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Nummer 299 Fernrufes
Donnerstag den 20. Dezember 1928
Fernruf 179
63. Jahrgang
Sie Silinr der kriegsschuldssrschmg
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ist gut, recht gut. Von der deutschen Forschung soll hie abgesehen werden. Mit gutem Grund, denn da heißt es gleich: „Befangenheit! Es ist begreiflich, wenn der Ver- urteilte die Schuld auf andere schiebt."
Zugegeben, aber wie steht es draußen in der Welt? Vor allem in Amerika?
Einer der Führer der großen Zahl der amerikanischen Historiker, die im Gegensatz zu Bernadotte Schmitt mit steigendem Eifer für Deutschlands Unschuld eintreten, ist Sidney B. F a y. Er ist der ältere Kollege des uns Deut» scheu wohlbekannten Kriegsschuldforschers Harry E. Barnes in Smith College und der erste der amerikanischen Historiker, der schon vor Jahren die amtliche These von der Alleinschuld Deutschlands in verschiedenen kurzen Aufsätzen kritisiert. Schon 1920 schrieb er: „Deutschland wollte den Krieg nicht." Jetzt sind aus seiner Feder zwei dicke Bände von insgesamt 1100 Seiten erschienen. Es betitelt sich: „Der Ursprung des Weltkriegs"; leidenschaftslos, rein sachlich, vorsichtig geschrieben, auf eingehender, gründlicher Prüfung alles nur irgendwie aufzutreibenden Materials beruhend. Nun, dieser amerikanische Gelehrte kommt zu folgendem Schlußergebnis:
,L>as Urteil des Versailler Vertrags, daß Deutschland und seine Verbündeten allein verantwortlich sind, müssen wir fallen lassen. Es-war ein von dem Besiegten vom Sieger unter dem Einfluß der Kriegspsychose, der Verelendung, der Unwissenheit, des Hasses und der propagandistischen Wahnvorstellungen abgepreßtes Eingeständnis. Es gründete sich auf unvollständige und nicht immer vernünftige ' Beweise. Es wird allgemein von den besten Historikern aller Länder anerkannt, daß es nicht mehr zu halten und zu verteidigen sei."
Das herrliche Werk ist so überzeugend gehalten, daß das große amerikanische Blatt „New Bork World" aus der neuen Lage die Folgerung zieht: der Fortfall der Deutschland aufgezwungenen Alleinverantwortlichkeit am Kriege müsse notwendigerweise auch eine „weitherzige Behandlung der Reparations- und Besatzungsfrage" nach sich ziehen.
In diesem Zusammenhang sei auch der Engländer gedacht. Hier steht an erster Stelle der Mann, der England an den Weltkrieg gedrängt hat, der britische Außenminister Sir Edward Grey. In dem Vorwort zur Volksausgabe seiner „Erinnerungen" erkennt er rundweg an, daß der A r- tikel 231 (von der Kriegsschuld Deutschlands) besser nicht in den Friedensvertrag ausgenommen worden wäre. Auch gibt er unumwunden zu, daß das Schuldbekenntnis seinerzeit von Deutschland „erpreßt" worden ist. Das ist viel, sehr viel, wenn man bedenkt, daß Grey es war, der stets mit der „Verletzung der belgischen Neutralität" durch Deutschland den.Kriegseintritt Englands rechtlich und moralisch zu bemänteln versuchte. Daß aber die belgische Frage nichts damit zu tun hat, verrät uns eine andere hochwichtioe Veröffentlichung. Wer erinnert sich nicht jenes Lord Morley, der bekanntlich mit Vurns zu- . sammen aus dem englischen Kabinett austrat, da die beiden Minister Greys Kriegspolitik nicht mitmachen wollten. Nun hat Morleys Neffe einen Brief seines Onkels an Grey veröffentlicht. Aus demselben geht hervor, daß England bereits am 24. Juli 1914 auf Grund der Meldung des eng- lischen Botschafters in Petersburg, Buchanan, zur Teilnahme am Krieg entschlossen war, und zwar deswegen, weil Buchanan gemeldet hatte, Rußland und Frankreich würden au-^ ohne England Vorgehen.
