Nr. 240
Amts- und Anzeigeblatl für den Oberamtsbezirk Calw.
98. Jahrgang.
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Samstag» den 13. Oktober 1923.
Bezugspreis: In der Htadt mit LrLgerlohtt 36000000 Mk. wöchenrt. PostbezugSpretS 36000000 Mk. ohne Bestellgeld. Einzelnummer 6000000 Mk. — Schluß der Anzeigenannahme 8 Uhr vormittags.
Neueste Nachrichten.
Ls wird halbamtlich nochmals mit allem Nachdruck betont, daß der Reichskanzler de» Reichstag auflösen werde, falls nicht das Ermächtigungsgesetz die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit heute erhalten werde.
Die Notwendigkeit auherordentlicher wirtschaftlicher, finanzieller und sozialer Mahnahmen ergibt sich aus der Tatsache der Zunahme von Teuerun g s- und Arbeitslosenunruhen. Die furchtbaren Verhältnisse im besetzten Gebiet bringen es mit sich, dah gerade dort die Unruhen am meisten Nährboden finden.
Die neue sächsische Regierung hat eine programmatische Erklärung über ihre Absichten inbezug auf die Landes- und Reichs- Politik abgegeben, di« entsprechend d«, Aufnahme der Kommunisten natürlich radikal gehalten ist.
Belgien will auf die deutsche Anfrage wegen Aufnahme von Verhandlungen bezüglich des Ruhrgebiets gar keine Antwort geben. Das ist wohl auch das beste, denn di« Herren in Brüssel besitzen ja doch nur Papageieneigenschasten.
Zu der ablehnende« Haltung Frankreichs schreibt das Organ des Reichskanzlers, „Die Zeit-, man werde in Frankreich damit rechnen müsse«, dah Deutschland vorerst gar nicht mehr in der Lag« sei, Reparationszahlungen z« leisten, weil die Franzosen durch den Ruhreinbruch unsere Produktionskraft zerschlagen haben. Eine abwartende Haltung PoincarLs wäre also zwecklos.
Ans London wird wieder einmal gemeldet, dah die englische Regierung jetzt einen auherordentlichen Schritt tun werde. — Gutgläubige werden geftlcht.
Der ehemalige Reichskanzler Dr. Euno ist vom amerikanischen Staatspräsidenten empfangen worden, dem er über die Lage in Deutschland Bericht erstattet hat.
Die Nuhr- und Reparationsfrage.
Deutsche Auffassung über den ablehnenden Standpunkt Frankreich«.
Berlin, 12. Okt. Unter Bezugnahme auf PoincarSs Ablehnung, mit der deutschen Regierung zwecks Regelung der Rhein- und Ruhrfrage in Verbindung zu treten, wird im Leitartikel der „Zeit" gesagt, es werde Nötig sein, daß man sich in Paris von der Leistungsfähigkeit der Reichsfinanzen und der Ruhrinduskie richtige Vorstellungen mache. Die deutsche Regierung betrachte es als Hauptaufgabe, die Reichsfinanzen aus dem Zustand ihrer gegenwärtigen Zerrüttung wieder in die Höhe zu bringen. Wolle ste das aber ernstlich tun, dann sei sie gar nicht in der Lage, Aufwendungen für Reparationszwecke zu machen und die Ruhrindustrie sei keineswegs im Besitz von Devisen, die sie der Regierung kreditweise zur Verfügung stellen könnte. Sie habe sich vielmehr angesichts ihres starken Bedarfs an Bankkredit mit Unterstützungsgesuchen an die Regierung gewandt. Wenn man in Paris etwa glauben sollte, Reich und Industrie seien sofort wieder zu Reparationslieferungen imstande, so werde man sich durch die Wirklichkeit eines Besseren belehren lasten müssen. Man werde die Erfahrung sammeln, daß die Schwierigkeiten im Ruhige- bist jetzt ohne Mitwirkung der deutschen Regierung sehr schwer zu überwinden seien und daß die deutschen Lie- ferungsquellen so leicht nicht wieder flüssig zu machen sind, nachdem Frankreich sich alle Mühe gegeben habe, sie Lurch feine Ruhraktion zu verschütten.
Belgien im Schlepptau Frankreich«.
