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Bezirk
werden
Wohnung; Bismarckstraße 68
Nummer 93
Ferrruf 179
Samstag den 21. April 1828
Fernruf 17S
63. Jahrgang
Der Ozean erstmals in oft-westlicher Richtung überflogen — das ist das große Ereignis der letzten Woche. Für uns besonders erfreulich, daß es Deutsche waren, die trotz der vielen abschreckenden Opfer, die vorausgegangen waren, mit Vertrauen auf Gottes Hilfe und die Vorzüglichkeit der deutschen Technik das große Wagnis unternahmen. Was wir anKöhl und v. Hüne- feld, wie auch an ihrem irischen Begleiter Fitzmaurice und mit uns die ganze Menschheit neidlos bewundert, ist Nicht tollkühne Abenteuerlust, die um jeden Preis nach dem Ruhm eines Weltrekords hascht, sondern der sittliche Mut, eine große Idee, an deren Verwirklichung man rückhaltlos glaubt, in die Tat umzusetzen. Das ist jener unüberwindliche Glaube, der Berge versetzen und Ozeane durchqueren kann, dieselbe Kraft, die ehemals einen Kolumbus mit seinen drei ärmlichen Kästen auf den Wellen der Atlantik nach einer neuen, unbekannten Welt trug.
Im Hinblick dieser begeisternden deutschen Großtat wäre es kleinlich, wenn man sich daran aufhalten wollte, daß die Ozeanflieger denn doch nicht ganz das Ziel erreicht hätten, sondern an der Küste Labradors notlanden muhten. Was bedeuten 700 Km. Abstand gegenüber der ungeheuerlichen Tatsache, daß sie in ununterbrochenem, 36^stündigem Flug in Sturm und Nebel und Finsternis den Ozean mit seinen tausend Gefahren bezwangen? Und wenn auch Köhls Herkulestat heute und morgen noch keinen greifbaren Nutzen für Verkehr und Wirtschaft bringt, so gehört sie doch zu jenen Pionierleistungen der Weltgeschichte, die den Anfang zu weiteren praktischen Erfolgen in sich bergen. Darum nochmals: „Ehre, wem Ehre gebühret!"
Aber noch aus einem andern Grund blicken wir seit acht Tagen erwartungsvoll nach Amerika. Wir meinen den Vertragsentwurf, den Präsident Coolidge am 13. April an Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Italien und Japan versandt hat. Hier sollen die sechs Großmächte in feierlichster Form „bedingungslos auf den Krieg verzichten, die Inanspruchnahme des Kriegs zur Lösung internationaler Streitigkeiten verurteilen und die Regelung oder Lösung aller Streitigkeiten (also der politischen wie der rechtlichen) oder Konflikte, welcher Art oder welchen Ursprungs sie auch sein mögen, die zwischen ihnen entstehen, nie anders als durch friedlicheMittel anstreben".
Herrlich! Noch nie dagewesen! Man denke, daß die genannten sechs Großmächte nun auch wirklich ohne Vorbehalte und ohne Abstriche diesen „Kriegsverzichtsentwurf" annehmen — welche geradezu unabsehbaren weltgeschichtlichen Wirkungen würden sich daraus ergeben! Wozu dann noch die Riesenrüstungen zu Wasser, zu Land und in den Lüften? Wie leicht und schnell ließe sich die in Genf seit Jahr und Tag betriebene unnütze Arbeit an der Abrüstungsfrage abschließen! Wie überraschend schnell käme dann Coolidge selbst zu seinem längstersehnten Ziel der Fotten- abrüstung! Ja „wenn" — „aber" die von Amerika eingeladenen Vertragspartner werden ihre Vorbehalte anbringen, und dann könnte auch dieser Versuch zu Wasser werden. Schon hat Frankreich seine Bedenken angemeldet. Und wenn man mitansehen muß, wie die angerufenen Großmächte lustig drauf los rüsten und selbst der gefeierte Antragsteller einen zweiten strategischen (Nikaragua-) Kanal neben dem Panamakanal bauen, feine Marine vermehren, die privaten Munitionsfabriken staatlich unterstützen, das Heer „motorisieren" will, dann erinnert man sich unwillkürlich an jenes bedeutungsvolle Wort: „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube." Auf Anregung des „Friedenszaren" Nikolaus II., der es damals wirklich ernst meinte, wurde seinerzeit der Internationale Schiedsgerichtshof zur Vermeidung von Kriegen im Haag eingesetzt — und dann war es — zwar nicht der Zar, aber eine mächtige Partei in Rußland, die nach längst vorbereiteten Plänen von London und Paris den Weltkrieg zum Ausbruch brachte.
