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Nummer 171 Fernrufes

Mittwoch, den 24. Zuli 1S29

Fernruf 179

64. Jahrgang.

Ser Raubbau auf den Saargkubeu

8. Mit allerlei Ausflüchten sucht man in Frankreich die Ausrollung der Saarsrage auf der Räumungs­konferenz zu verhindern. Aber es kann nicht länger angehen, daß der Völkerbund eine dera't-ge Verwaltung mit seinem Namen deckt und sich dadurch in schärfsten Mißkredit bringt. Schon wenige Jahre nach der Uebernahme der Saargruben, als die französische Presse noch ganz anders schrieb, hatte man an maßgeblicher Stelle in Frankreich eingesehen, daß es nicht gelingen werde, die Saargruben dauernd in fran­zösischem Besitz zu behalten. Man stellte sich also nur aus einen vorübergehenden Besitz ein und gab die Parole aus, möglichst viel Kohlen aus den Gruben her­auszuholen. Man suchte sich die besten Flöze zum Ab­bau aus, ließ die minderwertigeren liegen. Kapitalanlagen mußten möglichst vermieden werden; so unterblieben alle Maßnahmen, die der künftigen Erhaltung der Gruben dienten. Wenn eben Preußen die Gruben zurückhaben wollte, dann sollte es sie in völlig Heruntergewirtschaftetem Zustand wiedererhalten. Hohe Förderung hieß die alleinige Losung. Und je mehr diese stieg, desto höher waren auch d^e Prämien der französischen Ingenieure, Divisionäre und Grubenchefs. Die unvermeidliche Folge davon war, daß dix Grubenschäden ins Ungemessene stiegen. Der stützende Jndustrieort Schnappach bei St. Ingbert üst inzwischen nahezu ein Trümmerfeld geworden. Die 'Betroffenen hat man mit einem Trinkgeld als Entschädi­gung abgefunden.

Wenn man nun französischerseits daran festhalten will, daß die Saargruben bis 1935 französisches Staatseigentum bleiben, so bedeutet das für diese eine wahre Kata­strophe, denn dann tritt der Raubbau jetzt in sein schlimmstes Stadium ein. Aus allen Gegenden des Saar­gebiets wird schon heute eine beängstigende Zu­nahme der Grube nschäden gemeldet. Am schlimm­sten dürfte es zurzeit in der Gemeinde Dud weiter bei Saarbrücken aussehen. Dafür nur einige Beispiele: In einem Viertel an der sogenannten Wilhelmshöhe, in dem Tausende von Menschen wohnen, machen sich die Folgen der Senkungen in jedem Haus es sind dies einige hundert- bemerkbar. Die ganzen Häuser sind mit breiten Nissen durch­zogen, die man nur ganz notdürftig zugeschmiert hat. Täglich treten neue Risse auf, oft von einem Ausmaß, daß man einen ganzen Arm hineinlegen kann. In diesem Viertel zählt man jede Woche 20 bis 25 Gasrohrbrüche. Vor kur­zem noch hat die Gemeinde Dudweiler unter Aufwand von 2)4 Millionen Franken Baugelände erschlossen, die neu ge­bauten Häuser sind bereits dem sicheren Untergang geweiht. Die Leidtragenden sind durchweg Bergleute, die sich in jahr­zehntelanger Arbeit das Geld für ein Eigenheim vom Munde abgespart haben.

Nun ist ja an und für sich die Grubenverwaltung zum vollen Ersatz dieser Schäden verpflichtet. Aber wie kommt man dieser Verpflichtung nach? Die Schäden werden ange­meldet, dann vergehen oft Monate des Wartens. Schließ­lich werden die Häuser so baufällig, daß die Hilfe der Po­lizei in Anspruch genommen werden muß. Dann tritt schließlich ein französischer Unternehmer auf den Plan, der die Schäden notdürftig ausbessert, denn der Billigste hat von der Grubenverwaltung den Zuschlag erhalten. Man be- -chränkt sich darauf, die Risse ein wenig zu überkleistern. Duwn geht es schließlich einige Monate gut, bis wieder neue Risse auftreten und das Verfahren wieder aufs neue los­gehen . cmn. Ein französischer Beamter äußerte sich auf eine Beschwerde hm, di^ Bevölkerung müsse sich eben an die Risse gew^Nen. Verkäuflich such die Häuser schon heute nicht mehr. ? v. H. des sehr niedrig angesetzten

Hauswerts als" Entschädigung für Minderwert an und ver- langt dann, dach me Bergleute auf alle weiteren Ansprüche verzichten. So bringt 'ns>n schließlich diese um ihr Häuschen. Für Entwertung des früher baureifen Grundbesitzes, der jetzt als Bauplatz nicht mehr zu verwenden ist. zahlt man keinerlei Entschädigung.

