M FI

Amtsblatt für M'dbad. Chronik und Anzeigenblatt

für Las obere Enztal

Erscheint täglich, ausgenommen Sonn- und Feiertags. Bezugspreis halbmonatlich 65 Pfennig frei ins Haus geliefert; durch die Post bezogen im innerdeutschen Verkehr monatlich 1.50 Mk. :: Einzelnummern 10 Pfg. Girokonto Nr. 60 bei der Oberanrtssparkuffe Neuenbürg Zweigst. Wildb. :: Bankkonto: Enztalbank Komm.-Gef. Häberle L Co. WildbaS.:: Postscheckkonto Stuttg. 29174.

Anzeigenpreis: Die einspaltige Petitzeile oder deren Raum im Bez. Grund:,r. 15 Psg., außerh. 20 einschi. Inch-Steuer. Reklamezeile 40 Pfg. :: Rabatt nach Tarif. Für Offerten u. bei Auskunfierteiiirng werden jeweils '0 Pfg. mehr berechnet. :: Schluß der Anzeigennahmr tagt. 8 Uhr norm.:: In KonkrirssäÜe» od. wenn gerlchrl. Bsitrsibnug notw. wird, fällt jede NuMlaßgewähr. weg.

Druck, Verlag u. Hauptfchriftleitung Theodor Gack. Für den lokalen Teil verantwort!. Karl Th. Fluni in Wildkad

iELWU-

NKMMer 1.2V Fernruf 179

Donnerstag, den 27. Mai 1926

Fernruf 179

61. Jahrgang

Wer wird Staatspräsident in Polen ?

Natürlich Pilsudski! Das Militär steht hinter ihm. Ebenso die Sozialdemokratie. Und doch ist die Sache nicht so einfach.

Ende dieser Woche fo haben alle Parteien am Freitag in Warschau beschlossen soll die N a t i o n a l- Versammlung einberufen werden, um die Wahl des Staatspräsidenten vorzunehmen. Die Sache hat Eile, Polen braucht möglichst bald Ruhe. Der Zloty steht schlecht. Ge­schäfte und Banken machen der Reihe nach bankrott. Die Landwirtschaft steht vor einer Katastrophe. Das Gewerbe liegt darnieder. Die Staatsfinanzen wanken bedenklich. Und draußen an den Grenzen lauern Litauen und Rußland auf die Stunde, wo sie sich an dem verhaßten Nachbarn rachen können.

Aber wen sollen die Herren vom Sejm (Reichstag) und Senat zum Staatschef wühlen? Vor 20 Jahren wurde in einer Lodzer Geheimdruckerei derRobotnik" gedruckt, der für den bewaffneten Widerstand gegen die russische Herr­schaft eintrat. Joseph Pilsudski war der Schriftleiter, Stanislaus Wojciechowski der Setzer. Aus dem Schriftleiter, der für seine revolutionären Umtriebe in Si­birien büßen mußte, wurde 1918 der erste Staatschef, und ans seinem Setzer vier Jahre nachher der erste verfassungs­mäßige Staatspräfioent. Am letzten Himmelfahrtstag be­gegneten sich beide aus der Weichselbrücke in Warschau. Sie -rinuerten sich wohl ihrer früheren Freundschaft. Pilsudski schonte den Staatspräsidenten. 24 Stunden später stand er, der schon hundertfach als Führer der polnischen Legionen dem Tods ins Angesicht geschaut, im Kugelregen. Der Staatspräsident aber kletterte über die Mauer seines Schlosses und folgte mit wenigen Getreuen zu Fuß den stiebenden Regierungstrnppen.

Pilsudski hat zweifellos heute die Macht in den Händen. Tausends und aber Tausends der Regierungs­truppen sind mit dem Ruf:Es lebe Pilsudski!" zu seinen Regimentern übergegangen. Der Kamps mit den Waffen ist zu Ende. Ein achttägiger Bürgerkrieg diese polnische Himmelfahrtsrevolution. Und doch ist das Spiel noch lange nicht zu Ende. Es wird nur verlegt, nämlich von der Straße in den Parlamsntssaal. Hier muß die Entscheidung fallen. Und hier kann sie ganz anders fallen. Für den Mi- aisterpräsidenten W i t o s, den Vauernführer? Für Graf Skrzyn s k i, den ententesreundlichen Außenminister? Für W o j c i e ch o w s k i, den seitherigen rechtmäßigen Staats­präsidenten, der mit Witos zurückgetreten ist? Für den .-oejmmarschall Rataz? Oder für Pilsudski? Die Rechtsradikalen und die Bauern sind gegen Pilsudski und sie bilden im Sejm und im Senat die Mehrheit.