Neben Amerika ist es Italien, das heute unser besonderes Interesse in Anspruch nimmt. Wieder einmal ein Anschlag, dazu noch von besonder Verabscheuungswürdigkeit, "da der Teufelei viele Menschenleben schuldlos und unschuldig zum Opfer gefallen sind. Gegolten hat die ruchlose Tat dem gekrönten und dem ungekrönten König. Der vielgefeierte allmächtige Mussolini, zu dem heute ganz Europa fragend hinhorcht, ist auch der bestgehaßte Mann. Wie oft ist dieser Diktator in Lebensgefahr gewesen. Fast möchte man an seine Unverletzlichkeit glauben. Und wenn je einmal seine Siegfriedsstelle getroffen würde, was würde dann aus Italien werden. Italiens Weltstellung, die sich immer mehr als europäische und afrikanische Großmacht ausMwachsen anschickt, ist zweifellos Mussolinis Werk.
Diese europäische Geltung des Mittelmeerstaats, der sich Herren in Versailles bei der Aufteilung der Welt stiefmütterlich behandelt fühlte, kam in den Ostertagen be- janders dadurch zur Erscheinung, daß verschiedene euro- paische Staatsmänner nacheinander, der rumänische, der griechische, der polnische, der litauische und der ungarische Außenminister gläubig nach Renn aus das Kapital
wallfahrteten, so daß Paris, das seit Kriegsende den politischen Magneten Europas zu markieren gewohnt war, schier vor Neid zerplatzte.
Namentlich war man dort ganz erschrocken über das Wort Mussolinis an den englischen Lord Norther- me re, den bekannten Anwalt des zerfetzten Ungarn: „Ein Vertrag ist keine Gruft. In der Geschichte hat es niemals ewige Verträge gegeben." Mit anderen Worten: Selbst die Verträge von Versailles, Trianon und wie alle die Pariser Vertrags-Vororte heißen, können abgeändert („revidiert") werden. Also, sogar der verantwortliche Führer eines „Siegersstaats", der seinerzeit an jenen famosen Verträgen auf hervorragendem Posten mitgearbeitet hat, wagt es, deren ewige und unverletzliche Gültigkeit in Frage zu stellen! Wo will das hinaus? Ist damit nicht Frankreichs Glaubenssatz und sein „diamantener" Standpunkt gegenüber dem verhaßten Deutschland gefährdet?
Ganz besonders schmerzlich muß es Frankreich berühren, daß sogar der vielgeliebte Pole sich bei Mussolini einstellte. Was hat nicht Frankreich alles an und für den neuen Polenstaat getan. Soviel, daß ihm fast nichts mehr zu tun übrig blieb. Und jetzt wirbt Polens Außenminister Zaleski in höchst eigener Person um Mussolinis Gunst, und der Diktator Polens, Marschall Pilsudski, verleiht dem italienischen Regierungschef den höchsten polnischen Orden, den seit 1921 niemand erhalten hat! Polen will Frankreichs -md aber auch Italiens Freund sein, doch sind heute die beiden „lateinischen Schwestern" wegen des Mittelmeers, des Balkans und des Donaubeckens scharfe Konkurrenten, von denen am Ende doch nur einer der Gegenspieler es gewinnen kann.
