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Nummer 65
Fernruf 17S
Samstag den 17. März 1828
Fernruf 17S
63. Jahrgang
So dankt Moskau!
Das ist der erste Eindruck, den jeder erhält, wenn er von der Verhaftung deutscher Ingenieure im Donezbecken liest. Wohl ist ja uns der Tatbestand noch nicht genau bekannt. Es ist selbstverständlich, daß der Ausländer sich den Gesetzen eines Landes fügen muß und daß der ausländische Verbrecher genau so wie der inländische dem Arme der Gerechtigkeit unnachsichtlich verfällt. Aber es liegt im Interesse freundschaftlicher internationaler Beziehungen, daß solche Fälle so rasch als nur möglich aufgeklärt und die beteiligte Regierung auf kürzestem Wege davon in Kenntnis gesetzt werde.
Von all dem aber keine Spur. Moskau hüllt sich in tiefstes Schweigen ein. Nur der Volksälteste Raykow hat in einer Rede im Moskauer Rat von der Beteiligung deutscher und englischer Fachleute, nicht ihrer Firmen, an einer Verschwörung von „Monarchisten, russischen ^Kadetten und anderer gegenrevolutionären Parteien" geheimnisvolle Andeutungen gemacht. Es ist eben sehr unwahrscheinlich, daß deutsche Ingenieure, die erst ganz kurz in Rußland sind, an solchen gefährlichen Unternehmungen sich beteiligen, geradezu unwahr aber, daß sie, wie russische Blätter meldeten, „seit Jahren" (!) zahlreiche Brandstiftungen, Explosionen und Überschwemmungen im Donezer Kohlengebiet verbrochen haben sollen. —
Wahr aber ist, daß Fachleute, russische oder ausländische, einen ungeheuren schweren, geradezu unerträglichen Stand gegenüber dem völlig unkultivierten und brutalen Proletariat in diesen Werken haben, so sehr, daß es schwer fällt, sogar aus der Hauptstadt russische Fachleute in die Provinzen hinauszubringen und daß dort nicht selten diese Aerm- sten S^bstmord begangen haben, weil es einfach nicht mehr auszuhalten war. In diesem Umstand vermuten auch wir die eigentliche Ursache für die Verhaftung der deutschen Ingenieure.
Wie war es nur mit den deutschen Studenten, die vor Jahren verhaftet und nach langwierigen Verhandlungen endlich wieder sreigegeben worden waren? Und wie mit dem Prozeß gegen die deutschen Fachleute des Trusts „Dunsukno" in Munajewzy? Diese bedauernswerten, völlig unschuldigen Männer wurden schon am 24. Nov. 1924 verhaftet und mußten viele Monate in den entsetzlichen sowjetrussischen Gefängnissen schmachten, bis endlich am 27. Febr. 1927 ihre völlige Freisprechung erfolgte. Und warum? weil der Sowjet-Kommissar Ljubarski durch die Verdächtigung der Deutschen seine und seiner Helfershelfer Unfähigkeit verdecken wollte -- also aus purem Eigen- interefse. Und trotzdem geschah dem Kommissar nichts!