Nun lassen sich in keinem Grubengebiet Senkungen ganz vermeiden. Es kommt aber darauf an, was getan wird um derartige Schäden zu verhüten, und welche Entschädiaunaen man gewährt. Zu sicherer preußischer Zeit ließ man breite Sicherheitspfeiler stehen und trieb die Stollen nickt unter ausgesprochene Wohngebäude vor, weil man an dein Wohlergehen der Bevölkerung interessiert war Wenn trok dem Schäden auftraten, wurden Häuser und Grundstücke angekaust und angemessen bezahlt. Heute hinaeaen baut Man die Sicherheitspfeiler rücksichtslos ab, man dringt auch in Flöze unter den Wohngebieten vor, weil dort ergiebige bequem zu erreichende Kohle liegt. '

Der Bevölkerung hat sich wegen , dieser Vorgänge eine maßlose Verbitterung bemächtigt. Man kennt keinen sehnlicheren Wunsch, als daß die Gruben baldmög­lichst an den preußischen Staat zurückkehren. Es erhebt sich dabei die Frage, ob so noch fünf weitere Jahre im Saar­bergbau gewirtschaftet werden soll. Eine Besserung gibt es erst, wenn das Saargebiet von der Fremdherrschaft be- freit ist.

razesiviegel

Der Reichspräsident hat dem erkrankten Reichskanzler Müller nach Heidelberg die wärmsten Wünsche zur Ge­nesung gesandt,

Reichsminister Dr. Strefemann. der bisher eine Kur in Baden-Baden bezw. Bühl gebrauchte, ist nach Bad Wil- düngen abgereist. um die Kur fortzusehen. Zn letzter Zeit gingen Gerüchte um über eine Verschlimmerung im Be­finden Stresemanns.

Reuter meldet aus Tokio, der Befehlshaber der japa­nischen Besahungstruppen in der Mandschurei habe die süd- mandschnrische Eisenbahngesellschaft angewiesen, den Trans­port chinesischer Truppen und Munition abzulehnen, und keine bewaffneten chinesischen Truppen ohne Genehmigung der örtlichen japanischen Kommandanten durch die Eisen­bahnzone passieren zu lassen.

NeBremen" gewinnt ins Rinne Rand

Der SchnelldampferBremen" des Norddeutschen Lloyd zat am Montag nachmittag 3.02 Uhr Neuyorker Sommer- ;eit (8.02 Uhr deutscher Zeit) das Leuchtschiff im Ambrose- Kanal bei Neuyork passiert. Die Strecke von Lherbourg bis zum Leuchtschiff wurde somit in 4 Tagen 17 Stunden und 52 Minuten zurückgelegt und die bisherige Rekordzeit des englischen SchnelldampfersMauretania" um nicht weniger als 8 Stunden 52 Minuten unterboten. Von Sonntag mit­tags bis Montag mittags entwickelte dieBremen" eine Geschwindigkeit von 29,5 Knoten in der Stunde, also ins­gesamt 713 Knoten (1283,4 Km.). Auch diese Leistung stellt einen Weltrekord dar.

Die Landungsstelle des Lloyds im Hafen von Brooklyn erreichte der Dampfer um 6 Uhr. Riesige Menschenmengen umsüumten die Uferstraßen. Zahlreiche Schleppdampfer mit den unvermeidlichenKnipsern" waren derBremen" ent­gegengefahren.

Das Postfluzgeug derBremen" war bereits 1.35 Uhr om Pier des Lloyd auf das Wasser niedergegangen und übergab 6 große und 2 kleine Postsäcke, die sofort zum Haupt­postamt Neuyork befördert wurden.

