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Nummer 79 Fernruf 179
Dienstag de» 3. April 1928
Fernruf 17V 63. Jahrgang
Die ofk gehörte Klage über die Gleichgüstigkeit der Neutralen gegen die wissenschaftliche Erforschung der Kriegsursachen ist nicht mehr berechtigt. Ein soeben in Oslo erschienenes Buch „Neutrale Komitees und Gelehrte über die Kriegsschuld", herausgegeben von dem norwegischen Neutralen Komitee zur Erforschung der Kriegsschuld, kommt der deutschen Forschung zu Hilfe und geht mit den Verbands« machten gründlich ins Gericht.
Der amerikanische Senator N. L. Owen hat im Dezember 1925 an den Sekretär der norwegischen Kommission zur Erforschung der Kriegsursachen, Dr. Aall, zwei Fragen gerichtet:
1. ob die Friedensverträge von 1919 auf der Voraussetzung beruhten, daß die besiegten Mächtegruppen die alleinige Verantwortung für den Krieg trügen:
2. ob diese Voraussetzung mit den Tatsachen überein st imme.
Herr Aall gab die Fragen an Komitees und Einzel- s Personen in der Schweiz, in Holland, Finnland, Schweden und Norwegen weiter und veröffentlicht nun die eingelaufenen neunzehn Antworten. Sämtliche b"e jähen die erste Frage und verneinen bis auf zwei die zweite, aber auch diese beiden, denken nicht daran, die Anklagen gegen Deutschland aufrechtzuerhalten, sondern lehnen nur die Beantwortung ab, weil noch nicht alles Quellenmaterial bekannt sei.
Weitaus die meisten Antworten sind kurz und geben nur die Anschauung der Befragten wieder, der Herausgeber Dr. Aall begründet dagegen sein Urteil mit einer sorgfältigen, vierhundert Seiten starken historischen Untersuchung aller mit der Kriegsschuld zusammenhängenden Fragen. Der Verfasser verwirft nicht nur die Behauptungen der Verbandsmächte, er kehrt sie geradezu um und tritt für ihre Alleinschuld und die absolute Schuldlosigkeit der Mittelmächte ein.
Nach genauer Betrachtung der weiteren Vorkriegsgeschichte, insbesondere der marokkanischen und orientalischen Angelegenheit, kommt er zu dem Schluß, daß Deutschland und Oe st erreich ausschließlich Ziele der Verteidigung vertraten und wirtschaftlich durch einen Krieg nur verlieren konnten, während die Verbandsmächte „sich darüber klar waren, daß ihre politischen Ziele nur durch einen allgemeinen europäischen Krieg erreichbar waren, und daß sie demgemäß draufhingearbeitet haben". Diese „R ä u b e r m o r a l" Englands, Frankreichs, Rußlands und Italiens, die sich gegenseitig f.eie Hand liehen zu Eroberungen in Marokko, der Türkei, Aegypten, den deutschen Kolonien und Oesterreich-Ungarn, war der wahre Grund zum Krieg.
Auch die Haltung der Verbandsmächte in der entscheidenden Julikrise beleuchtet er bis ins einzelne mit dem-
> selben vernichtenden Ergebnis. Schonungslos deckt er die ' von Rußland geförderte und von den übrigen Verbands- ) staaten wohlwollend geduldeten verbrecherischen serbi- s schen Umtriebe in den österreichisch-ungarischen Ländern « auf; die Forderungen der Mittelmächte in dieser Frage, lagt
er, bezweckten die Erhaltung der Rechtsgrundsätze in den internationalen Beziehungen, die Verbandsmächte dagegen wollten ihre politischen selbstsüchtigen Interessen selbst gegen die einfachsten Rechtsgrundsätze mit Gewalt durchsetzen.- Mit beißender Ironie stellt erdieUnehrlichkeitdereng- lischen „Vermittlungspoliti k", die tatsächlich den Krieg unter ungünstigen Umständen für die Mittelmächte erstrebte, an den Pranger, ebenso die Heuchelei der britischen Regierung in der Behandlung der belgischen Frage und in der Bearbeitung der öffentlichen Mei- ! nung. Mit stärkstem Nachdruck weist er wiederholt darauf
> hin, daß Lord Grey es in der Hand gehabt hätte, den
> Frieden zu behaupten, wenn er von Rußland bestimmt Unterlassung militärischer Vorbereitungen verlangt hätte, und daß er eine solche Forderung hätte stellen müssen, wenn ihm
j an einem gerechten Ausgleich zwischen den streitenden
i Parteien gelegen war; da Greys Politik aber bewußt
ungerecht und kriegerisch war, so hat er diese Forderung nicht gestellt, vielmehr Rußland zu kriegerischen Rüstungen ermuntert und somit nicht dem Frieden, sondern dem Krieg gedient.
