Nr. 102

Amis- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

98. Jahrgang.

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Neueste Nachrichten.

In der Sitzung der Reparaticmskommissicn wurden die Ententc- mitglieder für die sofort zu bildenden Organisationskomitees namhaft gemacht.

Reichsaußenminister Dr. Stresemann spricht sich für Erhaltung des Berufsdeamtentums auch bei der Eisenbahn aus.

In Mannheim fand gestern nachmittag die feierliche Einäsche­rung von Dr. Helffcrich und seiner Mutter statt.

Die Zahl der unterstützten Erwerbslosen im unbesetzten Deutsch­land ist bedeutend zurückgegangen.

Iur Reparationsfrage.

Sofortige Bildung der Organisations-Komitees.

Paris, 30. April. Nachdem die Reparationskommission heute vormittag 10)4 Uhr zunächst zu einer offiziösen Sitzung zusammengetreten war, hat sich im Anschluß daran »ine offizielle Sitzung abgehalten und beschlossen: f

1. Sofort das Organisationskomitee für die deutsche Eisenbahngesellschaft zu bilden und zu diesem Zweck die beiden Sachverständigen Acworth und Lecerve zu er­suchen, persönlich an den Arbeiten dieses Komitees teil-

zunehmen vorgesehen in Art. 9 des Anhanges IV des Sachverständigenberichtes.

2. Sir Robert Kindersley als Mitglied des Komitees für die Organisation der Reichsemissionsbank zu bezeich­nen vorgesehen in Art. 3 des Anhangs I des Sachver- standigenberichtes und

3. zu ernennen Alfred des Camps, Berwaltungsrat der Banque General du Nord und Präsident der Han­delskammer zu Zille, sowie Dr. Alberte Pirelli, Indu­strieller, Italien, zu Mitgliedern des Organisations­komitees für industrielle Obligationen vorgesehen im Annex V.

Ansicht der industriellen Kreise in Frankreich.

Paris, 30. April. DieJournee Industrielle" schreibt zu den Erklärungen über den Sachoerständigenbericht, man habe die Sachverständigen nahezu autonom ihre Arbeiten durchführen und bei ihren Entscheidungen unbeeinflußt gelassen, was allerdings gut war. Man habe aber gleichzeitig erklärt, von Regierung zu Regierung über die politische Seite der Fragen zu verhandeln, was unvorsichtig war. Der Sachverständigenbericht sei sehr in­teressant, sehr lobenswert, sehr versprechend und niemand leugne seinen Wert, aber er binde Frankreich moralisch, ob er wolle oder nicht, er binde es mit dem, was er ausschreibe. Er binde es mit dem, was er nicht ausspreche, er binde es sogar mit dem, was er nicht ausspreche, er binde es sogar mit dem, was er für das Beste erachte. Er werde Frankreich von einem gewissen Ge­sichtspunkte aus betrachtet, schon in einem Augenblicke, wo noch nicht verhandelt werde, was sich nachher nicht ändern werde, mit anderen Worten, Frankreich werde aus Furcht, in wirtschaft­licher oder finanzieller Hinsicht das Reparationsproblem zum Scheitern zu bringen, dazu verleitet, in politischen Fragen nach­zugeben. Es kann sich in voller Freiheit nur noch verteidigen auf die Gefahr hin, den Anschein zu erwecken, als verschöbe es die Durchführung des Sachverständigenplanes und bringe ihn zum Scheitern. Es liegt auf der Hand, daß durch diese Si­tuation Frankreichs seinen Verhandlungsgegnern eine Möglich­keit zum Feilschen gegeben ist, um solcher Dinge willen, die mit der Reparationsfrage nichts zu tun haben. '

Eine Rede des amerikanischen Botschafters Kellog. London, 30. April. (Wolfs.) Der amerikanische Botschafter ln London, Kellog, erklärte gestern in einer Rede auf einem Frühstück der ehemaligen britischen KriegsmiMonen in den Ver­einigten Staaten, die englisch-amerikanische Freundschaft sei eine vollendete Tatsache. Niemals sei diese Freundschaft so aufrichtig und so allgemein unter dem amerikanischen Volke gewesen, wie heute. Während des größten Krieges aller Zeiten habe eine Koalition von Alliierten bestanden, die für dieselben Ideale und dieselbe große Sache gekämpft und bis zu Ende zusammengestan­den hätten, und er glaube, sie ständen auch heute zusammen, um die auf den Krieg folgenden Probleme zu regeln. Nach fast sechs

