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NüMwsr 228

Fernrrst 179

Donnerstag, dsn 30, September 1926

Fernruf 178

61. Jahrgang

Sven Hedm und der Völkerbund

Unter den vielen Gegenständen, die der Völkerbund in einer siebten, am letzten Samstag geschlossenen, Vollver- ammlung zu behandeln hatte, war auch die Prüfung der Jahresberichte der Mandatsmächte und dabei beson­ders die Frage, ob die Eingeborenen der Mandatsgebiete an den Völkerbund Bittschriften richten dürfen und wie solche Bittschriften zu behandeln seien, ob sie unmittelbar an das Sekretariat in Genf vorgeiegt werden dürfen, oder ob sie vielmehr durch' die Regierungen der Mnndatsmächts vermittelt werden müßten man kann sich denken, mit welchem Erfolg oder ob unter gewissen Umständen die Mandatskommission Beschwerdeführer aus jenen Völkern persönlich empfangen dürse?

Der letztere Vorschlag, den die Kommission vortrug, brachte die französischen und englischen Vertreter ganz aus dem Häuschen. Ja, der Franzose de Jouvenel meinte sogar, die Kommission habe die Schuld an der Verlängerung der syrischen Unruhen, weil sie die dortigen Beschwerde­führer angehört hätte. Und so wurde, im Gegensatz zu der Mandatskommission, an der seitherigen Uebung festgehalten: die Eingeborenen haben zu schweigen.

Wie stimmt das aber zu dem ganzen Mandats­system überhaupt? Die Völkerbundssatzung (Art. 22) stellt den großen Grundsatz aus:Das Wohlergehen und die Entwicklung dieser Völker bildet eine heilige Aufgabe der Zivilisatio n." Deutsch­land habe diese Aufgabe schnöde vernachlässigt, habe viel­mehr die Eingeborenen grausam unterdrückt, willkürliche Beitreibungen vorgenommen, die Eingeborenen zur Zwangs­arbeit und zum Militärdienst angehalten, kurz auf dem Ge­biet der kolonialen Zivilisation gänzlich versagt.

Genau das Gegenteil ist wahr. Und dies bekundet der große schwedische Forscher Sven Hedin in einem Auf­ruf, der in diesen Tagen seine Runde unter allen Völkern der Erde antritt.

Der M a n d a t s w e g sei nur ein Schachzug der Entente gewesen, um die deutschen Kolonien ohne Entschädigung wegzunehmen. Diese Kolonien seien ebensoviel wert gewesen, wie die Staatsschulden ganz Europas. Allein die Gebiete, die England bekam, seien auf 20 Milliarden Mark ge­schätzt worden. Das Anklagematerial gegen Deutschland, das unter Lloyd Georges Leitung gesammelt und ge­druckt wurde, seiein Meisterstück der Lüge und Verdrehung". Nicht Deutschland, nein Frankreich habe Kamerun und Togo militarisiert, und der Völkerbund habe ausdrücklich seinen Segen dazu gegeben, also zu etwas, das er selbst nicht lange vorher als schwersten Vorwurf gegen Deutschland gebrandmarkt habe.

Die Deutschen haben ein liebermaß an Kraft und Kenntnis an koloniale Unternehmungen aufgebracht. Darum blühten ihre Besikungen. Jetzt verfallen sie in jeder Beziehung, da die M a n d a t s st n a t e n schon vorher mit Kolonien übersättigt waren und nicht noch mehr Land ver­dauen können. Am 30. Juli 1023 nennt die Londoner Times" das ehemalige Deuisck-Ostasrika bereits einPara­dies der Bürokraten", wo die Mcmdaisosrwaltung nichts anderes sei als eine Organisation zur Aufbringung der Steuern, während der Zustand der Kolonien betrübend sei. Die deutschen Plantagen sind wieder zur Wildnis gewor­den, die Sievern sind zu hoch, die Eingeborenen haben die Verdienstmöglichkeiten verloren, der Gesundheitszustand wird schlechter, man hat kein Geld und» keine Zeit, man kann einfach die Kolonien nicht so v o r b i l d l i ch ver­mal t e n, wie die Deutschen es getan haben."

