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Nummer 169
Fernruf 179
Dienstag den 1«. Juli 1928
Fernruf L7ö
63. Jahrgang
Der Kumps um Mlelemopa
Durch das mitteleuropäische Gebälk knistert diplomatische Krise. Die staatlichen Dachgerüste von 1919 leiden an Einsturzgefahr. Man hatte sich an diesen Zustand schon beinahe gewöhnt, und die internationale Politik der Großmächte schenkte Jahre hindurch dieser kritischen Entwicklung keine besondere Beachtung. Die Paktpolitik der Völkerbundshäupter biß sich im Westen fest, knabberte nervös an den Ostfragen und veranstaltete Ringkämpfe in den verschiedenen Mittelmeerzonen. In Genf manövrierte der Tscheche Be ne sch im Sinn der französischen Marschlinie, die von der leicht entzündbaren Atmosphäre über dem Raum» des ehemaligen österreichich-ungarischen Reichs ablenken wollte.
Aber Mussolinis scharfe Augen ließen sich nicht täuschen. Er spähte nach neuen Möglichkeiten einer aktiven europäischen Außenpolitik unter seiner Führung und fand sie in Mitteleuropa. Im Westen und im Osten konnte er nicht recht mitspielen, im Mittelmeer gab es höästtens einige kleine Achtungserfolge zu holen, was er prompt besorgte. Aber rings um die Donau war mehr zu machen. Und so gab Italien, ehemals erfolgreicher Teilnehmer an dem großen Beutezug des ersten Nachkriegsjahrs, selber die Parole aus: Aenderung der Friedensverträge. Solange nur die Geschädigten von damals aus den Zwangsjacken von St. Germam und Trianan hinausdrängten, nahm man im Laaer Frankreichs und seiner Trabanten di« Sache nicht allzu schwer. Aber die Pläne Italiens bedeuteten für Frankreich einen empfindlichen diplomatischen Schlag.
^ Als Mussolini den Freundschastsbund mit Ungarn vorbereitete und allmählich fester knüpfte, wußte man Bescheid. Budapest wurde das mitteleuropäische Außenfort der italienischen Politik. Die Rollen wurden gut verteilt. Mussolini agierte mit dem Schwergewicht eines- fest in seinen ständen befindlichen Staatswillens. Ungarn zeigte den heroischen Auftrieb der unterdrückten Volksseele und verlangte seine „ewigen Rechte". Die öffentliche Meinung der Welt wurde von den angelsächsischen Ländern her in Bewegung gesellt. Der Londoner Zeitungsmann Rotherme re, der Gelebrte Robert Donald und manche andere sorgten für politisches Trommelfeuer. In der Senatsrede Mussolinis in der ersten Junibälfte erreichte dies Vorgehen somsagen seinen ersten offiziellen stöh»punkt. Kurz darauf erklärte der ungarische Ministermäsident Graf Bethlen in e?ner ilnierreduna m>k dem Vertreter eines deutschen Blatts, daß di» d-nlomatische Navbsrrschaft der Kl-inen Entente in Mitteleuropa gebrochen werden müsse. Auch Deutschland bätte alle Veranlassung, in den mitteleuropäischen Krisenfraaen tätiger zu sein.
Inzwischen erfolgte der Gegenstoß des Benesch- Konzerns, der zwar unter französischem Einfluß steht, aber sich neuerdings gern den Anschein gibt, auch mit Berlin in gemeinsamer Fühlung zu stehen. Das ist freilich nur eine naive Markierung, denn der geistige Führer der Kleiner, Entente will Deutschland von seinen mitteleuropäischen planen völlig fernbnlten. Wäbrend seines Berliner Aufent- halts, und auch noch einige Zeit hinterster, verheim - lichte Benesch die Tatsache, daß er eine mitteleuropäische Interessengemeinschaft mit Anschluß Deutschlands plane. Aber in Bukarest kam es beraus. Die Nachfolgestaaten müßten nun endlich die wirstchaltliche Donanföderation verwirklichen. Das war eine deutliche Spitze gegen Italien, gegen Deutschland, gegen Oesterreich und gegen Ungarn. Sogar der sanfte Seipel protestierte im Nationalrat recht vernehmlich. Oesterreich würde sich niemals vom Deutschen Reich wirtschaftlich und damit auch kulturell trennen.
