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Wohnung
Bisrnarckstraße 237
Samstag de« 3. März 1828
63. Jahrgang
Nummer 53
Fernruf 179
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Jahre hindurch hat das amtliche Oesterreich die Vertretung der Sache Südtirol dem Deutschen Reich überlassen. In diesem eigentümlichen Verhältnis ist neuerdings eine Wendung eingetreten, und das ist im Interesse des mißhandelten Deutschtums zwischen Brennerpaß und Salurner Klause nur zu begrüßen. Denn es mußte die öffentliche Meinung der Welt irreführen — soweit in dieser Sache eine Irreführung überhaupt möglich war —, wenn die Reichs-' deutschen laut ihre Stimme erhoben, Oesterreich aber, von dem das Südtiroler Deutschtum doch unmittelbar losgerissen wurde, schwieg.
Zwar das amtliche Oesterreich, vertreten durch den Bundeskanzler Dr. Seipel, ist immer noch sehr auf Einer- seits-Andererseits eingestellt. Immerhin muß der Fortschritt anerkannt werden, der darin liegt, daß Herr Seipel heute doch wieder bis zum „andererseits" durchgefunden hat. Er sah sich unter dem Druck seiner eigenen Partei neuerdings genötigt, dem leidenden Südtiroler Deutschtum nicht mehr nur die kalte Diplomaten-Schulter zu zeigen, sondern er machte sogar den Versuch, dem wild gewordenen Faszismus ins Gewissen zu reden. Wichtiger ist noch, daß er sadistischem Säbelgerassel, faszistischen Brandreden gegenüber fest bleibt und es ablehnt, die Meinungsfreiheit in der demokratischen Republik Oesterreich nach den Methoden des faszistischen Königreichs Italien zu schurigeln und zu knebeln.
Ein Staatsmann, so sollte man meinen, müßte begreifen, daß man fremden Minderheiten im eigenen Land nicht grundsätzlich die Rechte verweigern kann, die man für die eigenen Minderheiten in fremden Ländern so geräuschvoll fordert. Aber das ist ja die noch völlig ungeklärte Frage: Ist Mussolini ein Staatsmann, oder ist er einer von den .^Kurpfuschern der Staätskunst, die die Welt vorübergehend blenden, um bei der Goldprobe kläglich zu versagen? Möglich, daß Südtirol der Prüfstein ist, woran sich die Echtheit seiner Staatskunst erst noch zu erweisen hat. Bisher sieht es so aus, als versuche der Diktator den Faszismus, den er mit Versprechungen künftiger Größe gefüttert hat, den er aber nicht zu europäischen Heldentaten führen kann, solange England dazu nicht die Erlaubnis gibt, mit der Nieder- trampelung des Südtiroler Deutschtums „heldenmäßig" zu beschäftigen.
Die Frage, worauf nur die Zeit antworten kann, ist also, ob diese Rechnung des faszistischen Diktators stimmt. Man darf doch nicht unbeachtet lassen, daß der Seelenmord am Südtiroler Deutschtum Mitschuldige hat, deren Gewissen sich ab und zu gegen das fortgesetzte Verbrechen und den Wortbruch, worauf es beruht, zu empören anfängt. Zwar Frankreich, das durch die Friedensdiktate selbst zum Nationalitätenstaat geworden ist, drückt darin ein Auge zu in der Hoffnung, den Tatendrang des Faszismus durch Südtirol von Tunis abzulenken. In England aber gibt es bereits eine starke Strömung in der öffentlichen Meinung, die eine Barbarei auch dann eine Barbarei und eine Kulturschande nennt, wenn sie vom Faszismus „nur" gegen Deutsche verübt und vom Duce mit pomphaften Reden verteidigt wird. In den Bereinigten Staaten kümmert man sich einstweilen nicht viel um ein so kleines Erdenstückchen, wie Südtirol. Aber auch das kann sich eines Tags ändern, wenn den Amerikanern die Mitschuld zum Bewußtsein kommt, die sie an der Mordpolitik des Faszismus zu tragen haben. Und daß hier eine schwere amerikanische Mitschuld vorliegt, ist von amerikanischer Seite bereits anerkannt worden. In den Erinnerungen Wilsons ist im zweiten Band zu lesen: „Unglücklicherweise hatte der Präsident (Wilson) die Brennergrenze Orlando zugesagt, wodurch etwa 150 000 (richtiger 230 000) Tiroler Deutsche Italien überantwortet wurden — eine Tat, die er später als einen groben Fehler ansah undtiefbedauerte. Es war geschehen, bevor er diese Frage sorgfältig studiert hatte." Aehnlich gewissenhaft hat der „Weltschiedsrichter" Wilson bekanntlich die Torheit des polnischen Korridors behandelt.
