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63. Jahrgang

Montag den 29. Oktober 1928

Fernruf 179

Nummer 254

Fernruf 179

LtMSsrneyel

MeiMklonalisieriiilg der Scheldemündung

Eine der wichtigsten, nicht bloß belgisch-holländische Be­lange angehenden Fragen Westeuropas ist die Scheide­rn ü n d u n g. Ihre Regelung beruht zurzeit noch auf einem im Jahr 1839 zwischen Belgien und Holland abgeschlossenen Vertrag. Nach dem Krieg setzten Bemühungen ein, diesen Vertrag durch ein den Ansprüchen des heutigen Schiffs­verkehrs Rechnung tragendes neues Abkommen zu ersetzen. Es kam auch ein Vertrag zwischen Belgien und Holland zu­stande, der von dem belgischen Parlament und der hollän­dischen Kammer angenommen, dann aber von dem hollän­dischen Senat im April 1927 abgelehnt wurde. Dieser Ver­trag sah vor allem eine Verbindung Antwerpens mit dem Rhein vor, und zwar durch den Kanal RuhrortAntwerpen, der aber infolge der übermäßigen Kosten für Deutschland trotz der Verpflichtung aus dem Friedensvertrag als un­möglich bezeichnet werden konnte, und einen weiteren zwischen der Maas und Antwerpen. Letzterer sollte den für die heutige Schiffahrt unbrauchbar gewordenen Hanswerth- kanal ersetzen.

Der 1927 gefallene Vertrag schien den Holländern bereits allzu viele Zugeständnisse zum Nachteil ihrer Hoheitsrechte zu enthalten. Sie werden, wie es in holländischen Blättern heißt, neue Vertragsverhandlungen nur unter der Be­dingung eingehen, daß die Frage der Hoheitsrechte ganz aus dem Spiel bleibt. Holland fühlt sich hier gedeckt durch England, das ein großes Interesse daran hat, wenn die Scheldemündung in einem Krieg zwischen ihm und dem Kontinent geschlossen ist. Antwerpen in der Hand eines Gegners Englands, ob er nun Frankreich oder Deutschland heißt, ist eine ständige Bedrohung des Jnselreichs: müßte England sich gegen Kriegsschiffe aus der Scheldemündung her selbst schützen, so würde es bei der Unangreifbarkeit Antwerpens vom Meer aus schweren Schaden erleiden. Andererseits würde für den Fall eines Kriegs zwischen Eng­land und Deutschland der Besitz Antwerpens durch England für Deutschland eine ständige Gefahr sein. Deutschland hat also an der Jnternationalisierung der Scheldemündung ein lebenswichtiges Interesse.

Belgien macht inzwischen alle möglichen Anstrengungen, um den Verkehr Antwerpens mit seinem Hinterland zu ver­bessern. Der geplante Kanal AntwerpenLüttich gehört in diesen Rahmen, ferner der Wunsch Belgiens, den Maas­verkehr von Maastricht an verbessert zu sehen. Auch er dürfte in den zukünftigen Vertragsverhandlungen eine Stelle einnehmen. Nach den bisher vorliegenden Zeitungs­meldungen scheint über diesen Punkt nun bald eine Be­sprechung in Aussicht zu stehen. Holland hat aber als der glückliche Besitzer gar kein Interesse daran, die Angelegenheit zu überstürzen. Grundsätzlich hat die holländische Regierung Verhandlungen in Aussicht gestellt. Zuletzt geschah dies in der Thronrede der Königin, aber Belgien wird sich nun nicht mehr lange mit schönen Versprechungen Hinhalten lassen. Cs will endlich Klarheit haben, aber es hat nicht mehr wie bei den Besprechungen über den mißglückten Ver­trag die gleichen Druckmittel in der Hand. Damals stand Holland ziemlich vereinsamt da. Es lebte unter dem Ein­druck der allzu oft ausgesprochenen Annexionswünsche Bel­giens nach dem Krieg und fühlte sich vereinzelt, da Deutsch- lqyd ihm bei seiner geschwächten Stellung keinen Rückhalt mehr bot. Das ist heute anders geworden. Belgien hat nur noch den einen einzigen Trumpf, nämlich den der internationalen Regelung der Schelde- fx a,g e, aber ob es mit einer solchen wirklich ernsthaft rechnen kann, bleibt, da England, wie gesagt, kein augen­blickliches Interesse an der Aenderung der Rechtsverhältnisse an der Scheldemündung hat.

