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Nmnmer 128
Fevnrus 179
Samstag den 4. Juni 1927
Fernruf 178
62 . Jahrgang
Pfingsten
Mit Flammenzungen haben sie gesprochen,
Vom Geiste trunken, der vom Himmel kam. Doch dann, was dann? Die graue Sorge nahm Sie wieder. Erste bange Zweifel krochen.
In dumpfer Oede schoben sich die Wochen Vor jenen Tag. Noch stritt geheime Scham. Doch grollend wuchs verfehlten Lebens Gram, Bis feilschend sie den Feuereid gebrochen.
Nur manche starben noch, um stark zu bleiben - Zum Tode treu genug, zum Leben kaum.
Das ist die Saat, von der die Bücher Treiben.
Und doch, aus ihrem Samen wuchs der Baum, Darin die alten Flammenzungen treiben.
Die Krone breitend über Zeit und Raum.
Pfingstgeist
Geist des Glaubens, Geist der Stärke,
Des Gehorsams «rd der Zucht,
Schöpfer aller Gotteswerke,
Träger aller Himmelsfrucht!
Geist, der einst der heil'gen Männer,
Kön'ge und Prophetenschar,
Der Apostel und Bekenner Trieb und Krast und Zeugnis warl
Schenk gleich Stephanus uns Frieden Mitten in der Angst der Welt,
Wenn das Los, das uns beschieden,
In den schwersten Kamps uns stellt!
Philipp Spitta 1833
Politische Wochenschau
„Dies Ist der riskanteste und schwerwiegendste Schritt, den die Regierung tun konnte, die Tat eines Hasardeurs, einSprunginsDunkle, ein Sprung in den Strudel." So Lloyd George in der Russendebatte im Unterhaus. Dunkel, recht dunkel, auch für Politiker mit prophetischem Weitblick, sind die Folgen, die aus dem russisch-eng- tischen Streit hervorgehen können. Dabei recht fraglich, wer von beiden die schlimmeren zu tragen hat. Freilich eine „Kriegsgefahr" oder eine „forcierte Kriegsvorberei- tung", wie der Russe Litwinow meint, bedeutet der Bruch Englands mit Rußland noch lange nicht. Das haben wir bereits in der letzten „Wochenschau" bemerkt. Aber für den russischen Außenhandel mag er immerhin unangenehme Folgen haben. Und die Sowjetunion ist darauf mehr denn je angewiesen. Betrug derselbe doch vor dem Krieg jährlich mehr als 92 Milliarden Goldmark. heute kaum 3 Milliarden!
Daß der Arcosfall nicht bloß auf die Beziehungen Englands zu Moskau beschränkt bleibt, konnte man sich von vornherein denken. Argentinien, Chile, Estland haben bereits die Hetzjagd gegen die Kommunisten ausgenommen. Und der amerikanische Eefallenen-Gedächt- nistag gab sowohl dem Präsidenten Coolidge wie dem amerikanischen Votschater Herrick in Paris Gelegenheit, scharfe, sehr scharfe Warnungen nach Moskau zu richten. L,er erste drohte selbst mit einer Verfassungsänderung, wenn es nötig werde, gegen die kommunistische Gefahr Vorgehen zu müssen. Der andere sprach von den Bolschewisten als von einer „Horde von Leuten", die das Volk „vergiften". Nicht minder bestimmt lauteten die Erklärungen des französischen Innenministers Sarraut in der Kammer. Allmonatlich müsse gegenwärtig im Heer gegen kommunistische Meutereien strafrechtlich eingeschritten werden. Das erfordere die Sicherheit des Staats und die Erhaltung seiner Verteidigungsmittel, deren Vernichtung die kommunistische Propaganda bezwecke. Aber sowohl die amerikanische rme auch die französische Regierung hätten nicht im Sinn, diese Ausschreitungen die Moskauer Regierung selbst büßen zu kästen. Nur werde man ein umso schärferes Auge auf die Tätigkeit russischer Agenten richten müssen.
