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Nummer 249 Fernruf 179
Dienstag den 23. Oktober 1928 Fernruf 179 93. Jahrgang
Ser Artikel 231 gehör! Ml in den ! Versailler Verlrag
Das Schuldgeständms ist erpreßt
Das ist der Rede kurzer Sinn. d. h. des Vorworts zu der soeben erschienenen neuen Auflage des Grey schen Buches: „2 5 Jahre". Lord Grey, der beim Ausbruch des Weltkriegs verantwortliche englische Außenminister, schreibt wörtlich:
„Ich komme nun auf den Artikel im Vertrage von Versailles zu sprechen, der das Eingeständnis erpreßt, daß Deutschland und seine Verbündeten für den Kriegsausbruch verantwortlich wären. Die Frage, die wir uns vorzulegen hüben, ist nicht, ob dieser Artikel der Wahrheit entspricht oder nicht, sondern ob er überhaupt in den Text eines Friedensvertrags ausgenommen werden dürfe, und ob der Effekt ! nicht verderblich war. Ich halte es für sehr be- drruerlich, daßdieserArtikelindenVertrag hineingebracht wurde. Die Absicht scheint gewesen zu sein, den Anspruch auf Reparationen zu stützen. Aber für ! diese Zwecke war der Artikel nicht erforderlich, denn Repa- I rationen werden von einem geschlagenen Feind gewöhnlich I als Selbstverständlichkeit gefordert. Vom moralischen Stand- s Punkt aus ist dieser Artikel zwecklos. Es hat keinerlei mora- 1 lischen Wert, Individuen oder Nationen gewaltmäßig zu zwingen, Schuldbekenntnisse zu unterzeichnen."
Wohl war Grey bei der Abfassung des Versailler Diktats nicht aktiv beteiligt, aber er gehört, ob er es zugeben will oder nicht, zu den Hauptmachern des Kriegs. Denn ohne Greys Einwilligung wäre entweder der Krieg überhaupt nicht ausgebrochen, und wenn es je dennoch geschehen wäre, so hätte derselbe zweifellos einen ganz anderen Verlauf genommen.
Nun gibt derselbe Grey zu, daß Deutschlands Schuldbekenntnis „erpreßt" war; 2. daß der Artikel 231 (von Deutschlands Alleinschuld) rechtlich wie moralisch „zweck- l o s" ist.
Freilich, die Väter des Versailler sog. „Friedensvertrags" dachten ganz anders.
Schon die scharfe Fassung dieses teuflischen Artikels ist außerordentlich bemerkenswert. Lautet er doch:
„Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären i und Deutschland erkennt an, daß Deutschland und seine Verbündeten als Urheber aller Verluste und aller ^ Schäden verantwortlich sind, welche die all. und ; assoz. Regierungen und ihre Angehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Kriegs erlit- - ten haben."
Noch deutlicher wird der Sinn dieses Machwerks, wenn , mai bedenkt, daß der Artikel 231 an die Spitze des 8. Teils s des Diktats, nämlich zur Begründung der in den folgenden i Artikeln geforderten „Wiedergutmachungen" gestellt ist. Nicht wegen des verlorenen Kriegs, von dem Grey
> als Grund der Entschädigungen spricht — nirgends ist im
> Vertrag davon die Rede —, sondern wegen unseres „Verbrechens" wurden wir zu den Entschädigungen verurteilt.
j Das steht ganz besonders klar und deutlich, ja geradezu bru-
> tal in der Mantelno ke vom 16. Juni 1919, einer Urkunde, die, wie wiederholt von Entente-Seite amtlich erklärt wurde, ebenso rechtliche Gültigkeit hat wie das Diktat, dem es als Ultimatum beigegeben wurde. Dort wird ausgeführt, daß wir die Strafen des Vertrags mit Fug und Recht verdient hätten, weil Deutschland sich schuldig gemacht hätte „des größten Verbrechens gegen die Menschheit und die Freiheit der Völker, eines so abscheulichen Verbrechens, wie es noch keine Nation, die sich als eine zivilisierte betrachtet,
! bewußt unternommen" habe. Es sei Tatsache, daß Deutschland „den Krieg gewollt und entfesselt" habe.