Neueste Nachrichten

Räumungsvorbereikungen?

^ Koblenz. 28. Oktober. Nach dem S. P. soll die ver- bändlerische Rheinlandkommission die Pachtverträge in Koblenz gekündigt haben, um angeblich auf 10. Januar nächsten Jahres nach Wiesbaden, also von der zweiten in die dritte Besetzungszone überzusiedeln. Bis zu diesem Zeitpunkt sollen auch die Besetzungsiruppen der zweiten Zone nach Frankreich oder in die Kolonien gelegt werden. Nach dem Versailler Vertrag muß die zweite Zone spätestens 'am 10. Januar 1930 geräumt sein.

Konkordak und evangelische Kirche Hannover. 28. Oktober. In einem Schreiben an das preußische Staatsministerium wendet sich das Landes­kirchen amt in Hannover als oberste Verwaltungs­behörde der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover gegen einseitige Verhandlungen des Staats mit der römisch- katholischen Kirche. Das Schreiben bringt die Bedenken gegen den Abschluß eines Konkordats zum Ausdruck. Sehe sich die Staatsregierung außerstande, von einem Konkordat mit der katholischen Kirche abzusehen, so sei den evangelischen Kirchen durch alsbaldige Veröffentlichung des Inhalts des beabsichtigten Konkordats ausreichende Gelegenheit zur

Reichspräsident von Hindenburg hak am Samskag die Znkernakionale Lufifahrk-Ausstellung (Zla) in Berlin be­sichtigst

Der aus Sachverständigen und Parlamentariern zu­sammengesetzte Ausschuß zur Prüfung der Frage, ob die Wiederemführung der Veranlagung der Einkommensteuer auf Grund des dreijährigen Durchschnittseinkommens emp­fehlenswert sei. ist in Berlin zusammengekreken.

Aus Anlaß des 100. Todestags von Albrechk Thaer. des ..Vaters der deutschen Landwirtschaft", fand am 26. Okt. in Celle (Hannover) eine große Gedenkfeier statt, die von der »königlichen Landwirkschafksqesellschafk zu Hannover" veranstaltet war. Wegen des Works ..königlich» Hallen viele geladene amtliche Persönlichkeiten die Bekeiliquna abgelehnk. Die Gesellschaft fükrk den allerdings nicht mehr zeitgemäßen Namen seit 150 Zähren.

Die ..Times» behauptet, außer Oberst Bauer befinden sich noch andere deutsche Offiziere in China, die mit der Am- vildung des chinesischen Heers betraut seien. Einige deutsche Offiziere kaben auch Tfchianqkaischek auf seinem Feldzug gegen Peking bealeiksk. Was die englische Prelle da""N Aufbebens macht, ist nicht recht erfindlich. Die chinesische Regierung und MNtärverwakttma. die nicht von England oder einem andern Land abhängig sind können ibre Milikär- instrukkeure wM-n. wo iie w"llen. Wenn T?chiangkaischek dabei deuttche Offiziere bevorzugk hat, so wird er wohl als oeschetter Wann seine Gründe gehabt haben. Die Offiziere des früheren deutschen He--rs aber bgben niemand um die C>-lgbnr« ", tragen, ob sie die chinesische Einladung an- nehmen dürfen.

Geltendmachung von Bedenken, sowie zur Aufstellung ihrer berechtigten Ansprüche zu geben.

Verzicht auf die Transfer-Schuhklausel?

London, 28 Okt.Daily Telegraph" schreibt: Die deutsche Regierung müsse immer noch- für die Ansicht des Dawes- agenten gewonnen werden, daß der baldige Verzicht Deutsch­lands auf die Transfer-Schutzklausel des Dawesplans im Austausch gegen eine Verminderung der Dawesiahreszah- lung sofort den finanziellen Kredit Deutschlands erhöhen und für Deutschland größere und billigere Gelegenheiten auf den Geldmärkten der Welt verschaffen würde. (?) Anscheinend sie eine wachsende Abneigung in einigen Hauptstädten, ins­besondere in Berlin und Paris, vorhanden, Sitz des Finanz­ausschusses zu werden.

