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Hennin-?
Samstag den 26. März 1927
Fernruf 17S
62. Jahrgang
Politische Wochenschau
Wahrheit und Dichtung, kunterbunt gemischt — so dl« Melsungen über italienische Rüstungen in Albanien und über jugoslawische Kriegsoorbereitungen an der Südgrenze. Das war wieder einmal ein unheimliches Wetterleuchten auf dem Balkan. Gehört übrigens zu den Frühlingsboten Europas. Natürlich wurde auf beiden Seiten stark übertrieben. Aber jedenfalls ist viel Wahres an den Gerüchten, die aus dem europäischen Wetterwinkel auftauchten und Europa in nicht geringe Aufregung versetzten.
Wir Deutsche blieben verhältnismäßig am ruhigsten. Es fällt uns nicht ein, uns in den italienisch-serbischen Handel zu mischen. Auch Dr. Stresemann, obwohl er Ratspräsident ist, hat keinen Grund, den Völkerbund zu alarmieren. Das wäre nach Artikel 11 der Satzung sowieso Sache des Generalsekretärs. Und der wird es wohl auch bleiben lassen, zumal Italien absolut keine Lust hat, in Genf auszupacken. Mussolini hat nun einmal schon den einen Fuß auf Albanien gesetzt, den andern will er bald nachziehen. Denn er braucht ganz notwendig die albanische Küste, um unbeschränkter Herr an der Straße von Otranto, dem Eingang in die Adria zu sein. Wir Deutsche aber wollen es weder mit Italien noch mit Jugoslawien verderben. Mit beiden verbinden uns lebhafte wirtschaftliche Beziehungen. Uns liegt, wie Dr. Stresemann ganz richtig im Reichstage gesagt hat, alles daran, daß die friedliche Wiederaufbauarbeit in Europa nicht gestört werde.
So geht es offenbar den andern Großmächten auch. Namentlich England, das heute seine schweren chinesischen Sorgen hat. Die Kantonesen sind nun richtig, wie wir vor 8 Tagen vermutet hatten, in Schanghai, dem Mittelpunkt des chinesischen Außenhandels. Damit ist — hoffen wir — ein wichtiger Schritt in der Befriedung dieses Riesen, der nun bald 16 Jahren in Bürgerkriegen sich schmerzhaft windet, erreicht. Noch ist freilich 'e i n mächtiger Gegner der Südchinesen da: der Mandschure Tschang- tsolin. Wird er trotz der Niederlagen seiner Verbündeten weiterkämpfen oder dem weisen Spruch folgen, wonach der Gescheitere nachzugeben pflegt? Hienach scheint auch Cham- berlain handeln zu wollen. Mit Kanonen lassen sich heutzutage keine Handelsgeschäfte mehr in China erzwingen Üebrigens soll Tschangtsolin, nachdem die Kantonesen nun auch Nanking eingenommen haben, ihnen bereits Waffenstillstands- und Verständigungsverhandlungen an- geboten haben.
Für die „Ratifikation" des „B essarabischen Protokolls" vom 20. Oktober 1920 hat Italien von Moskau die Quittung erhalten. Genau dieselbe wie voriges Jahr Frankreich, als dieses den französischrumänischen Vertrag einging. Bessarabien, dieses Donaumündungsgebiet, mit seiner großen handelswirtschaftlichen und strateoiichen Bedeutung für Rußland, kann und wird man in Moskau nie verschmerzen, so wenig, wie seinerzeit die Franzosen das Elsaß vergessen konnten. Wie Albanien, so ist auch Bessarabien ein Pulverfaß, an dem sich doch über kurz oder lang ein europäischer Krieg entzünden kann. Denn jeder Brand, der dort ausbricht, läßt sich beim besten Willen nicht „lokalisieren", d. h. sich nicht auf den osteuropäischen Brandherd allein beschränken.
