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Nummer 298

Fernruf 179

Mittwoch, -e« 21. Dezember 1827

Fernruf 179

62. Jahrgau-

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Kundgebung der wirlschaslsverbände

Ernster Ruf zur Sparsamkeit

Der Reichsverband der deutschen Industrie, der Deutsche Industrie- und Handelstag, der Hauptverband des Vank- gewerbes, der Reichsoerband des Deutschen Groß- und Ueberjeehandels, die Hauptgemeinschaft des Einzelhandels, der Deutsche Handwerks- und Gewerbekammertag veröffent­lichen eine Kundgebung, in der im Hinblick auf die Mitte Januar stattfindende Beratung der Ministerpräsi­denten der Länder folgende Forderungen gegen die über­mäßige Steuerbelastung der Wirtschaft und die Uebersteige- rung der öffentlichen Ausgaben aufgestellt werden:

1. Das wichtigste Ziel aller finanziellen Maßnahmen muß darin bestehen, die Ausgaben von Reich, Ländern und Gemeinden erheblich zu kür z e n.

2. Dem Reichsfinanzminister muß gegenüber dem Reichstag das Recht des Einspruchs gegen Er­höhung der Ansätze des von der Regierung vorgelegten Etatvoranschlags werden.

3. Die Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände müssen mit sofortiger Wirkung verpflichtet werden, dem Reichsfinanzminister auf Anforderung jede not­wendige Auskunft über ihre Vermögenslage zu geben.

4. Dem Reichsfinanzminister muß unter der Voraus­setzung, daß der H a ushaltplan eines Landes die allgemeinen Richtlinien der Finanzpolitik des Reiches ver­letzt, das Recht gewährt werden, gegen die Vorlegung des Haushaltplans an den Landtag und gegen den Vollzug eines gegenüber dem Voranschlag erhöhten Haushaltplans Ein­spruch zu erheben.

5. Die seit langem von der Wirtschaft geforderte Ver­waltungsreform muß mit größter Beschleunigung in Angriff genommen werden. Neben der Durchführung der im Reichstag angenommenen Entschließung, jede dritte freiwerdende Stelle nicht zu besetzen, ist eine Anordnung erforderlich, daß jetzt zur Erledigung der Verwaltungs­reform die Einstellung neuer Anwärter ge-

, sperrt wird.

6- Die Befugnisse des Reichssparkommissars müssen erweitert werden.

Die Kundgebung weist darauf hin, daß bei den gegen- oertretungen habe sich der Wille zu sparsamer Wirt­schaft und eine ausreichende Kapitalbildung unmöglich sei. Weder bei den Regierungen noch erst recht bei den Volks­vertretungen habe sich der Wille zu sprasamer Wirt­schaftsführung durchgesetzt. Die deutsche Wirtschaft befinde sich in einem Zustand derW e lt k o st en k rise". Es komme vor allem darauf an, daß die deutsche Warenerzeu­gung nicht verteuert, sondern verbilligt werde. Daher sei eine einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik er- - forderlich. Zu diesem Zweck müsse vor allem die Stel­lv n g d e r Regierungen gegenüber den Par­lamenten, die leichthin Ausgaben beschließen, gestärkt werden. Die finanzpolitische Lage erfordere die sofortige Durchführung eines Notprogramms. Auch die Län­der und Gemeinden müssen ihre Ausgaben für 1928 kräftig kürzen. Es könne nicht verantwortet wer- ' den, daß ein Mangel an Mäßigung bei den Ausgaben seitens der öffentlichen Gewalten, Parlamente und Ge­meindevertretungen die Durchführung gesunder Grundsätze unmöglich mache.

*

Die Mahnungen der Kundgebung sind scharf, aber leider nicht unberechtigt. Denn so wie seit Jahren in Deutschland, besonders in gewissen Großstädten, mit den öffentlichen Geldern, Steuern usw. gewirtschaftet wird, kann es etwa ein Volk und Land treiben, das in wirtschaftlicher Blüte steht, aber nicht ein solches, das eine Inflation hinter sich ' und eine Kriegsentschädigung zu zahlen hat, wie sie in der Weltgeschichte noch nicht dagewesen ist. Daß das Beispiel der leichtherzigen Ausgabenwirtschaft der öffentlichen Hand nicht ohne Wirkung auf das private Leben bleibt, darüber braucht man keine Worte zu verlieren.