Paris, 12. Okt. Der Brüsseler Berichterstatter des „Temps" meldet, die belgische Regierung werde auf die deutsche Demarche hinsichtlich der Einsetzung einer deutsch-französisch-belgischen Kommission zUr Regelung der Frage der Wiederaufnahme der Arbeit im Ruhrgebiet keine Antwort geben. In dem Augenblick, in dem Minister Jaspar Kenntnis von der deutschen Verbalnote genommen habe, habe er die Vorbedingungen gekennzeichnet, die die deutsche Regierung zu erfüllen hätte, bevor man das Reparationsproblem diskutiere. Diese Vorbedingungen beträfen die Wiederaufnahme der Arbeit durch die Eisenbahner, die Garantien, die die deutsche Regierung
den Industriellen geben müsse, die ein Abkommen mit Belgien geschlossen hätten, und allgemein die Wiederaufnahme der Sachlieferungen. Man versichere, so erklärt der Korrespondent weiter, die Verbalnote sei in solchen Wendungen gehalten gewesen, daß man darin ein Manöver zur Täuschung der Alliierten und zur Anknüpfung von Verhandlungen erblicken könne, ohne daß die unerläßlichen Vorbedingungen, die Paris und Brüssel gestellt hätten, erfüllt seien. Unter diesen Umständen glaube man in Brüssel, der deutschen Regierung keine weitere Antwort geben zu müssen und man werde die Unterhaltungen dadurch fallen lassen, daß man stillschweige.
Der Reparationsfchwindel in der britischen Neichskonferenz.
London, 12. Okt. Der diplomatische Berichterstatter des „Daily Telegraph" schreibt, es werde erwartet, daß Valdwin heute in der Euildhall einige Andeutungen über die zukünftige Orientierung der Außenpolitik des briti- schen Reiches machen werde als Ergebnis der letzten Erörterungen zwischen den Staatsmännern Englands und den Dominions. -Die Verschiebung der Debatte über das Reparationsproblem von heute auf Anfang nächster Woche werde den britischen Ministern und Sachverständigen es ermöglichen, ihre Prüfung der konkreten Vorschläge für eine europäische Regelung abzuschließen, die von den Premierministern der Dominions und insbesondere von General Smuts unterbreitet worden seien.
Die üblichen englischen Enten.
Berlin, 12. Okt. Zu einer Meldung der „Daily News", wonach die britische Regierung ein? Eonderaktion unternehmen, um der deutschen Regierung bei den zu erwartenden Verhandlungen eine moralische Stütze zu geben und wovon der britische Botschafter in Berlin das auswärtige Amt entsprechend unterrichtet habe, teilen die Blätter mit, daß den deutschen amtlichen Stellen von einer solchen Absicht der britischen Regierung nichts bekannt ist. Englischer Hohn über unsere Lage.
London, 12. Okt. Die „Times" führt in einem, das „Deutsche Chaos" überschriebenen Artikel aus, der Reichstag habe beschlossen sein eigenes Begräbnis für den Augenblick zu verschieben. Wie lange er dazu in der Lage sein werde, sei jedoch fraglich. Die Leiter Deutschlands ständen einer furchtbaren Lage gegenüber. Zweifellos bestehe eine Partei in Frankreich wie in Belgien, die darauf erpicht sei, das Gefüge des Reiches durch die Entstehung autono- mer Staaten in Bayern, im Rheinland und vielleicht auch anderswo gelockert zu sehen. In dem Artikel heißt es zum Schluß deutscher Finanzminister zu sein, sei gegenwärtig wohl die undankbarste Aufgabe in Deutschland.
Lurzon beim König.
London, 13. Okt. Vlättermeldungen zufolge hat der König gestern nachmittag Lord Curzon in fast halbstündiger Audienz empfangen. Der Staatssekretär des Aeußern hat dabei dem König über die letzten politischen Vorgänge einen Vortrag gehalten.
Auslund.
Französische Rache« und Berleumdungsurteile.
Paris, 11. Okt. Das Kriegsgericht in Amiens hat gestern General Lonta wegen angeblicher Entwendung von Kunstgegenständen aus dem Museum La Fere-en-Tardenoi in Abwesenheit zu 20 Jahren Zwangsarbeit und 30 Jahren Aufenthaltsvcrbot verurteilt. In der gleichen Sitzung ist ein Hauptmann Schultz aus Barmen, der das Mobiliar eines Brauers in Cambrai entwendet haben soll, zu fünf Jahren Gefängnis und fünf JahMi Aufenthaltsvcrbot verurteilt worden.
Deutsche Flieger in Belgien verhaftet und wieder entlaste«.
Brüssel, 10. Okt. Die kürzlich in Knocke festgenommenen drei deutschen Flieger wurden freigelassen und ausgefordert, Belgien binnen 24 Stunden zu verlassen. Die Untersuchung der Angelegenheit ist zwar noch nicht abgeschlossen, doch ist eine weitere Haft der Deutschen nicht notwendig.
Generalstreik in Polnisch-Oberschlesien.
Beuthen, 11. Okt. Die Streikbewegung in Polnisch-Oberschlesien ist zum Generalstreik ausgewachsen. Im Laufe des Vormittags stellten die Staatsbetriebe (Post, Telegraph und Eisen
bahn) den Dienst ein. Infolge Unterbindung jeglicher Verbindung ist näheres über die Bewegung,,und ihre Ausdehnung auf das übrige Polen nicht zu erfahren.