! Freilich, heute gibt es wohl keinen ehrlichen Forscher, j diesseits und jenseits des Ozeans, der diese Beschuldigung
: nicht für eine glatte Lüge, zum mindesten aber für eine
, völlig haltlose Unwahrheit erkennt. Die Zahl dieser Wahr-
> heitszeugen dürfte schon die Hundert überschritten haben.
i Es ist gut, daß Grey jene beiden Auffassungen teilt. ° Wenn aber dem so ist, warum weigern sich dann die Regierungen in Paris und London, den Artikel 231 zu streichen? s Warum anders, als weil sie heute noch fest auf dem Skand-
! punkk Poinares stehen, der am 27. November 1920 im
..Temps" erklärt hat: „Wenn tatsächlich nicht die Mittelmächte es sind, die den Krieg, hervor^erusen haben, warum sollten sie dazu verurteilt seiEdchen Schulden zu bezahlen?" Drum klammern sie sich kramtzhaft an die Kriegsschuldlüge.
Ne Variier Lesprechmigen
Wiederaufgreifen des Londoner Zahlungsplans
Ueber die Besprechungen Churchills und Parker i Gilberts mit Poincare in Paris — Gilbert wurde erst zugezogen, nachdem Poincare und Churchill schon fast eine Stunde miteinander verhandelt hatten — sind die rvidersprechendsten Zeitu.ngsberichte verbreitet worden. Lach
Tagesspiegel
Der zum Vorsitzenden der Deukschnakionalen Volksparkei gewählte Geheimrat Hugenberg ist von seinem Amt als Vorsitzender der Fachgruppe Bergbau im Reichsverband der deutschen Industrie zurückgetreten.
Zn der Znfankerieschule in Dresden sind ö Mann an Parakyphus erkrankt.
neueren halbamtlichen Andeutungen greift die französische Regierung grundsätzlich immer wieder auf den Londoner Zahlungsplan zurück. Die deutschen Schuldverpflichtungen sollen zwar „h e r u n t e r g e s e tz t" werden, aber nicht etwa die aus dem Dawesplan sich ergebenden Verpflichtungen, sondern die inLondon seinerzeit festgesetzte Entschädigungsforderung von 132 Milliarden Goldmark. Wobei Frankreich voraussetzt, daß auch Amerika seine Guthaben von den Ententestaaten „entsprechend" herabsetzen werde. Churchill erklärte Poincare, Großbritannien werde alles zurückweisen, was als ein Druck auf Amerika oder auch nur als ein Anruf an die amerikanische Großmut erscheinen könnte. Poincare wiederum bezweifelte, ob die Bereinigung der Schuldenfrage zwischen den europäischen Mächten allein möglich sei. Denn nach der bekannten Note Balfours müsse Deutschland an England so viel bezahlen, als England an Amerika schuldig sei. Frankreich müsse jedoch von Deutschland nicht nur verlangen, was Frankreich an England und Amerika schuldig sei, sondern auch die Kosten für den Wiederaufbau der Kriegsgebiete usw. In gleicher Lage sei B e l g i e n. Deutschland werde sich zweifellos als zahlungsunfähig erklären; es hülle sich seit den letzten Genfer Verhandlungen in ein verdächtiges Schweigen.
Bezüglich der Zusammensetzung des Sachverständigenausschusses schlug Parker Gilbert bedeutende unabhängige Persönlichkeiten vor; als amerikanischer Beobachter soll der Leiter der Elektrizitätsgesellschaft, Owen U o un g, der eigentliche Urheber des Dawesplans, ins Auge gefaßt sein. Churchill und Poincare wünschen wegen der politischen Bedeutung der kommenden Entschädigungsverhandlungen Beamte, die an die Weisungen der beiden Finanzministerien gebunden seien.