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Verschiebung der Länderkonserenz?

Nach einer Blättermeldung soll damit zu rechnen sein, daß die Konferenz der Ministerpräsidenten, die Mitte Januar einberusen werden soll, wegen der schwierigen und zeitraubenden Vorarbeiten eine mehrwöchige Verschiebung erleiden wird.

Erst nach 37 Jahren Nachprüfung deS Dawesplans

Der diplomatische Mitarbeiter der Londoner «Daily Telegxaph"> der gewöhnlich die Ansichten und Meinungen . der englischen Regierung ziemlich treffend wiedergibt, schreibt zu dem dritten Jahresbericht des Dawesagenten Parker Gilbert:

Man versteht nicht, warum der Agent im gegenwärti­gen Augenblick einen Vorschlag macht, der nicht un- Mlelbar zu seinen. Obliegenheiten gehört,, nämlich eine

be st immte Summe für die von Deutschland zu zahlenden Entschädigungen fest zu legen, damit Deutschland wisse, was es zu zahlen habe. Es geht das Gerücht, sagt der Mitarbeiter, daß Gilbert seinen Rücktritt nehmen wolle, so daß die jetzigen Äußerungen vielleicht als sein Testament betrachtet werden sollen. Das ist auch die einzige Erklärung, die man für seine Kund­gebung finden kann, welche ebenso herausfordernd wie voreilig ist. Der Dawesplan besteht erst seit drei Zähren und tritt jetzt erst in die Zeitspanne ein, wo die Zah­lungen in ihrer normalen Höhe erfolgen müssen. Es wäre sicherlich ein ebenso törichtes wie gefährliches Vorgehen, wenn man eine Aenderung des Plans, die nahezu auf seine Abicbaffuna binausiaufen'würde. eher erörtern würde, als bis man die Erfahrung nicht von einein, sondern von meh­reren normalen Zähren hinter sich hat. Es ist gewiß be­dauerlich, daß es nicht gelungen ist, die Gesamtzahl der deutschen Entschädigungen endgültig festzulegen, aber es klafft hierüber noch ein solcher Gegensatz zwischen den Deutschen und den Franzosen, daß man sich hüten muß, die- ses Thema allzufrüh wieder zu eröffnen. Der Zeitpunkt für eine Aenderung des Plans wird sich auf ganz natürliche Weise von selber ergeben, wenn die Zeit herannaht, wo die Einkünfte aus den deutschen Eisenbahnen und der deutschen Industrie selbsttätig aufhören, was planmäßig nicht später als 37 Zahre nach dem Be­ginn des Plans geschehen muß. Da um diese Zeit die Zahlungen, welche die festländischen Schuldner an Groß­britannien und die europäischen Schuldner an Amerika zu leisten haben, keineswegs ebenfalls aufhören, sondern im Gegenteil zu ihrer größten Höhe ansteigen, und da diese Zah­lungen sämtlich auf nicht weniger als 62 Zahre festgelegt seien, so wird ungefähr in der Mitte dieses Zeitraums eine neue Regelung der ganzen Entschädi­gungsfrage nicht zu umgehen sein. ^

Havas kündigt an, daß Poincare demnächst eine Er­klärung über den Bericht und die Vorschläge des Dawes­agenten abgeben werde.

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E Die Verjährung im neuen Strafgesetzbuch

Berlin, 20. Dez. Im Reichstagsausschuß für die Straf­rechtsreform wurde zum Abschnitt der Verjährung (dis Verjährung kann nicht mehr, wie bisher, durch gerichtliche Maßnahmen unterbrochen werden) ein gemeinsamer An­trag des Zentrums, der Bayerischen Volkspartei und der Deutschen Volkspartei angenommen, wonach die Verjäh­rungsfrist beträgt: 30 Jahre bei Verbrechen, die mit Todes­strafe oder lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind; 20 Jahre bei Verbrechen, die mit Freiheitsstrafen von mehr als 10 Jahren bedroht sind; 10 Jahre bei den übrigen Ver­brechen; 5 Jahre bei Vergehen, die mit Freiheitsstrafe von mehr als 1 Jahr bedroht sind; 2 Jahre bei den übrigen Vergehen.