In Bukarest hatte man mit höhnischer Miene erklärt, eine Anschlußfrage bestehe überhaupt nicht und die Kleine Entente sei zur stüterin aller donauländischen Interessen berufen. Auf der Vukarester Konferenz, fielen recht bitterböse Worte gegen Ungarn. Man sagte Budapest und meinte Rom, man sagte Wien und meinte Berlin. Auf die Dauer wird Deutschland um eine Stellungnahme nicht herumkommen. Die guten Beziehungen nach allen Seiten sind gewiß eine schöne und bequeme außenpolitische Formel; aber auf die Dauer führte diese Passivität doch nur zu Nachteilen in allen stimmelsrichtungen. Die deutschitalienischen Beziehungen können nicht ewig unklar bleiben. Sie dürfen sich vor allem nicht auf bloße Stimmungen gründen. Weder die weltanschauliche Einstellung für oder wider den Faszismus, noch die Südtiroler Volkswunde darf für die deutsch-römische Politik entscheidend sein.
' Daß Deutschland gesinnungsmäßig nicht in den Kreis der europäischen Friedensvertragsfanatiker gehört, versteht sich für uns von selbst. Man darf freilich nicht vergessen, daß sich der von Italien angesteuerte Aenderungskurs zu-- nächst nicht auf den Versailler Vertrag bezieht, sondern auf die italienisch-südlawische Frage und auf den Vertrag von Trianon. Mussolini würde wohl kein Gegner des deutschösterreichischen Zusammenschlusses sein, sofern er für Italien aus einer mitteleuropäischen Umschichtung beträchtlichen Vor- M Sieht. Die italienische PolM beruht keineswegs auf
In der Sitzung des Reichskabinekks am Montag wurden die Vorlagen des Straferlasses, der Senkung der Einkommensteuer und der Stand der Handelsverkragsverhandlungen mit Polen besprochen. Wie verlautet, will Reichsfinanz- minisker Hilferding sich die Ermächtigung geben lassen, die Lohnsteuer schon ab 1. August zu senken.
Anläßlich des 90. Geburtstags des Grafen Zeppelin fand am Sonntag in Friedrichshafen auf der Zeppelinwerfl die Taufe des neuen L. Z. 127 auf den Ramen «Graf Zeppelin" statt. Reichspräsident v. Hindenburg sandte ein Glückwunschtelegramm.
Der Stahlhelmbund und der Bund der Frontsoldaten lehnen in einer Erklärung den 11. August als Nationalfeiertag ab. In einer Entschließung des Bundesvorstands wird mit Befriedigung festgestellt, daß die Reichsregierung so gebildet sei. daß die Sozialdemokratie zur vollen Verantwortung für die Regierung gezwungen sei.
Stimmungen, sondern aus rücksichtslosen und wohlberechnetem eigenen Vorteil. Die Abänderung oder Aufhebung der Friedensverträge für den Donauraum wird auch niemals durch den frommen Gedanken des Selbstbestimmungsrechts der Völker in Schwung kommen, sondern nur durch das Ergebnis einer Stärkeausgleichung neuer Mächtegruppen. Wie bestimmt übrigens Mussolini diese Fragen anfaßt. ergibt sich daraus, daß er sogar schon mit genauen Fristsetzungen herausrückte. Bis 1934 will er soweit sein.
Die Arbeit an den internationalen Verhandlungstischen schreitet nur sehr langsam vorwärts und man darf nicht erwarten, daß der Kampf um die Abänderung der Friedensverträge nur ein kurzer Abschnitt der europäischen Politik bleibe. Vielmehr wird er voraussichtlich das ganze nächste Menschsnaltsr beherrschen. Wir wissen auch heute noch nicht, ob sich die Locarno-Politik als stemmnts auf dem Weg zur internationalen Umgestaltung oder als ein Schritt vorwärts auswirken kann. Das wird sich erst zeigen, wenn die diplomatischen Richtlinien und Absichten aller europäischen Großmächte festliegen.