Weiterhin ist beachtenswert, was der südafrikanische ^ Genera! und Staatsmann Smuts kürzlich bei einer Versammlung der Völkerbunds-Union in Johannesburg (ähnlich, wie Lloyd George) saate, nämlich, daß der Krieg einfach über die Nationen hereingebrochen sei. Und Alcide Cbran schrieb neulich in der amerikanischen Zeitschrift „Plain Talk": „Die Sage, daß Deutschland und Oesterreich allein für den Krieg verantwortlich wären, ist endgültig abgetan." Sogar ein Mussolini sagte anläßlich der „Siegesfeier" in Italien zu den Kriegsteilnehmern: „Der Krieg wurde Italien nicht auferlegt, sondern war eine freiwillige Handlung seines bewußten Willens." Ja, wir wissen aus den jüngsten Dezember-Veröffentlichungen der " Berliner Monatshefte „Die Kriegsschuldfrage", daß Italien durch einen Rückversicherungsvertrag seit 1902 an Frankreich gebunden war (Bredt, „Die italienische Rückversicherung").
Was folgt aus alledem? Kein vernünftiger Mensch diesseits und jenseits des Ozeans glaubt noch an die Schuld Deutschlands. Und wenn er anders sagt, so tut er es wider besseres Wissen und Gewissen. — Also weg mit Artikel 23h'
Ein ossener Sries des Seulschen Volks- dunds in den Minister Zaleski
Kaktowih, 19. Dez. In einem von der gesamken deutschen Presse Ost-Yberfchlefiens veröffentlichten offenen Brief des
Gegen die Ernennung von Mitgliedern des Reichsbahn- verwalkungsroks durch die Reichsregierung haben auch die badische und die rvürttembergische Regierung Einspruch erhoben.
Der Staaksgerrchtshof hak die Beschwerde gegen die Reichsregieeung schriftlich beim Reichspräsidenten eingereicht. Reichspräsident v. Hindenburg wird sich zunächst über die Gründe unterrichten lassen, die die Reichsregierung für ihr Verhalten vorzubringen hat, und dann die Lnk- scheidung treffen. ,
Im Befinden des Königs ist nach dem amtlichen Bericht eine leichte Besserung eingetreten.
Rach Meldungen aus Delhi sollen die Aufständischen in Afghanistan zwei die Stadt Kabul beherrschende Forts genommen und große Vorräte an Waffen und Munition erbeutet haben. Ein englisches Flugzeug, das mit der englischen Gesandtschaft in Kabul in Verbindung treten sollte, wurde angeschossen und mußte landen. Die Insassen blieben unversehrt.
Deutschen Voiksbunds an Zaleski wird auf Vellen ÄNschui- digungen im Völkerbundsrat erwidert:
Das Beschwerderecht des Deutschen Volksbunds wurde in der Stellungnahme des Präsidenten der Gemischten Kommission vom 26. November 1923 und von der Regierung in einer vom Völkerbundsrak am 13. März 1924 zur Kenntnis genommenen Erklärung anerkannt. Nur die überaus schleppende Behandlung der Beschwerden des Volksbunds durch die polnischen Landesbehörden und die damit verbundene Gefährdung lebenswichtiger Interessen der deutschen Bevölkerung zwang den Volksbnnd zur unmittelbaren Anrufung des Völkerbundsrats. Mit den früheren Wojewoden wurden die meisten Beschwerden durch unmittelbare Verständigung ohne Anrufung des Minderheitenamks erledigt. Dieses bewährte Verfahren hörte mit Amtsantritt des derzeitigen Wojewoden auf.
Zu Zaleskis Ausführungen über die Stärke der deutschen Minderheiten wird erklärt, daß sämtliche Unterlagen hierüber mangels einer Volkszählung fehlen. Es wird jedoch festgestellt, daß für die deutsche Minderheit nicht 90, sondern am 1. Dezember nur 77 öffentliche deutsche Volksschulen bestehen mit einer Schülerzahl von rund 17 590. Zur Anschuldigung, daß der Deutsche Volksbund die «Ursache des Nationalikätenkampfes" und der „politischen Unruhe" sei, und ungesetzlicher Handlungen und sogar der Vorbereitung eines Umsturzes beschuldigt wird, erklärt der Volksbund, in keinem Urteil sei er als Urheber der behaupteten Taten bezeichnet worden. Der von Zaleski genannte Abgeordnete Ulih sei überhaupt noch nicht zu der gegen ihn erhobenen Beschuldigung gehört worden.