Den aufmerksamen Zuschauer bei diesem französisch- italienischen Wettrennen auf dem Balkan macht England. Es hat auch zunächst Dringenderes zu tun: Wahlkämpfe, Arbeitslosigkeit in den Bergwerksgebieten, Widerspenstigkeit der Inder, die mehr Recht haben wollen, und namentlich die Auflehnung Aegyptens. Die Nationalisten dort unter dem neuen Erstminister Nahas Pascha haben einen ziemlich groben Brief nach London geschrieben und dabei herausfordernd angefragt, ob nicht England endlich sein Versprechen von 1922 erfüllen, die britischen Truppen aus Aegypten zurückziehen, den Suezkanal freigeben, den Sudan räumen, kurz mit der angekündigten „Unabhängigkeit" Aegyptens Ernst machen wolle? Baldwin antwortete kurz und leidenschaftslos und wies dabei hin auf die Einschränkungen, die England damals an die besagte Proklamation anknüpfte, namentlich an die Sicherung der Verbindung mit Indien durch den Suezkanal. Inzwischen werden aut die Nationalisten einsehen, daß das kleine Aegypten gegen das allmächtige Albion nicht viel oder gar nichts aus- richten kann. „Das ist nun einmal der Welten Lauf: die Großen fressen die Kleinen auf." So war es von jeher, und es ist vorerst trotz Völkerbund leider wenig Aussicht, daß sich daran etwas ändern werde.
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Berlin. 20. April. Im weiteren Verlauf der Beratung des Ueberwachungsausschusses des Reichstags erklärte Reichsernährungsminister Schiele, es gehe nicht an, von dem ohnedies kärglich ausgefallenen Reichsbeitrag von 30 Millionen Mark für die Förderung des Vieh- und Fleischabsatzes noch 5 Millionen für besondere Zwecke abzuzweigen, wie die preußische Regierung wolle. Die Beihilfe für außerordentliche Ueberschwemmungsschäden sei Sache des Reichs- innen Ministeriums. Die Unwetterschäden seien auf 28 bis
29 Millionen veranschlagt worden und nicht auf 129 Millionen, wie der preußische Vertreter Brecht behauptete. Das Reich hat bereits 21 Millionen für die Unwetterschäden bewilligt, obgleich das Sache der Länder wäre. Wichtiger als Unterstützung in Einzelfällen sei es, der Landwirtschaft überhaupt neue Lebenskraft zu geben. Den preußischen Antrag könne man nicht als eine produktive Anlage bezeichnen, denn auf den Hektar kämen 18 Pfg. Beihilfe.
Eine Entschließung der Deutschnationalen empfiehlt, die
30 Millionen ganz zu belassen, dagegen aus Restmitteln des Reichshaushalts S Millionen besonders für die Unwettergeschädigten zu bewilligen. Eine ähnliche Entschließung wird vom Abg. Hilferding (Soz.) eingebracht. Der Ausschuß beschließt im Sinne dieser Entschließungen, denen der Reichsrat voraussichtlich beitreten wird.
Zu den Richtlinien für die Förderung der Milch und Milcherzeugnisse bemerkt Reichsminister Schiele, es sei schwierig, die Millionen Melker gesundheitlich zu überwachen. Das Milchgesetz werde auf diesem Gebiet manche Verbesserungen schaffen. In Deutschland seien die diesbezüglichen Verhältnisse jedenfalls besser als in manchem andern Land, das seine Produkte nach Deutschland sende. Die Richtlinien wurden darauf genehmigt.
Bezüglich der Eierverwertung sehen die Richtlinien genossenschaftliche Sammelst eilen und
Eierverwertunasaenofsenschafj-n vor, -rlßer-
dem soll für deutsche Frischeier ein Markenschutz durch die gesetzlichen Berufsvertretungen (Landwirtschaftskammern usw.) geschaffen werden. Weiter sollen Mittel aufgewendet werden zur Förderung von Mustergeflü- g e l h a l t u n g e n, zur genossenschaftlichen Beschaffung von Brutapparaten und I u n g h e n n e n, zur Förderung von Geflügelma st betrieben, die ausschließlich deutsches Geflügel mästen, zur Bekämpfung der Geflügelkrankheiten und zur Unterstützung von Versuchs- und aller Anstalten für die Wirtschaftsgeflügelzucht. Minister Schiele wies darauf hin, daß für den Absatz der heimischen Eier außerordentlich große Schwierigkeiten bestehen, und daß die Hälfte der in Deutschland verbrauchten Eier aus dem Ausland kommt. Die Richtlinien werden genehmigt.
Darauf wurden die Richtlinien für Obst und Gemüse behandelt. Die Einfuhr ist, wie Ministerialrat Streil feststellte, von 217 Millionen im Jahr 1913 auf SOS Millionen im Jahr 1927 gestiegen, und die deutschen Erzeuger können ihre Ware nur schwer absetzen. Eine Aenderung sei nur im Einvernehmen mit dem Großhandel möglich.