^ Mit Frankreich sind wir wenigstens in einer «ache, die seit 10. Januar 1925 sich in der Schwebe befand, einig geworden. Nämlich in der Angelegenheit des Hanbei s p r o v i s o r i u m s, das auf unbestimmte Zeit ver- l""9ert wurde, jedenfalls so lange gelten soll, bis ein richtiger und endgültiger Handelsvertrag zwischen uns beiden Nach- wirtschaftlich so viel aufeinander angewiesen sind, zustandekommt. Freilich werden unsere Weingärtner wenig Freude daran haben. Denn wir mußten den Franzosen ein ihren entsprechendes Kontingent der
Wei nein fuhr nach Deutschland zugestehen, allerdings mußten auch sie der deutschen Industrie für die Ein- fuhr von »emischen und elektrotechnischen Erzeugnissen, so- wie von Maschinenexport nach Frankreich Zugeständnisse machen. Frankreich hat eben als erstes Weinproduk ionsland der Erde (jährlich 62.4 Millionen Hektaliter W'^ .in Lebensinteresse an der Ausfuhr seiner Weine nach Deutschland. Aber auch unsere Weingärtner wollen E Deutschland produziert soviel Mein, als es braucht Ja es kann noch eine Kleinigkeit ausführen. So 1913 21 278 'kK aber 1925 nur noch 5320! Alle Leute greifen nach den billigeren ausländischen Weinen, was wir für ein großes Unrecht halten. Kein Wunder, daß die Weinbaufläche von Jahr zu Jahr zurückgeht und immer mehr Weinqärtnerfamilien brotlos werden. Im Jahre 1926 lagerten an der Mosel weit über 400 000 Hektoliter unverkauften Weins!
Zu wünschen wäre, daß auch bald ein deutsch-pol- nischer Handelsvertrag zustandekäme. Wir waren ja bei der schwierigen Arbeit im besten Zug. Als aber die Polen wieder einmal recht frech wurden, und der übelberichtete Woiewode Grabinski in Kattowitz ohne allen Grund 4 deutsche Beamte der Klelneisenbabngesellschaft an die Luft setzte und unsere gegenteilige Vorstellung unbeachtet ließ, da brach uns endlich der Geduldsfaden und wir stoppten die Handelsvertragsverhandlunaen. Darüber in Warschau und natürlich auch in Paris großes Geschimpf über deutsche Empfindlichkeit und Unverträglichkeit. Nun tun di« Pglen,
Tagesspiegel
Am Freitag haben in der Hauptverwaltung der Deutschen Reichsbahngesellschaft mit den am Lohntarif beteiligten Gewerkschaften über die Kündigung der Lohn- und Arbeitszeitbestimmungen weitere Besprechungen stattgefunden. Die Besprechungen werden Mitte der nächsten Woche fortgesetzt werden.
Der holländische Außenminister van Karnebeek hak sein Rücktrittsgesuch eingereicht.
Der amerikanische Admiral Williams berichtete nach Washington, die Lage in Nanking sei sehr ernst. Der japanische Konsul sei getötet worden, die Missionen seien geplündert. Die Regierung erteilte dem Admiral uneingeschränkte Vollmacht.
als ob sie bei ihrer „ausgezeichneten" wirtjchastllcheil Lage einen Handelskrieg mit Deutschland recht gut aushalten konnten. Gewiß, es ist ja uns ganz recht, wenn wir bald eregelte Handelsbeziehungen mit unserem polnischen Nachbarn bekommen. Cr war uns ein guter, wenn auch nicht zahlungskräftiger Abnehmer für unsere Textil- und Landmaschinen. Aber der Pole ist noch mehr auf den deutschen Nachbar angewiesen! Wie will er denn sonst seine Kohlen — England braucht sie nicht mehr —, sein Grubenholz und namentlich seine Schweine (Polen hat einen jährlichen Ueber- chuß von 1,6 Millionen Schweinen!) losbringen?
In Genf hat das Abrüstungs-Theater am 81. März seine Vorstellungen wieder ausgenommen. Auf der . Vorbereitenden Abrüstungskonferenz" haben die Vertreter der verschiedenen Staaten schöne Reden über „Herabsetzung" oder „Beschränkung der Rüstungen" gehalten. Der deutsche Vertreter, Graf Bern stör ff, hat am deutlichsten gesprochen: Gerade die auf Grund internationaler Verträge abgerüsteten Staaten, also in erster Linie Deutschland, hätten ein Recht darauf, daß nunmehr die allgemeine Abrüstung erfolge, zumal die deutsche Abrüstung restlos durchgeführt sei. Ober aber der Redner mit seiner wahrlich gerechten Forderung durchdringt? Zunächst haben die Vertreter Englands (Lord Robert Eecil) und Frankreichs (P a ul B o n c o u r) je einen Konventionsentwurf vorgelegt, die aber schon im Grundsatz so verschiede» sind, daß eine Einigung kaum möglich ist. Deutschlands Vertreter gab zum Schluß die Erklärung ab: Endziel müsse ein An- und Ausgleich der Rüstungen fein, die allein dem Völkerbund vollste Aktionsmöglichkeit gewährte. „Jeder Weg, der zum Ziel führt, ist willkommen, nur nicht die Sackgasse einer Scheinlösung." Wer weiß, ob letztere Befürchtung nicht eintrifft?
