Nr. 235

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Lalw.

98. Jahrgang.

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Montag, den 8. Oktober 1S2Z.

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I ohn« «-strllg-ld. Einzelnummer 3000UM Mk. Schluß der Anzeigenannahme 8 Uh

l80M000Mk. Uhr vormittags.

Deutscher Reichstag.

Rede des Reichskanzlers.

Die Sitzung beginnt um 2 Uhr nachmittags. Saal und Tri­bünen sind dicht besetzt, als Präsident Lobe um 2)4 Uhr die Sitzung eröffnet und mitteilt, daß die Schwierigkeiten, die zur Verlegung der für Dienstag anberaumten Sitzung führten, erst heute vormittag behoben worden seien.

Vor Eintritt in die Tagesordnung nimmt zur Geschäftsord­nung Abg. Koenen (Komm.) das Wort. Er beantragt, die kommunistische Forderung auf Aufhebung der bayerischen Anti- preikverordnung zugleich mit der Regierungserklärung zu be­raten. Das sei notwendig, da der Reichstag nach den Plänen der Mehrheit heute zum letzten Male zusammen sein werde. ijDravo rechts.) Wenn der Reichstag nicht dem Treiben der Kahr und Konsorten ein Ende mache, dann werde die Arbeiterschaft zur Selbsthilfe schreiten. (Beifall bei den Komm.)

Abg. Höllein (Komm.) beantragt die Aufhebung der vom Wehrminister verfügten Nachrichtenzensur über Unruhen. Der Wehrminister sei die Kulisse für die aufmarschierende Eonire- (Revolution. Die bayerische Streikverordnung sei eine Gefahr für die bestehende Republik. (Große Heiterkeit.)

. Präsident Löbe stellt das Einvefftändnis des Hauses da- ,mit fest, daß die in den kommunistischen Anträgen berührten ^Fragen in der allgemeinen politischen Aussprache mit beraten werden.

i Als Reichskanzler Dr. Stresemann das Wort nimmt, ^rufen di« Kommunisten:Die Kulisse für Stinnes spricht!" Der «Kanzler erwidert: Ich kann versichern, daß Herr Stinnes mit der l Neubildung dieses Kabinetts nichts zu tun hat. (Heiterkeit.) /Dr. Stresemann stellt zunächst die Mitglieder seines Kabi­netts vor und geht dann auf die Kritik ein, die die jüngste Re­gierungskrise gefunden hat. Der Verband der Eisen- und Stahl- industriellen habe geschrieben, der Parlamentarismus habe ver- ffagt. Ich frage zurück: Hat denn nicht auch die Wirtschaft ver- Wgt, indem sie sich nicht dem Staat zur Verfügung stellte? (Leb- shafte Zustimmung.) Die Wirtschaft, die dem Parlament immer imangelnde Inanspruchnahme der fachmännischen Kräfte vorwarf, hat niemals ihre führenden Kräfte dem Staate zur Verfügung gestellt, damit sie zeigen könnten, wie man es besser macht. (Sehr «wahr!) In der