Nicht besser als die Vorkriegspolitik der Verbandsmächte bestehen ihre Machenschaften imKrieg. Alle ihre Argumente gegen Deutschland zerpflückt er mit Sachkenntnis und zum Teil mit grimmigem Humor. Das Märchen vom deutschen Militarismus, der nach der Welteroberung gestrebt habe, wies er als gemeine Lüge nach durch die Darstellung der Machtverhältnisse zu Wasser und zu Lande hüben und drüben; die Behauptung der Verbandsmächte, die kleinen Staaten gegen Deutschlands Unterdrückungspolitik schützen zu müssen, könne nur derjenige ernst nehmen, der das Völ- s kerrecht lese wie der Teufel die Bibel; vollends lächerlich sei Hie „Erhaltung des Gleichgewichts" im englischen Mund^da
Tagesspiegel
Reichspräsident v. Hindenburg ist in den Oskerurlaub nach Hannover abgereist. Am Sonntag wohnte der Reichs- Präsident der Konfirmation seiner Enkelin Christa Rlaria, Tochter des Majors v. Penh, in Lüne bei Lüneburg an.
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Reichskanzler Dr. Marx wird nach der Sitzung des Vorstands der Zenkrumspartei am 12. oder 13. April einen Urlaub ankreten.
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Der Präsident des Statistischen Reichsamks. Geheimrak Prof. Dr. Wagemann, ist wieder zum Reichslagswahlleiker ernannt worden.
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Rach der „V. Z." ist der Antrag der Tariferhöhung beim Reichsverkehrsminiskerium von der Reichsbahn noch nicht eingereicht. Da die Prüfung der zu erwartenden Denkschrift längere Zeit beanspruchen würde, so sei vor dem 1. Oktober d. I. keine Tariferhöhung zu erwarten, selbst wenn die Erhöhung von der Reichsregierung genehmigt würde.
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Die polnisch-litauischen Verständigungsverhandlungen ln Königsberg lassen bis jetzt noch nicht viel Verständigung vew spüren.
Englands Ziel gerade ja die Erlangung der avjolulen Seeherrschaft stets gewesen.
Auf demselben tiefen moralischen Punkt steht die Poli- t i k W i l s o n s. Er hat sich gegen Deutschland derUntreue schuldig gemacht, die Friedensdiktate von 1919 sind auf unehrlichem Weg zustande gekommen, und an diesem faulen Holz können nur faule Früchte wachsen. Nicht nur sind die Friedensbedingungen von sich aus verwerflich, auch der aus denselben Verhandlungen entstandene Völkerbund ist wurzelfaul: er ist nicht etwa, wie seine Gründer mit tönenden Worten der Welt verkündeten, bestimmt, die Rechte der kleinen Völker zuschützen, sondern zuknech- ten. Früher hatten die Kleinstaaten das Recht der Neutralität, jetzt nicht mehr; die Kleinstaaten sind daher den Großmächten untergeordnet worden, und den Großmächten gegenüber ist der Bund machtlos. Der Völkerbund ist vielmehr ein Instrument der Großmachtpolitik geworden; er ist von ihnen ins Leben gerusen worden, um das von ihnen aufgerichtete Unrecht zu schützen, er ist somit außerstande, Abrüstung, Schiedsgericht u -> Gerechtigkeit zu erzwingen, wie Aegypten und Griechenland erfahren haben.
