n u n 8 s k o s bezeichnet, aus Berlin melden: Der Reichstag hat vor kurzem in aller Haft ein neues Steuerprogramm verabschiedet, das allgemein als das letzte Mittel, Deutschland zu retten, angesehen wurde. Aber der Enthusiasmus, mit denl diese energischen Maßnahmen begrüßt wurden, ist bereits in Rauch zerflattert. Die Deutschen find Patrioten bis zum Geldbeutel. In der Öffentlichkeit berauschen sie sich an tönenden Phrasen und nationalen Protesten, in Wirklichkeit aber denkt jeder nur an sich selbst. So wird heute das finanzielle Scinierungsprogramm sabotiert, genau wie die Reparationen sabotiert worden sind. Die Einziehung der Steuern hat noch kaum begonnen, und schon beginnt die Landwirtschaft gegen die ihr auferlegten Lasten Stürm zu laufen, obwohl gerade die Landwirtschaft in den letzten Jahren fast noch größere Verdienste zurückzulegen vermochte als die Industrie und sich seit Jahr und Tag von allen Lasten befreit hat. die ehedem auf Grund und Boden lagen. Aber die Industrie selbst steht in dem Kampf gegen die neuen Steuern hinter den Agrariers» nicht zurück. Sie protestiert insbesondere gegen die Devisenabgabe. Tatsache ist, daß die Industrie heute zu einem großen Teil unter wenig vorteilhaften Bedingungen arbeitet infolge der unerschwinglichen Rohmaterialpreise, der wahnwitzig gestiegenen Löhne und des Mangels an Aufträgen. Die Industrie scheint es deshalb vorzuziehen, die Betriebe stillzulegen, um auf diese Weise ihr Vermögen in Erwartung besserer Zeiten intakt zu halten. Daß diese egoistische Politik ausschließlich den Kommunisten zu Gute kommt, braucht wohl kaum gesagt zu werden. Unter diesen Umständen erscheint die Aufgabe, die der Kanzler Stresemann übernommen hat, nicht nur äußerst schwierig, sondern geradezu unlösbar. Da die Arbeitslosigkeit mit beängstigender Schnelle wächst und die Ursache schwerer Unruhen zu werden droht, erscheint die Situation der Regierung nahezu verzweifelt.
Der internationale Gervrrst chaftsbund
zur Ruhr- und Reparationsfrage.
Berlin, 29. Aug. In der Sitzung des Bureaus des internationalen Eewerkschastsbundes am 23. August wurde, laut „Vorwärts" eine Erklärung angenommen, in der es heißt: Angesichts des Ernstes der gegenwärtigen Lage appelliert der internationale Eewerkschaftsbund an das Gewissen und den Friedenswillen des internationalen Proletariats und ruft namentlich die deutschen, englischen, belgischen und französischen Arbeiter zum Handeln auf, um dem Zustand der Spannung ein Ende zu machen. Zur Erreichung dieses Ziels hat der internationale Eewerkschaftsbund von Anfang an die sofortige Feststellung der wirklichen Zahlungsfähigkeit Deutschlands, die Revision und Annullierung der internationalen Schulden, die Aufnahme einer internationalen Anleihe und die Durchführung der Reparations- polttik mittels Sachleistungen durch eine Zusammenarbeit der deutsch-französischen Arbeit gefordert. Es ist Pflicht der deutschen Regierung, das Kapital zu finanziellen Leistungen heranzuziehen, um die nötigen Mittel für die Bezahlung der Reparationsschuld aufzubringen. Pflicht der französischen und belgischen Regierung ist es, mit der militärischen Besetzung ein Ende zu machen.
Eine italienische Stimme über die Lage im Ruhrgebiet.
Mailand, 30. Aug. Der von einer Reise ins Ruhrgebiet zurllckgekehrte Abgeordnete Eronchi (Kath. Volkspartei) erklärte einem Vertreter der „Stampa": Wenn die Regierungen genau über die Gemütsverfassung des deutschen Volkes und über die wirtschaftliche Lage Deutschlands informiert wären, könnten sie nicht eine Woche vergehen lassen, ohne eine konkrete Lösung ins Auge zu fasten. Der kri- tische Augenblick ist gekommen, über den hinaus alles möglich ist. Frankreich will die Gefahr, die in der Fortdauer des gegenwärtigen Zustandes liegt, nicht sehen. — Die von dem Abgeordneten befragten französischen Autoritäten im Ruhrgebiet sagten das Ende des passiven Widerstandes und die Lostrennung des Rheinlands vom Reiche voraus, die wie sie angeben, von ihnen gefördert werde. Frankreich begehe, sagte Eronchi, einen großen Irrtum, da alle Parteien gewillt seien, auszuharren. Deutschland wisse, daß es jetzt nur aus sich gestellt sei. Das Kabinett Stresemann sei der Ausdruck des Willens, Deutschland auf der Grundlage von Gesetzlichkeit und Ordnung zu retten. _
Die IraiWsch-delMe GmaltzoM.