Einem amerikanischen Zeitungsberichterstatter erzählt Nobile an Bord der ,.C>tta di Milano", der norwegische Meteorologe M a l m g r e n. der den Polarflug mit der „Jtalia" mitmachte, habe sich nach dem Absturz des Luftschiffes das Leben nehmen wollen, da er an keine Möglichkeit der Rettung mehr glaute. Er (Nobile) habe den Gelehrten von seiner Absicht abgebracht. Sie haben dann vom Fleisch eines Eisbären gelebt, den Malmgren danach erlegte. Zum Kochen mußten alle photographischen Apparate verfeuert werden. Malmgren habe sich dann mit zwei italienischen Seeoffizieren aufgemacht, um Hilfe zu suchen; sie seien auf die Insel Foyon gelangt und seitdem verschollen.
Trotz des verhängnisvollen Ausgangs der Luftfahrt, fuhr Nobile fort, es seien doch wissenschaftliche Ergebnisse erzielt worden. Ursprünglich habe er drei Flüge geplant: einen nach Nikolaus U-Land, den zweiten nach dem Pol durch Grönland und den dritten zum Pol mit östlichem Rückflug nach Spitzbergen. Tatsächlich sei die „Jtalia" auf dem westlichen Weg zum Pol und auf dem östlichen zurückgeflogen, dies ganze Polgebiet sei in einem nahezu vier- zigstündigen Flug erkundet worden. Die dabei von dem Physiker Bekonnerk und Prof. Potremole gemachten Beobachtungen seien gerettet: besonders wertvoll seien die Beobachtungen über den „Horizontal-Komponenten des Polarmagnetismus". „Wenn ich nur nicht entschlossen gewesen wäre," schloß Nobile, „die italienische Flagge am Jahrestag von Italiens Eintritt in den Weltkrieg am 24. Mai ISIS aus dem I aufzupflanzen, so wäre das ganze Unglück sicher vermieden worden."
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Nobile erklärt also, nur um die italienische Flagge auf dem Nordpol am Jahrestag von Italiens Eintritt in den Krieg aufzupflanzen, sei er zu dem letzten Unglücksflug aufgestiegen. Damit ist wohl der Höhepunkt des Nobile-Skandals erreicht. D für also sind 29 wertvolle Männer beinahe hoffnungslcw verschollen. Man weiß, daß weder der meteorologische Sachverständige Malmgren noch der Ingenieur Mariano einen Flug an jenem Tag für geraten hielten, und daß sie mit Rücksicht auf die ungüstigen Wettermeldungen davor warnten. Diesem peinlichen Jubiläum zuliebe hat Nobile alle Vernunft außer acht gelassen. Deutlicher konnte Nobile nicht sagen, daß die, Wissenschaft nur ein Deckmantel für einen italienischen Reklameflug war. Man kann die Erbitterung in ganz Norwegen gegen den Nobile-Rummel wohl verstehen, da auch Amundsen, wie aus dem Bericht Nobiles nun hervorgeht, sich lediglich für die italienische Flagge geopfert hat.
Neue Nobile-Opfer
Kaum ist der russische Flieger mit Not, Babuschkin,
zurückgekehrt und Lundborg gerettet, so kommt Li« Nachricht, daß noch ein andrer Helfer vermißt wird. Der Alpenjäger Hauptmann Sora verließ vor etwa 16 Tagen mit einem Hundegespann Nyalesund in östlicher Richtung, um längs der Nordküste des Nordostlandes vorzudringen und zu versuchen, die Viglieri-Gruppe zu erreichen. Die Expedition sollte auf Schneeschuhen über das Eis gehen. Sora hat nur sehr wenig Proviant und Materialien mit. Er wurde von Polarsachverständigen vor der Fahrt gewarnt. Da man nichts von ihm gehört hat, ist man um ihn besorgt.
Man glaubt, daß Sora von Eisbären überfallen und aufgefressen worden ist.
Der Chefingenieur des Luftschiffs „Jtalia", Ceccioni, der sich bei der Viglieri-Gruppe befand, ist seinen Verletzungen erlegen. Zwei weitere Teilnehmer sind schwer erkrankt. Wie Lundborg feststellen konnte, ist die Eisscholle, auf der die Leute sich befinden, weiter geschmolzen, so daß kein Flugzeug mehr darauf landen kann.
Nobile scheint der einzige Teilnehmer der „Jatalia"- Expedition zu sein, der mit dem Leben davonkommt.