Hauptzweck des Deutschen Volksbunds ist neben kulturellen Ausgaben der Rechtsschutz seiner Mitglieder. Der Kampf um unsere Rechte als nationale Minderheit richtet sich nicht gegen den Staat, sondern gegen diejenigen Behörden, die die Rechte der deutschen Minderheiten mißachten. Die Verletzung der der deutschen Minderheit verfassungsmäßig und vertragsmäßig verbürgten Rechte durch die Behörden werde u. a. auch durch den Präsidenten der Gemischten Kommission anerkannt. Der offene Brief schließt: Vorwürfe der staatsfeindlichen Gesinnung und Betätigung weisen wir im Namen der im Deutschen Volksbund ohne Unterschied der Parteien, des Bekenntnisses und der sozialen Stellung vereinten Deutschen mit dem ganzen Ernst der von der Richtigkeit ihrer Ueberzeugung und ihrer Handlungsweise durchdrungenen Menschen auf das entschiedenste zurück.
Seit am 20. September 1870 die Italiener durch die berühmte Bresche an der Porta Pia in Rom einzogen, ist es um die Lösun, der damit aufgeworfenen „Römischen Frage" nicht still geworden. Der Eroberungstag wurde für Italien nationaler Feiertag und war lange der Anlaß zu papst- und kirchenfeindlichen Kundgebungen. Erst unter dem Faszismus begann man, an ihm alles zu vermeiden, was den Papst und die Katholiken kränken konnte. Mussolinis erster großer auswärtiger wie innerer Sieg war die Besserung der italienisch-vatikanischen Beziehungen, die gelegentlich des Besuchs des Königs von Spanien in Rom im November 1923 in die Erscheinung trat. Nach 1870 hatte der Papst sein Verbot gegen die Besuche katholischer Herrscher beim König von Italien eingelegt, da er Rom noch immer als seine Hauptstadt betrachtete, so daß z. B. der Kaiser von Oesterreich dem König von Italien dessen Wiener Besuch nicht in der Hauptstadt Italiens wiedererstatten konnte, was viel zu dem inneren Zerwürfnis zwischen Italien und Oesterreich vor dem Krieg beigetragen haf. Als gber der König son^SpWien 1923 in Vom «Io»
ziehen wollte, legte der Papst nicht nur kein Veto ein, sondern empfing ihn sogar mit einem neuen Zeremoniell. Jedenfalls ist es Tatsache, daß Mussolinis Ehrgeiz sich das Ziel der Aussöhnung mit dem Vatikan von Anfang an gesteckt hat. Vielleicht erschien auch dem Papst im Jahr 1923 eine Aussöhnung möglich, natürlich unter der Voraussetzung, die für die Kurie seit 1870 galt. Aber die Ueber- griffe des faszistischen Systems waren jedenfalls einer schnellen Bereinigung nicht zuträglich, im Gegenteil: die anfängliche Entspannung zwischen Staat und Kirche wich schon sehr bald einer neuen außerordentlichen Spannung. Im September 1926, bei der Feier der Bresche der Porta Pia, wurde von vatikanischer Seite an die Ansprüche Napoleons I. erinnert, von der „blinden Halsstarrigkeit der Sekten" gesprochen und Rom zurück oder eine „neue Lage" gefordert, welche die Souveränität und Freiheit der Kirche, also territoriale und politische Gewalt, sichtbarer mache. Mit dem Wort von „den Sekten" war natürlich der Faszismus gemeint, der von Mussolini als die religiöse Reaktion gegen die deutsche Reformation hingestellt worden war. Es hatte nichts genutzt, daß der Diktator in den Schulen den katholischen Religionsunterricht und die Kruzifixe wieder eingeführt und es auf dem Kapitol wie im Kolosseum von neuem hatte anbringen lassen, daß er, der Atheist von einst, öffentlich zur heiligen Jungfrau gebetet hatte. Der Vatikan durchschaute die Absicht und wurde mit Recht verstimmt. Die vatikanische Diplomatie schlug alle Truppen Mussolinis aus dem Feld, am genialsten vor drei Jahren, als Mussolini seinen italienischen Schattenkönig zum Kaiser zu krönen im Sinn hatte. Die katholische Kirche ernannte damals Christus zum Kö.nig, und Mussolini war — wie immer — klug genug, sich zu beugen und zu schweigen. Welch ein Fluch der Lächerlichkeit hätte ja auch ihn und Viktor Emanuel treffen müssen, wenn die Kaiserkrönung dennoch vorgenommen worden wäre! Der Fluch hätte tödlich wirken können.
