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W

Nsrnmer 96

Fepn-uf 17S

Mittwoch den 27. April 1927

Fernruf 179

62. Jahrgang

Das Grundgesetz des sadistischen Arbeitsstaats

großem -r, den

Letzten Donnerstag feierte ganz Italien in Pomp, dessen Mittelpunkt natürlich Mussolini ' Geburtstag derEwigen Stadt". Abends trat de,Große Rat" der faszistischen Partei in R o m zusammen und setzte nach kurzer Beratung unter die von Mussolini angeregte und entworfene Larta cki llavoro, zu deutsch:Grund» gesetz des Arbeitslebens", seine Unterschrift. Selbstverständ­lich wird in echt italienischer Ueberschwenglichkeit dieser Akt alseine unvergängliche Urkunde der Geschichte der Men­schen" gefeiert. Wie England seine berühmtedllaZna ciiarta (1215) hat, so nun Italien seineGurts cki Gs. vor o".

Beim ersten Durchlesen hat man den unwillkürlichen Ein­druck: Das ist ja der kommunistische A r b e i t s st a a t, wie er im Buch steht, nur mit dem Unterschied, daß an Stelle der Räte die Syndikate treten. Und doch ist der Grund­gedanke völlig verschieden von dem des Kommunismus: hier der ausschließliche Staatsbetrieb, in Italien der Privat­betrieb. Nur da, wo diePrivatinitiative fehlt oder un­zureichend ist, oder wenn politische Interessen des Staats auf dem Spiele stehen", findet ein Eingriff des Staats in ein Wirtschaftsunternehmen statt, und zwar in Form der Kontrolle, der Ermutigung oder direkten Geschäftsführung. Aber echt kommunistisch und sozialistisch ist der Grundsatz dieser Lsrta, daß nur der von werktätiger Seite verwaltete Staat eine Existenzberechtigung hat. Man sieht, Mussolini kann seine Vergangenheit als sozialistischer Arbeiter nicht vergessen.

Der zweite Gedanke ist die korporative oder sagen wir besser berufs ständische Auffassung des Staats. Diese Korporationsidee ist in Italien nicht ganz neu. Sie ist bereits in der Gründung des bekannten italienischen Kor­porationsgesetzes vom April 1926 ausführlich dargelegt. Sie ist aber auch seit Jahr und Dag in D e u t s chl a n d geläufig. Wir erinnern nur an die ganze Einrichtung des Reichs­wirtschaftsrats, der im Grund nichts anderes als die berufs­ständische Ergänzung des rein politischen Reichstags ist oder sein soll.

Was nun diese berufliche oder gewerkschaftliche Organisation selbst betrifft, so ist sie im Grundsatz frei, jedoch hat nur ein gesetzlich anerkanntes und der Staatskontrolle unterworfenes Syndikat das Recht, die Ge­samtkategorie der Arbeitgeber und Arbeitneh­mer, deren rechtliche Gleichheit ausdrücklich aner­kannt wird, gesetzlich zu vertreten, ihre Interessen gegenüber dem Staat und anderen Berufsvereinigungen zu schützen. Arbeitsverträge abzuschließen, ihnen Abgaben aufzuerlegen und ihnen gegenüber die von §em öffentlichen Interesse vor, gezeichneten Funktionen auszuüben.

Im übrigen enthält die Garta alle möglichen Verspre< chungen sozialreformerischer Art: Die Akkordlöhne, du mindestens 14tägig auszuzahlen sind, sind so zu gestalten daß es einem fleißigen Arbeiter bei normaler Leistungs­fähigkeit möglich ist, einen über den Grundlohn hinaus, gehenden Mindestosrdienst zu erzielen. Die Nachtarbeit ist höher zu entlohnen. Jeder Arbeiter hat Anspruch aus einen wöchentlichen Ruhetag und nach einem Jahr um unterbochener Dienstleistung auf einen bezahlten Erholungs» urlaub. Es werden staatliche Arbeitsvermittlungs­ämter eingerichtet: Weiterhin sind vorgesehen: eine ver- nollkommnete Unfallversicherung, eine verbesserte Mutterschaftsoersicherung, eine Versicherung ge- ^ e ^ ^ k r a n k h e i t c n Tuberkulose, ein

erster Schritt zu einer allgemeinen Krankenversiche­rung, auch eine verbessert? Arbeitslosenversiche­rung.

