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Nummer 236 Fernruf 179 Montag den 8. Oktober 1928 Fernruf 179 63. Jahrgang

Korruption

lieber die Geschichte der Kriegsanleihe-Schie­bung e n ist es auffallend still geworden. In Blättern, in denen am lautesten über den »Verfall des Hauses Stinnes" geschrieben wurde, liest man darüber kaum ein Wort mehr. Manchem dieser Blätter mag es, je weitere Kreise die Schie- bungsangelgenheit zog und je mehrhochangesehene" Fi- nanzherrn und Banken durch die Untersuchung entlarvt wurden, denn doch nicht ganz wohl zumute geworden sein, o daß man aus sehr gewissen Gründen am liebsten darüber chweigen möchte. Um den Leserkreis zu trösten, bieten ja wieder ausführliche Berichte über Skandalpresse erwünschte Gelegenheit. Item: was bei der Schieberei anfangs nur ein Fall" zu sein schien, hat sich als ansteckende Krankheit er­wiesen, so daß es vielen Hochmögenden angst und bange ge­worden ist, wer wohl noch von der Krankheit ergriffen sein könnte. Man darf deshalb vielleicht heure schon die Ver­mutung wagen, daß keinem derErkrankten" allzu wehe getan werden wird. Das ist um so wahrscheinlicher, als hinter der Schuldfrage ja auch hier die Frage der Ver­antwortlichkeit steht: Haben die verantwortlichen Stellen die erforderliche Sorgfalt beobachtet? Haben sie jetzt erst von den Schiebungen erfahren, oder sind sie schon früher aufmerksam geworden oder gemacht worden? Und wenn ja warum sind sie nicht zeitiger eingeschritten, um das Reich vor Millionenschäden zu bewahren?

Ungeklärt, wie die Dinge noch sind, wird man sich eines kritischen Eingehens auf Einzelheiten zu enthalten haben. Was aber schon jetzt mit aller Schärfe festgestellt werden kann und festgestellt werden muß, das ist der Z u s a m m e ri­tz a n g, worin diese Erscheinungen sich entwickelt haben. Sie sind doch nur ein Ausfluß des korrupten Verhältnisses, das Millionen von Staatsbürgern heute zum Staat haben. Der Staat ist ihnen dazu da, um von ihm zu nehmen, um sich an ihm so oder so zu bereichern, man muß es nur verstehen. Und man braucht auch die letzte Quelle nicht ängstlich zu verdecken, woraus diese erschreckend weitver­breitete Gesinnung fließt: aus der leichtsinnigen Unterwer­fung unter das Diktat der Kriegsgewinner. Diese haben den Staat, der sich ihnen in einer Stunde verhängnisvollen Kleinmuts auf Gnade und Ungnade ausliefrte, zum Schwitz­meister eines Systems der Ausbeutung gemacht. Und der Staat, der es verlernt hat, sich dagegen mit sittlicher Wider­standskraft zu wappnen, erscheint infolgedessen vielen seiner Bürger nur mehr als der große Räuber, dem wieder etwas abzujagen, nur verdienstvoll sein kann.

Wenn die Maßgeblichen über Fragen des öffentlichen Anstands und der Staaksmoral läßlich denken, so ist die nakür- liche Folge davon, daß die Unmaßgeblichen nicht als die Dum­men Zurückbleiben möchten. Die Unterschlagungen öffentlicher Gelder haben doch schon ein solches Ausmaß erreicht, daß die Behörden bereits eine allgemeine Berkrauenskrise für das Sparkapital befürchten. Der Gedanke war zu verführerisch, die Aufwertung des Altbesitzes an Kriegsanleihe zu einem gro­ßen Raubzug gegen den Staatauszuwerten"! Bildet man internationale Trusts, um die Bodenschätze der Erde aus­zubeuten warum nicht zur Abwechslung auch einmal einen internationalen Trust, um die Papierschätze auszu­beuten, die noch in aller Welt herumfliegen? Und wenn Teilhaber der Firma Stinnes auf den Gedanken gekommen wären, einen Teil der Verluste, die sie beim großen Krach des Stinneskonzerns erlitten haben an welchem Krach doch wiederum andere und hochangesehene Mächte des neuen Deutschlands ebenso schwer verdienten wieder auszugleichen, so wäre auch das nicht allzu erstaunlich. Nur daß der Staat schon als Schwitzmeister für die Interessen unserer Dawesgläubiger sich das nicht gefallen lassen kann und unnachsichtlich einschreiten muß soweit durch eine allzu ausgedehnte Untersuchung und allzu rücksichtslose Aufklärung nichthöhere" Interessen der Nutznießer des Staates peinlich in Mitleidenschaft gezogen werden. Siehe Barmat.