Hoffentlich versteht man in Moskau die Zeichen der Zeit. Die Völker sind nicht geneigt, durch eine Weltrevolution ihre Staatsordnung und durch eine kommunistische Wirtschaftsordnung ihren Wohlstand aufs Spiel zu setzen. Man hat das inChina gesehen. Die Südchinesen gingen mit Moskau oss an den Punkt, wo der Bolschewismus seine Hand an t»e Wirtschaft legte. Dann kam sofort die Gegenwirkung. Und heute hat die Sowjetlosung: „Hände weg von China!" den gegenteiligen Sinn seiner ursprünglichen Absicht bekommen. Der Russe hat in Südchina nicht mehr viel zu sagen. Jedenfalls ist sein Einfluß auch in seiner Hochburg Han kau gebrochen.
Zu dem englisch-russischen Streit gesellt sich ein weiterer: der glisch - ä g.y P.tische. Streit. Genau wie seinerzeit
Tagesspiegel
Im badischen Landtag wurde von der Deutschen Volks- .'artet ein Antrag eingebrachk, die Regierung möge bei der Reichseegierung und im Reichsrat darauf hinwirken, daß die 'etzige christliche Simultanschule in Baden im Reichsschulgesetz ^sichert werde, und wenn dies nicht erreichbar sei. daß die Anwendung des Reichsschnlgcff tzes auf die Länder mit christlicher Simultanschule der Landesgefetzgebung überlassen werde. In der Aussprache trat das Zentrum für die Konfessionsschule ein. während die übrigen Parteien erklärten, daß sie an der Simulkanschule sesthalken.
Lindbergh ist wieder in Paris eingekrosfen.
In Rumänien ist eine Regierungskrise ausgebrochen. Die Führer der Parteien sind zu einer Besprechung zusammen- gekreken.
in «Schanghai greift oie roniervcmve Mgierung waio- Vins auch in Aegypten zu der Methode der Einschüchterung. Im Hafen von Alexandria, auch in dem von Port Said, sind englische Linienschiffe emgefahren. Sie sollen Aegypten die Faust Englands unter die Nase halten. Warum? Die ägyptischen Nationalisten unter der Führung des tatkräftigen und im ganzen Pharaonenland hochverehrten Kammerpräsidenten Zaglul Pascha verbitten sich, daß in Zukunft die Armee einem englischen Oberkommandanten — „Sirdar" betitelt — unterstellt werde. Das widerspreche der Souveränität, die Lloyd George dem ägyptischen Staat im Jahr 1922 feierlich zugesagt habe. So stehen in Aegypten zwei Losungen einander gegenüber: Die englische: „Ohne Sirdar keine Souveränität" und die ägyptische: „Mit dem Sirdar ist es keine Souveränität", d. h. England gesteht dem ägyptischen Staat nur unter der Bedingung eine Souveränität zu, daß es sein Heer unter dem englischen Oberkommando beläßt. Daß England Aegypten, dieses Sprungbrett Z»m Suezkanal, nicht aus seiner Verfügungsgewalt herausgeben will, gebietet ihm schon das Interesse Indiens und seiner ostajrikanischen Kolonien. Andererseits drängt der ägyptiche Nationalismus nach wirklicher Souveränität.
Der italienische Diktator Mussolini hat wieder einmal eine „welterschütternde" Rede gehalten. Wenigstens bildet er sich das ein. Jedenfalls hat das, was er über Versailles und dessen Kurzbeständigkeit sagte, in Paris ganz gehörig verschnupft. Für uns Deutsche war jedoch seine Rede jene bekannte Heldentat des Spaniers Don Quijote, der gegen Windmühlen kämpfte. Als Mussolini aus dem Weg zum Parlament war, las er in irgend einer Zeitung, auf dem Berliner Stahlhelmtag habe man Tafeln gesehen mit der Inschrift: „Von Danzig bis Triest". Was tut nun unser Mussolini: Er wettert wieder einmal gegen Deutschland, was Zeug hält. Die Brennergrenze werden die Italiener mit den Waffen verteidigen und wenn es „morgen" nötig würde. Mittlerweile stellt es sich heraus, daß die ganze Geschichte von den Lichtertafeln Schwindel war. Man sieht, es ist sogar für einen Mussolini nicht empfehlenswert, wenn man als Minister „unvorbereitet" spricht. Auch will der Allgewaltige wissen, daß zwischen 1935 und 1940 wieder ein Weltkrieg losgehe. Die Franzosen antworteten schlagfertig: dann sei niemand mehr daran schuld als Mussolini. Im übrigen halten wir es für unklug, in solchen Dingen zu weissagen. Das kann man der edlen Zunft der Kartenschlägerinnen, allenfalls den Astrologen überlassen. Für den Staatsmann ist Vorsicht erst recht der bessere Teil der Weisheit. Mit dieser Kritik wallen wir keineswegs das sonstige große Verdienst Mussolinis herabsetzen, sondern nur zeigen, wie „impulsive Naturen", auch wenn sie wirklich große Männer sind, vor Entgleisungen nicht sicher sind. Denn auch sie stehen unter dem unerbittlichen Gesetz: „Irren ist menschlich!"
