Momcrn Fettung
des MtrdvcrdeV Nagvratt
Nr 4S MLlvvtrL» -en 30 Junt 1928
Sein Mündel
Originalroman von Rose Bernd
Nachdruck verboten.
Mein lieber Berti
Sie gestatten, daß ich Sie noch einmal so nenne, wie ich es in alter Zeit tat, noch einmal nur, denn wenn dieser Brief in Ihre Hände gelangen wird, werde ich nicht mehr sein. Er wird nur abgeschickt, wenn die Operation, der ich mich unterziehen muß, meinen Tod herbeiführt. Ich fürchte, daß es der Fall sein wird — denn — meine Aerzte zeigen mir eine so auffallende Heiterkeit, eine so große Unbekümmertheit, nachdem sie mich erst gescholten, daß ich so spät zu ihnen kam. Sie wollen wahrscheinlich der Todeskandidatin die Furcht vor dem Tode fortscherzen. Aber sie sagen mir doch, daß es vor jeder Operation ratsam sei, sein Haus zu bestellen. Ich kann nicht sagen, daß mir die Aussicht auf einen nahen Tod keine kalten Schauer über den Rücken laufen läßt — die heroische Geste hat mir nie sehr gut gelegen —. immerhin stehe ich jetzt in der höchsten Blüte meines Daseins und auf dem Gipfel der Erfolge, die mir erreichbar waren. Bon mir, das weiß ich, denn ich kenne die Grenze meines Könnens, können die Erfolge nicht mehr Ubertroffen werden. Sie haben mich auch viel, sehr viel gekostet. Und was danach kommt, kann nur noch ein Rückschritt sein.
Doch nun zum Wichtigsten. Sie haben mir vielleicht noch nicht vergeben, Bert, daß ich Ihnen auf Ihre ernste, ehrliche Werbung damals einen Korb gegeben habe und Sie auch noch mit spöttischen Lorten und ironischen Betrachtungen kränkte. Ach, lieber Freund, das war nur ein klägliches Perschanzen hinter meine eigene Schwäche. Ich wußte damals, daß ich den treuesten Freund verlieren würde, den ich je im Leben gehabt hatte, und es war bitter für auch, ihn hergeben zü müssen. Ach wie gern hätte ich ihn behalten, zum Trost siir alle Misere meines Künstlerdaseins, das nach außen so glänzend schien und nach innen >o öde und leer war. Sie waren mir viel mehr, als Sie es ahnten, nur das eine konnte ich Ihnen, gerade Ihnen nicht geben, was Sie von mir forderten. Und gerade weil Sie mir lieb geworden waren, im edelsten Sinne, nur ganz anders, wie Sie hofften, deshalb durfte ich Ihre Werbung nicht annehmen. Denn — Sie wären sehr unglücklich an meiner Seite geworden, sobald nur der erste Rausch verflogen gewesen wäre. Das weiß ich bestimmt. Und warum? Das will ich Ihnen jetzt erst, angesichts des Todes, beichten, denn nur bei meinem Tode erhalten Sie diese Zeilen.
Also hören Sie mich an, Bert, ich habe Sie belogen. Sie und alle Welt. Ich war nicht, wie ich Ihnen sagte, als nur uns kennenlernten, im gleichen Alter mit Ihnen, also damals achtundzwanzig Jahre, sondern ich zählte bereits achtunddreißig Jahre und jetzt reichlich vierzig, während Sie jetzt dreißig Jahre alt sind. Kosmetische Mittel, und der Zwang meines Berufes, jung zu scheinen, täuschten Ihnen eine Jugend vor, die ich nicht besaß. Sie hatten geglaubt, ich sei jünger als Sie und staunten schon, als ich Ihnen sagte, ich sei so alt wie Sie. Sie wollten es nicht glauben. Wie viel weniger hätten Sie mir geglaubt, daß ich ein volles Jahrzehnt älter war als Sie. Deshalb konnten Sie auch nicht verstehen und wissen, daß meine Gefühle für Sie eher mütterlicher Art waren, wenn ich mich auch in Ihrem männlichen Schutz immer sehr wohl fühlte, weil ich nie einen solchen kennengelernt hatte. Ich danke Ihnen noch heute da
für, daß Sie sich nur von emer w ehrenhaften ritterlichen Seite zeigten. Es hat mir wohl getan nach allen Erfahrungen, die ich mit dem sogenannten starken Geschlecht gemacht habe.