Trotzdem: Mussolini hat nicht locker gelassen. Wenn man heute wieder von dem Willen der leitenden staatlichen Persönlichkeiten spricht, im „neuen Jahr" mit dem Heiligen Stuhl über die Römische Frage zu einer befriedigenden Lösung zu gelangen, und dabei betont, daß sie „nicht außerhalb der politischen Möglichkeit" liege, daß man „in hohen kirchlichen Kreisen das neue Gerücht wohlwollend registriert" habe, so zeugt das von einer wohlbegründeten Ueberlegung beider Teile, zum Ausgleich zu gelangen. Fragt sich nur, unter welchen Bedingungen. Der Kern des Problems ist eben der: Mussolini hat in den Jahren seiner Herrschaft aus staatspolitischen Gründen alle katholikenfeindlichen Bewegungen und Einrichtungen in Italien beseitigt, Liberale, Sozialisten und Freimaurer, jetzt ist der Faszismus der einzige noch übriggebliebene große Gegner des Vatikans. Der Kaufpreis der Verständigung ist deshalb im Sinn des Vatikans erheblich gestiegen, statt, wie Mussolini einst gehofft haben mag, gefallen. Allerdings der niedere Klerus droht vom faszistischen Lager verschluckt zu werden. Das ist der einzige Trumpf, den Mussolini in Händen hat. Es kommt bei diesem Ringen gewaltiger Kräfte auf den längsten Atem an, den bisher die Kurie gehabt hat.
Neueste Nachrichten
Aufhebung der Immunität des braunschweigischen Landtags- abgeordneken Eroh
Braunschweig, 19. Dez. Der Landtag genehmigte in namentlicher Abstimmung mit 24 gegen 20 Stimmen die Einleitung eines Strafverfahrens gegen den völkischen Landlagsabgeordneten Obersteuersekretär Groh wegen Verstoßes gegen das Gesetz zum Schutz der Republik.
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Die Heimwehr «als Nokpolizei"
Wien, 19. Dez. Der Heimwehrführer Dr. Skeidle hielt hier gestern eine Massenversammlung ab, an der über 5000 Personen teilnahmen und zu der Tausende wegen polizeilicher Sperrung des Saales keinen Einlaß mehr fanden. Die Schwächung der österreichischen Staatsgewalt, hervorgerufen durch die Politisierung der staatlichen Machtorgane, so führte Dr. Skeidle aus, habe zur Bildung der Aot- polizei, der Heimwehr, geführt. Die Heimwehren seien von den Parteien abgerückt, weil die österreichische Partci- politik niemals zur Gesundung führen könne. Die Heimwehren wollten das Bürgertum aufrük? eln und die Arbeiter für denSkaaksgedankeA gewinnen. Die Aufmärsche der Heimwehren sollten deren Stärke zeigen, die Organisationsunlust der Bürgerlichen beseitigen und den Arbeitern zeigen, daß sie bei den Heimwehren Schuh finden. Die Seimwehren Kämpfen nicht gegen den Sozialismus, sondern gegen den Marxismus in Oesterreich, gegen dessen Gewalkmethoden und volksfremde Führer. Die innere Abrüstung, die die Sozialdemokraten jetzt verlangen, könne ihnen als Atempause nicht gewährt werden, weil die Heimwehren den Boden vorbereiten müßten für den Endkampf, der in Vien sein werde. ^