Die Mitglieder der Strafrechtskommission des Oester- reichischen Nationalrats werden am 14. Januar nächsten Jahrs nach Berlin kommen, um mit dem deutschen Straf­rechtsausschuß wegen der Fassung des allgemeinen Teils des neuen Strafgesetzbuchs Fühlung zu nehmen.

Einigung über die Orkslohnzuschläge bei der Reichsbahn Berlin, 20. Dez. Die Verhandlungen der Deutschen Aeichsbahngesellschafk mit den am Lohnkarifverlrag betei­ligten Tarifgewerkschafken in der Frage der Erhöhung der Ortslohnzulagen mit Rücksicht auf Angleichung an die Löhne der vergleichbaren Industrien haben zu einer Eini­gung geführt. Die Erhöhung der Löhne beträgt!m Durchs schnitt 2 Reichspfennige die Stunde. Beteiligt sind an der Erhöhung die Arbeiter in 29 Reichsbahndirektionsbezirken, u. a. auch süddeutschen Industriegebieten.

Zum Streit in der Schwerindustrie Berlin, 20. Dez. Nachdem der Schiedsspruch sowohl von den Arbeitgebern wie von den Gewerkschaften ab­gelehnt worden ist, wird heute im Reichsarbeitsministerium der Versuch gemacht, die Parteien zu einigen. Gelingt das nicht, so wird der Reichsarbeitsminister jede Partei noch einmal anhören und dann von sich aus eine Entscheidung treffen. Es wird als ein günstiges Zeichen angesehen, daß die Arbeitgeber am 15. Dezember die in Aussicht gestellten Kündigungen nicht ausgesprochen haben.

Die Arbeitslosigkeit in England London, 20. Dez. Im Unterhaus beantragte der Ab­geordnete der Arbeitpartei Johnson unter dem Hinweis, daß es in England etwa eine Million Arbeits­lose gebe, durchgreifende öffentliche Maßnahmen. Der Ar­beitsminister antwortete, es bestehe jetzt mehr Hoffnung aus Besserung der Arbeitsmarktlage als seit langer Zeit. Wenn Staatsgelder in noch höherem Maß aufgewendet würden, so würde dieses Kapital der allgemeinen Wirtschaft ent­zogen und dadurch die Arbeitsgelegenheit noch mehr ver­ringert Herden. Hie, beMichjigte groß? Versorgung deZ

ganzen Landes mit Elektrizität werde bell Arbeitsmarkt und die Industrie beleben. Die staatliche Unterstützung de» Zuckerrübenbaus werde eine neue Industrie schaffen. Wenn der wirtschaftliche Frieden nicht gestört werde, werde sich die Arbeitslosigkeit in zwei Jahren auf 8 v. H. der arbeitenden Bevölkerung oder mehr verringern. Der An­trag Johnson wurde mit 256 gegen 102 Stimmen an­genommen.

Hinrichtung von Kommunisten ln hankau hankau, 20. Dez. Am Sonntag wurden 15 Kommu. nisten, darunter 5 junge Mädchen, hingerichtet. Man glaubt, daß die Behörden dadurch einem kommunistischen Aufruhr zuvorgekommen sind, der auf den Neujahrstag an­gefetzt war. 17 Russen werden noch von den Militärbehör­den festgehalten.

Aus London wird gemeldet, der Bruch Südchinas mit Moskau sei zum Teil darauf zurückzuführen, daß Moskau vor einigen Tagen die Unterstützung der chinesischen Gene­rale mit Geld eingestellt habe.

Der Abschluß eines russisch-japanischen Handelsvertrags soll in absehbarer Zelt zu erwarten sein.

