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Nummer 36
Fernruf 179
Samstag, den 8. März 1930
Fernruf 179
63. Jahrgang
«
Sein Genius
Sine Künstleraeschlcht» vo« Ela«» Lehre«.
-». Fortfchung. Nachdruck verboten.
„Was macht denn Herr von Ohlendorf?" fragte er einmal, „man sieht ihn so wenig."
Da kicherte Ulrike lustiq, ein kindliches, herzliches chen, wie nur sie lachen konnte: „Er nimmt Tanzstunde."
Hasso stimmte laut in ihre Heiterkeit ein. dann schwiegen sie Heide Plötzlich und sahen sich scheu uin, als hätte ein Spuk sie genarrt. Anweilen kam auch der alte Tapenburg ins Aimmer geschlürft und tastete neugierig »nt seinen kurzsichtigen Augen auf der Leinwand umher. „Sehr gut, sehr aut! W>'r weit ist's mit meinem Stammhaum?"
„Bald fertig, Freiherr von Tapenburg". antwortete Hasso. llnd wirklich sah er manchen Abend m seiner ein- fachen Wohnung, die in demselben Hauie mit dersenigen Kerstens lag, und malte einzig an einem riesigen Stammbaum, einer alten blätterlosen Eiche, an deren äußeren Aestchen Daten und Jahreszahlen mit schönen Initialen prangten, und ganz oben, wo der Name lllrike stand, geboren 1865. hatte er ein Paar grüne Knospen an die Aweiae gesetzt.
Es war mittlerweile Winter geworden. Nahkaste, neblige Luft seate der Wind durch di? schnmtziaen Straßen. Wenn es am Abend dunkel wurde und Hasso die Lampe angesteckt batte dann kam der lange Hans mit noch längerer Tabakspfeife herüber, stellte sich breitbeinig vor den warmen Kachelofen und plauderte in seiner urwüchsigen Sprache mit dem Freunde. So auch heute.
„Was quälst du dich mit dem unsinnigen, geschmacklosen Stammbauin. Hasso?" schilt er.
Dieser lachte hell auf: „Weißt du, Langer, ich könnte jetzt Münchener Bilderbogen und Lampenschirme malen! Uebrigens, ich tue noch anderes, Alter! Komm einmal mit in mein Atelier, heute ist es fertig geworden." Dann führt er den Freund, der „na, na" sagt, ins Nebenzimmer, und die Lampe hochhaltend, zieht er den Vorhang von einem großen Gemälde weg.
„Donnerwetter!" ruft Hans und läßt die Pfeife ausgehen. Vor ihm steht dasselbe Bild, wie damals in der Ausstellung, nur mit dem Unterschied, daß sich das Weib zum Manne kinabbeugt und ihn zu sich aus der Tiefe emporhebt, und das Licht fällt, von ihrem liebreizenden Antlitz ausgehend, wie verklärend in die Aüge des von ihr Geretteten.
„Junge, Junge, das ist schön", bricht endlich Hans das Schweigen und reibt die Fingerspitzen aneinander, ein Zeichen, daß er sich riesig freut.
„Was gibt's denn hier?" schreckt die beiden Hafsen- steins Stimme aus ihrem Beschauen auf, und neugierig fährt der graue Kopf des alten Herrn zwischen die beiden. So stehen die drei eine Weile, dann gehen sie schweigend zurück ins andere Aimmer. Der alte Hasscnstein drückt Fanietta die Hand und lädt beide Freunde zu einem gemeinschaftlichen Souper bei Dresse! ein.
„Es geht doch nichts über guten alten Rheinwein", meint er nachher und nickt Hasso über das Glas freundlich zu. „Junge Weiber, alter Wein, Haltens Herz von Sorgen rein!" — und leise mit der Zunge schnalzend, leert er das Glas.
Erst nach Mitternacht trennen sich die drei, und Hasso hat genug zu tun, den langen Hans auf der geraden Linie zu halten.