Die Transferschutzklausel besagt, daß die Höhe der jähr­lichen deutschen Daweszahlungen ihre Grenze finden an der Sicherung für den Bestand der deutschen Währung, durch die Zahlungen darf also die Beständigkeit der deutschen Währung nicht erschüttert werden. Wenn den Franzosen (und Engländern?) so viel an der Aufhebung dieser Schutz­klausel liegt, damit sie rasch zu möglichst hohen Summen gelangen, so ist dies ein Beweis, daß ihnen die Möglichkeit einer neuen Inflation in Deutschland gleich­gültig, vielleicht sogar willkommen wäre. Reichsregierung und Reichsbank werden daher der französischen Forderung gegenüber sehr vorsichtig sein müssen.

Französisch-polnische Handelsschwierigketten

Warschau, 26. Oktober. Polen hat nicht nur mit Deutsch­land Händel wegen der Handelsbeziehungen, sondern es fordert auch eine gründliche Abänderung seines Handels­vertrags mit Frankreich von 1924. Frankreich führt an­dauernd weit mehr nach Polen aus, als es von Polen be­zieht. Polen verlangt besonders vermehrten Absatz von Kohle, Zement, Holz, Holzerzeugr.issen, Kartoffeln, Sä­mereien, Vieh und Fleisch auf dem französischen Markt. Frankreich will seine Ausfuhr nach Polen auf gleicher Höhe halten, ist jedoch auch zu weiterer Aufnahme bereit. Bezüg­lich des polnischen Viehes und Fleisches sei jedoch nötig, daß Polen entweder einen Vieh- und Fleischbeschauvertrag mit Deutschland als Durchgangsland abschliehe, da Polen ein Hauptherd der Viehseuchen ist, oder daß der polnische Hafen Gdingen für unmittelbare Seetransport« von Vieh aus­gebaut werde.

Mkllemberg

Llukkgark, 28. Okt. Beratung des neuen Be­ll m t e ng e s e tz e s. Der Finanzausschuß des Landtags setzte seine Beratungen bei Art. 27 fort. Art. 27 Abs. 1 wurde in folgender Fassung angenommen:Jeder Beamte hat sein Amt gewissenhaft im Einklang mit der Reichsver­fassung, der Landesverfassung und der sonstigen Rechtsord­nung entsprechend zu versehen." Auf eine Anfrage, welche Beamten zu ihrer Verheiratung die Entschließung der Vor­gesetzten Dienstbehörde einzuholen haben, wurde mitgeteilt, daß im Bereich der Kult-, Wirischafks- und Justizverwal­tung keine Hindernisgründe bestünden, dagegen lege das Innenministerium Wert auf den Art. 34. (Wärterpersonal in den Zerrenanstalten, Polizei- und Landiägerpersonah. Es

wurde ein Eoentualantrag angenommen, der die Sonder­regelung für die Landjäger beseitigte. Unter Zurückstellung einiger Abstimmungen wurde die Vorlage bis auf Art. 37 angenommen.

Kopflosigkeit eines Kraflfahrschülers. Der Mehgermeister Emil Härdtner von Zuffenhausen machte am 22. Juni unter Aufsicht des Fachlehrers in der Wilhelmstraße in Lud­wigsburg Fahrübungen mit einem Kraftwagen. Bei einer Wendung schaltete er statt des Vorwärts- den Rückwärts­gang ein und gab Vollgas, statt die Bremse zu ziehen. Der Wagen sauste auf den Gehweg und fuhr in eine Schar Kinder hinein, von denen ein siebenjähriger Knabe erdrückt wurde. Das Schöffengericht verurteilte Härdtner zu 800 Mark Geldstrafe.

Obgleich erst 22 Zahre alt, ist der Mechaniker Hermann Schofer von Bietigheim mit einer erstaunlich langen Liste von Vergehen wie Zechprellerei, Darlehensschwindel und sieben schweren Diebstählen belastet. Das Urteil des Schöffengerichts lautete auf 2 Jahre 3 Monate Gefängnis.

Aus dem Lande

Steinenbronn OA. Stuttgart, 28. Oktober. Das Auto a u f d e m B ü r g e r st e i g. Abends 6 Uhr fuhr ein Stutt­garter Auto am Ortsausgang auf den Bürgersteig und ver­letzte den eben vom Bahnhof heimkehrenden 17 Jahre alten Maler Hermann Eisenmann erheblich. Er mußte in die Klinik nach Tübingen verbracht werden. Sein rechtes Bein ist zweimal gebrochen.