Weiterer Vormarsch der Franzosen ins unbesetzte Gebiet in der Umgebung Darmstadts.
Darmstadt, 29. Aug. Die Grenzsperre ist wesentlich verschärft worden. Die Franzosen sind in den letzten Tagen an einigen Sielten dazu übergegangen, in das unbesetzte Gebiet vorzu- riicken, um Straßen, die in der unmittelbaren Nähe des besetzten Gebiets liegen, mit in das besetzte Gebiet hineinzuziehen. Sie haben die Straßen teilweise aufgerissen, sodaß ein Fährverkehr unmöglich geworden ist.
Die dauernde Beschlagnahme der Beamtengehiilter.
Paris, 29. Aug. Wie Havas aus Düsseldorf meldet, ist die französische Kriminalpolizei eifrig damit beschäftigt, im besetzten Gebiet die Summen zu beschlagnahmen, die nach französischer Austastung zur Aufrechterhaltung des passiven Widerstandes und als Zuwendungen für nicht arbeitende Eisenbahner und Beamte dienen. So seien allein gestern insgesamt 431 Milliarden Mark beschlagnahmt worden. Weiter seien am 22. August 2529 Millionen Mark im Bürgermeisteramt in Königshall (soll wohl heißen: Königsstele) wegen Nichtbezahlung von 360 Dollar weggenommen worden, die der Stadt Stele wegen eines angeblichen Attentats auf die Eisenbahnlinie Stele in der Nacht zum 19. Mai auferlegt worden war. Wie Havas weiter mitteilt, ist in Düsseldorf die Sparkasse besetzt worden, weil sie im Verdacht
steht, der Reichsbank als Zweigstelle zu dienen und an die Eisen- bahner die Löhne zu zahlen, ein Verdacht, der sich nach Havas bestätigt habe. Deshalb sollten die für den passiven Widerstand bestimmten Papiermittel konfisziert werden, doch würden die Bestünde, die die Höhe der Einlagen der Bevölkerung deckten, in den Kasten belasten, um, wie Havas hinzufügt, den kleinen Sparern keinen Schaden zuzufügen.
Typhus und Ruhr im Ruhrgebiet!
Essen, 29. Aug. Blättermeldungen zufolge treten seit einigen Tagen in verschiedenen Orten Typhusepidemien auf. Wie aus Duisburg gemeldet wird, ist unter den Arbeitern der „Friedrich Albercht-Hntte" die Ruhr ausgebrochen. 15 schwer erkrankte Leute mußten bereits dem Krankenhaus zugeführt werden.
Die planmäßige Fortsetzung der Gewalttaten.
Jekern, 29. Aug. Am Sonntag sind sämtliche Schachtanlagen der Zeche „Viktor" von den Franzosen besetzt worden. Auch die Teerverwertungsanstalt erhielt eine Wachs. Die Arbeiter der besetzten Anlagen haben die Arbeit eingestellt. Die Lichtanlagen und die Pumpen haben die Franzosen wieder in Betrieb genommen. Die in den Werkswohnungen wohnenden Arbeiter und Angestellten können Licht gegen Bezahlung an die Besatzungsbehörde beziehen.
Dortmund, 29. Aug. Gestern mittag wurde das Hauptverwaltungsgebäude der Harpener Bergbau-A.E. von den Franzosen besetzt.
Düsseldorf, 29. Aug. Die gestern von den Franzosen vorgenommene Besetzung der städtischen Sparkasse geschah zu dem Zwecke, festzustellen, ob sich dort Konten für Eisenbahn-, Post- und Telegraphenbeamte befinden und ob von der Kasse Auszahlungen an diese Beamten geleistet würden. Die französische Kriminalpolizei hält die Tresors weiter unter Verschluß, und prüft gegenwärtig die Bücher, um festzustellen, ob von der Kasse Eisenbahner unterstützt werden. Da die Untersuchung ergebnislos sein wird, weil die Sparkasse Zahlungen dieser Art nicht leistet, kann erwartet werden, daß im Laufe des morgigen Tages die Sparkasse wieder freigegeben wird
Düsseldorf, 29. Aug. Aus dem Ruhrgebiet wird gemeldet: Wegen angeblicher am 23. August an französischen Telefonleitungen verübter Sabotage wurden über Hattingen folgende Sanktionen verhängt: 1. Schließung sämtlicher Wirtschaften in Hattingen und Niederweningen vom 26. August bis 2. September, 2. Verkehrssperre auf der Straße Hattingen—Tiefcnbach und Hattingen—Holzhausen von 8 Uhr abends bis 5 Uhr früh, 3. Verbot sämtlicher Versammlungen, 4. Auslieferung des Täters bis 28. August, widrigenfalls weitere Sanktionen erfolgen.