„Famoser alter Knopp, dieser Hafsenstein", und plötzlich bleibt Hans Kersten stehen, hält sich an einem Knopf von Hassos Rock fest und sagt ganz ernsthaft: „Aehnlich ieht ihr beiden euch, es ist zum Totlachen; wie Vater und Sohn!" ,
„Unsinn. Hans! Komm nur nach Haus."
Und doch hat Hasso noch stundenlang in seinem Zimmer wachend gesessen und über einem kleinen Medaillon in den Händen gegrübelt, aus dem ein lachendes, keckes Frauenantlitz gar lustig hervorschaut. Das war seine Mutter!
Doch am anderen Morgen war alles vergessen, un Irau Leska. die den innaen Maler pfeifend hat fortgehe
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hören, meint zu Hans, der seinen Jungen mit Zwieback und Milch füttert: „Tu, Männchen, er wird wieder wie früher — und schöner auch noch", fügt sie hinzu, obgleich sie Hasso seit drei Tagen nicht gesehen hatte.
„Das macht unsere Kost", sagt Hans lachend und hält dem Bengel die Tasse an das begehrliche Mäulchen.
„Junge, sabbele nicht!"
» » *
Als Hasso an diesem Tage nach Hause kommt, findet er auf seinem Tische eine Karte vor, durch die ihn Rittmeister von Rnppin nebst Gemahlin für den nächsten Sonnabend zum !o§ dansant einladen.
Edda hat selbst auf den Rand gekritzelt: „Sie finden eine Menas Bekannte bei uns: Hassenstein, Tapenburgs und die Marchesa di Ricordi, eine alte Bekannte von Ihnen."
Hasso runzelt die Brauen, setzt sich aber doch hin und schreibt eine L'ckaae. Ebe er am Sonnabend abend sort- gebt, spricht er noch einmal bei Kersten vor und findet Leska gerade beschäftigt, ihren kleinen Hans, der eine unsinnige Vorliebe hat, niit den Hunden in allen Ecken umberzukriechen, einer gründlichen Reinigung zu unterziehen. Der große Hans sitzt aus dem Sofa und flickt an einem invaliden Steckenpferd herum.
„Himmel, leben Sie vornehm aus! Wie ein Prinz!" mei.it Kersten? Frau und vergißt sogar den nassen Schwamm über Hans' Kopf auszudrücken.
„Hotte, hotte machen, Onkel", schreit der Junge, mit Händen und Füßen in seiner Badewanne strampelnd.
„Das geht setzt nicht, Hans", meint Fanietta lachend, sein Malerauge an dem reizenden Bilde des nackten Kindes weidend. „Wie eine Amorette von Rafael!" meint er dann — „aber, Junge, ich bringe dir Bonbons mit."
Hänschens Jubelschrei erstickt unter einer Wasierdusche, die ihm die Mutter appliziert.
„Du siehst aus. wie — nun wie soll ich sagen? wie jemand, der du gar nicht bist", sagt Kersten und stopft die Asche im Pfeifenkops fest. „Tanke sehr", fährt er dann fort, als Fanietta ihm die gewünschten Farben, um die der Freund ihn gebeten, zureicht — „ich beneide dich nicht um den heutigen Abend in der langweiligen, geschniegelten und gebügelten Gesellschaft. Paß auf, du hörst kein natürliches Wort und siehst keinen vernünftigen Menschen. Da lobe ich mir meinen Sonnabend Abend! Heute gibt's Pellkartoffeln mit Hering und frischer Butter.
„Alter Gourmand", neckt ihn Hasso. „Sind die Kartoffeln schon gar?" fügt er zu Leska gewendet hinzu.
„Bleib hier. Junge, und laß die Gesellschaft schwimmen. Iß mit uns zu Abend, und nachher gehen wir in die Musenhalle. Heute ist großer Ulkabend!"