Aber ich durfte Ihnen an jenem Tage nicht einmal bekennen, warum ich Sie abwies, weil es ein Geheimnis bleiben mußte, daß ich schon nahe an die Vierzig war — und — was ich Ihnen heute bekennen will — eine Tochter hatte, die damals schon dreizehn Jahre alt war. Diese Tochter stammte aus meiner kurzen, aber sehr unglücklichen Ehe mit einem Manne, der schon im ersten Jahre unserer Vereint, gung einem schweren Unfall erlag. Wir hatten uns geheiratet, ohne daran zu denken, daß zu einer Ehe vor allen Dm- gen das nötige Einkommen gehört; da es uns fehlte, trieben Not und Sorge die heiße Leidenschaft, die uns zusammen- uhrte, bald zum Hause hinaus. Trotzdem betrauerte ich den rühen Tod meines Mannes herzlich. Ich stand allein mit meinem Kinde, das kaum geboren war, und mußte nun versuchen, für uns beide den Lebensunterhalt zu verdienen und versuchte es auf alle mögliche Art, ohne vorwärtszukommen. Mein Kind mußte ich zu fremden Leuten geben, um arbeiten zu können. Und schließlich versuchte ich es beim Theater. Ich hatte das Glück, eines Abends bei Erkrankung einer berühmten Kollegin für diese einspringen zu dürfen, weil ich fabelhaft schnell lernte und gerade diese Rolle tagelang schon mit größtem Interesse verfolgt hatte. So gelang es mir, mit einem Schlage eine gute Position zu erringen, weil ich gefiel.
Ich kam vorwärts — aber — schwere Kämpfe hat es immer gekostet. Glücklich war ich nur darüber, daß ich meine Tochter zu sehr netten gebildeten Leuten in Pflege geben konnte, deren einziger Sohn in Amerika lebte und die sich in ihrer Einsamkeit nach einem jungen Wesen sehnten. Die größte Bitterkeit aber verursachte mir der Umstand, daß ich die Existenz meiner Tochter verschweigen mußte. Mein Direktor verlangte es. Und je mehr Erfolg ich in meinen sehr jugendlichen Rollen hatte, desto nötiger war es, wie ich einsah, jung zu scheinen. Man durfte nicht erfahren, daß ich schon eine Tochter von damals acht Jahren besaß.
Als ich Sie dannn später kennenlernte, lieber Bert, hätte ich Ihnen oftmals gern von meiner kleinen Reta erzählt, aber da war es schon sehr notwendig für mich geworden, den Schein der Jugend aufrechtzuerhalten. In meinem Rollenfach darf man nicht alt werden. Je mehr ich in den Iungmädchenrollen Erfolg hatte und je mehr die Kritiker meine „sieghafte Jugend" betonten, desto notwendiger war es für mich, zu verschweigen, daß ich Mutter einer schon Heranwachsenden Tochter sei.
Ich durfte mein geliebtes Kind nur ganz im Geheimen sehen, und das hat mir sehr viel Herzweh bereitet, denn ich hing mit ganzer Seele an diesem einzigen Wesen, das zu mir gehörte. Sie glauben nicht, wie einsam man sein kann in einem Leben, in dem alle ein Anrecht auf uns zu Kaden alauben. wäbrend man auf keinen Menschen em
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Anrecht hat. Deshalb schloß ich mich vielleicht gerade so sehr an Sie an und weckte wohl dadurch in Ihnen die Hoffnung auf eine Vereinigung mit mir.
Aber nicht wahr, Bert, jetzt sehen Sie ein, daß ich Sie mit Ihren achtundzwanzig Jahren nicht zum Vater einer dreizehnjährigen Tochter hätte machen können. Ich war mit meinen achtunddreißig Jahren mindestens fünfzehn Jahre zu alt für Sie. Vielleicht hätten Sie das damals nicht einmal eingesehen, aber später wären Sie dann um so unglücklicher geworden. Denn wenn Sie zehn Jahre später ein junger Mann in den besten Jahren gewesen wären, wäre ich eine Matrone von achtundvierzig Jahren gewesen und Sie würden der Stiefvater einer dreiundzwanzigjährigen Tochter gewesen sein. Um Sie damals möglichst schnell von Ihrer Leidenschaft für mich zu kurieren, mußte ich, da ich die Wahrheit verschweigen mußte, Spott und Ironie zu Hilfe nehmen. Damit, das glauben Sie mir, tat ich Ihnen nicht so weh, wie mir selbst. Sie reisten sehr erzürnt und ernüchtert ab — und ich mußte noch damit zufrieden sein. Aber nicht wahr, lieber Bernt, nun, da ich Ihnen diese Beichte abgelegt habe, werden Sie mir nicht mehr zürnen. Ich kenne -Ihre vornehmen Charaktereigenschaften genug, um das als sicher annehmen zu können. So gut kenne ich Sie, daß Sie mich jetzt in meiner Slot mit einer großen Bitte an Sie wende. Und damit komme ich zum eigentlichen Zweck dieses Schreibens.