Jahren seit dem Kriege sehe man immer noch in Europa Banke­rotte, Regierungen völlig in Not, zerstörte Industrien, Rassenhaß und Eifersucht. Kellog erklärte: Hier ist das größte Feld für die Staatsmänner von heute. Gestatten Sie mir, Ihnen eine Botschaft des Präsidenten der Vereinigten Staaten mitzuteilen. Am 22. April hielt er eine bemerkenswerte Rede vor amerika­nischen Pressevertretern zum größten Teil über auswärtige An­gelegenheiten. Ich werde Ihnen einen Stelle daraus vorlesen, weil sie bisher nicht ausführlich in der Presse erschienen ist. Der Präsident erklärte:

Es scheint aller Grund zu der Hoffnung zu bestehen, daß der Bericht der Sachverständigen, der als Dmvos-Bericht bekannt ist, eine Grundlage für eine praktische Lösung des Reparationspro­blems bietet. Ich vertraue darauf, daß er sich allen interessierten europäischen Regierungen anempfiehlt als eine Methode, durch die sie mittels gegenseitiger Zugeständnisse zu einer stabilen Re­gelung des verwickelten und schweren Reparationsproblems ge­langen können, und daß ein solches Ergebnis di« Wiederherstel­lung Deutschlands und die größtmöglichen Zahlungen an die übrigen Regierungen vorsehen wird. Einer zugleich verwickelten und schwierigen Lage ist in der meisterhaftesten Weise begegnet worden. Unsere Landsleute blicken mit Recht, mit Stolz auf das Ergebnis. Nichts ist von größerer Bedeutung für Europa seit dem Waffenstillstand geschehen."

Kellog sagte in seiner Rede weiter, es liege nicht nur im Interesse Amerikas als Mitglied der großen zivilisierten Natio­nen, daß Westeuropa wiederhergestellt werde, daß die Regierun­gen in Europa auf eine gesunde finanzielle Grundlage gestellt werden, daß seine Völker glücklich und zufrieden werden und auf dem Wege der Zivilisation fortschrsite», sondern Amerika sei auch an Europa in wirtschaftlichem und finanziellem Sinne in­teressiert. Es köne kein Friede in Europa und keine allgemeine Wohlfahrt geben, bevor Zentraleuropa konsolidiert sei und be­vor Europa und seine Währungen überhaupt stabilisiert seien, bevor seine Industrie wieder auflebe und feine Völker zuversicht­lich glücklich gemacht seien. Kellog schloß, er freue sich, die große angelsächsische Nation in ihrer Sympathie und in ihrem Ziel und Zweck vereint zu sehen, um die großen Probleme zu lösen, die der Wohlfahrt und Zufriedenheit Europas zugrunde liegen.

Ausland.

Krisis in der Bergindustrie von polnisch Oberschlesien.

Beuthen, i. Mai. Nach einer Meldung desOberschle­sischen Kuriers" hat die latente Krise in der Berg- und Hüttenindustrie von Polnisch-Oberschlesien in den letzten Tagen eine Versihärfung erfahren. Da der Absatz auf dem Jnlandsmarkt stockt, wurde beschlossen, die Arbeits­tage einzuschränken bezw. die Werke, die mit Verlust ar­beiten, zu schließen. Von der drohenden Krise werden u. a. die Königs- und Laura-Hütte, die Friedenshütte, die Bis- marckhlltte, die Baildon-Hütte und die Martha-Hütte be­troffen. Die Lage auf dem Kohlenmarkt hat gleichfalls eine Verschärfung erfahren. Es ist mit einer Kohlenpreiserhöh­ung zu rechnen, um die Rentabilität der Produktion auf­recht zu erhalten.

Frachtermäßigung.

Rom, 1. Mai. Der Ministerrat beschloß, vom 1. Mai bis 30. Juni die Frachtsätze auf den Staatsbahnen für die nach dem Ausland bestimmten Weinsendungen um 30 Pro­zent zu ermäßigen.

Bergwcrksunglück.

Whecling (Virginia), 1. Mai. 97 Leichen von Berg­arbeitern, die bei dem Bergwerksunglück am 28. April verschüttet worden waren, sind aufgefunden worden.

Deutschland.

Stresemann zum Berufsbeamtentnm.