„Na. eine Kartoffel, Frau Leska, nur eine einzige." Hasso legt den chapeau claque neben die Badewanne, wirft sich in das lederüberzogene Sofa, das einzige Möbel, das Hans aus seiner Junggesellenwirtfchaft in den Ehestand beigebracht hat, und beginnt eine von den Kartoffeln, welche die junge Frau rasch herbeigetragen hat, abzuschälen.
„Schmecken famos", meint er und steckt die andere Hälfte dem kleinen Hans in den Schnabel — „aber ich muß doch hin! Adieu alle zusammen, grüß die lustigen Brüder im Olymp!" und eilig ist er zur Türe hinaus.
„Last not least", empfängt ihn die Wirtin in den von Menschen überfüllten Rö nnen. Es ist. als ob bei seinem Eintritt momentane Stille in dem Stimmengewirr einträte. Fanietta ist eine Persönlichkeit, die das Interesse des sogenannten kunstliebenden Publikums bereits gekesselt hat: abaeseben von keinem Aeußeren und seinen Werken, durch die plötzliche Eigenwilligkeit, womit er sein sensationelles Bild ans der Ausstellung entfernen und an dessen Stelle ein anderes, kleines, bescheidenes Genrebild hängen ließ, das die Kritik als Durchschnitts- Ware, und das Berliner Publikum, welches diese Kritik wie eine Gottheit urteilslos anbetet, als einfach „mau" bezeichnet?, obgleich es einioe Leute gab. das beißt solche, welche die Kunst mit dem Herzen ansahen, die da meinten, daß Fanietta einmal etwas wahrhaft Tüchtiges leisten würde.
„Ich bitte um Entschuldigung, Frau von Ruppin", antwortet Hasso.
„Wie finden Sie meine Toilette?" sagt Edda und sieht ihn herausfordernd an — „mir liegt an Ihrem Urteil als dem eines Malers, der in Rom ein Liebling der Frauen war."
Hasso zuckt, sarkastisch lächelnd, die Schultern: „Was soll ich darauf anworten? Ich verstehe von allen sogenannten Toiletten nichts, als daß ich sie durch die Bank abscheulich finde. Ein Maler kann sich über die Schönheit oder Häßlichkeit eines verwahrlosten. Bettleranzuges klar werden, aber kein ästhetisches Urteil über Gersons Modemagazin fällen. Tie Hauptsache ist die Trägerin der Toilette, und in dieser Beziehung habe ich stiemen Geschmack nicht geändert."
Er kann die Frau nicht leiden: sie ist eine lebende Mahnung an etwas Häßliches in ihm. — Er verbeugt sich mit einem unbeschreiblichen Ausdruck des Nichtsverratenwollen.
Edda beißt sich auf die Lippe, siebt hinunter, ob der Puder auk ihrer Alabasierbüste auch nicht zu sichtbar ist.
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Stuttgart, Z7. kulii. S0Z70
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und stellt Hasso einigen Anwesenden vor. — Schon mehrere Male hat er ein Paar großer, alänrender Anaen bemerkt, doch absichtlich weicht er deren nicht zu verkennender Anziehungskraft aus. Sein Blick sucht Ulrike! — Dort siebt sie. ebenso wie er die Menae schlank überragend, im blaßblauen, bis zum Halse hinaus schließenden Spitzenilcide. Schon ist er bei ihr und hält chre Rechte in der seinen. Neben siir streitet sich der alte Tapenburg mit einem Allernimsi rofessor. wahrscheinlich über den Stammbaum der Könige von Abessp-' >n. und auf der anderen Seite lehnt am Türpfosten Ohle,idem mit sehr nachdenklichem Gesicht, weil er sich überlegt, ob er Ulrike außer zuin Souper auch noch -mm Eotillon engagieren soll.
„Das grelle Licht muß Ihren Augen wcl tun", sagt Hasso und blickt ihr ins Antlitz, das ihm l ite in dieser Umgebung fremd erscheint.
„O nein. Ich danke sehr."