Sollte ich jetzt sterben, lasse ich meine Tochter ganz einsam und verlassen im Leben zurück. Ihre Pflegeeltern, bei denen sie eine gute Erziehung genossen hat, sind ihrem Sohne nachgezogen, nach Amerika, und ich habe meine Tochter deshalb seit einigen Wochen bei mir, weil ich nicht weiß, wohin mit ihr. Die Trennung fällt mir auch gerade jetzt, da ich krank bin, so schwer, daß ich sie hinausschieben möchte, solange es geht. Aber wenn ich sterbe, steht mein armes Kind dem Leben ganz hilflos gegenüber und ich bin in schwerer Sorge um ihre Zukunft. Keinen Menschen habe ich, dem ich so bedingungslos vertraue wie Ihnen, Bert. Ich kann meiner Tochter ein ganz bescheidenes Vermögen zurücklassen, denn wenn mein Einkommen auch gut war, brauchte ich auch viel. Außerdem wird das Geld durch die täglich fortschreitende Inflation immer mehr entwertet. Wie gesagt, ich bin in großer Angst um das Kind — und — da dachte ich an Sie. Darf ich Sie bitten, Bert, der Vermund meiner Tochter zu werden und sich ihrer ein wenig anzunehmen? Wenn Sie diesen Brief erhalten und ich also nicht mehr bin — darf ich Sie bitten, inständig bitten, schnell nach Berlin zu kommen und sich meiner Tochter anzunehmen? Ich habe noch dieselbe Wohnung, und Sie werden Reta bei Frau Berger, meiner Wirtin, finden. Ich habe meinem Kinde dieser Tage von Ihnen, als von meinem besten, treuesten Freunde erzählt, auf den sie in jeder Lebenslage vertrauen kann. Sie soll ganz bestimmt darauf bauen, daß Sie zu ihr kommen werden, wenn ich „krank im Sanatorium" liege. Daß ich vielleicht sterben muß, wollte ich ihr nicht sagen, nur Frau Berger werde ich die nötige Weisung geben.
Habe ich meinem Kinde zuviel von Ihnen versprochen, lieber Bert? Nein, ich weiß, daß Sie kommen und meine kleine Reta vor völliger Verlassenheit bewahren werden. Irgendwie wird Ihnen das möglich sein. Es sollen Ihnen keine Kosten erwachsen, das kleine Kapital, das ich Reta hinterlasse, wird ausreichen, wenn Sie es gut anlegen, bis ihre Erziehung vollendet ist und sie auf eigenen Füßen stehen kann, sie ist sehr tapfer. Nur einen Menschen soll sie haben, der sie beschützen wird, auf den sie vertrauen kann. Daß Sie dieser Mensch sein werden, darauf baue ich ganz fest. Trotz Ihrer Jugend sind Sie verläßlich und vertrauenswür-
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Dn sollst nicht töten.
10 Novelle von Friedrich M ö l l e n b o f.
Mathilde war jetzt noch schmäler als früher, traurig und blaß, ihre Angen noch dunkler und schattenumrandet.
Spät eines Nachts kam Richard nach Hause; die Fenster waren schon alle dunkel, Rolf und Mathilde schlafen gegangen. Da fühlte er sich erleichtert, beruhigt.
Er nahm ein Buch und begann zu lesen. Er war gefesselt, und als es ihn zu frieren begann, zag er noch einen Mantel an und las weiter.
Da pochte es an die Tür, leise, flehend, und doch hastig und dringlich.
Und ehe er noch „herein" sagen konnte, trat schon Mathilde ins Zimmer, gehetzt und in höchster Erregung, Angst und Entsetzen im fiebrigen Blick.
Sie war nur flüchtig gekleidet, im Nachthemd, hastig ein Tuch um die Schulter geschlagen, bloße Füße. Haare hingen ihr wirr in der Stirn.
Wie Hilfe suchend, mit erhobenen Händen, flehenden Blickes trat sie zitternd Richard entgegen. .
Er hatte sich hastig erhoben, starrte sie an mit erschrockenen Augen.
„Was — willst du? - Was — ist dir?"