Wieviel Gutes aber hat doch Rußland von Deutschland erfahren! Wir erinnern an den Rapallo-Vertrag von 1922. Derselbe beruht allerdings auf Gegenseitigkeit. Aber zweifellos lag er mehr im Interesse Rußlands als Deutschlands, zumal wir von allen europäischen Mächten die allerersten waren, die mit Moskau in ein Vertragsverhältnis Auen. Dann kam der Berliner Vertrag vom 26. April 1926, der in handelspolitischer Beziehung Rußland zweifellos große Vorteile brachte. Und endlich — das ist die Hauptsache — der 700-Millionen-Kredit, den das finanzschwache Deutschland der russischen Wirtschaft gewahrte. Wir Deutsche hatten verflucht wenig Nutzen davon. Im Gegenteil! Aus den Statistiken der Sowjetunion läßt sich feststellen, daß gerade im vergangenen Jahre die deu t s che Ei n fuh r n ach Rußland, so g ar die der Maschinen, zurückgegangen ist, daß dagegen das vertragslose Amerika mit seiner Einfuhr an die erste Stelle gerückt ist, ja daß sogar das wegen des Arcofalles mit Moskau grollende England eine wachsende Einfuhr zu verzeichnen hat. " °
Bis jetzt also waren wir mit allen unseren Opfern die ^ ^ wenig bei dem russischen Geschäfte
Nicht genug. Moskau scheint bereits ver- was Deutschland in Zeiten schwerer Not Sowjetunion^geleistet hat. So dankt Moskau! Wahr- Empfehlung für die gegenwärtigen
sich keine besondere
lü!?a !° H ° " d ° * tr a g"?v e'rhän'd-
lungeit in Berlin. ^ ^
Neueste Nachrichten
26 Reichstagsabgeordnete vor der Verhaftung Berlin, 15. März. Der Schluß der Legislaturperiode des Reichstags bringt für manche der bisherigen Mandats- tnhaber neben dem Verlust vieler schöner Annehmlichkeiten auch noch erhebliche andere Nachteile mit sich. Die Abgeordneten gehen, wenn sie nicht mehr ihr Mandat ausüben, des Schutzes der Immunität verlustig. Es sind über 20 Abgeordnete, die, wenn der Reichstag stürzt, vor der Gefahr stehen, sofort verhaftet zu werden. Es handelt sich vor allem um etwa 10 Kommunisten, unter ihnen die Führer »er kommunistischen Reichstagsfraktion, wie Stöcker, Koenen, yeckert ufw., die sich wegen Hochverrats zu verantworten haben, ferner um ein halbes Dutzend sogenannte linke Kommunisten, die unter der gleichen Anklage stehen. Dann kommt noch der früher zum Zentrurp gehörige Reichstags-
ÜMss-iegel
Im Konflikt mit Sowjekrußland sind erst am Samstag weitere Schritte zu erwarten. Im Reichstage wurde versichert, daß noch nicht alle Drücken einer Verständigung mit Sowjetrußland abgebrochen seien und daß für kommende Woche der deutsche Botschafter in Moskau zur Berichterstattung nach Berlin berufen werde.
ch
Im französischen Minisierrat berichtete Briand ausführlich über die Genfer Ratstagung. Dabei besprach er auch die Rede kelloggs. Er soll sein Bedauern darüber geäußert haben, daß sie keine neuen Vorschläge enthielte. Was Frankreich angehe, so könne es seinen bisher bekanntgegebenen Standpunkt in keiner Weise abändern.
ch
Aus London wird der Abschluß eines großen Vertrages zwischen einem englischen Lebensmittelgeschäft und der Sowjetregierung gemeldet. Rach dem Vertrag sind Lieferungen von Lebensmitteln nach Rußland in höhe von 1V Millionen Mark vorgesehen.
abgeordnete itange-Hegermann in Frage, gegen den der Staatsanwalt im Barmaturozeß wegen Betrugs ein Jahr Gefängnis und 30 000 Geldstrafe beantragt hat, und der sozialdemokratische Reichstagsavgeordnete und bisherige Landrat Bülow aus Pommern, gegen den ebenfalls Anklage wegen unzulässiger Finanzoperationen erhoben worden ist. Dazu kommen noch ein paar nationalsozialistische Abgeordnete, die wegen Vergehens gegen das Republikschutzgesetz in Anklagezustand versetzt worden sind.
Einberufung des Auswärtigen Ausschusses
Berlin, 15. März. Der Auswärtige Ausschuß des Reichstags ist zu einer Sitzung auf Samstag einberufen worden. Die Tagesordnung weist folgende Punkte auf: 1. Warenaustausch zwischen dem Saargebiet und dem deutschen Zollgebiet; 2. Genfer Verhandlungen; 3. deutsch-russische Verhandlungen; 4. Auswanderungsfragen.
Ministerpräsident Braun gegen die Landbundführer
Berlin, 16. März. Der Reichslandbund hatte an den preußischen Ministerpräsidenten Braun dir Bitte gerichtet, eine Abordnung des Pommerschen Landbundes, die im Anschluß an die letzten Notkundgebungen der Landwirtschaft nach Berlin kommen sollte, zu empfangen. Auf diese Bitte hat der preußische Ministerpräsident dem Reichslandbund eine Antwort zugehen lassen, in der es heißt: Auf Ihre Zuschrift erwidere ich Ihnen, daß ich im Hinblick auf die mit unwahren Behauptungen gegen die preußische Regierung inszenierte demagogische Hetze des Landbundes es ablehnen muß, die Deputation zu empfangen. Uebrigens sind die Schwierigkeiten, unter denen die Landwirtschaft zurzeit leidet, der preußischen Staatsregierung hinreichend bekannt.