Am 26. Aug. besetzten die Franzosen die Zeche „Alma" und am 27. die Schachtanlagen der Zeche „Zentrum", am 27. in Vollmarstein das Stahlwerk Witten und die Oberbergschule in Witten.
Essen, 29. Aug. Der französische kommandierende General verbot eine Reihe von Zeitungen, darunter das „Rheinische Volk" bis zum 3. Nov., den „Bayerischen Kurier" bis zum 4. Nov., die „Rheinische Tageszeitung" bis zum 3. November, die „Niederrheinische Arbeiterzeitung" bis zum 6. Februar 1924, die „Alldeutschen Blätter" und die „Deut- zer Nachrichten".
Essen, 29. Aug. Nachedm di« Franzosen bereits am Montag in der Druckerei E. Cruewell in Dortmund IVO Milliarden Mark fortgenommen hatten, nahmen sie nunmehr weitere 50 Milliarden Mark fort. Heute Nachmittag besetzten die Franzosen das Phönixwerk erneut.
Ludwigshafen, 29. Aug. Nach zuverlässigen Mitteilungen hat die französische Eisenbahnregie die Bahnhofsbuchhandlungen im besetzten Gebiete insgesamt der Firma Ha- chette in Paris vergeben. Der deutsche Bahnhofsbuchhändler in Ludwigshafen, der bisher seinem Gewerbe ohne Pacht an die französische Eisenbahnregie nachging, wurde am 15. Aug. durch einen Vertreter der Firma Hachette verdrängt unter Beschlagnahme seines Verkaufsstandes u, seines Wagens.
Eine belgische Liga zu« Bekämpfung des aktiven Widerstands im besetzten Gebiet.
Paris, 29. Aug. Nach einer Havas-Meldung aus Brüssel hat der Untersuchungsrichter gestern drei Mitglieder der „Liga pro Patria" vernommen, die seinerzeit nach der Explosion in dem belgischen Zug auf der Hochfelder Eisen- bahnbrücke an den deutschen Geschäftsträger in Brüssel einen Brief gerichtet hatten, in dem erklärt wird, daß die Liga für jeden getöteten Belgier in Zukunft im besetzten Gebiet ein Gebäude in die Luft sprengen werde. Der deutsche Geschäftsträger hat darauf gegen die Liga Anzeige erstattet. Nach dem „Matin" haben die drei Vernommenen dis Tatsache zugegeben und ihre Absicht aufrecht erhalten.
Ausland.
Tschechisch-italienische Verhandlungen.
Rom, 29. Aug. Der tschechoslowakische Außenminister Dr. Benesch ist gestern morgen hier eingetroffen und hatte mit Mussolini eine Unterredung über praktische Wirt- schastsfragen. — Man wird wohl auch über politische Fragen gesprochen haben, namentlich über die der deutschen Minderheiten. - ,
Politische« Einbruchsverfuch in die deutsche Gesandtschaft in Budapest.
Budapest, 29. Aug. Gestern nacht wurde von bisher unbekannten Tätern in die im Palais der deutschen Gesandt- schuft befindliche Wohnung des Legationsrats Ahrends ein Einbruchsversuch gemacht. Der Eindringling, der durch einen Hausbediensteten gestört wurde, ergriff die Flucht, ohne etwas entwendet zu haben. Die Polizei hat eine strenge Untersuchung angeordnet.
lais der deutschen Gesandtschaft ist noch im Laufe der Nacht geklärt worden. Der Einbrecher ist mit dem Schlossergesellen Rieß identisch, der noch gestern Nacht in dem Augenblick verhaftet wurde, als er einige Stunden nach dem Einbruch von dem Dachboden des Eesandtschastspalais flüchten wollte. Er gab an, daß er bereits zum zweiten Male in die Wohnung des Legationsrats Ahrends eingedrungen sei, aber jedesmal gestört wurde. Die Untersuchung wird fortgesetzt.
Deutschland.
Einstellung der vierteljährlichen Borausznhlungen der Beamtenbezüge.