Sie bebte zusammen, als weiche etwas von ihr ln seiner Gegenwart. Stumm stand sie da, erschrocken, beschämt, ein armes, hilfloses Lächeln im Antlitz.
Er blickte ihr ernst, fast streng ins Gesicht, aus seiner Stimme klang es wie verhaltener Borwurf:
„Sprich doch! Was willst du?"
Sie war ganz hilflos, verlegen, als sei ihr plötzlich etwas entfallen, was sie eben noch furchtbar bedrängte, Lammelle ratlos:
„Mir war so — furchtbar — ich hatte so — Angst — Sehnsucht —nach dir — ich weiß nicht — o Gott!"
„Aber Mathilde! — Um diese Stunde — und so!"
Nun erst schien ihr das Mangelhafte ihrer Kleidung bewußt zu werden, sie errötete tief, zog hastig fester das Tuch um die Schulter, preßte Füße und Knie zusammen, als wollte sie eines am anderen verbergen, senkte tief ihre Stirn, stammelnd: „O Gott — ich — wußte es nicht. — Es kam so — übr mich — Plötzlich — mußte — zu dir —oh!"
Da tat sie ihm leid und sie war auch rührend schön in all ihrer Hilflosigkeit und Scham, daß er sie schon umschlingen wollte, sie an sich ziehen und küssen.
Doch im letzten Augenblick schoß ihm noch wachsam kluge Ueberlegung durchs Hirn, er beherrschte sich wieder, trat ruhig und ernst zu Mathilde hin, legte ihr nur wie beruhigend leicht den Arm um die Schulter und sagte in überlegen tröstendem Tone: „Sieh, Mathilde, ich freue mich ja deiner Liebe — Zuneigung — wirklich — sehr. — Doch nein — das geht denn nun doch nicht — so — um Mitternacht. Siehst du, Mathilde, — Liebe, das ist e.in ganz zartes Pflänzchen, muß wachsen und werden, langsam, Blättchen um Blättchen — da läßt sich nichts mit Gewalt erreichen, — sonst verdirbt nur alles. Das muß man wachsen und reifen lassen!"
„Ach — das war es ja gar nicht," stammelte sie nun noch hilfloser, trauriger. „Nein — das nicht — nicht allein — ich weißt nicht — o Gott — verzeihe mir nur!"
„Bewahre! Ich habe dir nichts zu verzeihen. Wir wollen nicht von Verzeihen reden. — Ich freue mich ja — wie gesagt — aber jetzt nicht wahr, jetzt bist du so vernünftig, du kleines, dummes Mädel, und gehst zurück in dein Bettchen — und schläfst und träumst recht süß! —
Sieh, du erkältest dich ja!" — Er drängte sie fast zur Türe. „Ganz bloße Füße, du liebes dummes Mädel!" ganz bloße Füße — auf den kalten Fließen. Also gute Nacht! Und schlafe recht wohl!"
„Schlaf wohl," sprach sie leise, kaum hörbar, tonlos.
Dann schob er sie zur Türe. Eine Weile stand er stumm und regungslos, starrte nur irgendwohin in den Winkel, in Nichts. Dann begann er hastig durchs Zimmer zu schreiten, mit großen Schritten aus und nieder.
„Nein, so kann das nicht weitergehen. Was soll daraus werden? Nun kommt sie mir schon ins Zimmer, um Mitternacht, schrecklich! Lieb ich sie denn? — Sie ist mir ganz lieb gewiß — oder vielmehr — sie war es. S'e hat sich mir selber entfremdet — ja — es ist ihre eigene Schuld. Wohin soll das führen? — Liebe? — Das Wort sagt viel — und übrigens. Wenn ich sie wirklich liebte, was wäre denn anders. Heiraten kann ich sie doch nicht. Armer Teufel. Ein armes Mädchen — es wäre Torheit. Ich muß noch studieren, Jahre, — andere Städte, Länder, Menschen. — Mich binden? so jung? — Wozu denn? Tie Welt ist doch so weit Das alles ist sinnloss Ein Ende muß werden. Auch sie wird es bald überwinden, vergessen. Man stirbt nicht so leicht an gebrochenem Herzen.
So schlug er sich durchs Gestrüpp der Gedanken. Das andere aber verschwieg er sich selber. Versenkte es tief in den Abgrund, unterschlug es feig dem Gerichte. Als sei eine Stunde, als sei jener Augenblick nie gewesen.
Wieder stand er still im Zimmer, starrte in irgendein Wesenloses. Und wieder begann er zu schreiten, ruhelos, auf und nieder.
(Fortsetzung folgt.) ,