Nr. 163

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

98. Jahrgang.

Erscheinungsweise: Lmai wöchenU. Anzeigenpreis: Die Zeile 1400 Mk., Famiiienanzeigen

600 Mk., Reklamen 4000 Mk. Auf Sammelanzeigen kommt ein Zuschlag von Hernspr. 9

Montag, den 16. Juli 1923.

Bezugspreis: In der Stadt mit Trügerlohn 10000 Mk. monatlich. Postbezugspreis 10000 M. ohne Bestellgeld. Einzelnummer 400 Mk. Schluß der Anzeigenannahme S UHr vormittag-.

Sie VmillMt Fktttlllreikhs Sil EsM

PoinM -ege» die eigWc« Be!ch«ldig«ngrn

Die Rede Poincares.

Paris, 18 . Juli. In Senlis im Departement Oise hielt Mi­nisterpräsident Poincare anläßlich der Enthüllung eines Krieger­denkmals heute eine Rede, die in Anbetracht ihres politischen Anstrichs als eine Antwort auf die englische Regierungserklärung angesehen werden kann und der der halbamtlicheTepms" poli­tische Bedeutung beimißt. Poincare kam in seinen Ausführun­gen wiederum wie stets bei derartigen Anlässen auf die deutschen .Provokationen und auf die Akte der Barbarei der deutschen Heere zu sprechen. Er fuhr dann fort: Ich bilde mir ein, daß Frankreich an dem Siege der Alliierten nicht unbeteiligt ist. Es >hat allein im Westen den Ansturm der deutschen Heere ertragen. Auf seinem Boden haben die meisten großen militärischen Ope­rationen stattgefunden. Zehn seiner Departements sind besetzt ^gewesen. Um den gemeinsamen Sieg sicherzustellen, war Frank­reich genötigt, in England und den Vereinigten Staaten bedeu­tende Schulden zu machen, um dort Munition und Lebensmittel zu kaufen. In den 4 Jahren des Krieges ist Frankreich viel stärker mitgenommen worden als jedes andere Land. Was aber hat es verlangt und was hat es als Preis für seine Opfer und Leiden erhalten? Territoriale Entschädigungen? Keineswegs! Während befreundete Nationen ihre Grenzen hinausschoben und teilweise Grenzen nach ihren strategischen Interessen erlangten, haben wir einfach nur das wieder erlangt, was der Friedens- vertrag von Frankfurt uns durch Gewalt entrissen hat. Das El­saß ist uns nicht einmal innerhalb seiner Grenzen von 1814 zu- Uickerstattet worden. Wie hat man uns unsere Zurückhaltung «nd'Mäßigung belohnt? Auch die Nationen, die den Friedens­vertrag von Versailles unterzeichnet haben, haben sich von Deutschlands Ausruf: ,Z)as kriegerische Frankreich, das imperia­listische Frankreich!" usw. beeinflussen lasten. So bedeutungsvoll diese Anklagen auch sind, einst werden sie doch vor der Wahrheit zerschellen. Unsere Absichten sind heute die gleichen wie gestern. Wir verlangen keinen Zoll fremden Bodens. Wir wollen nur, Laß ein auch von einer Nation Unterzeichneter Friedensvcrtrag i nach vier Jahren nicht als Preis für ein archäologisches Museum betrachtet wird. Es scheint, daß wir damit zuviel verlangen, denn einige unserer Freunde erklären, der Vertrag gehöre der Ge­schichte an, die Welt habe sich gewandelt, Europa sei krank. Man müsse es zuerst wieder aufrichten und um es aufzurichten, sei es vor allem notwendig, daß man den Sturz Deutschlands verhin­dere. Frankreich solle vor allem Konzessionen machen. Seit dem Krieg aber hat Frankreich nicht aufgehört, dies zu tun. Es sei unwürdig, Frankreich als egoistisch zu bezeichnen, als ein Land, dem das Heil Europas gleichgültig sei. Frankreich habe nichts von seiner angeborenen Gerechtigkeit verloren, von seinem alten Glauben an die Ideale und von seiner restlosen Liebe zur Menschlichkeit. Frankreich habe keineswegs den Wunsch, daß ,Deutschland zusammenbreche, weil ein Gläubiger den Zusammen­bruch seines Schuldners nie wünschen könne, besonders wenn die­ser Schuldner wie Deutschland in der Lage sei, sich rasch wieder rmporzuarbeiten. Es sei nicht französisch, daß der Vertrag von Versailles Frankreich Sicherheiten und Reparationen versprochen habe. Sicherheit habe es durch die Ratifikation des Schutzpaktes, der keinerlei militärischen Wert gehabt habe, nicht erlangt. Auch sin Bezug auf die Reparationskommission habe Frankreich zwar /die Mehrheit des Interesses, aber es sei in der Minderheit. Trotzdem habe man seit 4 Jahren versucht, die Kommission zu 'beseitigen. Die Reparationskommission habe die deutsche Schuld -festgesetzt. Man habe so getan, als wolle man diese Feststellung achten. Aber in einer Konferenz des Obersten Rats habe Frank­reich einen Teil seiner Rechte aufgeben müssen. Frankreich sei idem festgelegten Zahlungsplan ergeben. Auch habe man Frank­reich vorgeworfen, daß es Deutschland nicht schone und daß es feinen Zusammenbruch, unter dem auch alle anderen Völker lei­den würden, verursachen wolle. Sei Deutschland in . den letzten -drei Jahren nicht geschont worden, habe man ihm nicht die Nicht­erfüllung aller seiner Verpflichtungen zugestanden, sodaß Frank­reich 100 Milliarden Mark für den Wiederaufbau habe bezah­len müssen, die eigentlich Deutschland hätte zahlen sollen? Habe man nicht geduldet, daß es seine Handelsflotte wieder aufgerich- -tet, seine Wasserstraßen und sein Eisenbahnwesen ausgebaut, daß seine Großindustrie auf Kosten seiner Gläubiger sich berei­chert habe? An dem geschlossenen Willen aller Alliierten würde WwMellos^dieser fortgesetzte schleLt« Wille gebrochen wordenfein.