Berlin, 28. Aug. Gestern fanden im Neichsfinanzmini- sterium zwischen den Vertretern der Länderregierungen, es Deutschen Städtetags, des Reichsstädtebunds und ves Landgemeindentags Verhandlungen über die Frage statt, wie derfinanziellenNotlagederLänderund Gemeinden abgeholfen werden kann. Es wurde darauf hingewiesen, daß unter anderem durch die Anpassung der Bezüge der Beamten, Angestellten und Arbeiter an die Geldentwertung sich die erforderlichen Eeldbedürfnisse in erschreckender Weise vergrößert haben. Von allen Seiten wurde deshalb gefordert, die Vierteljahrsvorauszahlungen an die Beamten einzustellen, wobei auf die besonderen Verhältnisse des be- setzten Gebiets Rücksicht genommen werden solle. Wie die Blätter mitteilen, wird sich das Reichskabinett in den nächsten Tagen mit der Frage der Vorauszahlung der Beam- tenbezüge beschäftigen. Es sei anzunehmen, daß die Reichsregierung dem Reichstag eine Vorlage unterbreiten werde, wonach die Vierteljahrvorauszahlungen an die Beamten aufhören sollen. — Aus dem Reichsfinanzministerium erfahren die Blätter dazu, daß auch die Beamtenschaft ihr Teil zur Steuerung der finanziellen Notlage des Reiches beitragen müsse. Wenn auch der Aushebung der Vierteljahrvorauszahlungen gewisse Bedenken entgegenftänden, so könne doch nicht verkannt werden, daß sie zur Vermeidung der an jedem Bierteljahrserften eintretenden besonders großen Steigerung und der damit verbundenen weiteren Markentwertung eingestellt werden müßten.
Berlin, 30. Aug. Den Blättern zufolge hatte gestern Neichsfinanzminister Dr. Hilferding mit den Spitzenorga- ntsationen der Beamten eine Besprechung über die Frage der Vorauszahlung der Beamtengehälter. Der Minister er- klärte, daß er sich bei der augenblicklichen Finanzlage des Reiches gezwungen sehe, die vierteljährlichen Borauszah. lungen einzustellen und die Gehälter nur noch monatlich im Voraus zahlen zu lassen. — Bevor die entsprechende Gesetzesvorlage an den Reichstag gehl, wird nochmals eine Aussprache mit den Spitzenorganisationen stattfinden, nachdem sie den Beamten von der gestrigen Vorbesprechung Kenntnis gegeben haben. Auch das Reichskabinett wird sich lt. „Vorwärts" mit der Anlegenheit befassen. Die Neuregelung soll am 1. Okt. in Kraft treten.
Der neue Reichspostminister.
Berlin, 29. Aug. Der Reichspräsident hat das Mitglied des Reichstages, Dr. Höfle, zum Reichspostminister ernannt. — Wie wir erfahren, ist als Staatssekretär im Reichsministerium des Innern der Geheime Regierungsrat im Reichsjlistizministe- rium, Zweigert, in Aussicht genommen.
Umgehung des Markverkaufverbots.
Berlin, 29. Aug. Die Devisenbeschasfungsstelle weist darauf hin, daß ihr in den letzten Tagen verschiedene Fälle zur Kenntnis gekommen sind, in denen Banken zahlreiche Einzelposten von Reichsmarkbeträgen bis zum Gegenwerte von 10 Pfund Sterling gleichzeitig an einem Tage zugun- sten der gleichen Auslandsadresse zur Versendung gebracht haben. Hiermit ist unzweideutig unter Ausnutzung der for. mellen Freigrenze für kleine UeLerweisungen eine Umgehung des Markverkaufsverbotes beabsichtigt und verwirklicht. Die Devisenbeschaffungsstelle wird derartige ihr zur Kenntnis kommende Umgehungsversuche unnachsichtlich zur strafrechtlichen Verantwortung ziehen.
Finanzielle Schwierigkeiten der Berliner städtischen Betriebe.
Berlin, 29. Aug. Die Berliner städtischen Betriebe, an ihrer Spitze das Gas- und das Elektrizitätswerk, befinden sich in einer so schwierigen finanziellen Lage, daß mit ihrer Schließung oder zum mindesten mit starker Einschränkung d;r Betriebe zu rechnen ist. Nicht nur Großbetriebe, sondern auch einzelne Gruppen privater Abnehmer haben vorläufig die Zahlungen an die Werke eingestellt. Dadurch sind diese der Möglichkeit beraubt, Kohlen einzukamfen, sowie Gehälter und Löhne zu zahlen. Oberbürgermeister Bötz will nochmals einen dringenden Hilferuf an das Reichsarbeitsmini- sterium um sofortige Gewährung von Reichskrediten richten, damit ein Zusammenbruch der Gas- und Elektrizitätsversorgung Berlins vermieden werden kann.
Vermischtes.
Durchsuchung der Detriebsrätezentrale in Berlin.
Berlin, 29. Aug. Wie die Blätter melden, hat die Polizei gestern nach Durchsuchung der Betriebsräte-Zentrale in Berlin mehrere Verhaftungen vorgenommen, Unter den Festgenommenen befinden sich auch vier kommunistische Stadtverordnete, sowie ein Stadtrat. Sofort nach der Verhaftung begaben sich einig« Parteigenossen der Verhafteten nach dem Polizeipräsidium, um sich nach den Gründen für die Festnahme zu erkundigen und die Freilassung der Inhaftierten zu erwirken.