Sven Hedin geht in seinem Aufruf hauptsächlich vom Rechtsstaudpunkt aus. Die Rückgabe der Kolonien sei kein Geschenk, sondern eine einfoche Pflicht, ein gegebenes Versprechen zu erfüllen. Ja, der Engländer Dawson er­klärt den Erwerb der deutschen Koloniendie schimpflichste Handlung, die jemals im Namen der britischen Krone, der Negierung und des Volks begangen worden" sei.

Sie hätten auch darauf Hinweisen können, daß Kolonien für Deutschland einfach eine L e b e n s n o t w en­dig k e > t seien. Wenn wir sie zurückfordern, jo tun wir es nicht, wie unlängst eine amerikanische Zeitung törichterweise bemerkt.hat, aus Weitherrschaftsgelüsten, son­dern weil wirein Volk ohne Raum" sind, weil wir mit unfern 63 Millionen Einwohnern auf V 17 der Fläche der Vereinigten Staaten zusammengedrängt sind, da zu leben haben und nicht nur das, sondern unter den Daweslasten zu leisten haben, was noch von keinem Volk je verlangt worden ist. Sie aber, unsere ehemaligen Feinde, wollen, wie die neulichen Verhandlungen in Genf gezeigt haben, diesen Raub, den sie unter der häuchlerischen Maske eines -.Mandats" an sich gerissen haben, nicht mehr herausgeben, ihn vielmehr in einen dauernden Kolonialbesitz umwandeln. Verträgt sich so etwas mit unserem von ihnen so eifrig betriebenen Eintritt in den Völkerbund?

Vst.

Tagesspiege!

Reichskanzler a. D- Dc. Luther ist in La Paz (Bolivien) emgeirosfen und von der Regierung uns vom Deutschen Club herzlich empfangen morden.

In einer Unterredung mit dem belgischen Ainanzminisier Francqm über eine gemeinsame Festigung des Franken er­klärte Pvincare lautMatm", in Frankreich sei dis öffent­liche Meinung für dis Festigung noch nicht so reif wie in Belgien, und da Frankreich zurzeit auf ausländische An­leihen zu diesem Zweck nicht rechnen könne, so lange die ausländischen Schulden Frankreichs nicht geregelt feien, so Korne Frankreich seht noch zur Frankenfestigung schreiten.

Der italienische Prinz humbsrt wird demnächst in Be- cstsitimg des Ministers Aederzoni, des Staatssekretärs E-randi und des Generals Badgtic» nach Bukarest abreisen, um dem rumänische« Königspaar die Einladung zu einem Besuch in Rom zu überbr'mgsn.

Der rumänische Ersknnnister Zlverescu erklärte Presse­vertretern, der neue rumänisch-itt" . nsche Vertrag erkenne stillschweigend die Einverleibung Beßarabiens i" Ru­mänien an.

Ein Notruf aus Germersheim

Germershsim, 29. Sept. Das Bürgermeisteramt der Stadt Germersheim hat an den Völkerbund, an die R e i ch s r e g i e r u n g und an die bayerische Negie­rung einen Notruf gedrahtet, in dem auf die schwere Bedrängnis der Stadt durch die Besatzung hingewiesen und die sofortige Einsetzung eiiws unparteiischen Schiedsgerichts zur Untersuchung der kürzlichsn Vor­fälle sowie die schnellste Entfernung aller frem­den Truppen aus den Mauern der Stadt ge­fordert wird.