Die Londoner Blätter berichten ausführlich über die außerordentliche Leistung derBremen".Daily Chronicle" glaubt, dieMauretania" werde alle Anstrengungen ma­chen, um das Blaue Band zurückzugewinnen.

Die Neuyorkcr Blätter feiern die Fahrt als ein ep o ch e- machendes Ereignis in der Schiffahrts­geschichte. Ein Empfang, wie ihn dieBremen" in Neuyork erlebt habe, sei noch keinem Schiff zuteil geworden. Kapitän M a c N e i l l, Offiziere und Mannschaften der ge­genwärtig im Neuyorker Hafen liegendenMauretania" beglückwünschten telegraphisch Kapitän Ziegenbein, die Offi­ziere und die Mannschaft derBremen" herzlich zu ihrer Nekordreise. Kapitän Ziegenbein erklärte, er habe die »Bremen" nichtüberanstrengen wollen. Es sei aber möglich, noch mehr aus den Maschinen heraus­zuholen und er hoffe daher, noch einen besseren Rekord auf st eilen und 30 Knoten erreichen zu können. DieBremen" schlug auf ihrer Ueberfahrt den sogenannten Mittelkurs ein, der 49 Meilen länger ist, als der von derM a.u r e t a n i a" bei ihrer Rekord­fahrt benutzte nördliche.

Die Fahrgäste hoben hervor, daß das bekannteZittern" der Dampfschiffe bei der Bremen nur im Hinterschiff leicht .bemerkbar gewesen sei. Auch dieses soll noch beseitigt wer­den. Ferner sollen die Schornsteine des Dampfers um etwa 1,20 Meter erhöht werden, da der Rauch zuweilen das Deck bestrichen hat.

Die Amerikaner gaben derBremen" den Ehrennauen Königin der Meere". Die Stadt Bremen prangte am Dienstag in reichem Flaggenschmuck.

Der Reichspräsident an den Norddeutschen Lloyd

Reichspräsident v o n H i n d e n b u r g hat an den Nord­deutschen Lloyd folgendes Telegramm gerichtet:Dem Nord­deutschen Lloyd spreche ich zu dem schönen Erfolg, den sein neuer SchnelldampferBremen" errungen hat, meine herz­lichsten Glückwünsche aus. In unserem schweren Kampf um die Wiedererlangung der Gleichberechtigung in Weltwirt­schaft und Seeverkehr ist die Leistung, die Sie durch die Schaffung dieses Schiffs erzielt haben, ein besonderer Schritt vorwärts, gez. v. Hindenburg, Reichspräsident". Der Reichspräsident ist bekanntlichPate" derBremen".

Neue Mchrichlen

Rene Operation des Reichskanzlers?

Juli. Nach dem Aerztebericht war l den enkM^7»'^" erkrankten Reichskanzler den Umstä 2ig L L "'''blich gut". Ob eine zweite Operati. hängen. Die Mc' uon dem Verlauf der Heilung a einqetröffen. """bst" des Reichskanzlers ist in Heldelbe

An Stelle des Reichskanzlers wird Dr. Strefemann die Führung der deutschen Abordnung zur Reparationskon­ferenz übernehmen. An der Konferenz nehmen die Reichs- minisker Curkius, Hilferding und Wirth teil.

Zoungplan Steuersenkung Neue Einnahmequellen

Berlin, 23. Juli. DemDemokratischen Zeitungsdienst" wird mitgeteilt: Die Beratungen des Haushaltsplans für das nächste Jahr haben im Schoß der Ministerien bereits begonnen. Die für dieses Jahrersparten" 400 Millionen Dawes-Zahlungen werden in erster Linie zur Besserung der Kassenlage des Reichs verwendet werden, sowie zur Besei­tigung des voraussichtlichen.Fehlbetrags im laufenden Haus­haltplan, der auf 250 Millionen geschätzt wird. Wie der Fehlbetrag des vorjährigen Haushaltsplans mit 154 Millionen zu beheben sein wird, ist noch unklar. Mehrein­nahmen sind nur durch die erhöhten Zölle zu erwar­ten. Diese Summe ist aber sehr fraglich. Sie wird in diesem Jahr auf etwa 25 Millionen Mark geschätzt. Daß mit erheblichen Mindereinnahmen zu rechnen ist, zeigt die letzte Uebersicht über die Reichseinnahmen im Juni 1929. Die geplante Steuersenkung werde daher, so heißt es weiter, frühestens auf 1. April 1930 ver­sucht werden können. Da aber hiefür mindestens 400 bis 500 Millionen Mark in der Reichskasse sein müssen, die die Er­sparnisse aus dem Uoungplan nicht bringen können, weil durch Reichsbahn, Industrie-Obligationen und durch den Fehlbetrag des Haushaltplans jene Summe aufgezehrt werde, so müssen neue Einnahmequellen, d. h. Steuern gesucht werden.