Der Reichstag fuhr mit der Beratung der verschiedenen Etats fort. Ein besonderes Interesse gewannen sie, als Reichsaußenminister Dr. Stresemann an die Reihe kam. Er setzte auseinander, daß in der Saarfrage und in der oberschlesischen Schulfrage leider nicht mehr habe erreicht werden können. Immerhin sei es als ein Fortschritt zu begrüßen, daß die französische Besatzung endlich das Saar- gebiet verlassen müsse. Was Oberschlesien betreffe, so handle es sich nicht um die Wahrung eines Rechtsstandpunkts, sondern mu die Beseitigung eines Notstands — und diese sei erreicht worden. Von einer unfreundlichen Stellung Deutschlands gegen Rußland könne keine Rede sein. Die Verträge von Locarno, der Eintritt in den Völkerbund und der Berliner (deutsch-russische) Vertrag müßten als Einheit genommen werden. Auch die Abrüstung werde kommen. Denn Locarno werde Unsinn, wenn man sich als Friedensstifter preisen lasse und andererseits Bajonette brauche, um diesen Frieden zu wahren. Dr. Stresemann hatte die Genugtuung, daß in den großen Fragen der auswärtigen Politik Regierung und' Opposition, die Kommunisten ausgenommen, eine Einheitsfront gegenüber dem Ausland bildeten. VV. kl.
Zur Ablehnung des Schelde-Vertrag
Spannung zwischen Belgien und Holland
Die Erste niederländische Kammer hat, wie bereits b richtet, den holländisch-belgischen Schelde-Vertrag mit l gegen 17 Stimmen abgelehnt. Der Minister van Karnc b e e k, der aus der Annahme des Vertrags schon vor M naten für sich eine Kabinettsfrage gemacht hatte, dürfte all: Wahrscheinlichkeit nach zurücktreten, doch wird sein Rist
haben.
»luy oe,ll)asllgl, wie ien zjayrzeymen reine anoe eingeiegenheit der auswärtigen Politik, ja man kann sage oaß oas ganze Volk an ihm unmittelbar Anteil nimmt. Die T,» sich in der Hauptsache aus zwei Bestimm»
einmal über den Kanal Moerdijk ui den b elgischen Vorbehaltin de
von d Vertrag sah im ganzen den B<
von drei Kanälen vor, darunter den für Deutscl l a n d unmittelbar wichtigen Kanal Antwerpen Ruhrort. Aber für Holland war der Kan« Moerd 11 k weitaus der bedeutsamste. Dieser Kanal wür
?.en" Rheinhafen gemacht habe »NN der belgischen wze der^ra
Antwerpen zum „natürlic ein Ziel, das ebenso im '
Mischen Politik (Straßburgs und der lothringischen Eisenindustrie wegen) liegt und die gegenwärtige Stellung Amsterdams und Rotterdams gefährden würde. Der Hafen von Antwerpen hat sich in den letzten Jahren außergewöhnlich entwickelt. Er ist heute nach Schisfszahl und Tonnenmenge der erste Hafen des europäischen Festlands. Alle irgendwie mit dem Rotterdamer oder Amsterdamer Hafen verknüpften Interessentenkreise Hollands waren offen gegen den Vertrag. Noch größer war vielleicht aber dis Besorgnis im Volk, die sich aus dem belgischen V o r b e h a l t in der Scheldefrage ergab. Bisher unterstand die Scheldemündung, der natürliche Zugang Antwerpens zum Meer, der Hoheit Hollands. Für Handelsschiffe war die Schelde satzungsgemäß international freigegeben, aber für nichtholländische Kriegsschiffe untersagt. In dem gbgelehnten Vertrag gestattete Holland zunächst auch noch nicht, daß belgische Kriegsschiffe die Schelde durchfahren dürfen, van Karnebeek hatte sogar ausdrücklich gesagt, Holland verbiete es nach wie vor. Aber es ließ sich nicht aus der Welt schaffen, daß Belgien dem Vertrag einen Vorbehalt beigefügt hatte, in dem es dieses Recht klar und deutlich für sich in Anspruch nahm, und daß dieser Vorbehalt, wenn der Vertrag angenommen wurde, gewissermaßen die holländische Genehmigung fand.
