Nr. 18«

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

98. Jahrgang.

krsch-tnungiwets«: Sm«l wSchnitl. Anztlgtnpr«!»: Die Zeile SÜOO M., Familienanzeigen e«0V M Reklamen 24V00 Mk. «»s Sammelanzeigen kommt ein Zuschlag von IVV"/». Fcrnspr. S

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Samstag, den 11. August 1SL3.

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Neueste Nachrichten.

Anläßlich de» Verfassungsfeier hat der Reichspräsident einen Ausruf an das deutsche Volk erlassen, in dem er besonders aus die notwendige Einigkeit, ans treues Zusammenhalten, aus Gemeinsinn, Arbeit, Ordnung und Opferwilligkeit hinweist.

Infolge des Buchdruckerstreiks konnte durch die Reichsbank einige Stunden keine Notenausgabe erfolgen, daher großer Ansturm auf alle Banke«.

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Der Reichspräsident erläßt eine Verordnung zur Wiederherstel­lung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit.

Die Beratungen des Reichseisenbahnrats wegen Erhöhung der Personen« und Gütertarife haben zu einem. Ergebnis geführt. Die Tarife sollen eine «vvprozentige Erhöhung erfahren.

Kundgebung der ReilhsprSfidenleu.

Berlin, 10. Aug. Der Reichspräsident hat folgenden Aufruf erlassen:

An das deutsche Volk!

In schwerer Bedrängnis, zurückblickend auf Jahre des Leidens und Duldens, vorwärtsschauend in dunkel verhan­gene Zukunft, begeht heute Deutschland seinen Verfassungs­lag. Jeder von uns kennt das ungeheure Ausmaß unserer Not und Bitterkeit. Ilnd dennoch: Wir wollen den besonde­ren Sinn dieses Tages nicht vergessen.

Das deutsche Volk hat sich seine VerfassunL*gegeben, einig in seinen Stämmen und von dem Willen beseelt» sein Reich in Freiheit und Gerechtigkeit zu erneuern und zu festigen, dem inneren und äußeren Frieden zu dienen und den gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern. Dies besonders wollen wir heute aufs neue bekunden und bekräftigen.

Gerade auf den Tag sind heute 7 Monate vergangen, seit dem Franzosen und Belgier in unser Land eingebrochen sind. Sie haben unsere fleißige Arbeit stillgelegt; schuld­lose Menschen, jung und alt, verjagt, gepeinigt, gemartert und getötet. Sie haben unser redliches Bemühen, Uner­füllbares erfüllbar zu machen, in tiefe Verbitterung ver­wandelt. Etwas gutes für sich und Europa haben sie nicht erreicht; es sei denn, daß sie dies eine erreicht haben: Wie noch nie so felsenfest, noch nie so innig glauben wir jetzt an unsre deutsche Zusammengehörigkeit und unser Stammes­bewußtsein. Unglück verbindet, Mannesfaust schlägt in Mannessaust, Frauenhand faßt Frauenhand. Deutsch sind wir und deutsch wollen wir bleiben. Wir blicken vergeblich in die Ferne. Schutz und Hilfe kommen nicht von dort. Die Begeisterung für das Recht scheint draußen verschwurt« den zu sein. Wo sie noch ist, fällt sie willkürlicher Gewalt nicht in den frevelnden Arm. Wir müssen uns selber helfen.

