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Nummer IS
Fernruf 178
Dienstag, den 24, Januar 1928
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Neichsarbeilrmmistekium
Gegenständliche Sozialpolitik
Das Reichsarbeitsministerium kann in diesem Jahr (4. Oktober) auf ein lOjähriges Bestehen zurückblicken. Aus diesem Anlaß hat es in Berlin eine Ausstellung veranstaltet, die den Namen trägt: „Die Arbeitsgebiete des Reichsarbeitsministeriums".
Am Eingang der Ausstellung in dem umfangreichen Gebäudeblock des Ministeriums in der Invaliden- und Scharnhorststraß.- (frühere Militärärztliche Hochschule) sind in einem Glaskasten die Dokumente und Drucksachen ausgestellt, unter ihnen die Verordnung, mit der Köniz Friedrich der Große im Jahr 1748 das Invalide n h a u s einrichtete, ein bergmännischer 'Kalender aus dem Jahr 1790 und die Botschaft des Kaisers W i l - Helm I. über die Einführung der Sozialversicherung im Reich im Jahr 1881. Ein wandelndes Schriftband zählt die Arbeitsgebiete des Reichsarbeitsministeriums auf. Für diejenigen, die den Werdegang eines Gesetzes nicht kennen, sind die zahlreichen Referenten- und Vorentwürfe, Aenderungsanträge usw- eines Sozialgesetzes und endlich die vom Reichspräsidenten und Reichsarbeitsminrster Unterzeichnete Ausfertigung ausgestellt. Durch bunte Fäden, die von einer Zentralstelle nach verschiedenen örtlichen Mittelpunkten und von dort in eine gewaltige Anzahl kleinster Plätze verlaufen, wird das gesamte Versorgungswesen erläutert. Durch verschiedene Farben werden die orthopädischen Bersor- gungsstellen, die örtlichen Verwaltungsbehörden der Reichsversorgung, sowie die ärztl. Untersuchungs-, Versorgungsund Kureinrichtungen gezeigt. Auf einer großen dunkeln Tafel sind die Vorlesungen verzeichnet, die im Winterhalbjahr 1927/28 auf den deutschen Hochschulen über Sozialpolitik und Arbeitsrecht gehalten werden. Maßstabsgerecht angeordnete Holzfiguren zeigen, wie der Personalbestand im Versicherungswesen im Laufe der Jahre vermindert worden ist. Im Jahr 1919 betrug er 66 300, im Jahr 1927 nur noch 9725. Ein Studium für sich beanspruchen die Zahlen und Tafeln über die Kriegsbeschädigten. Wir erfahren, daß von den 2547 deutschen Kriegsblinden, die im Jahr 1920 gezählt wurden, 2001 berufstätig sind. In den orthopädischen Versorgungsstellen wurden im Rechnungsjahr 1926/27 angefertigt oder instand gesetzt: künstliche Arme: 3007 neu und 9711 instand gesetzt, künstliche Beine: 16 803 neu und 107 180 instand gesetzt. Ueber das Vermögen der deutschen Sozialversicherung wird festgestellt, daß die Krankenversicherung und die seit ihrer Schaffung (1911) lebhaft entwickelte Angestelltenversicherung ihr Vermögen gegenüber der Vorkriegszeit vermehren konnten, während die Unfall- und Invalidenversicherung noch weit hinter dem Vorkriegsstand Zurückbleiben.