Fast lauter Programmpunkt-, die in der deutschen p ° l' " k' an der bekanntlich so viel bemängelt wird, schon langst verwirklicht sind. Cs war im Jahr 1889 Damals war zur hundertjäh-gen Jubelfeier der französi­schen Revolution unter anderem auch ein internationaler Kongreß der Volkswirte in Paris. Unter den italie­nischen Vertetern war ein Professor und Senator Luzzatti, der spätere Finanzminister Italiens. Dieser berichtete über die damalige ganz neue sozialpolitische Gesetz­gebung Deutschlands und schloß seinen Vortrag mit dein denkwürdigen Urteil:Es ist ein riesenhaftes Werk, geschmiedet mit dem Hammer eines sozialen Cyklopen (gemeint war Bismarck)." Und dieses Werk hat sich inzwischen riesenhaft vergrößert und ist heute noch ein unerreichtes Vorbild für alle Kulturstaaten, auch für Italien. bi.

Neue Nachrichten

Empfang beim Reichspräsidenten

Berlin, 2g. April. Reichspräsident von Hindenburg empfing heute den Bischof Dr. Bornewasser von Trier.

Die Erhöhung des Postporkos

Berlin. 26. April. Die angekündigte Erhöhung des Post­briefportos wird fast von der ganzen Presse sehr ungünstig beurteilt. Es wird darauf hingewiesen, daß dir BrtiLUL-

Tagesspiegel

Der Reichstagsabgeordneke Dr. Rosenberg ist aus der kommunistischen Kartei ausgetreten, weil die kommunisti­sche Partei in China völlig zusammengebrochen sei.

Die Genfer Abrüslungskommission hat ihre Bude end­lich geschlossen. Ergebnis: Rull.

Der Bert. Lokalanz. meldet aus London, die englische Regierung wolle trotz des Drängens Frankreichs mit dem italienisch-südslawischen Streit nichts mehr zu tun haben und werde Italien freie Hand lassen. Südslawien will den Streit auf der nächsten Konferenz des kleinen Verbands am 15. Mai Vorbringen.

Der französische Kriegsminister Painlcve verlangte von Poincare eine bedeutende Erhöhung der im Staatshaushalt­plan für 1628 vorgesehenen Rüstungsausa.aben. Außerdem sollen die Gehälter der Offiziere stark erhöht werden. Die kosten für die Ostbefestigunoen sind vorläufig auf mindestens 4 Milliarden Franken veranschlagt.

tung, Deutschland habe den niedrigsten Posttarif, unrichtig ist. Wenn in Frankreich und Belgien die Tarife höher sind, so kommt dies von der Geldentwertung dieser Län­der her; auf Gold umgerechnet, stellt sich dort der Tarif nicht höher. Die Tarife Italiens sind nur um eine Kleinig­keit höher. In England beträgt das Inland-Briefporto allerdings 15 Pfennig. Dafür beträgt aber auch die Ge­wichtsgrenze für den einfachen Brief 56 Gramm, in Deutsch­land nur 20 Gramm. Man könne ferner doch nicht von einer finanziellen Notlage der Reichspost sprechen, denn die Reichspost habe im Jahr 1926 nicht nur keinen Ab­mangel gehabt, sondern sei' sogar in der Lage gewesen, 7 0 Millionen Mark an das Reich-abzuführen. Und die Absicht der Reichspost, einen neuen 210 Mster hohen Funk­turm für den Rundfunk zu errichten^ läßt auch nicht darauf schließen, als ob die Reichspost besonders notleidend wäre. Vor einigen Jahren machte man so viel Aufhebens von derP r e i s s e n k u n g". Die Preissenkung ist aber am wenigsten von den öffentlichen Verwaltungen eingehal- ten worden, vielmehr sind die Steuern und Abgaben, die Tarife der Verkehrsanstaiten usw. in den letzten Jahren ständig gestiegen. Die jetzige Erhöhung des Briefportos soll allein eine Mehreinnahme von 50 bis 60 Millionen Mark erbringen, bei entsprechender Erhöhung der übrigen Postbriefe sollen gar 200 Millionen aufkommen, die aus der Privatwirtschaft genommen werden.