Auch ihr Gruß, das Lächeln um die feinwschnittenen Lippen sind so konventionell abgezirkelt, so genau ähnlich dem Kopfneigen und Lippen kräuseln, wie er es heute abend schon zwanzigmal bei anderen gesehen, daß er sich ärgert.
Ohne ihn weiter zu beachten, wendet sie sich mit tiefer Verbeugung zu der Gemahlin irgend eines M nisters oder Gehen irates. Hasso ist wütend, stampft best he mit dem Fuß auf. sagt zu Ohlendorf: „Ich weiß nmals ihn dieser fragt, ob er heute mittag im Pschorr gewesen fei, und rasch sich wendend, geht er in ein anderes Zimmer und ärgert sich weiter über die absth-.llichen chinesischen Teller, die an den Wänden hängen Auch die Musik, die aus dem Saal ertönt, irritiert seine Nw i, und als ein verschrobener Blechsopran zu singen heg ant. „Ich grolle nicht", ist er nahe daran, sich nach einer Hintertür umzu- keben. um das Weite zu suchen.
Schon hebt er den Fuß, da tönt an sein Ohr eine weiche, volle Altstimme, getragen von der Musik des Mignonliedes. Es schauert ihm bei diesen tief zum Herzen gehenden Tönen durch die Seele. Das ist Ulrike. Sie muß es sein, obgleich er nichts davon gewußt hat, daß sie singt. — Leise schleicht er zur Tür und lugt durch die Portiere.
Sie sieht am Klavier, das ernste, reine Antlitz ihm zngewandt, den Blick geradeaus gerichtet über die Köpfe der ergriffenen, schweigsamen Zuhörer hinweg: und als sie geendet und dir Menschen Beifall klatschen, mischt er sich wieder unter die Gesellschaft, die unruhig durcheinander drängt. während die Herren die Damen zu Tisch engagieren. Ulrike nimmt Komplimente entgegen, lächelt einige Male mit geistesabwesendem Gesichtsausdruck und sieht unnatürlich bleich aus.
„Ich habe Ihnen keine Dame gegeben", flüstert ihm Edda zu. „Zuerst wollte ich es arrangieren, daß Sie die Marchesa Ricordi führten, doch sagt sie mir soeben, daß Sie sich nur obersiächlich kannten und sie einen anderen Herrn vorzöge. Ich bin nicht neugierig, Herr Fanietta, aber mir scheint, sie beide kennen sich zu gut!" lacht Edda boshaft. „Setzen Sie sich nur rechts neben meine Cousine, dort ist ein Platz frei, wie ich sehe."
„Ich danke Ihnen sehr für Ihre Fürsorge, gnädige Frau!"
„Das sind die schönen Pflichten einer Wirtin, wozu mch gehört, daß ich mich jetzt von einem Staatswürdenträger über das dürre Feld moderner Sozialreform schleppen lassen muß. Au revoir! Der erste Walzer gehört Ihnen! Wir haben noch ein paar alte Scharten auszuwetzen."
Ulrike nickte ihm freundlich zu, als er sich neben ihr niederließ, und doch kann er sich beute abend nicht hineinfinden in ihre Persönlichkeit. Ihm ist's. als sei sie von dem Altar, den er ihr aufgebaut hat. herabgestiegen unter all die Fremden. langweiliaen Menschen hier.
Sein Nachbar zur Rechten, ein Offizier, fragt ihn über italienische Uniformen aus. und Ulrike spricht mit Lblendorf über dessen neueste Rindviehzucht. Trotzdem fühlt Hasso, wie er allmählich ruhiger wird: er beginnt ganz unbefangen seine Umgebung zu mustern. Dabei spielt er wie zerstreut mit Ulrikes Fächer und halt ihn so» daß ihr nicht das scharfe Licht eines silbernen Armleuchters die Augen blendet. Als er absichtslos versucht, den Fächer einmal zusammenzuklapven. blickt sie auf und hebt >ie Hand unwillkürlich einen Moment über die Augen.
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