DlnrtSvlcrtt r»ni> Anzeiger für Mtldüao und dng ödere Enztar
Nummer 162 Fernruf 179 Samstag, den 13. Juli 1929 Fernruf 179 64. Jahrgang
Der rote Brief.
Roman von Hardy Svorm.
Copyright by Greiner k Co., Berlin NW S.
(Nachdruck verboten.)
i. Kapitel.
Ein Mord.
Es war an einem nebligen, regnerischen Septemberabend. als der Detektiv Harry Wolter aus seinem Hanse stürzte und eine gerade vorübersahvende Autotaxe anhielt.
„fahren Sie mich so schnell wie möglich nach der Bozener Straße 3."
Der Wagen sprang an. .
Plötzlick, tauchte aus eirftt Nebenstraße ein Mann mit einem Handwagen auf und versuchte, vor dem Auto den ;>ratirdamm zu überqueren. Der Chauffeur, der tm letzten Augenblick seine Maschine herumriß, konnte nicht verhindern. daß die Droschke auf dem nassen Pflaster ins Rutschen kam und den Mann mit dem Handwagen zu Boden schleuderte.
Sofort sammelte sich eine größere Menschenmenge an. Ctn Tschako blinkte auf. Der Chauffeur mußte halten. Sehr zum Verdruß Dr. Wolters, der behende aus dem "Wagen sprang und die Straße hinuutereilte.
So sehr er auch rief und vfisf: kein Auto war in der Gegend aufzutreiben. Erst nach fünf Minuten erreichte er emen Halteplatz und konnte die auf so unliebsame Art unterbrocbene Fabri fortsetzen. Aber alles schien sich gegen den stabrgast verschworen zu haben; auch das zweite Auto war noch nicht weit gefahren, als es eine Panne erlitt. Wolter riß mit einem Fluche den Wagenschlag auf, zahlte und rannte die Straße hinunter.
Schweißtriefend und nach Atem ringend langte er mnerhalb von zehn Minuten an seinem Ziele an. Der Pfört-wr war gerade tm Begriff, den Hausflur zu reinigen.
„Hier wobnl doch Herr v. Seehagen?"
„In der zweiten Etage, mein Herr."
„Gut. schließen Sie das Haus ab und lassen Sie das Licht brennen. Ich glaube. Herrn v. Seehagen ist ein Unglück zugestoßen. Ich bin Detektiv." fügte Wolter hinzu, als er sah, daß der Portier zögerte. „Kommen Sie mit nach oben. Vielleicht ist Ihre Anwesenheit erforderlich."
Ditz beiden Männer machten vor einer Tür in der zweiten Etage halt.
Dr. Wolter klingelte mehrere Male. Aber niemand meldete sich.
Der Detektiv zog einige Dietriche aus der Tasche, und es gelang ihm, innerhalb einiger Sekunden die Tür zu öffnen.
Schnell gingen beide über den Korridor. Der Detektiv hielt den entsicherten Revolver in der Rechten.
Der erste Raum, den sie betraten, war das Schlafzimmer.
„Hier ist alles in Ordnung. Wir wollen mal nebenan Nachsehen."
Kaum hatte Wolter die Tür geöffnet und das Licht an- gekmpst, als er heftig zusammenzuckte. Dann trat er lang- sam über die Schwelle.
In der Mitte des Zimmers lag ein elegant gekleideter Herr in einer Blutlache. Der Schädel war zertrümmert. Wolter sah sofort, daß jede menschliche Hilfe zu spät kam. Der Mann war tot.
„Bleiben Sie an der Tür stehen," gebot der Detektiv dem vollkommen fassungslosen Portier. „Hier ist ein Verbrechen geschehen."
Dann nahm er den Hörer vom Apparat und ließ sich mit dem M'orddezernat des Polizeipräsidiums verbinden.
„Ist dort Herr Kommissar Kipper? N' abend, Herr Kollege. Hier ist Wolter. Nehmen Sie sich sofort einige Leute und kommen Sie nach der Bozener Straße 3, zweite Etage. Mord. Ich erwarte Sie hier."
In der Mitte des Zimmers lag ein elegant
gekleideter Herr in einer Blutlache
Daraus durchsuchte der Detektiv die ganze Wohnung. Da er sofort nach seinem Eintreten die Korridortür wieder verschlossen hatte, hätte der Mörder, wenn er noch anwesend gewesen wäre, die Wohnung gar nicht verlassen können, ohne die Aufmerksamkeit Wolters zu erregen. Die Durchsuchung verlief denn auch vollkommen resultatlvs.