Wohin man also blickt, auf den Ursprung oder die Folgen des Weltkriegs: überall sieht man ein ungeheures Unrecht auf seiten der Verbands möchte — und, wie der Verfasser mit anerkennenswerter Sachlichkeit hinzufügt, auf seiten der Neutralen: Unrecht zulassen ist soviel, wie daran teilnehmen. Die Großmächte bekamen in ihrer Politik nicht die Zurechtweisung, die eine ehrliche Sprache für sie bedeutet hätte. Sie nahmen nicht nur des Aermsten Lamm, sondern auch des Unschuldigen Leben (durch die barbarische Hungü blockade), ohne daß ein Prophet aufstand und ihnen die Wahrhest sagte. Die neutralen Staaten machten s i ck, zu Mitschuldigen des Unrechts, indem sie es duldeten" Ein Friede kann auf solchem Grund nicht erstehen; nicht nur die betroffenen Völker, sondern alle, denen wahrer Friede am Herzen liegt, müssen die Beseitigun der Friedensdiktate erstreben. Nur die Beseitigung der Friedensdiktate kann also Europa Frieden verschaffen: „Der Weg zum Frieden geht nu- durch die Gerechtigkeit, und der zur Gerechtigkeit durch dir Wahrheit."
Nur ein kurzer Hinwegs aus den reichen Inhalt des Buchs sollte hier gegeben werden; jeder Deutsche, der das Buch liest, wird mit Dank das Verständnis empfinden, das hier unierm Volk und unserer Lage entgegengebracht wird, und, sofern er selbst dis Kriegs'chuidfrage wissenschaftlich zu erörtern wünscht, wird er oarin willkommene Anregung und Belehrung finden.
Neueste Nachrichten
Das Geistlichen-Verboi in Neukölln
Berlin. 2. April. Bor einiger Zeik wurden bekanntlich in den Krankenhäusern von Berlin-Neukölln nicht nur das gemeinsame Tischgebet der Pflegeschwcstern, sondern auch die Krankenbesuche der Geistlichen verboten. Die Beschwerden der Schwestern, der Geistlichen und der christlichen Einwohnerschaft wurden abgewiesen und die Maßnahmen der Krankenhausabteilung von der preußischen Behörde bestätigt. Nun fanden am Sonntag im Zirkus Busch und im Lust' garten zwei Katholikenversammlungen statt; die gegen das Geistlichenverbot scharfen Widerspruch erhoben. Der preußische Oberpräsident hat zwar das Geistlichenverbok, das der kommunistische Stadtrat Schminke veranlaßt hakte, aufgehoben, die Versammlungen erklärten dies aber für unbefriedigend. Stürme der Entrüstung entfachte die Mitkelluna. daß der Magistrat von Gxoß-PerlU echMkHat,
er könne nicht eingreifen. Nach Schluß der Versammlung fand in der Hedwigskirche ein Gottesdienst stakt, in dem Weihbischof Dr. Deitmer gegen das Verbot Stellung nahm.
Haftbefehl gegen kommunistische Reichskagsabgeordneke
Leipzig, 2. April. Nachdem der Reichstag aufgelöst worden ist, hat der Reichsanwalt gegen die kommunistischen Abgeordneten Stöcker, Kähnen, Hörnle, Heckert, Remmele und Pfeiffer, die sich verborgen halten, Haftbefehl wegen Hochverrats beantragt. Die Verhandlung vor dem Reichsgericht ist auf 9. Mai anberaumt.
Einweihung einer Kaiser Karl-Gedächkniskafel
Wien, 2. April. In der Michaeler-Kirche fand gestern die Weihe einer Kaiser Karl-Gedächtnistafel statt. Der Feier wohnten etwa 1000 Personen an, darunter Mitglieder des Kaiserhauses, viele Offiziere, Beamte und Vertreter des ungarischen Adels. An der Spitze des Denkmal-Ausschusses standen Bundeskanzler Dr. Seipel und Kardinal Dr. Pisst. Dr. Seipel, der an Grippe erkrankt ist, nahm an der'Feier persönlich nicht teil.