Der Mörder von Germersheim mit Notwehr entschuldigt

Die Untersuchung der ruchlosen französischen Mordtat in Germersheim hat folgendes ergeben: In der Nacht zum 27. September, gegen 1 Uhr, gingen vier junge deutsche Arbeiter, die Bier getrunken hatten, jedoch nicht betrunken waren, auf dem Heimweg am Ludwigstor vorbei. Dort sahen sie einen Zivilisten stehen und fragten sich, was der wohl im Schilde führe. Einer der jungen Leute, Richard Holz- m a n n, näherte sich dem Unbekannten, woraus dieser sofort mit einer Reitpeitsche auf Holzmann einschlug und drei Schüsse abgab, von denen einer Holzmann ins Gesicht traf. Der Verletzte begab sich zum Arzt, die anderen Deut­schen entfernten sich nach der Stadt. Unterwegs trafen sie den Fuhrmann Josef Mathes, dem sie den Vorfall er­zählten. Mathes sagte, man müsse feststellen, wer der Täter sei, und sie warteten nun bis der Franzose, der Leutnant Rouzier vom Artillerieregiment 311, kam, zu dem sich inzwischen ein weiterer Franzose gesellt hatte. Die Deutschen folgten den Franzosen, der eins gab dann wieder 6 Schüsse ab, von denen einer den Emil Müller im Rücken tödlich

traf; Mathes wurde am Kopf so schwer verletzt, daß er wohl nickt mit dem Leben davonkommen wird.

Der Leutnant Rouzier ist in Germersheim wegen sei­nes heraussordenden Benehmens bekannt, wie auch in die­ser Beziehung das Artillerieregiment 311 sich hervortut. Bei den schmählichen Ueberfällen am Kriegertag in Germers­heim waren Rouzier und seine Leute die eifrigsten, die die deutschen Fahnen herabgerissen und auf die Deutschen schimpften. Wie dasRheinische Volksblatt" berichtet, ging Müller, nachdem sein Freund Mathes niedergeschossen war, zu dem Leutnant und sagte:Monsieur, du hast meinen Freund erschossen!" Rouzier rief:Egal, du auch kaputt!" und schoß auch Müller nieder, der sofort tot war.

Nach der Tat begab sich Leutnant Rouzier in Schutzhaft, er wurde aber von der französischen Behörde alsbald auf freien Fuß gesetzt. Die französische Behörde verlangte, daß die gerichtliche Leichenöffnung Müller durch fran­zösische Aerzte vorgenommen werde, wogegen der Bruder Müllers, der die rechtmäßige Leichenöffnung durch deutsche Aerzte verlangte, Widerspruch erhob. Die deut­schen Behörden fügten sich jedoch der französischen Forde­rung. Ein deutscher Arzt war aber als Beobachter zugegen. Man fand die tödliche Kugel im Rücken stecken, Rouzier hat demnach den Müller von hinten erschossen. Die Unter­suchung gegen Rouzier wird nicht aus Grund von Totschlag, sondern nur Körperverletzung ge­führt natürlich, es handelt sich ja nur um Deutsche.

Indessen auch das ist der Regierung Poincarös noch viel zu viel. Die Agentur Havas veröffentlicht alsTelegramm aus Mainz" die halbamtliche Erklärung: Nach denin Mainz Ungezogenen Erkundiaunaev" seien am letzten Sonn­

tag mehrfach französische Soldaten von Deutschenheraus- gesordert" worden. In der Nacht um 1 Uhr hätten sechs Deutsche einen Offizier angegriffen und geschlagen. In der Notwehr (!!) habe er einen seiner Angreiferver-, mundet", nachdem er einen Schreckschuß abgegeben hatte. Auf dem Heimweg sei er erneut angegriffen worden und dann habe er wieder in derNotwehr" sich verteidigt, wobei ein Deutscher getötet, ein weiterer verwundet wurde.

Es ist kaum zu bezweifeln, daß der Mörder freikommen oder im schlimmsten Fall mit einer sehr gelinden Strafe davonkommen wird, wie es hundertmal im Ruhr- und Rheingebiet der Fall gewesen ist und immer sein wird. Die Schuldigen sind vielmehr, wie immer, die Deutschen, und sie dürfen froh sein, wenn man ihnen nicht wieder mit neuen Sanktionen" kommt. Gut. Wie steht es aber mit den Annäherungsversuchen"? Wenn man darunter bloß versieht, daß die Deutschen sich bis aufs Hemdent­waffnen , zu allem ja sagen und einige Milliarden Extra- löscgeld neben der Dawesentschädigung zahlen, während der neueFreund" Franzose in seinem Verhalten und in seinen Ansprüchen alles beim alten läßt, dann können wir auf eine siicheAnnäherung" auch verzichten.