Unterbrechung der deuksch-russischen Wirtschafls- besprechungen
Berlin, 15. März. Wie uns von zuständiger Seite mik- gekeilt wird, ist aus Anlaß der Verhaftung deutscher Ingenieure und Techniker im Donezgebiek der deutsche Bokschaf- ker in Moskau beauftragt worden, die Sowjekregierung um sofortige und genaue Aufklärung darüber zu bitten, welche konkreten Beschuldigungen im einzelnen gegen die Verhafteten erhoben werden und welche Beweise für diese Beschuldigungen vorliegen. Zugleich wird in'Moskau auf Grund der bestehenden Vertragsbestimmungen die Forderung gestellt werden, daß dem zuständigen deutschen Generalkonsul in Charkow gestattet wird, die verhafteten Reichsangehörigen zu besuchen. Er hat dem Botschafter mitgeteilt, daß es infolge der durch den Zwischenfall geschaffenen Sachlage an einer der wesentlichsten Voraussetzungen für ein gedeihliches Ergebnis der zurzeit im Gange befindlichen Wirtschaftsbesprechungen fehle und daß die Reichsregierung es deshalb für geboten halte, diese Besprechungen bis auf weiteres auszusetzen. Die Reichsregierung hoffe jedoch, daß durch schnelle Beilegung des Zwischenfalles eine Grundlage für die baldige Wiederaufnahme der Besprechungen geschaffen werde.
Die Gefriersleischvorlage angenommen
Berlin, 16. März. Die Frage der Herabsetzung der Gefrierfleischeinfuhr auf 50 000 Tonnen gestaltete sich bei den Besprenchungen im handelspolitischen Ausschuß recht lebhaft. Nach eingehender Aussprache wurde die Regierungsvorlage unter Stimmenthaltung der Demokraten angenommen. Die Neuregelung des Gefrierfleischkontingents soll am 1. Mai in Kraft treten. Auf Antrag der Regierungsparteien wurde in den Entwürfen die Ermächtigung für die Reichsregierung eingefügt, für die !m Sachlieferungs- verfahren zugebilligten Kontingente für Schweine die Erteilung von Einfuhrscheinen zu bewilligen.
Unter Stimmenthaltung der Deutschnationalen wurde die Zentrumsentschließung angenommen, di? die Einsetz ung
mies Beirats für die Verteilung der im Notprogramm für die Landwirtschaft vorgesehenen Beträge fordert. Ebenso wurde eine Entschließung des Zentrums angenommen, wonach 2 Millionen von 30 Millionen für die Regulierung des Vieh- und Fleischmarktes von vornherein zugunsten der Organisation der Erzeuger, Verbraucher und Fleischer abgezweigt werden sollen.
Das Beamlengeseh im Finanzausschuß
Stuttgart, 15. März. Vor Eintritt in die Tagesordnung stellt Abg. Pollich (Ztr.) fest, daß die Ueberschrift des Artikels in der Morgenausgabe einer Stuttgarter Zeitung von heute: „Die Besoldungsvorlage durch die Regierungsparteien gefährdet" irreführnd ist. Sodann wird in die Beratung des Entwurfs eines Beamtengesetzes eingetreten. Der Entwurf umfaßt in 16 Abschnitten insgesamt 305 Artikel und stellt eine Kodifikation der Beamtengesetze dar, durch die dem verworrenen Zustand des Veamtenrechts abgeholfen und für eine gewisse Zeit eine abgeschlossene klare Rechtsgrundlage geschaffen werden soll. Staatspräsident Dr. Bazille hält die Verabschiedung des Entwurfs durch den gegenwärtigen Landtag für notwendig und auch für möglich. Auch der Gesamtbeamtenbeirat wünscht eine rasche Verabschiedung der Vorlage. Redner der soz. und der dem. Fraktion vertreten die Ansicht, daß die verfügbare Zeit zur sorgfältigen Prüfung der ganzen Vorlage nicht mehr ausreiche; sie befürworten, nur die besoldungsrechtlichen Teile des Entwurfs zu erledigen und alle anderen Artikel zurückzustellen. Nach längerer Aussprache wird mit der Beratung der Artikel begonnen, die mit der Besoldungsordnung im Zusammenhang stehen. Berichterstatter ist der Abgeordnete Bock (Ztr.). Begonnen wird mit Abschnitt 4: Besoldung der ständigen Beamten. Die Artikel 55 bis 61 werden ohne erhebliche Aenderungen nach der Vorlage angenommen. Eine längere Aussprache entwickelte sich nur bei Artikel 60 (Versagung der Dienstalterszuschläge auf eine bestimmte Zeit), den der Beamtenbund gestrichen wünfcht. Ein diesbezüglicher Antrag wurde mit 11 gegen 4 Stimmen abgelehnt. — Morgen nachmittag 3 Uhr Fortsetzung der Beratung der Besoldungsvorlage.