Poincare und Churchill möchten, daß die Sachverständigenkonferenz von Deutschland einberufen werde, damit auch Deutschland als der Schuldige dargestellt werden könnte, wenn, was sehr leicht möglich ist, die Konferenz eine Verstimmung Amerikas nach sich zöge. In Genf wurde ja freilich die Enischädigungsfrage der Form nach von der deutschen Vertretung angeschnitten, aber schon lange vorher hat Frankreich darauf gedrängt, damit es das nötige Kleingeld in die Hand bekomme, wenn es im nächsten Jahr 409 Millionen Dollar für überlassenes Kriegsmaterial an Amerika zu zahlen hat. Die Einberufung der Konferenz and die Verantwortung dafür ist also eigentlich Sache der Franzosen. Soviel bis jetzt bekannt ist, soll die Konferenz ja auch in Paris stattfinden. Allerdings soll nicht geleugnet werden, daß auch Deutschland ein großes Interesse daran hätte, daß, wie Poincare wieder hinterlistig erklärt, die deutsche Verpflichtung „herabgesetzt" werden soll. Wenn aber, wie gesagt, die Verminderung ihren Ausgangspunkt vom Londoner Diktat mit seinen 132 Milliarden und nicht vom Dawesplan nehmen soll, dann läuft die Sachverständigenkonferenzwiederaufdenselben Schwindel hinaus wie der Locarnovertrag. Ist das eine Schuldverminderung, wenn man in die Verhandlungen vorher eine unerhört höhere Schuldsumme einzuschmuggeln versucht? Der englischen Unterstützung ist er sicher, und die deutschen Vertreter hofft er, wohl wie in Locarno, überlisten zu können. Wir werden gut daran tut, uns der Konferenz gegenüber, die noch in diesem Winter stattfinden soll, uns vorläufig mit aller Zurückhaltung einzustellen.
Eine Ueberraschung poincares
Paris, 22. Okt. Das Abkommen, das zwischen dem amerikanischen Schatzsekretär Mellon und dem französischen Sondergesandten Verenger über die Rückzahlung der französischen Schulden seinerzeit in Washington abgeschlossen, dessen Bestätigung aber bis jetzt von Poincare in Ueber- sinstimmung mit der Kammer abgelehnt worden ist, ist ' heute von Poincare nun doch zu allgemeiner Ueberrafchung - dem Ministerrat vorgelegt worden. Poincare will dadurch Amerika für die kommenden Entschädi-, gungsverhandlungen günstig für Frau«" reich stimmen. In dem Abkommen, nach dem Frankreich innerhalb 62 Jahren abtragen soll, ist auch vorgesehen, düh die im August nächsten Jahres fülligen 409 Millionen Dollar wesentlich gekürzt würden, wenn Frankreich das Abkommen als Ganzes annimmt.
Der Neuyorker Großbankier Morgan weilt gegenwärtig in ^aris. Es soll sich um Verhandlungen darüber handeln, ob die amerikanischen Banken bereit sind, bei der „Kommerzialisierung", also der Umsetzung der deutschen Dawes- Reichsbahn- und Industrie-Schuldverschreibungen, woran Frankreich so viel gelegen ist, mitzuwirken.
Per Wellglaublger Amerika
Zm Krieg 25 Milliarden Dollar ausgeliehen
Bei der Einweihung eines Denkmals auf dem Schlachtfeld von Fredericksburg im Staat Virginia hielt Präsident Eoolidge eine Rede. Er sagte u. a. Von der amerikanischen Regierung und von amerikanischen Privatleuten seien im Weltkrieg insgesamt 25 Milliarden Dollar (105 Milliarden Goldmark) an das Ausland ausgeliehen worden- Zn dieser Beziehung habe sich der gesunde finanzielle Aufbau der Vereinigten Staaten besonders im Weltkrieg erwiesen. — Zn der Schlacht bei Fredericksburg am 13. Dezember 1863 wurde das Heer der amerikanischen Nordstaaten mTter General Burnside von den Konföderierken (Südstaalen) unter General Lee geschlagen. Nur mit größter Anstrengung, und mit Hilfe deutscher Freiwilligenregimenker und Offiziere konnten die Nordstaaten wieder die Oberhand gewinnen und die endgültige Union der Staaken von Nord- 'merika wiederherstellen.