Das alles sind Anzeichen einer schleichenden, dafür aber die öffentliche Moral und das sittliche Rückgrat des Staats um so gründlicher zerstörenden Korruption. Korruption ist ein Fremdwort, und es war einmal ehrenvoll für den Staat der Deutschen, daß es in ihm keine bodenständige Bezeich­nung für den Begriff gab, der an diesem Fremdwort haf­tete. Den Stolz darauf werden wir uns wohl abgewöhnen müssen.

Neueste Nachrichten

Der Reichspräsident an das deutsche Rote Kreuz

Berlin, 7. Okt. Reichspräsident von tzindenburg hak anläßlich des am Sonntag, 7. Oktober d. 3., im größten Teile des Reichs stattfindenden Rotkreuztags an den Präsi­denten des deutschen Roten Kreuzes, von Winker- feld-Menkin, folgendes Schreiben gerichtet: «Zum morgigen Rokkreuztag, der durch den 100. Geburtstag des Stifters des Roten Kreuzes, Henry Dunant, in diesem

Tagesfpiegel

Der Reichspräsident hak auf Grund der einstimmig er­folgten Wiederwahl des Generalrats der Reichsbank den bis­herigen Präsidenten Dr. Hjalmar Schacht zum Präsidenten des Reichsbankdirektoriums auf die Dauer von 4 Jahren wiederernannt.

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Die Kommission für die Unterhaltungskosten der fran­zösischen Truppen im Rheinland, die ihren Sitz in Berlin hat und von Zeit zu Zeit zur Erledigung laufender Fragen tagt, tritt aus 1012 Tage im Haag zusammen.

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Der Papst hak 200 deutsche Pilger aus Rheinland und Westfalen empfangen, die ihm eine künstlerische Monstranz überreichten. Der Papst hielt seine Ansprache in deutscher Sprache und drückte seine Freude aus, eine so zahlreiche Abordnunq der Verbände vor sich ru sehen, die hundert­tausend Mitglieder zählen. Er erteilte ihnen den apostoli­schen Segen.

Jahr eine besondere Bedeutung erhält, grüße ich das deutsche Rote Kreuz in dankbarer Anerkennung für seine in opfer­voller Arbeit für das Gesamtwohl geleisteten Dienste. Möge der Rotkreuztag alle Kreise unseres Bolks mit dem ernsten Willen erfüllen, in Krankheit. Sorge und Not einander zu helfen, um in tätiger Nächstenliebe das Bewußtsein eng verbundener Volksgemeinschaft zu fördern und zu stärken, v. Hindenburg^

Gröner und das Kaiserhoch

Berlin, 7. Okt. Neichswehrminister Gröner hak eine Verfügung erlassen, daß Angehörige der Reichswehr Ver­anstaltungen zu verlassen haben, wenn ein Hoch auf den Kaiser oder einen andern der früheren Fürste« dabei aus­gebracht wird.

Die Rent-n der Skandesherren

Berlin, 7. Okt. Wie derB.P.D. meldet, wird Reichs­justizminister Koch in diesem Monat dem Reichskabinett einen Entwurf über die Abfindung standesherr­licher Rentenansprüche vorlegen. Nach dem Vor- gang der preußischen Regierung schlägt der Entwurf im allgemeinen eine Aufwertung von 8 v. H. vor. Als nicht aufwertungsfähig sollen Leibeigenschafts- und Ho- heitsrenten gelten. Die Liegenschaftsrenten sollen bis zu 25 v. H. aufgewertet werden können, wenn Ver­pflichtungen aus Ruhegehältern nachgewiesen werden. In besonderen Fällen kann eine Aufwertung bis zu 40 v. H. er­folgen. Diese hohen Aufwertungssätze sollen z. B. eintreten, wenn aus der Rente eine kulturhistorisch oder gemein­wichtig wertvolle Anlage (Schloß oder Par!) bestritten wird.