Das ist das eine Hindernis. Aber es gibt noch ein an­deres. viel schwierigeres. Und dieses liegt in Pilsudskis Per­lon selbst. Wohl kommt dieser Mann aus den Kreisen des Sozialismus, aber er scheut sich heute, dessen Forderungen mtgerichtig zu vollziehen. Und die erste sozialistische Forde­rung lautet: Gewaltsame Enteignung des Großgrundbesitzes und unentgeltliche Land­verteilung an die Bauern. Pilsudski weiß recht gut, wohin eine solcheBodenreform" führt. Aber di« links­radikalen Elemente, die er mit Waffen versehen hat, for­dern die versprochene Morgengabe, und wären nötigenfalls bereit, die ihnen in die Hände gedrückten Waffen gegen ihren Führer selbst zu richten, wenn es nicht nach ihren Wünschen ginge.

.Kein Wunder, daß Pilsudski selber kein« rechte Lust zur Uebcrnabme der höchsten Staatsgewalt zeigt. Seine Freunde aber drängen ihn. Ob er nicht am Ende ihnen nachgeben muß? Für alle Fälle soll der Staatspräsident diktatorische Gewalt bekommen.

Wird Pitsudski als Staatschef Ordnung in die berüch­tigtepolnische Wirtschaft" bringen? In den vier Jahren semer Präsidentschaft (191822) hat er sich von der üblichen Korruption" ferngehalten. Er erlag nicht dem Zauber des Goldes. Aber, wie es vielfach bei solchen Naturen zu gehen vpegi^ um so mehr steht er unter dem Bann des Domäns der Ruhmsucht. Und jedenfalls sind seine Anhänger nicht viel besser als die seines Gegners Witos. Es ist eben überall Bestechung und Schieberei.

Für uns Deutsche kommt noch etwas anderes in Be­tracht. Daß der alte Revolutionär Rußland haßt, ver­steht sich von selbst. Man sagt ihm auf der anderen Seite eme gewisse Deutschfreundlichreit nach. Er habe Sinn und Verständnis für die Rechte und Bedürfnisse der nationalen Minderheiten. Ob er dies auch haben wird, wenn er wieder an Polens Spitze steht und dem Druck der Na- sionaljsten ausgesetzk ist? Der tapfereLegionär" hatte auch im Weltkrieg innerhalb Jahresfrist seine Front gewechselt. Zuerst focht er aus seiten der Mittelmächte, nachher auf seiten der Entente. Und wie oft hat sich das Wort bewahr­heitet:Da er den Bissen genommen hatte, fuhr der Satan m ihn." Vii. H.

Taaesspievel

Halbamtlich wird die Meldung der LondonerTimes", daß Reicksbankpräsident Dr. Schacht in London über den Abbau des Dawesplcms verhandle, als unrichtig bezeichnet. Die Reichsregierung habe keinerlei derartige Schritte unter­nommen.

DerDaily Telegraph" glaubt daß die Beschlüsse der Genfer Abrüstuugsvorkonferenz, in deren Frankreichs Wille ln der Haurlsache durchdrana, den Vereinigten Staaken die weitere Mitarbeit unmöglich machen. England habe also nur noch die Unterstützung von Deutschland. Holland und Schweden.

Der Londoner , Dalln Telegraph" deutet an, nachdem der mutwillige Generalstreik zusammengebrochen sei, könne eine baldige Beilegung des Kohlenarbeiterstreiks erwartet wer­den. Die Negierung werde jede ihr mögliche Unterstützung aewähren, wenn man in geziemender Weise an sie heran- kreke.

Abd el Krim hak die ihm treu gebliebenen Truppen im Norden des Nifgebiets zum letzten Kampf zusammengezogen.

Abd el Krim hat alle französischen Gefangenen frei­gelassen und nach Targnist führen taffen.

Württemberg und die Vahnelektrisierungs-- Plane

Von der Reichsbahndirektion Sluttgart erhalten wir fol­gende Mitteilung:

Die Möglichkeiten des elektrischen Bahnbetriebs in Würt­temberg sind in der letzten Zeit in der Oeffentlichkeit lebhaft erörtert worden, wobei manchmal die Befürchtung aus­gesprochen wurde, daß bei dem beabsichtigten weiteren Aus­bau elektrischer Bahnen in Bayern und Baden die württembergischenVerkehrsbelangeinden Hintergrund gedrängt werden könnten. Diese Be­fürchtung ist nicht begründet.