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D.r l irch Leutnant Sck cherg gerettete Fliegerhaupt» männ Lundborg teilt mit, daß sein Flugzeug bei der zweiten Landung auf der Eisscholle so stark beschädigt worden sei, daß es als verloren gelten müsse. Bevor Schyberg Lundborg an Bord nahm, fand eine Beratung statt, an der auch die auf der Eisscholle befindlichen Gefährten Nobiles teilnahmen. Auch die Italiener waren der Ansicht, da das kleine Flugzeug Schybergs nur noch einen Mann aufnehmen konnte, daß zuerst Lundborg geborgen werden müsse, da seine große Erfahrung wesentlich zur Rettung der übrigen beitragen könne.
Von dem Eisdnmpfer „Inge 3" soll am 19. Juni beobachtet worden sein, wie ein großes Flugzeug in der Nähe der Bäreninsel ins Meer stürzte. Es könnte sich hiebei nur um das Flugzeug Amundsens handeln; Amundsen wär« demnach auch verloren.
tHmr» SchisssAiU'äck
Gegen 390 Menschen ertrunken
Santiago de Chile, 9. Juli. Auf der Fahrt von Purster Arenas (Magelhaensstraße) nach dem chilenischen Hafen Lebu geriet am 7. Juli der chilenische Truppentransport- dampstr „Angamos" (4500 Tonnen Ladevermögen), der mit Kohlen für Marineschiffe beladen war und gegen 300 Personen an Bord hatte, in einen heftigen Sturm. Die Fahrlinie ist voller Felsen und Klippen und bei Sturm gefährlich. Stundenlang kämpfte das Schiff gegen Sturm und Wellen c n. Da brach das Steuerruder und nun war es hilflos den Wogen preisgegeben. Abends 10 Uhr wurda irr Dampfer nur etwa 300 Meter weit von der Küste ent- >rnt gegen Felsen geschleudert und zerbarst. Unaufhörlich rrti nten die Sirenen, aber der heulende Sturm übertönt« sie; bei der rasenden See wäre auch in der Nacht dem Wrack kaum beizurommen gewesen.
Gegen 1 Uhr nachts begann das Schiff zu sinken und nun wurden die Rettungsboote zu Wasser gelassen. Aber die Boote wurden von den Wellen meist umgeschlagen; um die Boote, Rettungsgürtel, Wrackstücke entspann sich etnr wilder Kampf — dabei fanden fast alle den Tod. Bis jetzt ist nur die Rettung von drei Rekruten bekannt geworden» die ohne jede Kleidung auf Wrackstücken ans Festland geworfen wurden. Der Kapitän erschoß sich und ging mit dem Schiff in die Tiefe.
Der Dampfer „Angamos" war 1890 für die italienisch« Flotte gebaut worden und hieß ursprünglich „Citta di Venezia". Später wurde das Schiff an Chile verkauft; es galt als nicht besonders seetüchtig An Bord der „Angamos" befanden sich u. a. 76 Fahrgäste, zumeist Arbeiter, dis in Regierungsdiensten standen, mit ihren Familien. Bei Punta Chimpel sollen 80 Leichen, meist Frauen und Kinder, an-: geschwemmt worden sein. H,
Neueile Nachrichten
Die unkerelsässischen ehemaligen Kriegskeilnehmer verlangen Zweisprachigkeit
Paris, 9. Juli. Wie Havas aus Straßburg meldet,, haben die unterelsässischen Mitglieder des Nationalverbands der Kriegsteilnehmer in Erstein eine Tagung abgehalten, auf der eine Entschließung angenommen wurde, die verlangt, daß die ministeriellen Verfügungen und im allgemeinen alle Dokumente, die sich auf die Versorgung im Elsaß und in Lothringen wohnenden Kriegsteilnehmer und Hinterbliebenen beziehen, in deutscher und französischer Sprache abgefaßt werden. (
Zwei italienische Minister zurückgekreten i!
Rom, 9. Juli. Finanzminister Volpiund der Minister des öffentlichen Unterrichts, Fedele, sind zurückgetreten. Auf Vorschlag des Ministerpräsidenten Mussolini hat de» König Senator Mosconi zum Finanzminister und der^ gegenwärtiaen Wirtschaft-minister Be Nuss zum WaisteZ,