Reue Ausschreituna-n in Germershsim

Nach den Biö.ttermeidungen erstattete ein Streckenwärter in Germersheim Anzeige, daß in der Nacht auf Dienstag aus einem Auto, das anscheinend von einem Franzosen ge. steuert wurde, auf ihn ein Schuß abgegeben worden sei.

Das Artillerie-Regiment 311 soll aus Germersheim weg- verleqt und durch das Artillerie-Regiment bi2 aus Mainz ersetzt werden.

Der Leutnant Rouzier soll nach Landau gebracht worden sein. Die Besatzungsbehörde hat die Leiche Müllers noch nicht freigegeben: sie sollte am 29. September beerdigt wer­den. Die Franzosen scheinen eine öffentliche Beerdigung nicht dulden zu wollen.

*

Nachträglich wird noch folgender Vorfall bekannt. Am Sonntag, abends gegen 10.30 Uhr, wurde ein junger Mann von 17 Jahren auf der Straße von französischen Militärs, die aus einem Haus herauskamen, ohne jeden Grund an- gehaiten, in den Hausgang hineingezerrt und von einem Franzosen in Zivil mit der Reitpeitsche bearbeitet unter der Beschuldigung, er habe einen Franzosen geschlagen. Dann wurde der junge Mann von einer vier Mann starken fran­zösischen Streiswache auf die Wache geschleppt und dabei fartwährend durch Kol' eustöße und Hiebe auf Rücken und Kopf mißhandelt. Als sich die Verlogenheit der Anschuldigung herausgestellt hatte, wurde der übel zugerichtete junge Mann um 12 Uhr aus der Kaserne entlassen.

Berlin, 29. Sept. Die Reicbsregiervng wartet den Be­richt des stel'vertt elenden Neichskommissärs Grafen Adel­mann ab, ehe sie in der Germersheimer Angelegenheit Schritte unternimmt.

eus Nachrichten

Die Verhaftung von Dich und Goldmann Berlin, 29. Sept. Die Verhaftung des bisher unbekannten 2r. Dietz in Elberfeld, der früher Vertreter derBergisch- Märkischen Zeitung" gewesen sein soll, und des Dr. Gold, mann in Wartenburg (Ostpreußen) erfolgte wegen Ver­rats militärischer Geheimnisse. Bei einer Haussuchung wegen des angeblichen Putsches des Justiz­rats El, des Vorsitzenden des Alldeutschen Verbands, wurden Schriftstücke gefunden, aus denen hervorgeht, daß Dietz und Goldmann im Jahr 1922 fremden Staaten eine van Goldmann ausgearbeitete Tabelle für die Flugbahn der Artillerie in Verbindung mit der Pulvermischung und der Länge der Geschützrohre zum Kauf anaeboten haben. Der Verkauf kam jedoch nicht zustande, weil die militärischen Sachverständigen des betreffenden Staats erklärten, diese Tatsachen seien ihnen schon bekannt. Die Verhaftung erfolgte auf Befehl des Oberreichsanwalts. Die Verhafteten werden nach Leipzig überführt.

Die Besahungsverminderung Frankfurt a. 7N., 29. Sept. Die Berliner Meldung, daß etwa 6000 Franzosen aus dem besetzten Gebiet zurückgezogen werden sollen, entspricht nach Wagners Südwestd. Nach- ttchtendienst nicht den Tatsachen. Von der Besatzung werden mr etwa 2600 oder höchstens 3000 Mann zurückgezogen, und zwar soll dies im Lauf der nächsten Woche durchgeführt' sein. Ein Teil der Truppen werde nach Frankreich zurück­gebracht, während es sich bei den andern nur um eine Ver­schiebung handle. Es ei beabsichtigt, das rechtsrheinische Gebietsoweit als möglich" noch im Lauf dieses Jahrs zu räumen. ,

Faszistische Ausschreitungen in Süd-Tirol Berlin, 29. Sept. Nach einer Meldung des ^Vorwärts' baden am Sonnkaa abend 800 Faschisten aus AWelMsieL