Neueste Nachrichten
Die Reichsliste der Deutfchnationalen
Berlin, 20. April. An der Spitze der deutschnationalen Reichswahlliste steht Graf Westarp, dann folgen Minister a. D. Wallraf, Frau Müller-Otfried, Walter Lambach, Gutsbesitzer v. Goldacker, der hessische Bauernführer Lind, der Arbeiterführer Hartwig, die Industriellen Haßlacher und Klönne, Geheimrat Quaatz, Or. Reichert, Professor Marrin Spahn (Köln), Harmony für die Beamten, Graf Schulenburg, der bisher in Mecklenburg kandidierte, Or. meck. Hae- dencamp, Landrat a. D. Gerecke für den Verband preußischer Landgemeinden und Verleger Wilhelm Bruhn.
Im Zusammenhang mit ihren Wahlaufrufen veröffentlicht die Deutschnationale Volkspartei eine längere Stellungnahme zur V e r f a s s u n g s f r a g e, in der gefordert wird:
Der Reichspräsident soll zugleich preußischer Staatspräsident sein. Cr soll die preußischen Staatsminister nach den gleichen Grundsätzen wie die Reichsminister berufen und das Recht haben, die Aemter des Reichskanzlers und der preußischen Ministerpräsidenten in eine Hand zu legen. Ferner -»--«WN wird eine Stärkung der verfassungsmäßigen Stellung des Reichspräsidenten verlangt. Er soll das Recht erhalten, sine Regierung zu berufen, deren Fortbestand nicht täglich durch ein Mißtrauensvotum des Parlaments in Frage gestellt werden kann.
Der 1. Mal nn RvnksinnK
Berlin, 20. April. Der Arbeiter-Radio-Bund fvrderk die ^
Uebertragung der Maifeiern, die der Reichsinnenminister von Keudell im vorigen Jahr verboten hat. Bon den neun Sendedirektionen haben bisher fünf geantwortet. Die Mitteldeutsche Rundfunk-A.-G. teilt mit, daß sie ein den Wünschen der Arbeiterschaft entsprechendes Programm für den 1. Mai vorbereite. Ebenso ist die Schlesische Funkstund«
A.-G. Breslau bereit, den 1. Mai zu berücksichtigen. Der Berliner Rundfunk wird zwar kein Festprogramm zusammenstellen, aber es soll ein Borkrag übertragen werden, durch den der Bedeutung des 1. Mai Rechnung getragen werden soll. Auch die „Deutsche Welle" will einen entsprechenden Borkrag in ihr Programm einstigen. Der Westdeutsche Rundfunk beruft sich auf das bestehende Berbok des Innenministeriums, hofft aber, eine Feier des der sozialistischen Weltanschauung nahestehenden Pastors Fritze aus der Trinitatis-Kirche in Köln übertragen zu können. Bon den übrigen Sendedirekkionen ist keine Antwort eingegangen.
Das diplomatische Korps bei Zeiß
Jena, 20. April. Heute mittag trafen 84 Mitglieder des diplomatischen Korps in Berlin, darunter die Botschafter Großbritanniens, Spaniens und der Türkei, mit Sonderzug in Jena ein, um die Zeitzwerke und das Zeiß- planetarium unter Führung des.Geschäftsleiters Prof. Dr. Bauersfeld zu besichtigen. In der Aula der Universität fand eine amtliche Begrüßungsfeier statt, an die sich ein Frühstück schloß.
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Der Sachverständigenberichk über Kzenk-Gollhard
Paris. 20. April. „Matin" berichtet aus Genf, in Völkerbundskreisen gehe das Gerücht, die Sachverständigen in der Maschinengewehrangeleaenheit hätten festgestellt, daß das dem Untersuchungsausschuß vorgelegene unbrauchbar gemachte Material nickt von aus Italien kommenden Maschinengewehren herrühren könne. Der Bericht der Kommission sei allerdings noch nicht geprüft worden. Wenn das Gerücht bestätigt werde, werde wahrscheinlich der vom Völkerbund eingesetzte Dreierausschuß eine neue Untersuchung beantragen.
Englisch-amerikanische Schulden
London. 20. April. Der Umstand, daß Großbritannien noch für 62 Jabre eine Kriegsschuld an die Bereinigtest