- Nehme» ans dem Et»»dv«»dt der Gemalt.

Aber Deutschland habe auf die Meinungsverschiedenheiten speku­liert. Es habe alles getan, um sich zu weigern, und es habe sich ermutigt geglaubt, sodaß man keinen anderen Ausweg gesehen habe, als zum Zwang zu schreiten und PfäiHer zu nehmen. Wenn alle Alliierten gemeinsam die notwendigen Maßnahmen getroffen hätten, hätte man alle Ursache gehabt, anzunehmen, daß Deutschland sich sofort gebeugt hätte. Frankreich habe nun allein, auf die positive Mitarbeit Belgiens und auf die teilweise Mitarbeit Italiens gestützt, handeln müssen. Anstatt die Aus­beutung der Pfänder zu ermöglichen, habe Deutschland den Wi­derstand organisiert und Frankreich dadurch gezwungen, den Druck zu verstärken. Somit sei Frankreich nicht fiir das Unbe­hagen verantwortlich, das sich daraus ergebe. Was wäre ge­schehen, wenn man mit verschränkten Armen zugeschaut hätte? Bttdet man sich im Ausland ein, daß die Schwäche Frankreichs das Wunder bewirkt hätte, dem Deutschen Reich klarzumachen, und es zu veranlassen, seine Finanzen zu sanieren, seine Wäh­rung zu stabilisieren und so im Herzen Europas einen mehr wirtschaftlichen Zusammenbruch zu vermeiden? Wenn Frankreich nicht in das Ruhrgebiet einmarschiert wäre, wäre Deutschland trotzdem dem Abgrund entgegengegangen, und Frankreich hätte dann mit leeren Händen zuschauen müssen, während es heute ein Pfand in Händen hält, das ihm erlaMt, sich eventuell bezahlt zu machen. Dieser Entschluß sei Frankreich durch sein Interesse aufgezwungen worden. Er, Poincare, könne sich rühmen, stets ein treuer Anhänger der französisch-britischem Allianz gewesen zu sein. Bor dem Krieg, in einer Zeit, in der es in Frankreich einige Männer gegeben habe, die mehr oder weniger offen eine Politik der Annäherung an Deutschland predigten auf die Ge­fahr hin, daß dadurch der Vertrag von Frankfurt und damit die endgültige Aufgabe von Elsaß-Lothringen offiziell anerkannt worden wäre, habe er stets bei denen gestanden, die im Gegen­teil eine enge Gemeinschaft der beiden freien großen Nationen Westeuropas empfohlen hätten. Auf sein Verlangen und unter seinem Ministerium seien 1912 die Briefe zwischen Paul Cambon und Sir Edward Erey ausgetauscht worden, die die En­tente verstärkt und die Allianz vorbereitet hätten. Mit diesen Dokumenten, die er mit den Verbündeten 1913/14 ausgetauscht habe, sei das Werk realisiert worden, dem er leidenschaftlich er­geben sei. Niemand könne also mehr als er betrübt sein, wenn die alte Freundschaft zerstört werden sollte, an der er aufrichtig mitgearbeitet habe. Aber diese Freundschaft habe er so aufge­faßt, daß sie den beiden Völkern die Unabhängigkeit ihrer Mei­nungen und die Freiheit ihrer Sprache lasse und daß sie dazu be­stimmt sein solle, ihre Interessen miteinander auszugleichen und daß sie nicht dazu dienen könne, die