Deutschland.
Die Reichsregierung und das Ermächtigungsgesetz.
Bei Nichtannahme Auslösung des Reichstags.
Berlin, 12. Okt. Aus einer in einigen Blättern erschienenen Notiz könnte entnommen werden, datz sich der Standpunkt der Reichsregierung in Bezug auf die Folgerungen, die von einer Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes in der morgigen Reichstagssitzung zu ziehen seien, geändert habe. Demgegenüber sei festgestellt, datz die Auffassung der Reichsregierung in dieser Hinsicht unabänderlich ist und daß der Reichspräsident dem Reichskanzler für den Fall der Nichtverabschiedung des Ermächtigungsgesetzes in der Samstagsitzung des Reichstags Vollmacht zur Auflösung des Reichstags gegeben hat.
Da« Derleumdungstrommelfener gegen Stresemann.
Berlin» 12. Okt. Eine von der „Rheinisch-westfälischen Zeitung" gebrachte Meldung, datz im Juni ein Herr von der Goltz in Paris erschienen sei und versucht habe, an Poincarä heran-., zukommen mit der Behauptung, er sei ein Vertrauensmann Stresemanns, der di« Macht habe, den Reichskanzler Cuno zu stürzen, wird in der „Zeit" als eine Fabel bezeichnet mit der Feststellung, datz ein Herr von der Goltz, der die erwähnten Verhandlungen geführt haben solle, dem Reichskanzler überhaupt nicht bekannt sei, — Vielleicht hat dieser mysteriöse Herr «ine andere, löblichere Absicht gehabt.
3»r neuen Steueroerorduung.
Berlin, 13. Okt. Die Verordnung des Reichspräsidenten über die Steueraufwertung vom 11. Okt., durch die die wertbeständige Zahlung der Steuern angeordnet wird, wird durch Durchführungsbestimmungen ergänzt werden, deren Veröffentlichung unmittelbar bevorsteht und die die Grundlagen für die praktische Handhabung der Vorschriften durch die Finanzämter und die Steuerpflichtigen abgeben sollen. Um einen reibungslosen Uebergang zu der Neuregelung sicherzustellen, wurde bestimmt, dah Steuerzahlungen bis zum Inkrafttreten der Durchführungsbestimmungen noch in Papiermark nach den bisher geltenden Vorschriften und den mit ihnen vorgesehenen Nachteilen im Falle verspäteter Leistung zu entrichten sind. Danach gilt bis zum Inkrafttreten dieser Buchführungsbestimmungen z. B. für die erhöhte Vorauszahlung auf die Einkommenssteuer, die Körperschaftssteuer, sowie die Rhein- und Ruhrabgabe die schon bisher vorgeschriebene Aufwertung, dagegen jedoch für die Umsatzsteuer ein Zuschlag in Höhe des Vierfachen bei Nichtzahlung innerhalb der Zahlungsfrist.
Das Programm der neuen sächsischen Regierung.
Dresden, 12. Okt. In der programmatischen Erklärung, die Ministerpräsident Dr. Zeigner heute im Landtag verlas, bezeichnet sich die neue Regierung als Regierung der republikanisch-proletarischen Verteidigung. Die werktätigen Massen ganz Deutschlands seien aufs Schwerste bÄroht. Das Großkapital sei zur Offensive übergegangen. Die Schwerindustrie im Ruhrgebiet diktiere den Zehnstundentag und verhandle mit den Besatzungsbehörden, um sich gegen deutsche Arbeiter zu mobilisieren, gestützt auf französische Bajonette. Die Regierung wolle vertrauen auf Arbeiter, Angestellte, Beamte, Kleinbauern, die freien Berufe und die sinkende Mittelschicht, die die großkapitalistische Militärdiktatur abwehren. Im Reich werde sich die sächsische Regierung für wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen einsetzen, um dem Verfall der Mark und de; Staatsfinanzen vorzubeugen. Sie werde eintreten für Erfassung der Sachwerte, für Produktionskontrolle, Erhaltung des Achtstundentags, Erfassung der Devisen, Schutz und Erweiterung der Rechte der Arbeiter, Wiedereröffnung der stillgelegten Betriebe, Sicherung der Lebensmittelversorgung. Unter Hinweis aus die Verhältnisse in Bayern und in Len besetzten Gebieten erklärt die sächsische Regierung, zum Reich zu stehen, unä für die Einheit Deutschlands bis zum äußersten zu köpfen. Der im Anschluß an* die Regierungserklärung gestellte deutschnationale Mißtrauensantrag wurde auf die Tagesordnung der nächsten Sitzen gesetzt.
Einigungooerhandlunpen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten.
Berlin, 11. Okt. Zu den Verhandlungen der Hamburger Ortsausschüsse der drei großen Arbeiterparteien DLUÜLlauüs