Die Oesterreicher haben nun eine neue Regierung bekommen. Ganz neu ist sie zwar nicht: Dr. Seipel ist wieder, zum fünftenmal, Bundeskanzler, und er hat so ziemlich alle Minister des letzten Kabinetts in das jetzige übernommen. Neu ist nur die Hereinnahme des Landbunds und dessen Vertrauensmanns, des Abgeordneten Hartleb, eines Bauern aus Steiermark, des seitherigen Präsidenten tes steierischen Landtags. Hartleb hat zwar nicht das vom Landbund gewünschte Ministerium für Landwirtschaft erhalten; aber er ist Vizekanzler und Innenminister, und der bisherige Vizekanzler, der bekannte Großdeuksche Führer Dr. D i n g h o f e r, mußte sich mit der Stellung eines „Ministers ohne Portefeuille" und mit der Anwartschaft auf die Justiz begnügen. Mit der Aufnahme des Landbunds unter die Regierungsparteien (Christlichsoziale und Großdeutsche) hat die Anschlußpolitik einen weiteren Schritt vorwärts gemacht. Sagte doch Dr. Seipel in seiner Programmrede: „Ganz besonders am Herzen liegt uns die Ausgestaltung der Beziehungen zu unseren Brüdern im Deutschen R e i ch." Dabei betonte er den Wunsch nach einer geistigen, wirtschaftlichen und „sonstigen" Annäherung. Früher war seipel keineswegs anschlußbegeistert, aber das hat nun eben die neue Koalition zuwege gebracht.
Diese „sonstige" Annäherung liegt bereits in der Tatsache vor. daß in diesen Tagen dem Deutschen Reichstag
ein für Deutschland und Oesterreich gemeinsamer Strafgesetzentwurf zugegangen ist. Eine großartige Sache! Wohl seit der Verfassung ist kein wichtigerer Entwurf ausgearbeitet worden. Seit 1906! Es ist im ganzen der 8. Entwurf, an dem Kommissionen und Ausschüsse in endlosen Sitzungen und die hervorragendsten Kriminalisten Deutschlands und Oesterreichs gearbeitet haben. Die Begründung allein ist 200 Folioseiten groß. Eine Unnot bedeutet das Werk nicht. Denn seit 1871 hat sich in der Rechtspflege des deutschen Volks viel, sehr viel geändert. Heute sind die Anschauungen über Todesstrafe, über Zulässigkeit von „Mindeststrafen", über Gewohnheitsverbrecher, über den Alkoholmißbrauch, über Duell und Mensur, über Behandlung der Bettler und Landstreicher, über die sogen. „Ueberzeugungs- verbrechen" usw. andere als vor einem halben Jahrhundert. Dieser veränderten Rechtsentwicklung will der neue Entwurf sich anpassen. Ihm ist übrigens auch eine hochinteressante Kriminalstatistik seit 1882 angefügt. Hiernach hatte das deutsche Volk im Jahr 1923 den Höhepunkt kn der Straffälligkeit erreicht. Damals sind nicht weniger als 800 000 Verurteilungen erfolgt. Jetzt ist erfreulicherweise die Zahl auf 500 000 zurückgegangen.