Vürklemberg

Stuttgart, 20. Dez. Aechtsgülkigkeitderwürtt. Fürsorgeverbände. Durch Entscheidung des Reichs­gerichts vom 23. November 1927 ist in dem Streit mit dem Reich über die Rechksgültigkeit der württ. und bayr. Für- forgeverbände ausgesprochen worden, daß die betr. Aus­führungsverordnungen der württ. und bayr. Regierung zur Reichsverordnung über die Fürsorgepflicht vom 31. März 1924 mit dem Aeichsrechl vereinbar sind und daher zu Recht bestehen. Somit steht die Rechtsfähigkeit der Fürsorgever­bände in den beiden süddeutschen Staaten, die von der Reichsbehörde angefochten war, unzweideutig fest.

Die erste Dienstalkersliste der staatlichen Jnnenverwal- tung ist vor einigen Tagen erschienen. Sie umfaßt sämt­liche planmäßigen Beamten der Allgemeinen Verwaltung und der staatlichen Polizeiverwaltung nach Namen, Dienst­stelle, Geburtstag, Dienstalter. Die Liste kann beim Innen­ministerium (Stuttgart, Dorotheenstraße 1) gegen Erstattung der Herstellungsunkosten von 1,50 RM. bezogen werden.

Vollendung des Hauptbahnhofs. Gestern wurden auf dem Hauptbahnhof die Bahnsteige 14, die dem Vorort­verkehr dienen, dem, Verkehr übergeben. Damit ist der Stuttgarter Hauptbahnhof vollendet. Früh 6 Uhr traf der erste bekränzte Zug auf einem der neuen Bahnsteige ein, die Flaggenschmuck zeigen. Die neue Fahrkartenschalter­anlage ist zunächst noch nicht in Betrieb genommen worden.

Stuttgart, 20. Dez. Vaterländischer Verein für Naturkunde. Am Sonntag tagte im Hörsaal des botanischen Instituts der vaterländische Verein für Natur­kunde in Württemberg. Nach einer Eröffnungsansprache durch Professor Hennig hielt Professor Lehmann einen Vortrag über pflanzengeographische Beziehungen im östlichen Nordamerika und Westindien. Forstmeister Vo lz - Herrenberg sprach über die Waldgeschichte des Schönbuchs und Direktor Dr. D e r s u-Frankfurt über die Ausgrabungen auf dem Goldberg bei Nördlingen. Apo­theker Adolf Mayer machte interessante Mitteilungen über Ergebnisse seiner floristischen Studien. Nachmittags wurde unter Führung von Dr. Reinerth das urge- schichtliche Institut besichtigt.

Von der Handwerkskammer. Zn derW. Z." wird eine Zuschrift veröffentlicht, in der behauptet wird, daß das Wirtschaftsministerium bereits Anfang September auf die Mitschuld des Kammervorstands bei den Vorgängen bezüg­lich der Landeswirtschaftsstelle der Kammer hingewiesen habe. Zm Frühjahr 1925 sei bereits ein Abmangel von 3400 Mark entdeckt worden und im Oktober 1926 habe Bücher­revisor Grözinger auf die üblen Zustände in der Geld- verwalkung der Handwerkskammer aufmerksam gemacht. Das KontoKraftwagen" habe eine Höhe von 50 000 Mark erreicht, während der Wagen vom neuen Kammervorstand um 6000 Mark verkauft worden sei.

Die Spionage. Die Polizeidirektion München teilt mit, daß die zwei (nicht sieben) Münchener Adressen, die bei dem in Stuttgart verhafteten französischen Spion vor­gefunden wurden, belanglos sind. Die eine war über- kaupt falsch. Die andere belraf «ine bisher einwandfreie Persönlichkeit, mit der der Spion Frank in Fühlung trat, ohne seine Spionageabsicht zu erkennen zu geben,

Bus dem Lande

Lausten a. N., 20. Dez. Rodelunfall. Beim Schlittenfahren zog sich die etwa 36 Jahre alte ledige Ladeninhaberin Nuding einen doppelten Schenkelbruch zu.

Beckarsulm. 20. Dez. Brand. Heute morgen brach in Alt-Neckarsulm in der Greckengasse Feuer aus. Die zu­sammengebauten Scheuern von Schneidermeister Leis, Josef Chardon, Hans Bender und Anton Fischer samt einer ein­gebauten Stallung, des letzteren^ ^wurden ein Opfer d?r