Aus der Fülle des Sehenswerten und Lehrreichen der Ausstellung sei noch folgendes erwähnt: ein Modell der Sächsischen Landeskuranstalt in Gottleuba zeigt die gesamte Inneneinrichtung dieser für die Sozialversicherung zur Verfügung stehenden Kuranstalt. Mit Bildern und Figuren werden die Leistungen der verschiedenen Versorgungszweige darstellt. Weiter werden die Gebiete der Berufsberatung, des Arbeiterschutzes, des Schlichtungswesens, der Gewerbeaufsicht, der Arbeitsvermittlung und der freien Wohlfahrtspflege veranschaulicht. Daß neben der öffentlichen Fürsorge die freie Wohlfahrtspflege immer noch einen hohen Rang behauptet, geht aus folgenden Zahlen hervor: Im Jahr 1927 gab es 9078 Anstalten und Heime, 7806 Einrichtungen der halboffenen (tagsüber geöffneten) Fürsorge und 54186 sonstige Einrichtungen der Vereine für private Wohlfahrtspflege. Der letzte Saal der Ausstellung enthält Modelle über Arbeiten, !t:e mit den Mitteln der produktiven Erwerbslosenfürsorge geß istet worden sind. Es handelt sich hierbei um eine Anzahl von Siedlungsanlagen in verschiedenen deutschen Städten, sowie um die vollständig neuaufgebaute ostpreußische Stadt Neidenburg. Eine Bildtafel bringt die normalen deutschen Dawesleistungen (2Z6 Milliarden Mark im Jahr) mit dem Wohnungsbau in Beziehung. Könnten wir diesen Dawestribut für die Errichtung von Eigenheimen benutzen, so würden wir damit Häuserreihen errichten können, die von Paris nach London und von dort zurück nach Düsseldorf führen, nämlich 83 000 Eigenheime jährlich — das Eigenheim zu 30 000 Mark gerechnet.
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Berlin» 23. Jan. Im Haushaltausschuß des Reichstags wies Abg. Thomsen (Dntl.) darauf hin, daß die Landwirtschaft, ob große oder kleine Betriebe, die hohen Zinsen mickt mehr aufbringen könne, die Steuern und die sozialen Lasten seien unerträglich überspannt. Besonders schlimm ffeien die Mittelbetriebe daran, die keine Buchführung hassen und denen die Steuern durch sogenannte Richtlinien Kvrgeschrieben werden. Die eigenen Erzeugnisse, besonders
Deutschland hat als erster Staat die Beschlüsse der internationalen Arbeiiskonferenz vom 15. Juni 1927 betr. Krankenversicherung der Arbeitnehmer in Handel, Gewerbe, häuslichen Diensten und Landwirtschaft unterzeichnet.
Die „V. Z." weiß zu melden, daß die einmaligen Kosten des Reichsschulgesehes in Sachsen 40 Millionen (?) und die laufenden Mehrkosten 5—6 Millionen betragen würden.
Das englische Kabinett hat einen weiteren (dritten) Kreuzer aus dem Iloltenbauprogramm für 1928 gestrichen.
In Neusatz (kr. Ungarn, jetzt Südslawien) ist das Na- tionallheater vollständig niedergebrannt.
Der siebte arabische Kongreß soll im Februar in Jerusalem stattfinden.
Um dem angekündigten Ansturm der Opposition zuvor- zukommen, hak der japanische Ministerpräsident, General Tanaka, das Abgeordnetenhaus ausgelöst und das Oberhaus vertagt. Tanaka tritt zurück. Wie verlautet, soll der Großindustrielle Kuhara, der in letzter Zeit eine Reise nach Europa gemacht hatte, mit der Kabinettsbildung beauftragt werden.
Schweine, Gemüse usw., seien kaum noch verkäuflich wegen der großen Einfuhr aus dem Ausland.
Reichsminister Schiele gab einen Ueberblick über die Einfuhr. Im Jahr 1913 betrug die Einfuhr von Vieh, Fleisch usw. zusammen 2 351894 Doppelzentner, 1927 dagegen 4 466 577 Doppelzentner, darunter 1200 000 Doppelzentner Gefrierfleisch. DieVieh-undSchweinezucht gewähre dem Landwirt keine Rente'mehr; beim Zentner Lebendgewicht setze er bei Schweinen jetzt 10 bis 15 Mark zu. Der deutsche Fleischmarkt zeige dank der stavfen Einfuhr ein Ueberangebot. Der Fleischverbrauch ist von 18,4 (vor dem Krieg) auf 52 Kg. auf den Kopf gestiegen.