Diesen Bedenken gegenüber hoben die Freunde des Vertrags, wie es van Karnebeek getan hat, die politischen Vorzüge hervor. Hätte die Kammer den Vertrag angenommen, dann wären beträchtliche volkswirtschaftliche Nachteile sicher und innerpolitische Schwierigkeiten unvermeidlich gewesen. So, wo der Vertrag abgelehnt worden ist, wird es voraussichtlich zu Verwicklungen, zunächst zwischen Holland und Belgien, dann aber wahrschienlich auch mit Frankreich kommen. Gerade van Karnebeek hat vielleicht diese möglichen unangenehmen Folgen bei seinem Eintreten für den Vertrag zu sehr hervorgehoben und so den Gegenspielern Hollands nur Anlaß und Stoff zum Vorgehen gegeben. Cs ist nicht ausgeschlossen, daß die Ablehnung einen politischen Streitfall einleitet, der an Bedeutung wahrscheinlich über die beiden unmittelbar beteiligten Staaten hinausgeht. Jedenfalls war die zwangsläufige Wahl zwischen Annahme und Ablehnung des Vertrags, mochte die Erste Kammer sich so oder so entscheiden, für Holland recht unglücklich.
In Belgien hat man schon seit Jahr und Tag keinen Zweifel darüber gelassen, daß es die Ablehnung des Vertrags als eine politische Unfreundlichkeit auffassen werde. Der belgisch-holländische Vertrag, im Frühjahr 1925 unterzeichnet, war das Ergebnis jahrelangen diplomatischen Kampfes Hollands gegen die Ansprüche, die Belgien als „Sieger im Weltkrieg" erhob. Diese Ansprüche waren im ersten Jahr nach dem Kriege ziemlich unverhüllt eroberungslustig. Zu der Deutfchenhetze kam in der belgischen Presse eine kaum weniger heftige Hetze gegen Holland. Man verlangte die „Abrundung des belgischen Gebiets" und aus Gründen der Sicherheit ganze Teile von Hollarid, so Holländisch-Lim- burg und Flandern. Damals war Holland in großer Furcht, da man mit der Möglichkeit rechnen mußte, Belgien werde bei Frankreich und England geeignete Unterstützung finden. Das geschah aber nicht. Ferner wurde immer deutlicher, daß sich der Teil der Mächte, der sich in die holländisch-belgische Angelegenheit nicht einmischen wollte, die Oberhand behielt. Belgiens Ansprüche wurden bescheidener; sogar die recht lange aufrechterhaltene Forderung eines belgisch - holländischen Militärbündnisses verschwand. Man hat in Holland in diesem Zusammenhang auf das Verlangen der belgischen Kammer und Regierung zur Frage Eupen-Malmedy in der vergangenen Woche hingewiesen und nicht mit Unrecht festgestellt, daß der internationale Gedanke nur dann von den Siegerstaaten gepflegt werde, wenn andere Zugeständnisse machen sollen.
Die Geschichte hat im Fall des belgisAholländischen Vertrags einmal gegen einen Sieger im Weltkrieg gesprochen und Holland davon befreit, für seine Neutralität noch einen Tribut HU zahlen. Ob aber die Frage sich tatsächlich, wie in Belgien wiederholt gedroht wurde und in Holland stellenweise erwartet wird, offen bis zum Völkerbund bringen läßt und eine Angelegenheit der europäischen Politik werden wird? Wahrscheinlicher ist, daß die beiden Staaten über kurz oder lang sich wieder an einen Tisch setzen und daß Belgien dann von seiner Wunschliste noch größere Abstriche machen muß.
Neue Nachrichten
Der Rechksausschuß gegen den SparerbMid ^ Berlin, 25. März. Im Rechtsausschuß des Reichstags verlas Abg. Dr. Wunderlich (D.Vp.) ein Schreiben der Ortsgruppe Magdeburg des Sparerbunds, in dem ihm vorgeworfen wird, daß er die Zuschriften des Sparerbunds der Nichtbeachtung empfohlen haben soll. Der Abgeordnete verwahrte sich gegen diese unwahre Unterstellung. Allerdings sei es keinem Abgeordneten möglich, die Flut von Zuschriften zu lesen, die viele erhalten. Abg. Dr. B e st erklärt er selbst habe im Sparerbund vor der Massenverscnd*«ig derartiger Schreiben gewarnt. Abg. Dr. Kahl wies auf eine Denkschrift der Reichsarbeijtzützmeinschaft der AufwertMüsbejchä»