Magdeburg. 30. April. Reichsminister des Aenßern Dr. Stresemann hat auf zahlreiche Anfragen über feine Stel­lung zum Berufsbeamtentum einem Vertreter derMagde­burger Zeitung" gegenüber folgendes erklärt: Die An­nahme des Sachverständigengutachtens als Vechandlungs- grundlage hat anscheinend die Besorgnis erweckt, daß da­durch eine Entwicklung Mgebvhnt würde, die die Um­

wandelung des Verufsbeamtenverhältnisses bei der Eisen­bahn in ein Angestelltenoerhältnis mit privatem Dienst­vertrag zum Ziel hat. Etwas derartiges ist nicht in Aus­sicht genommen. Die Regierung steht vielmehr auf dem Standpunkt, daß das Berufsbeamtentum unter allen Um­ständen ausrechterhalten und seine wirtschaftliche Lage ver­bessert werden muß. Sobald Mittel zur Verfügung stehen, müssen die Bezüge der Beamten erhöht werden. Ob und wann dies in ausreichendem Maße geschehen kann, hängt wesentlich von der außenpolitischen Entwicklung ab. Auch hier ist entscheidend die Frage, ob wir ein Moratorium er­halten, das uns die Sanierung des Haushalts ermöglicht. Die Mittel, di« alsdann erübrigt werden, müssen in erster Linie den Beamten zufließen.

Die Einäscherung Dr. Helfferichs.

Im Krematorium zu Mannheim fand Mittwoch nachmittag die feierliche Einäscherung der sterblichen Über­reste des bei dem Eisenbahnunglück von Bellinzona ums Leben gekommenen Staatssekretärs a. -D. Dr. Helfserich und seiner Mutter statt. Der Einäscherung voraus ging eine eindrucksvolle Trauerfeier vor dem Krematorium, an der eine große Menschenmenge teilnahm. Aus den Stufen der Freitreppe des Krematoriums hatte die Studenten­schaft der benachbarten Universitäten, der Mannheimer Handelshochschule und der Ingenieurschule in vollem Wichs mit umflorten Fahnen Aufstellung genommen. Un­ten hatten sich die vaterländischen Jugendverbünde aus Süddeutschland mit ihren Fahnen formiert, hinter denen sich das Publikum anschlotz. Mit dem Veethovenschcy Trauerinarsch wurde die Feier stimmungsvoll eingeleitet. Alsdann hielt Konsistorialrat Dr. Fischer Berlin, ahn Freund der Familie Siemens, die Gedächtnisrede. Nach dem von dem Orchester gespielten ChoralJesus, meine Zuversicht" begann unter Niederlegung von Kränzen eine Reihe von Ansprachen. Reichsfinanzminister Dr. Luther überbrachte den Abschiedsgruß der deutschen Reichsregie- rnng. Den Kranz für den Reichstag legte der Vizepräsi­dent des Reichstags, Dietrich, mit der Widmung nieder: ,Das Vaterland in Dankbarkeit seinem bis zum Tode ge­treuen Sohne". Der Regierungspräsident der Pfalz, Matt­heis, machte sich zum Dolmetscher der Gefühle der bay­rischen und pfälzischen Regierung. Eine Reihe weiterer Reden schlossen sich an. Die Feier schloß mit dem Nieder­ländischen Dankgebet.

Rückgang »er Erwerbslosen.

Berlin, 30. April. Die Zahl der unterstützten Erwerbslosen im unbesetzten deutschen Gebiet ist in der Zeit vom 1.IS. April 1924 weiter von 703 000 auf 476 000 zurückgegangen. Wen« auch dabei eine gewisse Aenderung in den Unterstützungsvorschristen mitmirkt, so ist'eine weitere wesentliche Entmattung des Ar­beitsmarktes unverkennbar. Der späte Eintritt des milderen Wetters hatte zur Folge ,daß die Landwirtschaft später als sonst, dafür aber nun in erheblichem Ausmaß, Arbeitskräfte einge­stellt hat. Innerhalb der Industriezweige zeigt sich leider immer noch eine unzulängliche Belebung im Ausfuhrgewerbe. Im be­setzten Gebiet ist die Entwickelung sehr unregelmäßig. Wenn auch abschließende Ziffern nicht vorliegen, so ist doch offenbar im Vergleich zu der Zeit vor dem Ruhreinbruch die Arbeitslosigkeit in den besetzten Gebieten noch immer unverhältnismäßig viel höher.

Kommunistischer Wahlterror in Berlin.

Berlin, 30. April. In der von etwa 1000 Teilnehmern besuchten Wahlversammlung der sozialistischen Partei in der Brauerei Königstadt kam es gestern Abend zu einer Schlägerei mit den zahlreich anwesenden Kommunisten, wobei etwa 15 Personen verletzt wurden. Die Polizei stellte die Ruhe wieder her und nahm mehrere Verhaftun­gen vor. Im Anschluß an eine Versammlung der Deutsch­völkischen Freiheitspartei in OLerschönweide kam es zu starken Ruhestörungen durch die anwesenden Kommunisten. Als die Polizei die Kommunisten mrfforderte, das Lokal zu verlassen, leisteten diese Widerstand, sodah die Polizei von ibren Gummikküppeln Gebrauch wachen mutzten