Die Mrlschaflsparkei zur Außenpolitik

Berlin, 7. Okt. Der Reichsausschuß und die Abgeord­neten von Reichstag und den Landtagen der Wirtschafts- Partei erklären in einer Entschließung, es sei notwendig, daß die deutsche Außenpolitik in der «Verständigung" mit Frankreich eine größere Zurückhaltung beobachte. Die Partei habe die auf Locarno gesetzten Erwartungen niemals gekeilt und halte den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund mindestens für verfrüht. Anker keinen Um­ständen dürfen von Deutschland irgendwelche Angebote ge­macht werden, die über das Jahr 1835 (wo auch die dritte Besehungszone geräumt sein muß) hinausreichen. - Dis Daweslasten seien in ihrer gegenwärtigen Höhe untragbar, es sei deshalb eine baldige endgültige und annehmbare Regelung zu verlangen.

Die Voruntersuchung über das Münchener Eisenbahnunglück vom 15. Juli abgeschlossen

München, 7. Okt. Die Voruntersuchung über das Eisen­bahnunglück im Münchener Hauptbahnhof am 15. Juli ist nunmehr abgeschlossen. Sie wurde durchgeführt gegen drei Beamte des Stellwerks, gegen den Lokomotivführer und den Heizer des Vorzugs und gegen den Lokomotivführer und den Schaffner des nachfolgenden fahrplanmäßigen Zugs. Das Ergebnis der Voruntersuchung geht nunmehr an die Staatsanwaltschaft zur Erhebung der Anklage.

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Der Schleier lüftet sich

London, 7. Okt. DerDaily Telegraph" ist in der Lage, die ihm von Paris zugesandten drei zwischen London und Paris gewechselten Noten über das Rüstungsabkom- m e n zu veröffentlichen. Danach ist die Anregung zu dem Abkommen von der englischen Regierung ausgegangen, die dabei Frankreich das bedeutende Zugeständnis der Landrüstung (Reserven) und der unbeschränkten Zahl der Tauchboote bis zu 600 Tonnen machte. Sehr bemer­kenswert ist in der Antwort Vriands der Satz, daß im Fall der Ablehnung des Plans Idurch Am.erikg, Italien rM>

Japan) Frankreich und England ihr Zusam­menwirken fort setzen müssen, um eine allgemeine Zustimmungdurch andere Mittel" herbeizuführen oder etwaigen Schwierigkeiten zu begegnen. Allgemein wird der Ausdruck so gedeutet, daß England und Frankreich diplomatisch Zusammengehen und einen politischen und wirtschaftlichen Druck ausüben sollen. Die englische Oeffentlichkeit ist begreiflicherweise stark be­unruhigt, und selbst konservative Blätter stimmen Mac Donald zu, der in einer Rede in Birmingham sagte, es wiederhole sich die Geschichte der kriegsvorbereitenden En­tente von 1806 bis 1914.

Europareise Macdonalds

London, 7. Okt. Dr englische Arbeiterführer Ramfay Macdonald hat gestern eine politische Reise durch Eu­ropa angetreten. In seiner Begleitung befindet sich das dem Unterhaus angehörende Mitglied der Arbeiterpartei Sir Oswald Mosley mit feiner Frau, die eine Tochter Lord Curzons ist. Sie begaben sich zunächst nach Wien, wo sts mit Mitgliedern der österreichischen Regierung zusammen- kamen. Von da fahren sie nach Prag und dann nach Ber- l i n. LautDaily Expreß" wird Macdonald in Berlin eine Ansprache an Mitgliedeer des deutschen Reichstags halten.