Zu dieser Stimme des Weltgewissens, wie es sich hier In Wilsons Erinnerungen, wie es sich in so manchen englischen Zeitungs-.und Wochenschriften-Artikeln bereits geregt hat, kommt nun der offenkundige Wortbruch, der auf italienischer Seite vorliegt. Senator Tittoni, der Italien auf der sogenannten Friedenskonferenz von St.-Germain vertreten hatte, hat am 27. September 1919 in seinem Bericht vor der italienischen Volksvertretung erklärt: „Die Völker anderer Nationalitäten, die mit uns vereinigt werden, sollen wissen, daß uns der Gedanke einer Unterdrückung und Entnationalisierung vollkommen fernliegt, und daß ihre Sprache und ihre kulturellen Einrichtungen beachtet werden und ihre Verwaltungsbeamten alle Rechte unserer liberalen und demokratischen Gesetzgebung besitzen." In Uebereinstimmung damit hieß es in der Thronrede des Königs von Italien vom 1. Dezember 1919: „Die neuen an Italien angegliederten Gebiete stellen uns vor die Lösung neuer Aufgaben. Unsere freiheitliche Ueberlisfernng wird uns den Weg weisen, auf dem wir bei größter Beobachtung der lokalen autonomen Einrichtungen und Gebräuche deren Lösung finden können."
Italien hat Südtirol nicht aus eigener Kraft zu erobern pkrmocht. Es hat Südtirol von den Kriegsgewinnern ge-
Die Regierung der Vereinigten Staaken beabsichtigen, einen Gesandten in Aegypten zu ernennen. — Die ägyptische Regierung wird, wie verlautet, die englischen Vorschläge, die das Verhältnis zwischen England und Aegypten regeln sollen und nach denen Aegypten weiter in Abhängigkeit bleiben würde, abiehnen.
schenkt bekommen als Belohnung dafür, Satz es mit tynen verräterischer Weise gemeinsame Sache gemacht hat. Die Kriegsgewinner verletzten mit diesem Geschenk die Grundsätze, die sie selbst öffentlich und wiederholt verkündigt hatten Um das einigermaßen zu verdecken, versprach Italien in feierlicher Form mehr als einmal, die kulturelle Selbständigkeit der deutschen Minderheiten achten zu wollen. Unter anderem setzte es das Wort seines Königs dafür zum Pfand. Wenn der Faszismus jetzt den König und den vorfaszistischen Staat offen vor aller Welt wortbrüchig macht, so ist noch nicht ausgemacht, daß er damit unter allen Umständen Erfolg haben muß.
Der beste Bundesgenosse des Faszismus ist einstweilen noch die deutsche Uneinigkeit. Müssen denn das Reich und Oesterreic! n der Behandlung der Südtiroler Frage durchaus getrennte Wege gehen? Ist eine gemeinsame Bearbeitung der öffentlichen Meinung der Welt ein Ding der Unmöglichkeit? Man sollte meinen, es gebe auch außer Locarno für einen Deutschen noch einige Aufgaben, an denen zu arbeiten einer gemeinsamen Anstrengung wohl wert wäre.
Sie Mbus-Mgelegenheit
Berlin» 2. März. Das Reichskabinett hat gestern die vom Haushaltsausschuß verlangte Veröffentlichung des Berichts über die Phöbus-Angeiegenheit abgelehnt. Das Retchskabinett ist der Meinung, daß die Untersuchungen über die Angelegenheit noch nicht abgeschlossen seien. Es wird sich daher zunächst damit begnügen, heute im Haushaltausschuß eine formulierte Erklärung abzugeben. Im Anschluß an eine Aussprache unter den Mitgliedern des Kabinetts wurde eine Besprechungmitden Parteiführern adgehalten. Sichern! Vernehmen nach beabsichtigt das Reichskabinett, die mit dem Namen des Kapitäns Lohmann verknüpften Angelegenheiten einem Unterausschuß des Hauptausschusses zur Bearbeitung zu übergeben. Offenbar will das Reichskabinett aus diese Weise eine gewisse Vertraulichkeit der Verhandlungen und des Berichts sicherstellen. Die Parteiführer erklärten sich damit einverstanden, daß der Reichskanzler Dr. M a r x persönlich sich die Weiterführung der Angelegenheit vorbehält. In diesem Sinn gab auch heute der Reichswehrminister Gröner eine Erklärung im Haushaltausschuß ab. Von allen Parteien wird verlangt, daß das Ergebnis der bisherigen Untersuchung restlos mit- geteilt werde.