In dieser Woche besuchte Reichspräsident v. Hindenburg die Nordmark, war in Kiel und in Flensburg. Und wo er hinkam, wurde er mit offenen Armen und stürmischer Begeisterung ausgenommen. „Ich sehe," sagte der Reichspräsident in Kiel, „in der jubelnden Kundgebung der Bevölkerung in erster Linie den Ausdruck freudigen Bekenntnisses zum großen Vaterland, zum deutschen Volkstum und zur Zukunft der geeinten deutschen Nation."
So etwas tut einem wohl, wenn man andererseits lesen muß, wie man immer noch uns das Recht auf unsere Zukunft bestreiten will. So hat ein englischer Journalist Sir Fraser den Lesern einer Sonntagszeitung eine Schilderung über „Deutschland, wie es wirklich ist" gegeben. In diesem Machwerk, dem Ergebnis eines kurzen Aufenthalts in Deutschland, beschwört der Mann seine Landsleute, vor dem deutschen Rivalen auf der Hut zu sein und vor allem nicht zuzulassen, daß der Dawes-Plan „verwässert" werde. Deutschland sei ein Land des Wohl st and s, das ganz gut zahlen könne. Das Ist genau so oberflächlich wie die heitere Geschichte jenes Engländers, der in Hamburg von einem Kellner mit roten Haaren bedient wurde, und der flugs seiner Zeitung schrieb, daß in Deutschland alle Kellner rote Haare hätten. Nein, wir Deutsche sind immer noch arm. Aber wir befleißigen uns, vorwärts und aufwärts zu kommen. Und daran soll uns keine Macht dm W-lt hindern. IT
Neue Nachrichten
. Hindenburg und Schwarz-Rok-Gold
Berlin, 3. Juni. Die Worte, die Reichspräsident von Hi n d e n b u r g bei dem Empfang in Kiel an den Gauleiter des Reichsbanners richtete, lauten in genauer Wiedergabe: „Treu und tapfer habt Ihr unter den Farben Schwarz- Weiß-Rot gekämpft. Jetzt sind die verfassungsmäßigen Farben Schwarz-Rot-Gold, und diese Farben müssen respektiert werden. Aber gerade weil Ähr unter den Farben Schwarz- Weiß-Rot gekämpft habt, dürft Ihr die altrn Farben nicht schmähen!)
Regierungskrise in Sachsen
Dresden, 3. Juni. Die gestrigen Verhandlungen der Fraktionen der Regierungskoalition über die Umbildung der Regierung auf Grund der Abmachungen vom 11. Jan. sind gescheitert, weil die bis jetzt an der Regierung nicht beteiligten Deutschnationalen als stärkste bürgerliche Fraktion zwei Ministerposten statt eines beanspruchten. Die Minister der Deutschen Volkspartei, der Wirtschaftspartei and der Demokratischen Partei haben dem Ministerpräsilenten ihre Aemter zur Verfügung gestellt.
Verhaftete Fremdenlegionswerber
Mainz, 3. Juni. Vor einigen Tagen wurden in Rainz vier Personen festgenommen, die sich dazu vergaben, ihre eigenen Landsleute der Fremdenlegion zuzuführen. Es handelt sich zum Teil um frühere Fremdenlegionäre, die jetzt als Werber in französischen Diensten stehen. Die Verhafteten sind der aus Würzburg stammende Lagerist Adam Bauer, der Koch Urbach aus Köln, der Friseur Ahnepohl aus Münster (Wests.) und der Arbeiter Hühner aus Altona. Zwei weiteren Werbern, ebenfalls deutscher Abstammung, ist die Polizei noch auf der Spur. Wie sich herausstellte, wohnten die Verhafteten zusammen in der französischen Kaserne Gallieni, wo sie Unterkunft und Verpflegung erhielten und auch im übrigen vom französischen Heer unterhalten wurden. Sie befanden sich schon mehrere Wochen in der Kaserne. Die Verhaftung dieser Gesellschaft und ihre Unschädlichmachung ist vor allen Din- g.n der Aufmerksamkeit der pfälzischen Polizei und der Gendarmen zu danken, deren scharfe Grenzbeobachtung eit ermöglicht hat, die Zahl der Legionsopfer erheblich zu vermindern, .