Deutsche am Rhein, Ruhr und Saar, Ihr seid uns Beispiele, die uns immer wieder erheben können. Verzaget nicht. Noch nie hat ein Sieger im Rausche seiner Macht Recht behalten. Das lehrt die Weltgeschichte. Deutsche an allen freien Strömen des Vaterlandes, laßt Euch nicht von Kleinmut Niederdrücken und von Selbstsucht leiten. Für Genußsucht und Luxus läßt die Not des Volkes keinen Raum. Fort daher mit all den heute besonders verächt­lichen, verderbenden, aufreizenden Erscheinungen gedanken­losen Taumels. Seid Euch stets bewußt, daß der Kampf an Rhein und Ruhr nun auch von Euch gesteigerte Opfer fordert, daß die Not der Stunde von allen immer wieder größte Selbstlosigkeit und große Leistungen von uns ver­langt. Regierung und Reichstag sollen Mut und Tatkraft zeigen und Entschlüsse finden, um durch eiserne Kraft- anstrengungen die Not dieser Tage zu meistern. Verzehrt Euch nicht in Zwietracht, im Kampf der Sonderinteressen, im Markten und Feilschen, sondern helft Euren Brüdern und Schwestern an Rhein und Ruhr, denen heute eine große Sammlung vorbereitet wird. Gebt auch Ihr mit vol­len Händen. Gedenkt, daß mit Geld wenigstens um ein Geringes unseren gequälten Volksgenossen geholfen wer­den kann.

Deutsche, laßt das Ergebnis dieses Tages nicht mitten in der Not ein unerschütterliches Bekenntnis sein, ein Bekennt­nis zum einigen, unteilbaren, der Zukunft trotz allem un­gebeugt entgegensehenden Deutschen Reiche, der Deutschen Republik.

Das deutsche Volk hat in seiner Geschichte schwere Zeiten bestanden. Es wird auch diese trüben Stunden überwinden, wenn es standhaft bleibt in treuem Zusammenhalten, in Gemeinsinn, Arbeit, Ordnung und Opferwilligkeit.

Berlin, am Verfassungstage 1923.

Der Reichspräsident: gez. Ebert.

Deutscher Reichstag.

Stimmungsbild.

Berlin, 10. Aug. Die heutige Sitzung begann mit einem vergeblichen Protest der Kommunisten gegen eine gestrige Verfügung des Reichstagspräsidenten, durch die die Zu­lassung von Delegationen in den Reichstag beschränkt wurche, weil gestern viele Besucher sich in fremden Frak­tionszimmern aufgehalten und Abgeordnete behindert hat­ten. Nach rascher Erledigung einiger kleinerer Vorlagen wurde sodann die Besprechung der Regierungserklärung durch Abgeordneten Petersen (Dem.) fortgesetzt, der die französische Politik scharf geißelte, England, Italien und Amerika jedoch an die Pflicht erinnerte, die ihnen aus dem Versailler Vertrag erwachse. Deutschland brauche lau­ter starke Männer, seine Partei unterstütze die Regierung mit aller Kraft. Der Abg. Böhm (B. Vp.) versicherte die Reichstreue Bayerns. Eine scharfe Anklagerede gegen die Regierung hielt der Abg. Froelich (Komm.). Seine An­klage klang in folgende Punkte aus: Planmäßige Ausplün­derung des deutschen Volkes, Duldung und Förderung des Hochverrates an der Ruhr durch die Großindustriellen, Vorbereitung des Bürgerkrieges. Die Arbeiterschaft werde am Platze sein, wenn es den drohenden Angriff abzuwehren gelte. Die Kommunisten stellten folgenden Mißtrauens­antrag:Die Ausführungen des Reichskanzlers entsprechen nicht den Anschauungen des Reichstags. Der Regierung wird das Vertrauen entzogen." Der deutschvölkische Abg. v. Eraefe unterzog die Regierung ebenfalls einer schar- fen Kritik. Derartige Bankerotteure der Politik würden in jedem andern Lande unmöglich sein. Der Reichskanzler be­finde sich in einer kläglichen Unfreiheit, weil er es versäumt habe, sich die Vollmacht zu einer Auflösung des Reichstags geben zu lassen. Der Redner protestierte gegen die Be­handlung von Roßbach, verlangte eine Diktatur, die allein aus dem Sumpfe herausführen könne, forderte ein Ein­schreiten gegen die elende Wucherwirtschaft der Bank- und Börsenkreise und bezeichnete die Regierungsvorlagen als elendes Flickwerk. Der Abg. Ledebour (U.S.P.D.) meinte, der Reichskanzler habe sich mit seiner Politik als bester Helfer Poincarös erwiesen. Staatssekretär Frhr. v. Maltzahn äußerte sich über die Ausweisung deut­scher Reichsangehöriger aus Polen, dessen Negierung we­nig Neigung gezeigt habe, dem deutschen Verständigungs­willen in gleicher Weise zu begegnen. Zum Schluß sprach dann noch der Reichsernährungsminister Dr, Luther, der sich bemühte, die Sorgen wegen der Lebensmittelversorgung zu beschwichtigen. Die Schwierigkeiten bei der Lebensmit­telversorgung liegen nur auf dem Gebiete der Zahlungs­mittel und des Kreditwesens. Wir werden die nötigen De­visen heranschaffen. Auch durch Beschaffung wertbeständi­ger Eoldanleihemöglichkeiten wird sich der Lebensmittel­ankauf erleichtern. Die Kartoffelzufuhr werde sich in näch­ster Zeit wesentlich steigern. Jeder müsse sich einreihen in die Einheitsfront zur Bekämpfung der Not. Damit war die erste Beratung erledigt und man beschloß, eine Stunde spä­ter zu einer weiteren Sitzung zusammenzutreten.