Jede Einrichtung vorhandener Eisenbahnen für elek­trischen Betrieb ist eine Aenderung, die die laufenden und von der Verkehrsstärke abhängenden Betriebskosten vermindert, die festen Kosten durch Verzinsung und Tilgung des Anlagekapitals aber erhöht. Alle der­artigen Abänderungen haben die Eigenschaft, erst von einer ganz bestimmten V e r k e h r s st ä r k e an wirtschaft­liche Vorteile zu bringen. Die Vorteile sind um so größer je besser die Anlagen ausgenützt sind und deshalb ist es bei der augenblicklichen Finanzlage und den großen Bedenken, denen die Festlegung vieler Millionen in Neuanlagen be­gegnet, das Gegsbene, zunächst solche Strecken dem vor­handenen elektrischen Netz anzuschließen, die einen sehr starken Verkehr aufweisen.

So ist für die nächste Zeit, außer der Fertigstellung der aus Geldmangel im Jahr 1925 in Landshut unterbrochenen Einrichtung der Strecke München Regensburg, in erster Linie die Einrichtung der Strecken von München nach Kufstein zum Anschluß an die österreichischen, elek­trisch eingerichteten Strecken in Aussicht genommen. Im Anschluß hieran sollen die mit Vorteil hinzuzufügenden Strecken München Ulm und Ulm Stuttgart Karlsruhe und von dort aus weiter nach Kehl als Hauptteile des wichtigen West-Ost-Verkehrs in Süddeutsch­land an die Reihe kommen. Durch die großen Verkehrs- zahlen (Zahl und Gewicht der Züge) und die verhältnis­mäßig gute, zeitliche Verteilung der Züge wird diese Strecke eine günstige Ausnützung der elektrischen Einrichtung er­geben. Dazu werden auch auf den namhaften und langen Steigungen die Vorteile der elektrischen Betriebsweise in erheblicher Kürzung der Fahrzeiten und der Möglichkeit dichterer Belegungder Strecke ganz besonders zur Geltung kommen. Bei dem großen Anteil, den auf den Strecken zwischen Bietigheim und Plochingen der anstoßende Verkehr nach Heilbronn und Tübingen aus­macht, kann es sich wohl höchstens um eine kurze Ueber- gangszeit handeln, bis auch die Strecken nach Heil- broun und Tübingen elektrisiert werden, zumal hiesür keine weiteren Kosten für Unterwerke zur Fahrdrahtspeisung entstehen und somit die Sirecken nur zur besseren Aus­nützung der Gesamtanlage beitragen werden. Die Vorteile der Elektrisierung dieser wichtigsten württ. Netzteile sind bei genauerer Berechnung beträchtlich. Obgleich die Strecken­länge mit insgesamt 236 Km. nur etwa des gesamten württ. Bahnnetzes ausmacht, könnten dabei jährlich rund 150 000 Tonnen Kohle, das ist rund -4 des gesamten Be­darfs, für den Direktionsbezirk Stuttgart erspart werden.

Solch günstige Bedingungen weist leider das Sorgenkind unseres württ. Verkehrs, die Nord-Südlinie Oster- burkenStuttgartJmmendingen, die zu einem erheblichen Teil noch eingleisig ist, nicht auf. Hat sic auch für den Personenzugsverkehr erhebliche Bedeutung, so fehlt ihr doch das Rückgrat eines die elektrische Betriebs­

weise tragenden gleichmäßigen und starken Güter­verkehrs. Auf der Strecke StuttgartSchaffhausen hat z. B. der Gesamtverkehr noch keine solche Stärke, daß die elektrische Einrichtung genügend ausgenützt würde. Die -strecke ist rund 200 Km. lang, weist aber bei Dampfbetrieb nur rund 30 000 Tonnen Kohlenverbrauch jährlich, also auf 1 51m. Streckenlänge bezogen nur etwa 1t des Verbrauchs der Hauptbahn auf. Aus den Kohlenersparnissen ließen sich neben den Kosten für den elektrischen Strom kaum die Kosten für Bedienung und Unterhaltung der Stromverteilungs­anlagen decken, sodaß für die Verzinsung der Anlagekosten nichts mehr übrch bleiben und deshalb der elektrische Betrieb wesentlich teurer als der Dampfbetrieb werden würde. Die Vorteile des elektrischen Betriebs für den durchgehenden Personenverkehr lassen sich aber auf der genannten Strecke solange nicht erschöpfen, als sie noch teilweise eingleisig ist und als die A n s ch l u ß st r e ck e n außer­halb Württembergs nicht auch elektrisiert sind.