Briands neue Note an Kellogg
Paris, 2. April. Briand hat durch den Botschafter Claudel eine neue Note in Sachen des Abkommens gegen den Krieg der Regierung in Washington übergeben lassen. Zn gewundenen Redensarten, die die schweren Gegensätze zwischen dem französischen und dem amerikanischen Standpunkt höflich verschleiern sollen, erklärt Briand, es sei notwendig, sich an die wichtigsten Punkte der Wirklichkeitspolitik zu halten. Er habe, um Amerika entgegenzukommen, eingewrl- ligk, daß der Vertrag auch mit anderen Staaten (vielseitig) und nicht nur mit Frankreich (zweiseitig) abgeschlossen werde, aber gerade deshalb könne auch der Vertrag nicht unbedingt, sondern nur für einen Angriffskrieg bindend sein. Würde Kellogg auf dieser Forderung beharren, so müßte Frankreich feine Zustimmung verweigern. Unter dem Vorbehalt der Verpflichtungen Frankreichs in bezug auf den Völkerbund, auf die Verträge von Locarno und auf Verträge der Neukralitätsbürgschask sei Frankreich indessen bereit, die amerikanische Änregung als gemeinsame Grundlage mit der deutschen, englischen, italienischen und japanischen Regierung anzunehmen. Sollten aber die andern Staaken, die in die Lage kommen können, schwere Streitfälle mit einem der Mitunkerzeichner zu haben (z. B. Polen gegen Deutschland), dem Vertrag nicht gleichfalls i beitreken, so könne der Vertrag gegenüber einem Unterzeichnerstaat nicht wirksam sein. Sollte ferner einer der unterzeichnenden Staaken sein Versprechen nicht halten, so müssen auch die andern Staaten von ihren Verpflichtungen gegenüber dem betreffenden Staat von ihren Verpflichtungen befreit sein. Dies Recht zur Verteidigung im Rahmen der bestehenden Verträge dürfe nicht eingeschränkt werden.
Der dunklen Rede Sinn ist einfach: Briand will gegen Deutschland sich alle Möglichkeiten frei halten, natürlich „im Rahmen der bestehenden Verträge".
Die amerikanischen Blätter sprechen die Hoffnung aus, daß sich eine Formel finden lassen werde, die nicht nur Frankreich, sondern auch alle andern Mächte befriedige. Allerdings werde Amerika nicht allen Bedingungen Briands zustimmen können, namentlich hinsichtlich der „gerechtfertigten Verteidigungskriege". Staatssekretär Kellogg sagte, der «Tribüne" zufolge, bei §er Besprechung der Note etwas spöttisch, soviel er sich erinnere, sei noch nicht festgestellk worden, wer im Weltkrieg der Angreifer war.
Die südafrikanische Eingeborenenpolikik
Kapstadt, 2. April. Der im Völkerbund gemachte Vorschlag, die überschüssige Eingeborenenbevölkerung von Südafrika nach dem „Mandatsgebiet", d. h. nach dem früheren Deutsch-Südwestafrika überzuführen, hat in Deutsch-Südwest starke Erregung hervorgerufen und der „Advertiser" erklärt, was in Kapstadt oder Genf auch ausgeklügelt werde, ohche die Erlaubnis der eigenen Bevölkerung dürfe kein fremder Eingeborener die Grenzen Südafrikas überschreiten. Besonders erregt sind diese Eingeborenen selbst, da sie befürchten, daß sie mit Gewalt nach Südwest verbracht werden sollen. Der britische Generalgouverneur mußte eine Reise in das Eingeborenengebiet unternehmen, um die Eingeborenen zu beruhigen.
Vormarsch Tschangkraischeks gegen Peking
London, 2. April. „Times" berichtet aus Schanghai: Der nationalistische Vormarsch gegen Peking scheint begonnen zu haben. Der Oberbefehlshaber Tschangkaischek und der Stab des nationalistischen Hauptquartiers haben den Hangtse überschritten und gehen nach Hauksehaufu, dem Knotenpunkt der Tientsin-Fukau- und der Lunghaibahnen. Andere Truppen marschieren in nördlicher Richtung auf der Peking-Hankau-Bahn zur Unterstützung Fenghjusiangs vor. Dem Berichterstatter zufolge ist die Fengpartei in Nanking jetzt sehr stark.
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