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Die Pause, in der Fraktionssitzungen abgehalten wurden, hat sich bis 8 Uhr ausgedehnt.

Präsident Lobe eröffnet die Sitzung wieder und stellt die Strucrvorschläge zur zweiten Beratung.

Abg. Oberfohren (DN.) gibt für das Zentrum, die Deutsch-Nationalen, die Demokraten, die Deutsche und die Baye­rische Volkspartei di« Erklärung ab, diese Parteien bäten um sofortige einstimmige Annahme der Kompromißvorschläge, die im Steuerausschuß einstimmig mit Zustimmung aller Parteien gegen die Kommunisten angenommen wurden. Die Kompromißvorlagen ergänzen die Steuervorlagen der Regierung durch eine Heran­ziehung der Landwirtschaft mit einer Belastung von je 1^ Gold­mark für 2000 Wehrbeitrag auf sechs Monate und durch eine Lohnsummensteuer der Arbeitgeber mit dem zweifachen der Lohn­steuer. Der Abg. Oberfohren erklärt«, di« Parteien, für di« er

spreche, hätten mit Rücksicht auf die schwierige Lage des Vater­lands die schweren Bedenken gegen die Vorlagen zurückgestellt, um durch entschlossene Maßnahmen der Not des Landes zu steuern. (Beifall.)

Abg. Keil (Soz.) stimmt für seine Fraktion der Kompro- mißvorlage zu und bedauert, daß erst di« katastrophale Erschüt­terung der Währung notwendig war, um die Reichetagsmehr­heit zur Annahme der alten sozialdemokratischen Forderungen zu bewegen. Diese Vorlage könne aber nur der Anfang sein, dem eine durchgreifende Finanzreform mit Erfassung der Sachwerte folgen müsse. (Beifall bei. den Sozialdemokraten.)

Abg. Koenen (Komm.) erklärt, seine Fraktion lehne nicht alle Teile der Vorlage ab, wenn sie sie auch als ungenügend be­trachte. Die Besitzenden kämen bei diesem Kompromiß noch viel zu billig weg. Die Erhöhung der Vorauszahlungen auf das 400- fach« genüge nicht, keinesfalls für das Rhein- und Ruhropfer. Die schwankende Regierung Tuno sei auch jetzt nicht in der Lage, radikale Besitzsteuern Lurchzuführen. Das Kompromiß sei das Angstprodukt der Koalitionspolitik, die der gegenwärtigen revolutionären Welle einen Damm entgegensetzen wolle. Wir fordern namens der streikenden Massen die sofortige Erfassung der Sachwert«, den Rücktritt der Regierung Cuno und für DMtschland die Arbeiterregierung.