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Unruhen in Afghanistan?
London. 16. März. Dem diplomatischen Korrespondenten des „Daily Expreß" zufolge seien Umstände eingetreten, die dazu führen könnten, daß der König von Afghanistan seinen geplanten Besuch in Rußland aufgibt. Es heiße jetzt, daß das afghanische Königspaar vielleicht direkt nach Kabul zurückkehren wird, sobald der Besuch in England beendigt ist, wie ursprünglich geplant, über Paris, Brüssel, Berlin, Warschau, Moskau und Nordpersien nach Hause zu fahren. Die Hauptgründe für die Aenderung der Reisepläne hingen mit der inneren Lage in Afghanistan zusammen. Es werde angenommen, daß die Lage in Afghanistan unruhig geworden und daß eine Verschwörung entdeckt worden sei.
Kellogg über Verhülung von Kriegen
Washington» 15. März. Staatssekretär Kellogg hielt heute abend bei einem Bankett des Council of Foreign Rela- tions eine Rede über die auf Verhütung von Kriegen gerichtete Politik der Vereinigten Staaten. In dieser Ansprache betonte der Staatssekretär nochmals, daß der kürzlich mit Frankreich abgeschlossene Schiedsverkrag die nebenhergegangenen Verhandlungen über einen Antiekriegs- vertrag in keiner Weise berührten. Briand habe den Vorschlag leider nachträglich auf Angriffskriege beschränken wollen, aber der Angriffskrieg sei wie auch Chamberlain kürzlich erklärt habe, nicht definierbar, und jede Definition stelle eine Falle für den unschuldigen und eine Ausrede für den schuldigen Teil dar. Er, Kellogg, glaube auch nicht, daß Frankreich, das anfänglich einen zweiseitigen Vertrag vorschlug, nunmehr triftige Gründe gegen einen mehrseitigen Vertrag bringen könne. Er hoffe, daß sich eine Formel finden lassen würde, die für alle Großmächte annehmbar wäre. Jedenfalls werde die Ilnionsregierung sich aber nie zu militärischer Hilfe gegen irgend einen Staat verpflichten.
Sentscher Seichstag
Der Wehretak erledigt
Berlin, 15. März. Die zweite Beratung des Reichswehr- eiats wurde'in der heute um 1 Uhr beginnenden Sitzung fortgesetzt. Von Len Kommunisten ist ein Mißtrauensantrag gegen den Reichswehrminister eingegangen. — Abg. Dr. Vredt (Wirtsch. Vg.) stellt fest, daß die vom Minister für den Panzerkreuzer gegebene Begründung ganz anders gewesen sei als die erste !m Ausschuß. Der Pazifismus, von dem gestern so viel gesprochen wurde, könne unmöglich die Grundlage einer Armee sein. Der Redner wünscht schließlich dem Minister die Riesenkraft, mit den Dingen wie Piöbus-Affäre ufw. in seinem Ministerium aufzuräumen. Ebenso wie d-e alte Armee unbedingt zur Monarchie stand muß o e Reichswehr der Republik unbedingt zur Republik stehen. — Abg. Schneller (Kom.) sieht iE der. Phö>