„Der Mörder hatte scheinbar wichtigeres zu tun, als auf meine Ankunft zu warten," murmelte der Detektiv. Schließlich wandte er sich an den Portier. „Da bis zur Ankunft der Mordkommission noch einige Zeit vergehen wird, können wir beide uns miteinander ein bißchen beschäftigen. So, fetzen Sie sich hierher und geben Sie mir auf einige Kragen Auskunft. Wie lange wohnt Herr v. Seehagen tn diesem Hause?"
„Na, sechs Monate mögen es wohl her sein, daß der Herr bei uns ist." Der Portier strich sich mit zitternder Hand über die Stirn. „Ich weiß nicht, ob es auf Wahrheit beruht, aber man spricht davon, daß Herr v. Seehagen noch eine andere Wohnung außer dieser habe. Hier war er ja auch eigentlich sehr selten."
,IZch weiß," unterbrach ihn der Detektiv, „diese zwei Zimmer hier bekam er auf Grund einer Schiebung. Doch um bet oer Sache zu bleiben: haben Sw jemals den Baron in Begleitung einer anderen Person dieses Haus betreten sehen?"
Der Portier dachte lange nach. Schließlich sagte er zögerndst „Wenn ich mich recht entsinne, ist er der Herr gewesen, der zweimal mit einer Dame kam."
„Wie lange ist das her, und wie sah die Dame aus?" forschte der Detektiv weiter. „Strengen Sie Ihr Gedächtnis an. Ihre Aussage kann von großer Wichtigkeit sein."
Aber der Pförtner zuckte mit den Achseln. „DaS Gesicht der Dame konnte ich nicht erkennen. Sie war verschleiert und, wenn ich mich recht entsinne, von gleicher Größe wie der Baron. Und wie lange das her ist? Na, zwei bis drei Monate. So genau kann ich das nicht sagen."
,Laben Sie heute irgend etwas Verdächtiges bemerkt? Haben Sie den Baron kommen sehen?"
„Nein, ich blicke ja nicht jedesmal aus dem Pförtnev- HSüschen."
„So!" Der Detektiv sah nach der Uhr. „Infolgedessen wissen Sie auch nicht, ob im Laufe des Abends fremde Personen das Haus betreten haben?"
Der Portier kratzte sich den Kopf. „Du lieber Gotik Fremde Personen gehen hier ein und aus. In der ersten Etage ist eine Pension, und tn der dritten wohnt ein Musiklehrer."
Plötzlich ertönte unten auf der Straße das Hupen eines Autos.
„Die Mordkommission!" sagte Wolter, sich erhebend .^Deffnen Sie die Hanstür und führen Sie die Beamten herauf."
Einige Sekunden später begrüßten Kommissar Kipper und drei Assistenten den Detektiv auf das herzlichste.
Wolter, vor Jahren noch eine der besten Kräfte des Berliner Präsidiums, erfreute sich auch jetzt noch, nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst, allgemeiner Beliebtheit und der größten Autorität. Er wurde tn vielen Fällen unterstützt und sehr oft zur Mitarbeit herangezogen, wenn es galt, ein besonders schweres Verbrechen aufzu- klären.
„Also hier ist der Totek" sagte Kommissar Kipper und trat auf die Leiche zu. „War er Ihr Klient, Kollege Wolter?"
Der Detektiv nickte. „Allerdings erst seit gestern mittag. Er suchte mich wegen einer geheimnisvollen Diebstahls- affäre, die ich Ihnen nachher auseinandersetzen werde, in meinem Büro auf und bat mich um meinen Beistand. Heute abend um sechs Uhr klingelte in meinem Arbeits- zimmer das Telephon und als ich den Hörer abnahm, hörte ich folgende hastig hervorgestoßenen Worte: ,Lier Seehagen, Bozener Straße 3. Kommen Sie bitte sofort her. In dieser Wohnung ist auch eingebrochen worden. Alles ist. . Hier brach das Gespräch ganz plötzlich ab und ich vernahm einen leisen, wehen Hilferuf.
Anstatt nun das hiesige Ueberfallkommando anzurufen, versuchte ich tn der ersten Aufregung so schnell wie möglich hierherzueilen. Aber ich hatte zweimal mit den Autos Pech, und als ich hier etntraf. .." Wolter redete nicht aus, sondern wies stumm auf die Leiche.
2. Kapitel.
Die Untersuchung.
Kommissar Kipper warf einen forschenden Blick duöch das Zimmer. „Ein großer Kampf scheint ja nicht statt- gefunden zu haben. Sie haben wohl schon den objektiven Tatbestand ausgenommen, Herr Kollege?"
„Nein, noch nicht, lieber Kipper. Ich wollte erst das Eintreffen der staatlichen Polizei abwarten. Sie wissen, es wird oben nicht gern gesehen, wenn man als Privatdetektiv eigenmächtig vorgeht."