Die Berliner Meldung scheint schonend auf die Illusion er Ersparnisse durch den Uoungplan und die Kurz ebigkeit wr Erleichterungen für die Reichskasse vorberciten zu rvol- en. Diese Erleichterungen sind tatsächlich von seh- kurzer Dauer. Mit der Steuersenkung wird es aber untc' diesen Umständen noch gute Weile haben, wohl über den ... April inaus es sei denn, daß erheblicheneue Emncck nequel- a" bei der unter dem Steuerdruck seufzenden W rtschaft binden werden.

Jur bevorstehenden Reparakionskonferenz

Berlin. 23. Juli. In Berlin ist man nach wie vor der ^Mnung, daß die Konferenz nur an einem neutralen Ort abgehalten werden könne. Brüssel könne als neutral nicht angesprochen werden. Zu einer Verschiebung des Kon­ferenzbeginns besteht keinerlei Anlaß. Für Deutschland könne nur eine Konferenz in Frage kommen, in der die technische Erledigung des Toungplans be­raten und die politischen Folgerungen aus dem

Boungplan, besonders auch für die beteiligten kleineren Na­tionen, bereinigt werden. Der englische Außenminister Henderson habe sich in dieser Frage leider doch dem französischen Standpunkt genähert.

Oeffenkliche Aufträge und Arbeitslosigkeit

Berlin, 23. Juli. Der Reichsarbeitsminister hat die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenver­sicherung beauftragt, durch die Präsidenten der Landes­arbeitsämter auf eine zweckmäßige Verteilung der öffent­lichen Aufträge im Sinn des Ausgleichs der Konjunktur» und Saisonschwankungen hinzuwirken.

Der Deutsche Skudenkenkag

Hannover, 23. Juli. Nach langen Auseinandersetzungen hat der Deutsche Studenkentag den Antrag der Technischen Hochschulen München und Brünn auf Beschränkung der Zahl der jüdischen Studierenden auf deutschen Universitäten und Hochschulen (Numerus clausus) mit geringer Mehrheit abgelehnt, weil der Antrag nicht in der vorgeschriebenen Frist und Form eingereicht worden sei.

Der Ulih-Prozeß

kakkowih, 23. Juli. Heute morgen um 9.20 Uhr begann unter ungeheurem Andrang der polnischen, ostoberschlesi­schen, deutschoberschlesischen, reichsdeutschen und ausländi­schen Presse der Prozeß gegen den Geschäftsführer des Deutschen Volksbunds in Oberschlesien, Otto Ulitz, wegen angeblicher Beihilfe zur Entziehung vom Militärdienst. Den Vorsitz führt der Vizepräsident - des Bezirksgerichts, Dr. Herlinger. Als militärische Sachverständige sind zwei pol­nische Majore beigezogen. Ulitz bestritt die ihm zur Last gelegten Straftaten im vollen Umfang. Die Anklageschrift enthalte eine ganze Reihe von Fehlern.

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Die französische Aktenveröffentlichung

Paris, 22. Juli. Der erste Band der amtlichen franzöfl- schlen Dokumentensammlung zur Vorgeschichte des Kriegs ist erschienen. Der mit der Veröffentlichung be­traute Ausschuß betont in einem Vorwort, daß die Auswahl der Dokumente einzig und allein durch Erwägungen wirt­schaftlicher Art bestimmt worden sei. Der erste Band umfaßt die Zeit vom 4. November 1911, dem Abschluß deL