Presse sind die letzten Verhandlungen teilweise als eine Kapitulation vor den Fraktionen bezeichnet worden. Es handelt sich aber um ein Ermächtigungsgesetz, für das die not­wendige Zweidrittelmehrheit durch Verständigung gewonnen werden muß. Das uns ausgezwungene Aufgeben des passiven Widerstands an der Ruhr ist in der deutschnationalen Presse -zum Anlaß genommen worden zu dem Vorwurf, die Regierung habe kapituliert. Das ist eine Verkennung der Aufgabe dieses aus dem Volke erwachsenen und von der Regierung unterstützten Widerstands. Auch der frühere Reichskanzler Dr. Cuno hat nie­mals gesagt, daß Verhandlungen erst nach dem Abzug der Be- (satzungstruppen beginnen könnten. Die Herren von rechts, dis /selbst in der Machtpolitik die führende Kraft des Völkerlebens ! sehen, werden doch nicht glauben, daß die stärkste Militärmacht ,'der Welt sich aus einem okkupierten Gebiet zurückzieht, wenn die okkupierte Macht das zur Voraussetzung für Verhandlungen ! macht. (Sehr gut!) Es wäre vielleicht günstiger gewesen, wenn der passive Widerstand auf der Höhe seines Erfolges aufgegeben (Worden wäre. Lord Curzon hat in seiner jüngsten Rede ange­deutet, daß Deutschland dann bessere Bedingungen erreichen /konnte. Wir haben keineswegs bei den Vertretern des besetzten ^Gebiets die Hoffnung erweckt, daß wir mit dem Aufgeben des -passiven Widerstands etwas von Frankreich erreichen könnten. Der Widerstand mußte aufgegeben werden nicht Herrn Poin- corä zuliebe, sondern weil wir ihn nicht länger durchführen konn­ten, ohne zur finanziellen Zerrüttung zu kommen. Eine Festung übergeben, weil der letzte Proviant ausgegangen ist, das ist etwas, dessen sich kein nationaler Mann zu schämen braucht. ((Beifall.) Wenn dieRheinisch-Westfälische Zeitung" schreibt, ich gehörte vor den Staatsgerichtshof, so erkläre ich mich gerne bereit, vor jedem Staatsgerichtshof meine Handlungen zu ver­teidigen. Der Mut, die unvermeidliche Aufhebung des passiven Widerstands verantwortlich ans sich zu nehme», ist vielleicht mehr national als die Phrasen, mit denen dagegen vorgegangen wird. ^(Lebhafter Beifall.) Bei uns fehlt der Mut zur Verantwortung. «Das zeigt sich deutlich beim Verhalten der Wirtschaftskräfte bei !der Bildung von Regierungen. (Lebhafte Zustimmung.) Wenn Hetzt die Idee des passiven Widerstands an der realen Macht ge­scheitert ist, so ist damit nicht bewiesen, daß dieses System falsch ^war. Diese Idee leuchtet weiter; sie hat gezeigt, daß diejenigen di» Welt belogen haben, die behaupteten, die rheinische Bevölke­