Mit Rücksicht auf die verfügbaren Mittel kann die Reichs­bahn ibre Elektrisierungspläne nur stufenweise verwirk­lichen. Dementsprechend sind zurzeit die Untersuchungen dar­über im Gang, wie sich die württembergische Hauptbahn MmStuttgartMühlacker und die badische Fortsetzung MüblackerKarlsruheKehl unter Benützung der vor­handenen Kraftwerke für elektrischen Betrieb austauen las­sen. Selbstverständlich muß bei dieser wichtigen Lirecke aus Sicherheitsgründen auf eine Stromversorgung von mindestenszweiunabhängigenStellen Wert gefegt werden. Hierfür kommen die für Bahnbetrieb qe- eianeten Wasserkräfte in Bayern und Baden in Be­tracht.

Neue Nachrichten

Der Saarbrückener Mannergesangverein beim Reichspräsidenten

Berlin, 26. Mai. Der Saarbrücker Mannergesang­verein brachte heute früh dem Herrn Reichspräsidenten im Garten des Präsidentenhauses ein Ständchen dar. Der Vor­sitzende des Vereins gab in einer Ansprache dem Gelöb­nis unverbrüchlicher Treue der Saarländer zur Heimat und zum Reich Ausdruck. Der Herr Reichspräsident erwiderte mit herzlichen Worten des Dankes und sprach die Hoffnung aus, daß das Eaargebiet bald wieder als freier deutscher Boden mit dem Vaterland vereint sein werde.

Garung in Polen

Danzig, 26. Mai. Die Blätter berichten, in Posen und in einem großen Teil Polens, besonders auf dem Land, bestehe ein starker Widerstand gegen den Putsch Pilsudskis, die Ordnung sei aufgelöst. Posen verlange die Wiederherstellung der früheren Regierung. In Lemberg kam es zu blutigen Zusammenstößen.

Der LondonerMorninq Post" zufolge soll es bei den Kämpfen in Warschau etwa 600 Tote und 2000 Verwundete gegeben haben.

Der PariserNewyork Herald" meldet, die amerikanisch« Regierung warne vor der Einreise nach Polen und erteile keine Pässe für Vergnügungsreisende dorthin wegen der all­gemeinen Unsicherheit in Polen. ^

*

Schlußsitzung der ersten Tagung des Abrüstungsausschusses

Genf, 26. Mai. Der Abrüstungsausschuß hat heute nachmittag seine erste Tagung beendet und den Bericht des Redaktionsausschusses nach Einfügung zweier Zusatzanträge des finnischen Vertreters, die die Forderung nach ^ i ch e r- heit ausallgemeiner Grundlage betonen, ein­stimmig angenommen. Der Vertreter der Äereinigken Staa­ten, Gibson, wiederholte nochmals seinen Vorbehalt wegen der an den Völkerbundsrat überwiesenen Anregungen in bezug auf die aus Artikel 16 sich ergebenden wirt­schaftlichen u. militärischen Hilfeleistungen zugunsten eines angegriffenen Staats. Es wurde beschlossen, daß die Unterausschüsse für militärische und wirtschaftliche Fragen ihre Arbeiten sofort aufnehmen.

Politischer Mord in Paris

Paris, 26. Mai. Der Direktor der in Paris erscheinenden Zeitung Le Trident, Petljura, früher Gouverneur der Ukraine, wurde von einem ukrainischen Juden namens Schwär zbarth erschossen, angeblich weil er die Juden in der Ukraine bedrückt habe.

Petljura ist der Kosakenhetman, der nach der Eroberung der Ukraine durch die deutschen Truppen 1917 auf die Seite der Deutschen trat.

Marokko und der Frankenkurs

Paris, 26. Mai. Die Meldungen von der vollständigen Unterwerfung Abd el Krims, seiner Flucht usw. weiden hier vielfach als Üebertreibungen angesehen, die die Re­gierung verbreiten ließ, als ihr wegen des Mißerfolgs in der Frankenstützung der eigene Sturz drohte. Hieraus sei auch znm Teil der Widerstand der Bank von Frankreich gegen.