Daß die Reichspost, die bis jetzt mit ihren Einnahmen recht gut ausgekommen ist, auf einmal auf so ungeheure Mehreinnahmen für sich angewiesen sein sollte, erscheint allerdings schwer begreiflich. Anders läge die Sache, wenn nun auch die Reichspost, trotz der bis­herigen halbamtlichen Gegenbehauptun­gen, tats ä ch lich zu dem Dawestribut heran­gezogen werden sollte. In diesem Fall würden die bisherigen Einnahmen allerdings nicht mehr ausreichen.

Erhöhung der Gütertarife?

Berlin, 26. April. DerBerl. Vörsenkurier" erfährt, die Reichsbahngesellschaft werde demnächst in Verhandlungen mit der Industrie eintreten über eineReform des Gütertarifs", der nun schon seit 6 Jahren bestehe und durch die inzwischen eingetretenen Lohnerhöhungen usw. überholt sei.

Die Ministerliste für Thüringen

Weimar, 26. April. Nach endlosen Verhandlungen und verschiedenen gescheiterten Versuchen ist nach einem Ueber- einkommen der bürgerlichen Parteien folgende Minisier- liste für Thüringen vereinbart worden: Vorsitz Volksbildung und Justiz Dr. Leukheußer (D.Vp.), Inneres und Wirt­schaft Dr. Paulsen (Dem.), Finanzen Dr. Tölle (D. Vp.). Der Landtag wird am 29. April darüber abstimmen. Als Staatsräte werden vorgeschlagen: Syndikus Glöck- n e r-Sonneberg (Dem.), Abg. Krause (Wirtschaftspakte!), Haupkgeschäftsführer Mackelday (Landbund), Landwirk Port (Landb.) und ein weiterer Vertreter der Wirtschafts­partei.

Die Schießübungen der französischen Arkiklerle ^ Trier, 26. April- Auf dem Schießplatz Pellingen bei Trier wurden von der französischen Besatzung während des ganzen Monats April, also zurzeit der Frühjahrsfeld­bestellung, Artillerieschießübungen abgehalten. Während früher an Vormittagen die Uebungen abgehalten wurden, dehnten sie sich In diesem Jahr bis nachmittags 4 Uhr aus. Dazu kam, daß die Sperrgrenze in einem Umfang aus­gedehnt wurde, der ganz erheblich das nötige Maß über­schritt. Die In Frage kommenden Gemeinden wurden da­durch ganz erheblich geschädigt, da die Landwirte an den Tagen der Schießübungen keine Feldbestellungsarbeiten ver­richten konnten. Eine Beschlagnahme des Schießplatzes hat die Besatzungsbehörde bisher nicht ausgesprochen und in­folgedessen nur solche Schäden erstattet, die unmittelbar durch das Einschlagen der Geschosse verursacht wurden.

Die Rordtruppen beim Zangtseübergang zurückgeschlagen

Schanghai, 26. April. Zwei Barkassen, die etwa 12 Boote im Schlepp hatten und auf denen sich Nordtruppen befanden, versuchten den Pangtse zu durchqueren und beim Nankingfort am Süduser an Land zu gehen. Sie wurden durch Scheinwerfer entdeckt und mit Artillerie vom Fort aus beschossen. Alle Boote sind untergegangen und etwa 2000 Soldaten ertrunken.

Die Förderung der nationalen Industrien in Italien

Rom, 26. April. Ein Dekret im Amtsblatt bestimmt, daß alle Zweige der Staatsverwaltung, ferner alle Verwal­tungen und Unternehmungen, welche irgendwie vom Staat unterstützt werden, gehalten sind, bei allen Lieferungen ita­lienischen Firmen den Vorzug vor ausländischen zu geben. Nur wenn die nationale Industrie außerstande ist, die Lie­ferungen zu einem angemessenen Preis und zu einem be- stimmten Zeitpunkt zu übernehmen, dürfen ausländische Fir­men an dem Wettbewerb beteiligt werden. Nur wenn die inländische Industrie überhaupt außerstande ist, die ge- wünschten Gegenstände anzuferkigen, darf der Wettbewerb ohne Teilnahme der inländischen Industrie ausschließlich unter den ausländischen Firmen stattfinden.