Daß das Reichskabinett entschlossen ist, alle diese Ge- schäfe Lohmanns endgültig zu liquidieren, wird in parlamentarischen Kreisen ausdrücklich betont. Für das Kabinett liegt daher keine Veranlassung mehr vor, mit den Tatsachen noch länger hinter dem Berg zu halten, um so weniger, als es damit der Gefahr neuer unerquicklicher Gerüchte und Darstellungen von sich aus Vorschub leistet. Spricht man doch jetzt schon in parlamentarischen Kreisen davon, daß der Schaden, den das Reich erleidet, alles in allem auf 30 Millionen zu berechnen sei. Neben der Phöbus-Gesellschaft werden vom 8-Uhr-Abendblatt noch folgende Unternehmungen aufgezählt, die Kapitän Lohmann gegründet und unterstützt hat: Navis, Trajag, Caspar, Berliner Bankverein, Sereabz Otwi, Hans, Bacon. Diese Liste soll jedoch noch nicht einmal sämtliche Unternehmungen umfassen.
Der Beschluß des haushalksausschusses
Im Haushaltausschuß des Reichstags wurde gestern schon die Phöbus-Angelegenheit besprochen. Es wurde verlangt, daß alle Verträge mit den in Frage kommenden Gesellschaften vorgelegt werden. Bolle Offenheit sei schon deshalb nötig, damit den Lumpen, die darum gewußt haben und die die bedauerliche Angelegenheit zu Erpressungen ausnützen, das Handwerk gelegt werden könne. Der Ausschuß nahm mit 12 gegen 7 Stimmen einen kommunistischen Antrag an, daß der Bericht des Sparkommissars Sämisch, den der Reichskanzler für sich vom Tparkommissar eingefordert hatte, dem Ausschuß sofort vorgelegt werde.
Der Reichskanzler behält sich die Weiterbehandlung vor
In der heutigen Ausschußsitzung erklärte Reichswehrminister Gröner, bei der politischen Bedeutung der Angelegenheit lege der Reichskanzler Wert darauf, daß Ihre parlamentarische Erledigung auch weiterhin im engsten Einvernehmen mit ihm persönlich erfolge. Die Reichsregierung bitte daher mit Rücksicht auf den derzeitigen Gesundsheits- zustcmd des Herrn Reichskanzlers, die Beratung der Angelegenheit im Ausschuß für einige Tage zurückzustellen. Er selbst (Gröner) mißbillige die Unternehmungen des Kapitäns Lohmann und er werde Borsorge treffe^, daß sich der
artige Vorkommnisse nicht wiederholen. Allerdings verspreche er sich nichts von Zeitungserörterungen und Der- sammlungsreden. Cr bitte zunächst um eine gewisse Zurückhaltung.
Neueste Nachrichten
Große Veränderungen in der preußischen Schutzpolizei
Berlin, 2. März. Im Ofsizierkorps der preußischen Schutzpolizei werden aus Grund eines Beschlusses der Land- tagsmehrhcit zahlreiche Offiziere auf 1. April ausgeschieden werden. Andererseits sollen 8 Obersten, 14 Oberstleutnants und eine große Zahl von Majoren und anderen Offizieren neu ernannt werden.
Abrüstung in Norwegen
Oslo, 2. März. Die norwegische Regierung hat im Landtag einen Gesetzentwurf eingebracht, nach dem die Heeresauslagen um 868 000 Kronen herabgesetzt werden.