Waiblingen. 27. Okt. Verhafteter Einbrecher. Den Landjägern der Station Waiblingen ist es gelungen, den Einbrecher, der in letzter Zeit in Waiblingen mehrere Einbrüche verübt hat, in der Person des 22 Jahre alten Hilfsarbeiters Eugen Nollenberger von Fellbach fest- zunehmen. Nollenberger hat bereits mehrere von ihm ver­übte Einbrüche zugegeben. Ob er auch als Mörder des Eisenbahnangestellten Pfund von Rommelshausen auf der Haltestelle in Stetten in Frage kommt, werden die weiteren Vernehmungen ergeben.

ep. Tübingen, 28. Oktober. Von der Universität. Am Donnerstag hielt D. M. SchIun k, Professor für Mis­sionswissenschaft bei der evang.-lheologifchen Fakultät, seine akademische Antrittsrede über das Thema:Die Bedeutung der Missionskonferenz in Jerusalem für Wissenschaft und Leben der Kirche".

Rottweil, 28. Okt. Be st raste r Totschlag. Vom hiesigen Schwurgericht wurde der Hilfsarbeiter Georg Reich von Betzweiler, der im Juli d. I. auf der Straße nach Äistaig den Friseur Ludwig von Villingen hinter­rücks mit einem Schlagring niederschlug, zu der Zuchthaus­strafe von 4 Jahren und S Jahren Ehrverlust verurteilt. In einem weiteren Fall wurde die Dienstmagd Christine Schweikle von Wittlensweiler wegen Kindstötungsver­suchs in zwei Fällen und wegen Kindstötung in einem Fall zu 3 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Angeklagte gab zu, drei Kinder heimlich geboren zu haben.

Herbrazhofen OA. Leutkirch, 27. Oktober. Motorrad- u n fall. Auf der Straße von Unterzeil nach Herbrazhofen stieß ein Motorradfahrer von Leutkirch, der einen vor ihm fahrenden anderen Motorradfahrer überholen wollte und dabei auf die linke Straßenseite ausbog, in der Dämmerung auf nicht beleuchtetes Langholzfuhrwerk, wobei er den Fuhr­mann streifte und selbst an den Borderwagen anprallte. Dem Fuhrmann wurde ein Unterschenkel abgedrückt, während der Fahrer selbst in hohem Bogen aus den vor ihm fahrenden Motorradfahrer stürzte und diesen samt dem Beifahrer über die Skraßenböschung hinunterschleuderte. Während die beiden vorderen Fahrer unverletzt und auch ihr Motorrad unbeschädigt blieb, war der Fahrer, der mit dem Langholzfuhrwerk zusammengestohen war, etwa eine halbe Stunde.bewußtlos.

Wangen i. A., 27. Okt. Verhungert aufgesuri- d e n. Im Wald bei dem bayr. Ort Hergensweiler Fand man einen fast verhungerten, halb erfrorenen und völlig durch­näßten Mann, vermutlich einen Handwerksburschen, der schon seit drei Tagen ohne Nahrung und schützende Unter­kunft in dem Wald gelegen hatte. Er war nicht mehr im­stande, ein Wort zu sprechen. Der Mann wurde durch Mannschaften der Lindauer Sanitätskolonne ins Verbands­krankenhaus nach Hoyren verbracht.

Langenargen a. V.. 27. Oktober. Iäher Tod. Zur Zeit weilt hier eine Straßenbaukommission aus Stuttgart. Die Führung der neuen Verkehrsstraße Friedrichshafen Lindau über Langenargen ist eine beschlossene Sache, doch wird noch geraume Zeit vergehen, bis der Bau in Angriff genommen wird, da die Vermessungsarbeiten viel Zeit in Anspruch nehmen. Ein Mitglied der Kommission, Ober­regierungsrat Hornung aus Stuttgart, fühlte sich letzten > Mittwoch plötzlich von einem Unwohlsein befallen. Er begab sich aus ein Zimmer, das er im Gasthof zumLöwen" be­wohnte. Als ihn die übrigen Herren in seinem Zimmer