Die Kernfrage sei aber die Ueberschuldung der Landwirtschaft. Seit Anfang 1924 bis Herbst 1927 haben die landw. Betriebe im Reich rund 7 Milliarden Mark Schulden ausgenommen (2,67 Milliarden Realschulden, 2,45 Milliarden Personalschulden, 1,8 Milliarden schwimmende Schulden), zum großen Teil in der für den landw. Betrieb, der sein Kapital nur einmal im Jahr Umschlagen kann, völlig ungeeigneten Form kurzfristiger, vielfach sogar wechselmäßiger Verpflichtung. Die Zinsenlast ist damit auf 8 bis 900 Millionen jährlich angewachsen. Die Betriebe gingen aus der Zwangswirtschaft und der Inflation geschwächt hervor und infolge des Zusammenbruchs der Währung entblößt von Betriebskapital in das Jahr 1924 hinein. Die Ernte 1923 wurde größtenteils in Papiermark verkauft, die Betriebsausgaben und namentlich die Steuern mußten 1924 dagegen in Goldmark entrichtet werden, was nur durch Aufnahme von Schulden ermöglicht wurde. Dazu kam die ungünstige Ernte 1924. Die Landwirtschaft machte die größten Anstrengungen, durch Ertragssteigerung aus Acker und Stall sich über Wasser zu halten, aber die an sich gute Ernte 1925 mußte zu sinkenden Preisen veräußert werden. Nicht nur, daß jeder Gewinn ausgeschlossen war, zur Bezahlung der Steuern und Zinsen mußten vielmehr neue Schulden ausgenommen werden. Bei der ungünstigen Ernte 1926 war keine Aussicht auf Besserung. Die vielfach trostlose Ernte 1927 droht eins Katastrophe herbeizuführen. Besonders schlimm gestaltete sich unter dem Einfluß der Witterungsverhältnisse die Ernte im Ostseegebiet, in Ostpreußen, Pommern, Mecklenburg und Schleswig-Holstein. Die Verschuldung trägt durchweg den Charakter der Not.
Nach den amtlichen Erhebungen waren schon in den Wirtschaftsjahren 1924/26 in Deutschland über die Hälfte der größeren und weit mehr als ein Drittel aller kleineren Wirtschaften Verlustbetriebe. Im Durchschnitt der meisten Vetriebsgruppen reichte das Roheinkommen der Betriebe nicht einmal aus, um den Lebensunterhalt der Betriebsleiter und die Steuern zu bestreiten. Die Verschuldung von 7 Milliarden ist daher nicht etwa zur Verbesserung, sondernzurErhaltungderBetriebe verwendet worden. Eine Rationalisierung konnte nicht ein- treten. Die ausgebluteten Betriebe haben jetzt nichtmehr dieKraftzuvollerAufrechterhaltungihrer Produktion, in den Ostssegebieten beginnen sie zu erliegen.
Namens der R e i ch s r e g i e r u n g gab Minister Schiele die Erklärung ab: Die Reichsregierung sieht es als ihre Aufgabe an, aus Ordnung der landwirtschaftlichen Schuldverhältnisse hinzuwirken, die für die in der rationellen Fortführung bedrohten Betriebe eine Ueberführung der schwebenden Schulden inlangfristigenKredit herbeiführt und gleichzeitig eine Absenkung der Zinslasten mit sich bringt. Um e r st st e l l i g e n Kredit zu beschaffen, ist für eine pflegliche Behandlung des Pfandbriefabsatzes zu sorgen. Zur Beschaffung und Gewährung von zweitstellig zu sichernden Krediten an bedrängte landwirtschaftliche Schuldner zur Umschuldung drückende? schwebender
Fernruf 179
63. Jahrgang
Schulden bedarf es erheblicher Mittel, die, wie die Verhältnisse zur Zeit liegen, nur durch Aufnahme von Ausländsanleihen beschafft werden können, und die zweckmäßig von territorialen Stellen ausgegeben werden. Die Kredite sind an Betriebe zu gewähren, die zu ihrer rationellen Fortführung dieses Kredits zu erwarten ist. Bei der Vergebung der Kredite soll eine Mitwirkung von Gutachten, die von Selbstverwaltungskörpern bestellt sind, vorgesehen werden. Die Reichsregierung ist bereit, die Erlangung und Ausgabe derartiger Leihgeldec seitens öffentlicher Stellen zu unterstützen. Bis diese Gelder flüssig gemacht werden können und soweit auf ihren Eingang gerechnet werden kann, ist die Reichsregierung bereit, im Rahmen des Möglichen Vorschüsse zu gewähren. Sie erwartet, daß bei diesen Maßnahmen auch die Länder eine entsprechende Hilfe eintreten lassen.