Interessen des einen oder des anderen zu ignorieren. Er habe Unterstützung zu finden geglaubt in dem Interesse und dem Bemühen um ein gegensei­tiges Verstehen und in einem gegenseitigen Respekt für die Ge­rechtigkeit. Frankreich wisse, daß seine Verbündeten ehrenhaft seien wie Frankreich und deshalb sei er versichert, daß sie schließ­lich, von Tatsachen überzeugt, Frankreich recht gebe« würden. Poincare schloß, indem er sagte, wenn man ein Interesse am Friedensvertrag habe, wenn man die Entwickelung zum Frieden in Frankreich stärken wolle, dann dürsten die Mächte nicht das neue Statut von Mitteleuropa zerstören und nicht die Freunde in der Tschechoslowakei, in Rumänien und Siidslawien bedrohen lassen. Man würde nicht die Wiederaufrichtung auf dem Konti­nent erleichtern, sondern in kurzer Zeit Unordnung und Chaos schaffen. Dadurch, daß Frankreich seine Rechte verteidige, ver­teidige es auch die seiner Alliierten. Wenn Frankreich die Be­dingungen des Friedensvertrages aufrechterhalte, erhalte es den Frieden selbst aufrecht und arbeite nur für die Menschlichkeit.

Die Haltung Frankreichs gegenüber dem Schritt Englands.

Paris, 14. Juli. Wie dasJournal" mitteilt, hat ge­stern der Ministerrat, der sich mit der französischen Haltung angesichts der britischen Erklärung beschäftigte» beschlossen, der britischen Aktion Zeit zur vollkommenen Entwicklung zu lassen, damit man alsdann in voller Kenntnis handeln könne. Es sei, schreibt der Außenpolitiker der Blattes, wohl lockend, sofort die Offensive zu ergreifen, da das zu erwar- tende englische Dokument leicht von vornherein zu wider-

Neueste Nachrichten

Poincarä hat anläßlich der Enthüllung eines Kriegerdenkmals eine Borantwort auf die englische Regierungserklärung erteilt. Er vertrat dabei den Standpunkt, daß Frankreich, das am meisten Opfer am Kriege gebracht habe, durch den Versailler Vertrag eigentlich gar nichts erhalte« habe, während die an­dern Bundesgenossen ihre Ziele erreicht hätten. Und jetzt wolle man Frankreich auch «och um di« nötigen Entschädigungen bringen. Die Rede strotzt natürlich von den üblichen Heuche­leien und Lügen. Jntressant sind aber zwei Momente, erstens das Bekenntnis, daß Poincare vor dem Kriege auf die Wieder» eroberung des Elsaß hingearbeitet hat, und daß 1912 13 das französisch-englische Bündnis verdichtet worden ist, selbstver. stündlich nur zu dem Zweck des Krieges gegen Deutschland, also in einer Zeit, wo England sich de« Anschein gab, als wolle es mit Deutschland zu einer Verständigung kommen. Beach­tenswert ist auch der wiü»erhokte Hinweis darauf, daß Eng­land durch sein Verhalten den deutsche« Widerstand hervorge­rufen habe und unterstütze. Die ganze Rede ist auf Unnach, giebigkcit und Fortsetzung des Kampfes bis zur Kapitulation: Deutschlands eingestellt. In demselben Sinne äußert sich auch

