dauer mittags nach 1 Uhr unterbrochen. Die italienische Delegation kehrte in lür Hotel zurück, während Flandin und Laval