Wiederaufleben der Aufstände!n Mexiko

Mexiko, 7. Okt. Die Aufskandsbewegung, die schon er­loschen schien, ist plötzlich an verschiedenen Orlen Mexikos wieder aufgeflammk- Kleinere Städte wurden von Banden überrumpelt und mehrere Eisenbahnzüge angegriffen. Di« Regierung ist entschlossen, das Bandenwesen mit Streng« zu unterdrücken. Im Staat Jalisco wird ein größeres mili­tärisches Vorgehen vorbereitet.

Aufhebung der Enklaven und Exklaven in Württemberg, Baden und Hessen

Karlsruhe, 7. Okt. Die Landesregierungen in Stutt­gart, Karlsruhe und Darmstadt haben sich in den letzten Wochen über die Aufhebung der Enklaven, Exklaven und Kondominate im Weg freier Vereinbarung insoweit verständigt, als die inneren Ministerien der drei Länder mit der Aufnahme von Verhandlungen deswegen beauftragt wurden. Diese Verhandlungen werden sich zu beschäftigen haben mit dem Austausch von in Baden gelegenen würt- tembergischen Gebietsteilen; solche sind das Pfarrdorf Deu­bach, der Weiler Bowiesen, beide zum Oberamt Mer­gentheim gehörend; der Weiler Bruderhof und die Burgfeste Hohentwiel, letztere zum Oberamt Tuttlingen gehörend. Die in Württemberg gelegenen Gebietsteile sind der badische Kondominateanteil an Bernbronn bei Neckarsulm. die Gemeinde Schlüchtern, zum Amt Sprün­gen gehörend und die Gemeinde Adelsreute mit dem Weiler Töpsenhardtbei Ueberlingen. Für die Gebiets­bereinigung zwischen Baden und Hessen kommen in Betracht der Gebietsanteil der Gemeinde Laudenbach bei Weinheim und die Stadt Wimpfenmit drei in Baden gelegenen Höfen.

Inwieweit es möglich ist, bei den demnächst beginnenden Verhandlungen von Vertretern der drei Lander zu einer Verständigung zu kommen, läßt sich zurzeit noch nicht über­sehen. Jedenfalls ist die grundsätzliche Uebereinstimmung über diese Frage bei den Regierungen der drei genannten Länder als ein wesentlicher Fortschritt auf dem Gebiet der Staatsvereinfachung anzusehen.

Internationaler Hausbesitzerkongretz

Wien, 5. Okt. Ende September tagte in Wien der Inter­nationale Hausbesitzerbund, Sitz Paris, auf dem Haus­besitzervereine aus 34 Staaten mit über 6 Millionen Mit­gliedern vertreten waren. Bundeskanzler Dr. Seipel er­klärte, die gegenwärtige Lage, in der sich der Hausbesitz in Oesterreich befinde, sei sehr schlimm und für die ganze Volks­wirtschaft schädlich, die Regierung bemühe sich, die verfehlte Sozialisierung abzubauen. Der Vorsitzende, Lameroux. Paris, führte u. a. aus, man solle sich darüber klar sein, daß der sozialistische Kampf gegen den Hausbesitz ein Kampf gegen das Privateigentum überhaupt sei. Parisi (Italien) teilte mit, das faszistische Italien werde die Wohnungszwangswirtschaft im Juni 1930 auf- heben. Nemeth (Ungarn) wies darauf hin, daß in Ungarn die Zwangsbewirtschaftung bereits aufgehoben worden sei, die Mieten werden im Mai 1929 gerade so hoch sein wie vor dem Krieg. Dadurch haben sich das Baugewerbe, die ganze Industrie und die Kreditfähigkeit des Landes gehoben. Meyer (Holland) teilte mit, durch die Abschaffung des Mietenzwangs in Holland haben sich keine Schwierigkeiten ergeben, aber die Bautätigkeit habe sich stark gehoben.

Der Kongreß schloß mit der Annahme von Entschließun­gen, die besagen: Die Zwangsgesetzgebung in Sachen der Miktev. soll iy dM MydM. «o iM M