Deutsch-rumänische Verständigung
Bukarest, 2. März. Der „Adeverul" meldet aus San Remo, das Ergebnis der Besprechungen zwischen Strese - mann und Titule.scu müsse als befriedigend bezeichnet werden und berechtige zu Hoffnungen auf einen baldigen Abschluß der deutsch-rumänischen Verhandlungen. Die rumänische Regierung sei nicht mehr ganz abgeneigt, daß die rumänischen Forderungen aus dem Krieg von Deutschland nicht ausschließlich in bar, sondern zum Teil in bar, zum andern in Sachlieferungen zum jeweiligen Marktpreis befriedigt werden.
Ueber eine Genugtuung für die Greuel der Rumänen, die im Krieg im Gefangenenlager von Sipote 4000 deutsche Kriegsgefangenen zu Tode marterten, scheint in San Remo leider nicht gesprochen worden zu sein.
Das große Hindernis für die Abrüstung
London, 2. März. Der Genfer Berichterstatter des ..Laily Chronicle" schreibt, Lord Cushendun habe ihm in einer Unterredung erklärt, die Ansicht, daß das große Hindernis für die Abrüstung das System der allgemeinen Dienstpflicht sei, tresse völlig zu. Die Herabsetzung der militärischen Dienstzeit bedeute keine Abrüstung, das stehende Heer werde vielmehr immer mehr zum Unterosfie- zierskorps für das mobile Heer. Er glaube nicht, daß bei den Arbeiten des Sicherheitsausschusses etwas Nützliches berauskomme.
Gröner fordert das Panzerschiff
Berlin, 2. März. Im Haushaltausschuß des Reichstage« trat Reichswehrminister Gröner für den Bau des Panzerkreuzers ein. Es sei durchaus irrig, wenn behauptet worden sei, man könne nur mit Kreuzern auskommen. Die leichten Seestreitkräfte brauchen einen Rückhalt an Kampfschiffen, sonst sei die Seekriegssührung nichts anderes ab» eine Flucht in den schützenden Hafen, aus dem sie dann nicht mehr herauskommen dürfe. Ein Blick aus die Karte beweise die Wichtigkeit der freien Ostsee und ihre leichte Gefährdung. Die Ausgaben unserer Flotte seien: 1. Schutz der Küsten; 2. die Sicherung für uns lebenswichtiger Verbindungen über die Ostsee; 3. das Offenhalten der Ostseehäfen Königsberg, Stettin, Lübeck und Kiel: 4. die Sicherung unserer Verbindung mit Ostpreußen und ö. die Sicherung unserer Neutralität. Der Einwand, man könne Ostpreußen besser auf wirtschaftlichem Gebiete helfen, sei nicht stichhaltig; denn wirtschaftliche Maßnahmen allein können die Gefahr nicht beseitigen, die durch kriegerische Verwicklung o-mhe, ohne daß wir daran aktiv beteiligt seien. Zum Schutze Ostpreußens sei das Zusammenwirken von Landtzeer und Marine erforderlich. Ostpreußen werde auf den Schutz jeiner Seeverbindungen nicht verzichten können. Die schwierige finanzielle Lage dürfte Notwendiges nicht verhindern. W>l dürften uns freiwillng nicht noch mehr entwaffnen, als mir dazu gezwungen seien. Wenn das Panzer'chifs jetzt nicht ge- baut werde, dann würden wir zu sehr erheblichen, unpiv« drktiven Ausgaben in den nächsten Jahren gezwungen iein. Icdes Jahr der Verzögerung steigere die Kosten. Alle Gründe militärischer, politischer und wirtschaftlicher Art sor- denen den Bau. Der Minister bat zum Schluß dringend um die Genehmigung des Panzerschiffes.
Württemberg
Stuttgart, 2. März.
Die Rettungsmedaille wurde dem Schlosser Karl Frenz in Böckingen, OA. Heilbronn, verliehen.
Aus dem Parteilebsn. Eine Verireterversammlung der Deutschen Volkspartei hat folgende Kandidaten auf die Landesliste gesetzt: 1. Schultheiß Rath, M. d. L , Lustnau; 2. Glaserobermeister Mayer-Eßlingen a. N.;, 3. Postinspektor Hartmann, M. d. L. Stuttgart; 4. Lisbet Heyd, M. ds L., Stuttgart: 5. Rektor Seizinger-Tübingen; 6. Forstmeister Hepp-Reichenberg; 7. Professor Dr. Schuster-Reutlingen; 8. Verbandssekretär Philipp Groß-Stuttgart.
Deutsches Turnfest in Stuttgart? Die Turnverein« yoN