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Nummer 243 Fernruf 179
Dienstag den 16. Oktober 1928
Fernruf 179 63. Jahrgang
Sie öfsenlliche Meinung Englands vor dm Krieg
Eine verdienstliche Arbeit, die allseitig Aufsehen erregt, liegt uns in der Doktorschrift von Walter Zimmer- mann vor: „Die englische Presse zum Ausbruch des Weltkriegs. (Verlag Hochschule und Ausland, Berlin-Charlottenburg).
Zimmermann hat, nach den Exemplaren, die die Bibliothek des Britischen Museums in London aufbewahrt und die ihm bereitwillig zur Verfügung gestellt wurden, 53 englische Preßorgane, nämlich 30 Tageszeitungen, 8 Sonntagsblätter, 9 Wochenschriften, 4 Monatsschriften und 2 Vierteljahrsschriften, auf die Haltung hin untersucht, die sie im Juli 1914 zu der Krise eingenommen haben, die zum Weltkrieg führte. Die Untersuchung hat sich nicht nur auf die große und kleine Londoner Presse, sondern auch auf die Provinzpresse erstreckt, und da sie mit ebensoviel Feingefühl wie Vorurteilslosigkeit geführt worden, so kann man wohl sagen, daß sie einen vollständigen und zuverlässigen Querschnitt durch die öffentliche Meinung Englands in den kritischen Wochen vor Kriegsausbruch gibt. Das Ergebnis ist überaus lehrreich für jede weitere Untersuchung, die sich mit der Frage des Kriegsausbruchs befaßt.
Zwischen der deutschen Auffassung vom Ursprung des Kriegs, wie sie von denen vertreten wird, die um die Erkenntnis der Wahrheit ernst und sachlich gerungen haben, und der landläufigen Auffassung unserer Kriegsgegner be- stM ein ULüM-krstckbaren-LEnsAtz^Liefer. Gegrnr^ satz — das ist das Ergebnis von Zimmermanns Untersuchung — hat, soweit England in Betracht kommt, nicht i m m e r b e st a n d e n. „Vielmehr hat ein wesentlicher Teil und in Einzelheiten sogar die Mehrheit der englischen Presse im Juli 1914 über die wichtigsten Ereignisse der ^Vorkriegszeit ganz anders geurteilt, als das heute geschieht. Und zwar nähert sich die englische Presse in diesem Urteil durchweg der heute von deutscher Seite vertretenen Auffassung." Man hat Verständnis für das Vorgehen Oesterreich-Ungarns gegen Serbien, man glaubt an das Bemühen Deutschlands, den Krieg zu lokalisieren, man sieht nicht einmal in der Ablehnung des Greyschen Konferenz-Vorschlages „eine wesrntliche Verschärfung der Lage, noch auch ein Zeichen für den deutschen Kriegswillen."
Erst als der Ausbruch des Kriegs auf dem Festland zur Tatsache geworden ist, beginnt sich die Einstellung der englischen Presse gegenüber Deutschland schroff zu wandeln, hauptsächlich allerdings auch erst in den führenden konservativen Organen. Die formale Kriegserklärung Deutschlands an Rußland gibt die Handhabe zu feindseligen Angriffen auf die deutsche Politik. Aber nicht nur die führende liberale Presse, selbst der konservative „Standard" bleibt auch jetzt noch bei seiner Auffassung, daß Deutschland in den Krieg hineingezwungen worden sei!
Die überwiegende Mehrheit der englischen Presse stellt freilich nach dem 1. August Deutschland als den Friedensbrecher hin und tritt entschlossen an die Seite Frankreichs, Nicht an die Seite Belgiens! Zimmermanns Untersuchung macht es ganz klar, daßEngland auch dann an FrankreichsSeiteindenKriegeingetreten wäre, wenn kein deutscher Soldat die belgische Grenze überschritten hätte. Die angesehene Monatsschrift „Fortnightly Review" stellt im Septemberheft 1914 fest: Selbst wenn Deutschland die belgische Neutralität geachtet hätte, war es nach den von dem britischen Außenminister Grey dargelegten Gesichtspunkten klar, daß seine Pflicht undseineJnteressen Großbritannien dennoch sogleich an die Seite Frankreichs geführt hätten." So ehrlich wqßM^rr damals noch! Erst später, erst als der Schwächling BetM/inn der öffentlichen Meinung Englands das Stichwort gebracht hatte vom „Unrecht, das wir wieder gutmachen würden", fand man es nützlich, die „Verletzung der belgischen Neutralität" als Hauptgrund auszugeben, der England zum Eintritt in den Krieg bewogen habe.