rung und die Arbeiterschaft würden die Franzosen freudig emp­fangen. Sie hat gezeigt, Laß am Rhein ein Volk wohnt, das in Treue u> r ^.ebe, in Not und Elend zu seinem deutschen Volk steht. (Stürmischer Beifall.) Wir danken besonders den Schutz­polizeibeamten, die in Düsseldorf unter großen Gefahren ihre Pflicht erfüllt haben. (Lebhafter Beifall.) Der Kanzler erörterte dann die Nichtbeantwortung der deutschen Angebote durch di- Entente und betont, Deutschland habe seinen guten Willen ge­nug bewiesen. Jetzt müsse von Frankreich der Beweis erbracht werden, daß es tatsächlich nicht auf Annexionen ausgeht. (Bei­fall.) Unser ist der Bode», unser ist das Land, unser die Hoheit in diesem Lande. Das ist und bleibt bestehen. (Lebhafter Bei­fall.) In dieser Zeit der nationalen Erregung, die verständlich ist, kann es nicht geduldet werden, daß umstürzlerische Tenden­zen das Reich von innen erschüttern. Jetzt ist es unverantwort­lich, Berfassungsfragne, Parteifragrn, taktische Fragen aufzurol­len, das Volk mit Aufrufen zu überschütten und Unruhen hervor­zurufen. Die vom Reich verfügte Verhängung des Ausnahme­zustands war keineswegs ein Versuch der Regierung, ihre Po­sition innerpolitisch zu verbessern. Die bayerische Regierung hat zur Verhängung des Ausnahmezustands schreiten müssen. (Leb­hafte Rufe bei den Komm.:Müssen! Er kapituliert vor Kahr wie vor Poincare!" Präsident Löbe ersucht um Ruhe.) Ich glaube, die Bewegung in Bayern, die mit dem Marsch auf Berlin droht, hat durchaus die Notwendigkeit zu einem Aus­nahmezustand ergeben. (Rufe bei den Komm.:Es geht doch nur gegen die Arbeiter!" Abg. Remmele (Komm.) wird wegen des RufesVerlogenheit" zur Ordnung gerufen.) Es kann nicht zweifelhaft sein, daß Reichsrecht vor Landesrecht geht. Das gilt auch für den vom Reich verhängten Ausnahmezustand. Wir würdigen die besondere Lage in Bayern und hoffen, daß es uns gelingen wird, bei dem Nebeneinanderbestehen beider Verord­nungen das Recht des Reiches zu schützen, wie es unsere Aufgabe ist. (Rufe links:Die glatte Kapitulation vor Bayern!") Wir müssen der Zügellosigkeit ein Ende machen, mit der die Autorität des Reichspräsidenten und die Autorität des Reiches ständig untergraben wird. Welche Parteien an der Regierung sind, das ist eine Episode, aber ob das Deutsche Reich bleibt, das ist eine Epoche der Geschichte. Die Reichswehr, die bei der Niederschla­gung des Küstriner Putsches ihre Zuverlässigkeit so glänzend bewährt hat, muß aus dem politischen Kampfe herausgelassen werden, wie wir auch verlangen, daß sie sich von der Politik fern­hält. Die Reichswehr ist nicht das Instrument bestimmter Parteien. (Widerspruch bei den Komm.) Es muß auss schärfste verurteilt werden, wenn der MünchenerVölkische Beobachter" die nationale Gesinnung des Chefs der Heeresleitung, General v. Seeckt, zu verdächtigen wagt. (Lebhafte Zustimmung.) Es kann auch nicht angehen, daß einzelne Länder für sich Steuer­erleichterungen verlangen, denn die Härte der Steuern trifft alle Länder gleichmäßig und besondere Härten werden gesetzlich ge­mildert. Wir müssen eine grundlegende Aenderung des steuer­lichen Verhältnisses zwischen Reich, Ländern und Kommunen schaffen. Die Länder müssen für ihre Ausgaben selbst die Ver­antwortung tragen und dazu brauchen sie auch eigene Steuer­quellen. Daneben muß eine Einschränkung der Ausgaben vor sich gehen. Es dürfen keine Gesetze verabschiedet werden, die neue Belastungen bringen, keine neuen Behörden «nd Bcamten- stellen geschaffen werden. Wir brauchen einen Abbau der alten Gesetze und der Verwaltung. Die Fragen der Währungsreform, an denen wir eifrig arbeiten, werden ihre volle Lösung erst fin­den mit der Gesundung der Wirtschaft selber. Wir wollen die Wehrmacht des Besitzes (Lachen bei den Komm.) und ein Ein­greifen in die Preisbildung, die bei uns unerträgliche Formen angenommen hat. (Beifall links.) Es geht nicht länger an, daß durch Syndikate, Kartelle und Preiskonventionen die Kräfte un­serer Wirtschaft zersetzt werden, die uns einst den Weltmarkt er­obert haben. Andererseits richten wir an die Arbeiter, Ange­stellten und Beamten de» Appell zur Mehrleistung, sei es im Wege freier Vereinbarung, sei es nötigenfalls durch behördliche Anordnung. (Lärm bei den Komm.) Wir können die dringenden Maßnahmen, die die Not der Zeit erfordert, nicht mit dem jetzi­gen parlamentarischen Apparat erledigen. (Abg. v. Gräfe (Deutsch-Völk.) ruft: Hört, hört!) Herr von Gräfe, Sie haben so oft die illegale Diktatur gefordert, daß Sie eigentlich nichts gegen die legale Diktatur sagen dürfen. (Lebhafte Zustimmung. Rufe bei den Komm.: Sie wollen mit dem Belagerungs­zustand gegen die Arbeiter regieren.) Es liegt an Ihnen (zu den Komm.), ob der Belagerungszustand gegen Sie angewandt wird. (Großer Lärm bei den Komm, und Rufe: Jetzt ist die Katze aus dem Sack! Heuchler! Abg. Remmele erhält wegen des Rufes »Heuchler" den zweiten Ordnungsruf.) Der Ausnahmezustand ist