die französische Presse. ^

* -

In London verhüllt man sich zur Zeit sehr ruhig, dagegen wer» den Gerüchte von dort her kolportiert, daß sich Amerika an die Seite Englands hinsichtlich dessen Reparationspolitik zu stelle» beabsichtige. Wenn aber die angelsächsischen Mächte den ans­richtigen Willen zur Rettung Europas haben, so müssen sie sich etwas mehr beschleunigen, denn das Tempo der letzte» vier Jahre war nicht dazu angetan, diesen guten Willen zu erken­nen, eine Tatsache, die auch in den neutrale« Staaten schon mit berechtigter Bitterkeit kommentiert wird.

Der Reichskanzler hat an das amerikanische Volk anläßlich des Stapellanfs eines neuen deutschen Ozeandampfers eine« Auf­ruf zu gemeinsamer wirtschaftlicher Arbeit erlassen.

Nachdem die Verhandlungen in Lausanne wieder einmal abge» brachen worden waren, haben jetzt di« Alliierten die Initia­tive zu neuen Besprechungen ergriffen.

wurf abwarten, da es ja möglich wäre, daß er die wesent­lichen Direktiven der französisch - belgischen Politik ein­nehme, so die Notwendigkeit einer vorherigen deutschen Kapitulation. Wenn der Entwurf ferner erkläre, daß die Ruhrbesetzung bis zur vollkommenen Regelung der Repa­rationsfrage fortgesetzt werde und wenn er als das Mini- mum der Zahlen das annehme, worauf sich Frankreich und Belgien festgelegt hätten, so könne man in den Verhand. lungen fortfahren. Im gegenteiligen Falle aber werde Frankreich sich nicht zu einer diplomatischen Aktion ver­stehen, die schon von vornherein zur Unfruchtbarkeit ver­dammt sei. Frankreich habe eine starke Stellung und werde warten, bis England ihm den Beweis für seine Methode gebracht habe. Das werde nicht lange dauern.

Gerüchte über ein Eingreifen Amerikas <? ?)

Paris, 16. Juli. Der Londoner Berichterstatter des Petit Parisien" hält trotz der Ableugnung, die von Paris erfolgt sei, das Gerücht einer amerikanischen Intervention in der Reparationsfrage aufrecht. Weiter teilt der Kor­respondent mit, daß Baldwin den Führern der sozialisti- schen Opposition mitgeteilt habe, daß er ihre Anfragen, ob der Antwortentwurf an Deutschland nach Washington übermittelt werde, erst in einigen Tagen beantworten werde, wenn die offiziellen Verhandlungen nicht mehr ge­stört werden könnten, die im Augenblick geführt würden. Schwedische Stimmen zu der englischen Regierungserklürung.

Stockholm, 13. Juli. Die Erklärung Baldwins findet in Schweden geteilte, überwiegend aber schlechte Auf­nahme Die großen konservativen Blätter äußern sich du.aus pessimistisch.Svenska Dagbadet" meint spöt­tisch, es sei eigentlich ein Witz, daß Baldwin endlich nach vier Jahren die Wiederherstellung der Ruhe in Europa als englische Aufgabe bezeichne. Diese Erklärung sei die notwendige Mindestleistung, damit nicht der Glaube aufkomme, England vezichte ganz und ga auf seine Stellung in Europa. Der Kampf gegen die Drachensaat Lloyd Georges und gegen PoincarS könne aber nicht mit

legen wäre. Man Mlleaber mitRuhe den englische» E«t-Noten geführt werden. ..N v a D aaliat Alle Landab