Vor Kriegsausbruch hat die öffentliche Meinung Englands die gleichen Zeitereignisse wesentlich anders gelesen als nachher. Dafür erbringt die verdienstvolle Untersuchung Zimmermanns den aktenmäßigen Beweis. Und noch eins s geht aus ihr klar hervor, wenn es auch im Buch selbst nicht ^ ausgesprochen wird: Wie für Rußland Jswolsky, wie für Frankreich PoincarS. so ist für England Edward Greg i der verantwortliche Kriegsmacher gewe- s sen. Seine Abmachungen mit der französischen Regierung,
> die er vor dem Parlament jahrelang ängstlich geheimgehal- ^ ten, ja sogar abgeleugnet hatte, die nur etwa einem halben « Dutzend Personen bekannt gewesen waren, haben England in
den Krieg hineingezogen, der es seine Stellung als Seemacht s 1 gekostet hat, der wahrscheinlich den Anfang vom Ende des I britischen Weltreichs bedeutet. Dies einwandfreie Ergebnis
> der verdienstvollen Untersuchung ist von ganz besonderem - Reiz in einem Augenblick, wo abermals ein englischer
Tagerspiegel
Die demokratische Reichskagsfraktion wird eine Aende- rung des Pressegesetzes beantragen durch Einführung folgender Bestimmung: „Als verantwortliche Redakteure periodischer Druckschriften dürfen nicht Personen bezeichnet werden. die dem Reichstag oder dem Landtag angehören".
Der Führer der englischen Arbeiterpartei. Macdonald, ist, von Prag kommend, in Berlin eingetrossen.
Das amerikanische Marineamt erhielt von Bord des „Grafen Zeppelin" die Funkmeldung, daß das Luftschiff auf seinem Weg nach Lakehurst die Städte Washington, Baltimore und Philadelphia überfliegen werde. Das Schiss hat bereits Washington nach 6 Uhr abends (D. Z.) überflogen.
Außenminister, Chamberlain, mit der französischen Regierung militärische Abmachungen getroffen hat die er dem Parlament selbst dann noch nicht bekanntzugeben wagen durfte, wo er ihrer in öffentlicher Unterhaussitzung Erwähnung getan hatte.
Wenn aus Austen Chamberlain? Geheimdiplomatie nicht das gleiche Unheil erwächst wie aus der Edward Greys, so darf England und die Welt sich dafür bei den Staatsmännern der Vereinigten Staaten bedanken, Das Verdienst der verantwortlichen Leiter der englischen Staatspolitik ist es wahrhaftig nicht.
-—-Neue Neuern -- Neue-Gesetze-
600 Millionen Fehlbetrag im Reichshaushalk
Im Reichsfinanzministerium wird an Plänen für Steuererhöhungen gearbeitet, die nach Fühlungnahme mit den Reichstagsfraktionen dem Reichskabinett vorgelegt werden sollen. Cs handelt sich in erster Linie um die Erbschafts- und die Biersteuer. Der zu deckende Fehlbetrag des Reichshaushalts übersteigt 600 Millionen Mark, Von Steuersenkungen und Steuererleichterungen ist also keine Rede mehr. — Von der Rationalisierung und Vereinfachung der Verwaltung hört man nichts mehr, obgleich ohne Schaden einige Reichsministerien abgeschafft werden könnten.
In Vorbereitung sind eine Handwerksnovelle, ferner eine Abänderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913, wonach an die Stelle der Staatsangehörigkeit die Reichsangehörigkeit treten und der deutschen Frau nach ihrer Verheiratung die deutsche Roichsanaehöriokeit gelsichert werden soll. Außerdem befinden sich neben der Mablreform und einem Ausführungsqesetz zu 8 48 der Reichsversassima ein Reichsbewahrungs- gesetz, ein Tuberkulosegesek, ein Reickmopotbekengeletz und ein Reichsgesetz über die Lehrerbildung und noch eine ganze Reihe anderer Entwürfe in VorberoU-ung. Endlich wird die Erweiterung der Kartell- und Monopolgesetzgebung erwoaen-
lieber Mangel an Gesetzen und Verordnungen wird man sich in Deutschland nicht mehr beklagen können.
Zur Rede Lloyd Georges
Die Rede, die Lloyd George am 12. Oktober auf dem liberalen Parteitag in Uarmouth gehalten hat, hat in England Aufsehen und Eindruck gemacht, das ist nicht zu bezweifeln. Mit solcher Schärfe ist wohl noch selten ein Politiker von der Bedeutung Lloyd Georges gegen eine englische Regierung zu Felde gezogen. Wenn er es als den Gipfel der Torheit bezeichnet^ Italien vor den Kopf zu stoßen, und einen Hellen Wahnsinn, sich mit Amerika zu Überwerfen: wenn er die Abmachungen mit Frankreich unter dem Deckmantel der „Seeabrüstung" Schwindel und Betrug, den Vergleich der deutschen und französischen Rüstungen einen glatten Unsinn und die heutige Stellung der englischen Politik zum Versailler Vertrag einen offenen Vertragsbruch und eine ernste Gefahr für den Frieden nannte, so ist das schon allerhand.