Was die Frage der Besteuerung anbetrisft, so richten sich die Klagen wohl in erster Linie gegen die Grund- und Gebäudesteuer und die dazu von den Gemeinden erhobenen Zuschläge. Bei der Reichseinkommensteuer werden die Durchschnittssätze für die nicht buchführenden Landwirte in manchen Gebietsteilen beanstandet. Die jetzt geltenden Durchschnittssätze sind im August vorigen Jahrs für die Herbstveranlagung festgelegt worden und die Veranlagung ist im großen und ganzen abgeschlossen. Die etwa festgesetzten Abschlußzahlen und die laufenden Vorauszahlungen stehen also an sich fest. Es bleibt aber zu prüfen, ob nicht überall da, wo die Landwirtschaft sich in besonders mißlichen Verhältnissen befindet, und die festgesetzten Beträge den Ein- Der Herr Reichsminister der Finanzen hat mich ermächtigt zu erklären, daß er bereit ist, die erforderlichen Maßnahmen kommensverhältnisssn nicht mehr entsprechen, durch Ermäßigung undStundung geholfen werden muß. zu treffen. Die Finanzämter sind bereits mit Weisung versehen.
In Kassel traten die Vertreter der Landbünde von Hannover, Kurhessen, Nassau, Hessen, Rheinprovinz, Pfalz, Thüringen, Prov. Sachsen, Waldeck und Westfalen zusammen. In einer Entschließung wurde Stundung der öffentlichen Darlehen in langfristige, Herabsetzung des Zinsfußes, Besteuerung nach dem tatsächlichen Ertrage statt nach „Richtlinien", Zollschutz und Erhöhung des Kontingents der ausländischen Wanderarbeiter gefordert.
Aehnliche Forderungen stellte eine riesige Versammlung der Landwirte des Oderbruchs in Letschin auf.
Neueste Nachrichle«
Gründung eines völkischen Kampfblocks
Berlin. 23. Jan. Am 22. Januar ist in Berlin unter starker Beteiligung von Vertretern aus dem ganzen Reich der „Völkische Kampfblock" gebildet worden. Bisher sind der Wehrwolf, das Deutschbanner Schwarz- weiß-rot, der nationale Gewerkschaftsbund Deutschlands E. V., die Deuksch-Bölkische Freiheitsbewegung, dieDeutsch-SozialePartei u. a. m. endgültig diesem Kampfblock beigetreten. Die Grundsätze des Völkischen Kampfblocks sind: 1. Kampf für die deutsche Freiheit gegen die Versklavung der Erfüllungspolitik und die sich daraus ergebende Enteignung der deutschen Wirtschaft und Verelendung des deutschen Volks; 2. Kampf gegen den heutigen undeutschen Kapitalismus und für eine, dem deutschen Wesen in sozialem Geist gerecht werdende Verfassung, aufgebaut auf dem Selbstverwaltungs- und Wirtschaftskörper; 3. Kampf gegen die Zersetzung des deutschen Wesens durch die überstaatlichen Mächte und für die kulturelle Freiheit des deutschen Geistes. Den vorläufigen Vorsitz des Arbeitsausschusses des Blocks hak Studienrat Klopp e-Halle vom Mehrwolf übernommen.
Mexikanischer Antrag auf Neuordnung des allamerikanischeu
Bunds
Havanna. 23. Jan. Die mexikanische Delegation kündigte die Einbringung eines Antrags auf Neuorganisation der Panamerikanischen Union an. Der Antrag will den ständigen Vorsitz der Vereinigten Staaten beseitigen und damit den von Washington ausgeübten starken Einfluß einschränken.
Die Vereinigten Staaten werden die bevorstehenden Wahlen in Nikaragua „überwachen". Das ist die ..Freiheit" und Gleichberechtigung aller amerikanischen Staaten", von der Präsident Coolidge in Habanna sprach.
Berlin. 23. Januar.
Abg. Müller-Franken (Soz.) führt an, nach einer ^eitungsmeldung habe Minister v. Keudell auf der Tagung »es Pommerschen Landbunds gesagt, seine Anwesenheit in Sommern sei an dem Tag wichtiger als im Reichstag, wo er