Damit schließt die allgemeine Aussprache.

Das Rhein- und Ruhropfer wird in zweiter und dritter Be­ratung einstimmig endgültig angenommen, ebenso die übrigen Steuervorlagen, die erhöhte Biersteuer gegen die Kommunisten.

Damit ist die Tagesordnung erledigt.

Präsident Löbe wirft die Frage auf, ob die Abstimmung über den kommunistischen Mißtrauensantrag und di« Beratung über die wertbeständige Anleihe am Samstag oder am Montag stattfinden soll.

Abg. Marx (Z.) beantragt, die nächste Sitzung am Montag abzuhalten.

Abg. Koenen (Komm.) ist für die Abhaltung der Sitzung am Samstag. Der Verfassungstag könnte nicht würdiger be­gangen werden als durch die Beseitigung der Cuno-Regierung (Heiterkeit.)

Abg. Dittmann (Soz.) ist für eine Samstag-Sitzung.

Gegen eine Minderheit der Demokraten, Sozialdemokraten' und Kommunisten wird beschlossen, die nächste Sitzung am Mon­tag um 2 Uhr nachmittags abzuhallen.

Schluß: S Uhr.

Damit ist die erste Beratung erledigt. Um ^6 Uhr tritt eine Pause bis )H7 Uhr ein, nach der die zweite und dritte Bera­tung der Vorlagen folgen soll. Vorher wurde debattelos der Be-« foldungs- u. Ruhegehalts-Haushalt des Reichsbankdirektoriüms dem Haushaltsausschuß überwiesen. Das Gesetz über die Ausprä­gung von Ersatzmünzen wurde angenommen.

Englische Stimmen zur Rede des Reichskanzlers.

London» 9. Aug. DieTimes" schreibt zu der gestrigen Rede des Reichskanzlers, seine Kritik der britischen Politik könne für den Augenblick"außer Betracht gelassen werden. Die britische Re­gierung besitze keine Zauberformel, um Deutschland zu retten. Die habe ihr bestes getan, um unter außerordentlichen Schwierig­keiten für eine gesunde Auffassung einzutreten und werde dies auch weiter tun. Es sei nicht unbedingt nachteilig, daß die eng­lische Haltung in Deutschland anscheinend eine Enttäuschung her­vorgerufen habe. Der Tatsache, daß die britische Regierung ent­schieden gegen die Ruhrbesetzung war, sei von der deutschen öf­fentlichen Meinung übertriebene Bedeutung beigemessen wor­den, denn ein in einen bitteren Streit verwickeltes Volk nehme naturgemäß an, daß diejenigen, die nicht gegen es seien, auf seiner. Seite ständen. Es sei gut, wenn diese Illusion zerstreut werde, zumal, da sie eine betäubende und lähmende Wirkung auf Deutschland ausgeübt habe. Die Bemühungen Großbritanniens, eine fortschreitende Reparationspolitik zu betreiben, seien bisher ayf zwei ernste Schwierigkeiaen gestoßen. Das eine Hindernis sei die französische Ruhrpolitik, das andere die Energielosigkeit Deutschlands. Eim'g« Sätze der Rede des Reichskanzlers deuteten an, daß diese passive Haltung auf jeden Fall aufgegeben werden soll und daß Deutschland möglicherweise etwas tun werde, um sich selbst zu retten. Der Entschluß allerdings, den passiven Wi­derstand aufrechtzuerhalten, lasse die Ruhrlage genau so, wie sie sei. Es frage sich, ob die deutsche Regierung ihre Politik in ir­gendeiner Richtung zu ändern beabsichtige. Der Ruhrkonflikt habe die finanzielle Desorganisation Deutschlands beschleunigt. Der Zusammenbruch der Mark und die dadurch verursachte Ge­fahr sozialer Unruhen scheine die deutsche Regierung zum Han­deln veranlaßt zu haben. Lunos Rede lei wichtig gewesen, nicht