ßugenberg Parleisührer -
Westarp zrallionrsührer
Berlin, 22. Okt. Der Vertretertag der Deutschnationalen ükspartei wählte den Reichstagsabgeordneten Geheimrat «ugenberg mit großer Mehrheit zum Parteivorsitzen- en. Die Deutschnationale Reichsiagsfraktion sprach dem 'sherigen Frakivns- und Parteiführer Gras Westarp das olle Vertrauen aus. Westarp bleibt also Fraktions- orsitzender. Geheimrat Hugenberg erklärte, daß er die Zahl annehme. Zugleich sprach er dem bisherigen Führer Aras Westarp den wärmsten Dank der Partei aus.
Hilgenbergs Programm , ? '
Nach dem Bericht des „Montag" führte Hugenberg u. a. aus: Deutschland steht vor dem Ergebnis eines falschen politischen Rechenexem p els. Arm an Kraft und Gedanken habe die deutsche Politik es nicht erreichen können, daß sich die Hoffnungen der im wesentlichen von Helfferich durchgeführten Befestigung der deutschen Währung erfüllten. Die Politik Dr. Stresemanns habe nicht alle Möglichkeiten ausgenutzt. Er sei zu voreilig und zu unvorsichtig gewesen. Im Gegensatz zu dem Ziel dieser Politik hätten sich England und Frank- - reich wiedergefunden, und zwar ohne Deutschland. Die entscheidende Frage der deutschen Außenpolitik sei heute nur, ob Deutschland Gefahr laufe, das Schlachtfeld der Welt zu werden. Dies mit allen Mitteln zu verhindern, sei die Aufgabe der deutschen Außenpolitik. In den bisherigen Berichten über die Einleitung neuer Entschädigungs- Verhandlungen könne man nur die Absicht der Gegenseite sehen, uns den einzigen Vorteil des Dawesplans, den Transferschutz (wonach die jährlichen Dawesbarzah- lungen keine solche Höhe erreichen dürfen, daß die Festigkeit der deutschen Währung erschüttert wird. D. Schr.) zu nehmen. Die ernsteste Frage unserer inneren Lage sei die ungeheure Verschuldung. Wenn diese Form der Wirtschaft noch zehn Jahre fortgesetzt werde, sei Deutschland ausverkauft und das Ende der deutschen Wirtschaft da. Es gebe daher nur ein Ziel: die Verbreiterung der Decke der deutschen Wirtschaft. Gelinge.diese Aufgabe nicht, dann drohen eine Arbeitslosigkeit von ooch nie dagewesenem Umfang.
Der heftigste Vorwurf, der einem Politiker gemacht werden könne, sei der, daß er kein Herz für die brei- ten Massen des eigenen Volks habe. Die Politik könne nur mit dem Ziel gemacht werden, die Lebens» Möglichkeiten für die große Masse zu verbessern.
Niemand könne an dem Geist rütteln, der die soziale Fürsorge durchziehe. Er sei aber auf Grund sachlicher wirtschaftlicher Erkenntnis überzeugt, daß im Interesse der Arbeiterschaft selbst an den Formen oder an der Art unserer sozialen Gesetzgebung manches geändert werden müsse. Es fehle nur das Nachdenken darüber, wie ' die soziale Gesetzgebung in bessere Formen gebracht werden könne. Auch müsse verhütet werden, daß die sozialen Ein- nchtungen ein Machtinstrument einer einzelnen Partei oder einer einzelnen Richtung werden. Für die deutsche Landwirtschaft bestehe die Gefahr, daß sie in Hörigkeit des internationalen Kapitals und einzelner parteipolitischer Richtungen gerate. .
Alles materielle Geschehen sei nicht ohne die richtige ge i stlge Einstellung, die deutsche- zu lenken.. Dazu gehöre auch, daß man den Fehlern des parlamentarischen Systems mit den zahllosen und nutzlosen Ausschußberatungen ein Ende mache und die auch im Parla-' ment vorhandenen guten Kräfte für gesunde Arbeit einsetze. ^ Es bleibe Aufgabe der Deutschnationalen Volkspartei, die überparteilichen Kräfte der Wirtschaft und der Wehrverbände anzuregen. . Eine Hoffnung habe. die Deutjchnationale Volkspartei, . und das sei die Angst der Gegner vor der Vera n t w o r t ung. Denn die Verant-'' wprtung bestehe nicht darin» daß man ,K o m p r o nii ssH.
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