verhängt gegen die subversiven Tendenzen, die das Reich ge­fährden und er wird gegen sie mit aller Schärfe angewandt wer­den. (Lebhafter Beifall.)

Präsident Löbe stellt dann den Vorschlag zur Diskussion, mit der Aussprache am Montag mittag 2 Uhr zu beginnen.

Die Abgg. Bartz (Komm.) und v. Gräfe (Deutsch-Völk.) verlangen unter großer Unruhe die sofortige Aussprache.

DiHAussprache wird nach 4 Uhr auf Montag mittag 12 Uhr vertagt.

Einigung über die Formel.

Berlin, 6. Okt. In der interfraktionellen Kommission, welche in der Nacht die Frage des Achtstundentags mit dem Arbeitsminister behandelte, ist es heute früh 3 Uhr zu einer Einigung über die Formel gekommen, mit der der Reichskanzler in seiner heutigen Erklärung diese Angele, genheit behandeln wird. Die EinigjWgsformo? lautet: Die schwere Not unseres Landes läßt' eine Steigerung der- tererzeugung dringend geboten erscheinen. Das wird nur unter restloser Ausnutzung der technischen Errungenschaf­ten bei organisatorischer Verbesserung unserer Wirtschaft und emsiger Arbeit jedes einzelne^ zu erreichen sein. Ne­ben der Steigerung der Produktion durch diese Mittel wird auch die Neuregelung des Arbeitszeitgesetzes unter grundsätzlicher Festhaltung des Achtstundentags als Nor­malarbeitstag nicht zu umgehen sein. Hierdurch ist die Mög­lichkeit der tariflichen und gesetzlichen Ueberschreitung der jetzigen Arbeitszeit im Interesse der volkswirtschaftlich notwendigen Steigerung und Verbilligung der Produktion zu erzielen. Für die öffentliche Verwaltung finden ähn­liche Gesetze Anwendung.

Der Hanshattungsansfchuß.

Berlin, 6. Okt. Der Haushaltsausschutz des Reichstags beschäftigte sich in seiner heutigen Sitzung zunächst mit dem vierten Nachtragsetat für 1923. In ihrer Begrün­dung erklärt die Regierung, infolge der weiteren Mark­entwertung sei eine Erhöhung des bisher bewilligten Be­triebskredits des Reiches um 800 OVO Billionen Mark er­forderlich. Der weitere Kreditbedarf für die Beschaffung derVrotgetreidereserve belaufe sich auf rund 300Billionen. Im Verlaufe der Debatte sagte Eeheimrat Schmidt vom Wiederaufbauministerium, die Schäden infolge der sei­tens der Franzosen und Belgier erpreßten Reparations­lieferungen betrügen bis Ende September schätzungsweise 800 Billionen Mark. Es handele sich hier nicht um Be­schlagnahme von Geldern, sondern in erster Linie um die zwangsweise Abfuhr von Kohlen und deren Nebenproduk­ten, sowie um die Ausplünderung großer Läger. Die Frie­densabrechnungsstelle habe die Aufgabe dafür zu sorgen, daß eine entsprechende Gutschrift auf Reparationskonto stattfinden könne. Seitens des Reichsfinanzministeriums wurde betont, daß mit der Vorlage des Etats für 1924 auf wertbeständiger Grundlage gerechnet werden könne. Nach weiterer kurzer Debatte wurde der vierte Nachtragsetat angenommen._

Zur inneren Lage.

Das neue Neichskabinett.

Berlin, 8. Okt. Das neue Reichskabinett setzt sich folgendermaßen zusammen: Reichskanzler u. Minister des Aeußern, Dr. Stresemann; Wiederaufbauministe­rium: Schmidt; Innenministerium: Sollmann; Fi­nanzministerium: Dr. Luther; Wirtschaftsministerium: Koeth; Arbeitsministerium: Brauns; Justizministe­rium: Radbruch: Wehrministerium: Gehler; Post­ministerium: Höfle; Verkehrsministeriums: Oeser; Ernährungsministerium: (noch unbesetzt); Ministerium für die besetzte» Gebiete: Fuchs.

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Stürmische Auseinandersetzungen.

Berlin, 8. Okt. Nach mehrwöchiger Unterbrechung wurde gestern der Bezirksparteitag der Berliner Sozialdemokra­ten fortgesetzt. DerMorgenpost" zufolge sprach für die Mehrheit der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Hertz, für die radikale Minderheit Abgeordneter Aufhäu­ser. Die Anträge, die die Teilnahme der Sozialdemokratie an dem neuen Kabinett billigen, wurden nicht einmal von so vielen Delegierten unterstützt, daß sie nach der Geschäfts- ordnung zur Abstimmung gestellt werde» konnte». Dage-