Kipper schüttelte den Kopf. „Ich glaube, Sie können sich über uns nicht beklagen. Keiner ist beruhigter als der C^f, wenn er weiß, daß Sie eine Untersuchung führen. Auf jeden Fall ist es mir lieb, mit Ihnen zusammen den Tatbestand auszunehmen."
„Metz," wandte er sich an einen Beamten, „nehmen Sie erst mal den Tatort und die Leiche auf."
Während der Tote photographiert wurde, erschien der Arzt. —
„Der Tod ist durch Zertrümmerung der Schädeldecke eingetreten," konstatierte er.
„Na, das habe ich mir gleich gedacht," sagte der Detektiv spöttisch und beugte sich über den Toten. „Der Hieb ist wahrscheinlich mit einem Totschläger ausgefüürt worden. Und zwar von vorn und durch eine Person, die über große Körperkrast verfügen muß. Sicherlich erhielt der Baron den Schlag, als er mit mir telephonierte. Sie sehen,", wandte er sich an Kipper, „daß der Tote einen ganz bestürzten Gesichtsausdruck auftveist."
Dann nahm Dr. Wolter an der Leiche eine Leibesvisitation vor. Das Futter der linken Brusttasche hing etwas heraus. Auch der Brieftasche sah man an, daß sä durchwühlt worden war.
„Ein Raubmord kommt nicht in Frage," sagt« Wolter, indem er sich aufrtchtete. „Der Tote befindet sich noch tm Besitz seiner goldenen Uhr, seiner Brillantringe und seines Portefeuilles. Der Täter hat etwas anderes gesucht."
Der Detektiv ließ sich eine Lupe geben und suchte den Schreibtisch nach Spuren ab.
„Können Sie einen Fingerabdruck feststellen?" fragte Kipper.
Wolter schüttelte ärgerlich den Kopf. „Es ist nicht dcÄ geringste zu finden. Wahrscheinlich hat der Kerl Handschuhe angehabt."
Kommissar Kipper kroch auf dem Fußboden umher. Ev untersuchte jeden Zentimeter auf das genaueste. Als er an der zum Nebenzimmer führenden Tür, vor der sich eine Portiere befand, angelangt war, ließ er einen Laut der Befriedigung hören. Er hatte feuchte Stellen am Fußboden entdeckt.
Wolter nickte. „Na ja. Man kann wohl annehmen. Laß der Täter kurz vor dev Ankunft des Herrn Seehagen hier eingedrungen ist. Als er die Korridortür klappen hörte, versteckte er sich hinter der Portiere und wurde nun Zeuge, wie der Baron bemerkte, daß zwei Schreibtischkäften erbrochen worden waren. Seehagen nahm wahrscheinlich sofort das Telephon und ließ sich mit mir verbinden. Der Einbrecher schwankte ziemlich lange, ehe er sich auf den Telephonierenden stürzte und ihn niederschlug. Der Täter nahm, nachdem er den Hörer wieder auf den Apparat gelegt hatte, dem Toten die Schlüssel aus der Tasche und öffnete damit die anderen Fächer. Dann verließ er, sicher so schnell wie möglich, den Tatort."
„Und das Motiv?" Kipper sah den Detektiv erwartungsvoll an. „Um einen gewöhnlichen Einbruch kann es sich doch nicht handeln."
Wolter dachte einen Augenblick nach. Dann sagte er bestimmt: „Der Mord hängt mit der anderen Geschichte zusammen. Ich werde sie Ihnen nachher erzählen. Da Sie ja erst die Hausbewohner vernehmen und die Ankunst der Gerichtskommission abwarten müssen, werde ich in der Zwischenzeit Abendbrot essen gehen. Kommen Sie nachher rüber tn Haases Weinstuben. Dort können wir die Sache in aller Ruhe durchdenken, st? abend, meine Herren."
„Guten Appetit. Herr Doktor."
„Mir schmeckts immer."
Und der Detektiv öffnete die Korridortür.
3. Kapitel.
Der geheimnisvolle Brief.
„Trinken Sie lieber Rot- oder Weißwein?" fragte Wolter den Kommissar, der sich zu ihm in eine stille Msche gesetzt hatte und erwartungsvolle Augen machte.
„Vas ist mir ganz gleichgültig, Doktorchen. Ich komme nicht oft tn die Verlegenheit, zu wählen," antwortete Kipper, während ein Lächeln über sein Gesicht huschte.
Me beiden Kriminalisten gaben sich nun, wo sie unter sich waren, vertraulicher.
„Haben Sie oben noch etwas Besonderes entdeckt?"
Mpper schüttelte den Kopf und starrte tn sein Weinglas.
„Na, dann werde ich Ihnen mal die Geschichte von dem roten Briet erzählen." Wolter lehnte sich bequem zurück
„Na, dann werde ich Ihnen mal die Geschichte von dem roten Brief erzählen."
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