So erfrischend und erfreulich es aber auch ist, derartige Wahrheiten öffentlich ausgesprochen zu hören, so verhängnisvoll wäre es für uns Deutsche, wenn wir die Tragweite der Worte Lloyd Georges überschätzen und uns durch sie zu allerhand trügerischen Hoffnungen verleiten ließen. Von der jetzt verstärkt einsetzenden Kritik bis zu einer Aende rung der Regierungspolitik ist gerade in England ein sehr weiter Weg. Außerdem: Lloyd George spricht als Redner der Opposition und trägt deshalb die Farbe weit stärker auf, als er es als verantwortliches Mitglied einer Regierung tun würde. Er läßt seinem Temperament und seiner persönlichen Abneigung gegen Frankreich und Pomcare die Zügel schießen, weil er weiß, daß er sich dies Wie Gefahr für die Folgen leisten kann. Solanas die
iLyamverlain, Cushendun und Tyrell am Ruder sind, ist leider nicht damit zu rechnen, daß der Druck der öffentlichen Meinung stark genug ist, um die britische Politik aus dem Schlepptau der französischen zu befreien und wieder selbständig zu machen.
Im allgemeinen muß gesagt werden: Es ist ein Unglück für die Welt, daß viele Staatsmänner erst dann mit der Wahrheit Herausrücken, wenn sie nicht mehr im Amt sind oder auf den Bänken der Opposition sitzen. Bismarck pflegte es anders zu halten.
Neueste Nachrichten
Empfang Pfarrer Siems beim Reichspräsidenten
Berlin, 15. Okt. Reichspräsident v Hindenburg empfing den bisherigen Präsidenten des Volksbunds deutscher Kriegsgräberfürsorge, Pfarrer Sie m, und dankte ihm für seine Tätigkeit. Der Herr Reichspräsident hatte für den Volksbund die allerbesten Wünsche: er sieht seine Arbeit als sehr wichtig für unser Volksleben an und verfolgt sie mit lebhaftem Interesse.
Die deutschen Aerzkekammern gegen eine Ausdehnung des Krankenversicherungszwangs
Berlin, 15. Okt. Auf Grund der Verlautbarungen über Ausdehnung des Zwangs zur Krankenversicherung hat in Berlin eine Beratung von Vertretern sämtlicher deutschen Aerztekammern stattgefunden. Es wurde eine Entschließung gefaßt, in der zum Ausdruck gebracht wird, daß die vereinigten Vertreter aller Aerztekammern Deutschlands eine Ausdehnung des Versicherungszrvangs in der Krankenversicherung über den Kreis solcher Personen hinaus, die sieb nach ihrer gesamten wirtschaftlichen Lage im Krankheitsfall die notwendige Krankenhilfe nicht selbst verschaffen können, nicht nur für überflüssig, sondern für schädlich halten.
Gegen die Vermehrung der technischen Hochschulen
Berlin. 15. Okt. Die Technischen Hochschulen Deutschlands sind feit längerer Zeit überfüllt, sie werden auch von Ausländern stark besucht. Da aber die Heranbildung des Jngenieurnachwuchses in keinem Vergleich zu der Aufnahmefähigkeit der Wirtschaft steht, sordert der Bund der technischen Beamten und Angestellten die Regierung und den Landtag in Preußen in einer Denkschrift auf, der von verschiedenen Seiten erhobenen Forderung zur Errichtung einer neuen Hochschule nicht stattzugeben.
Drei spanische Offiziere in Nizza verhaftet
Paris. 15. Okt. Wie „Petit Parisien" aus Nizza berichtet, hat die Polizei auf Ersuchen der spanischen Regierung drei spanische Offiziere vorläufig verhaftet, und zwar den 62 Jahre alten Oberst a. D. Malcampa und seine beiden Söhne, den Major und den Hauptmann Malcampa. Das Vermögen der drei in Spanien ist angesichts des Verdachts ihrer Beteiligung an dem letzten Komplott beschlagnahmt worden. Das zuständige französische Gericht wird über die Auslieferung bestimmen.
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Der Fall Horan
Paris. 15. Okt. Wie nun durch die Aussagen des amerikanischen Journalisten Horan ermittelt ist, hat er die Kenntnis des Inhalts des Briandschen Geheimschreibens durch einen Pariser Journalisten erhalten, der mit einem jungen Diplomaten des Auswärtigen Amts und einer Maschinenschreiberin in Verbindung stand. Zur Bestechung hatte Horan 10 000 Dollar aufwenden müssen. Er ist inzwischen von Brüssel nach London abgereist.
Die Steubengesellschaft unterstützt die Präsidentschafts- Kandidatur Smith
Neuyork. 15. Okt. Der Ausschuß der Steubengeseü- schafk in Amerika empfahl den Mitgliedern, die Kandidatur Smith bei der kommenden Präsidentschastswahl zu unterstühem
„Sras Zeppelin über dem Landungsplatz.
New Bork, 15. Okt. 9 50 (M.E.Z.) traf „Graf Zeppelin" über der Stadt New Bork ein. 9.38 Uhr (MEZ.) wurde „Graf Zeppelin" bereits in den südlichen Vororten von New Pork gesichtet. Die Kunde, daß das Luftschiff gesichtet wurde, verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die Stadt. New Bork jubelt dem Zeppelin zu.
Mit dem Augenblick des Eintreffens des Zeppelin über New Bork Stadt setzte ein ungeheurer Lärm ein. Sirenen heulten. Arbeiter liefen aus den Fabriken. Im Nu waren die Straßen schwarz von Menschen. Unter nicht enden-