Verstärkte Ausrüstung der britischen Infanterie mit Maschinengewehren

London. 26. April.Morning Post" zufolge hat das Kriegsamt beschlossen, von jetzt ab jedem Jnfanteriebatalllon eine weitere Abteilung von 4 Maschinengewehren zuzuteilen, so daß jedes Bataillon in Zukunft 12 Maschinengewehre haben wird.

Paish über die Finanzlage Europas

Rewyork, 26. April. Bei eincm Frühstück im Bond-Klub erklärte Sir George Paish, Europa nähere sich dem finan­ziellen Zusammenbruch. Eine Abhilfe hierfür gebe es nur in der Streichung der Schulden, in der Niederschlagung der deutschen Entschädigungsoerpflichtungen, im Bau von Eisen­bahnen in unentwickelten Ländern und in der Förderung des Warenaustausches zwischen Europa und den Vereinigten Staaten. Die Welt sei sich nicht völlig bewußt, daß Europa aus einem Großgläubiger ein Großschuldner geworden sei. Der Krieg habe für Europa einen jährlichen Einkommens­verlust von 1200 Millionen Dollar bedeutet. Das Einkommen aus Anlagen im Ausland sei fast verschwunden, während die Notwendigkeiten des Rohstoffbezugs aus dem Ausland gestiegen seien. Das Ausland dagegen erschwere den Bezug europäischer Erzeugnisse durch Schutzzölle und andere Maß­nahmen.

Der Kampf gegen die mexikanischen Eisenbahnräuber

Mexiko, 26. April. 60 Mitglieder der Räuberbande, die den Zugüberfall bei Guadalajara aussührte, wurden nach fünfstündigem Kampf mit den Bundestruppen bei Elgut- tarrero im Staat Jaliso getötet.

Neuseeland zahlt für Singapur

London. 26. April. Das Dominium Neuseeland hat sich bereit erklärt, zum Ausbau des großen Flottenstützpunkts in Singapur einen Beitrag von 1 Million Pfd. Sterl. zu leisten und den Bau eines leichten Kreuzers zu übernehmen. Die malaiischen Staaten, in deren Gebiet der Flottenstütz­punkt liegt, haben bereits früher einen Beitrag gezeichnet. Alle anderen Dominien haben in dieser Angelegenheit noch nichts von sich hören lassen.

Die Wirren in China

London, 26. April. Radikale Bauern und Landarbeiter haben in Sw atau eine nationalistische Werbeableitung niedergemehelk. Die nationalistische Regierung sandte Truppen und Artillerie gegen die Kommunisten, doch sollen diese, obgleich sie sehr schwere Verluste erlitten, die Trup­pen geschlagen haben.

Nachdem bereits gestern zwei englische und ein ameri­kanischer Zerstörer auf dem Jangtse bei Tschingkiang von chinesischen Küstonbakkerien beschossen worden waren, wurde heute wieder ein amerikanisches Kriegsschiff von na- tirmalischer Artillerie und mit Maschinengewehren be­schossen. Ein amerikanischer Matrose wurde schwer, mehrere leicht verletzt.

Evangelischer Landeskirchentag ^ r

ep. Am Montag trat der Evangelische Landeskirchentag zur Beratung des kirchlichen Finanzgesetzes für 1927 und einiger kleinerer Vorlagen zusammen. Eingangs gedachte Präsident Rücker der zurückgetretenen Abgeordneten Renz und Egelhaf, welch letzterer 32 Jahre lang dom Landeskirchentag als hochgeschätztes Mitglied angehörte. Die neugewählten Abgeordneten Stud.-Dir. Mayer (Göp­pingen), W. Haug (Eßlingen), Blank (Calw) und Herr­mann (Blaufelden) wurden verpflichtet.

In seiner Einführungsrede dankte Kirchenpräsident v. Dr. v. Merz allen, die bei der Erledigung der kirchlichen Steuergeschäfte miigewirkt haben. Infolge der Aenderungen im Reichssteuerwesen sei bei der L a n d e s k i r ch e n st e u e r für 1927 die Gleichstelluna der Beamten mit drn üb rigen