Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.
98. Jahrgang.
Nr. 162
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Samstag, den 14. Juli lSLS
Neueste Nachrichten.
^Die RegierungserNärung des englischen Ministerpräsidenten wird je nach dem Standpunkt der direkt intressterte« Staaten von der betreffenden Presse kommentiert. In England ist man natürlich des Lobes voll, daß die Regierung endlich eine „aktive" Tat vollbracht habe, das Blatt Lloyd George's ist aber doch so offen, darauf hinzuweisen, datz die ganze Methode des englischen Vorgehens PoincarS lediglich die Möglichkeit gäbe, die Sache einige Monate zu verschleppen. Denn wenn England zuerst an die Alliieten seine Antwort auf das deutsche Angebot zur Begutachtung abschickt, dann haben diese es natürlich in der Hand, so lange es ihnen beliebt, ihre Ansicht zuriickzuhal- ten» und Herr Poincare ist inbezug auf Verschleppungsmanöver ja »och nie verlege» gewesen. Die französische Presse ist deshalb auch gar nicht sonderlich verärgert über die paar »Artigkeiten" wegen der Methode« der französischen Ruhrpolitik» man sieht sie — was ja auch zutrifft — als unvermeidliche Konzessionen an die »Volks, und Weltstimmung" an, und regt sich nicht sonderlich darüber auf. Die deutsche Presse hält mit dem Urteil über de« Wert der englischen Kundgebung sehr zurück. Man merkt natürlich das Problematische, um nicht zu sagen Ungreisbare dieser echt englische« Wendungen, und weih nichts mit ihnen anzufangen. Rur die belgische Presse ist hoff- «ungssreudig, und glaubt, daß aus der Erklärung ein gemeinschaftliches Vorgehen der Alliierte« sich entwickeln könne.
Die englische Antwort an Deutschland, die schon in der nächste« Woche erfolgen soll» soll die Frage« der Internationalen Kommission und des passiven Widerstandes behandeln.
Di« freien Gewerkschaften von Rheinland und Westfalen wenden sich scharf gegen die Bestrebungen landesverräterische« Sonderbündler. >
Der Kapitänle«tnant a. D. Ehrhardt, der seiner Zeit an leitender Stelle am Kapp-Putsch beteilig war» ist aus der Untersuchungshast in Leipzig entwichen. Die Verhandlungen vor den, Staatsgerichtshof gegen ihn sollte« demnächst beginnen.
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Die Berliner Blätter zur Lage.
. Berlin, 13. Juli. Die Blätter erfahren, daß eine endgültige Stellungnahme der Reichsregierung zu der Rede des englischen Ministerpräsidenten erst erfolgen kann, wenn der Wortlaut der Rede vorliegt. Die Blätter betonen, datz Baldwins Rede für Deutschland keine Enttäuschung bedeute. In dem französischen Vorstoß auf Barmen und Elberfeld sehen die Blätter eine politische Aktion gegen England, die als nicht mißzuverstehende Antwort auf die Rede des englischen Ministerpräsidenten nicht yhne Wirkung bleiben könne. Außerdem wird in der französischen Aktion eine Fortsetzung der bisherigen Politik Poincares gegen Deutschland erblickt, die dahin geht, auf die Reichsregierung und auf die Bevölkerung Nordwestdeutschlands einen schweren Druck auHuüben, um sie zur Kapitulation zu zwingen. Trotz aller bisherigen Gewaltmaßnahmen werde aber diese Hoffnung des fran- tösischen Ministerpräsidenten zuschanden werden.
Englische Stimmen zur Regierungserklärung.
London» 13. Juli. Von den konservativen Blättern geben die „Times" und „Daily Telegraph" ihrer uneingeschränkten Zustimmung zu der gestrigen ministeriellen Erklärung Ausdruck. Die „Times" schreibt, endlich sei Großbritannien nicht mehr passiver Zuschauer der Zerstörung, der Europa anheimgefallen sei. Nach 6 Monaten der Ruhrbesetzung werde der britische Einfluß zur Geltung gebracht. Der Schritt der Negierung stelle nur den Anfang dar. Es müsse sich bald zeigen, welches seine unmittelbaren Folgen sein würden. „Daily Telegraph" meint, die französische öffentliche Meinung werde hoffentlich durch den Geist ungebrochener Freundschaft beeinflußt werden, die aus der Regierungserklärung spreche. Die britische Regierung suche für sich und ihre Freunde einen Ausweg aus der chaotischen Lage, in der sie sich befänden. — Die „Morningpost" ist mit allen Einzelheiten der Regierungserklärung einverstanden. Das Blatt findet die Anklage, daß Frankreich an dem gegenwärtigen Zustand die Schuld trage, unrichtig. Wenn England den Mut gehabt hätte, an der Seit« Frankreich» in» Ruhrgebiet einznrücken, würde bereits jetzt ein« Regel««« erreicht fei«. ,Erfreulich fei, daß die
Rede nicht die von Ramsey Macdonald und seinen deutschen Freunden vorgeschlagene Konferenz erwähne. Einer solchen Konferenz könne Frankreich unmöglich zustimmen. Endlich betont das Blatt den Entschluß der Regierung, Deutschland zum Zahlen zu veranlassen und begrüßt dies als den ersten Schritt einer entschiedenen auswärtigen Politik. — Von den liberalen Blättern kritisiert der Lloyd George nahestehende „Daily Lhronicle" sehr scharf und fragt, ob es nicht an der Zeit gewesen wäre, den alliierten und neutralen Mächten Mitteilung von den bisherigen Verhandlungen zu machen, zum mindesten den britischen Fragebogen zu veröffentlichen. Die Aussicht darauf, daß der französische Ministerpräsident irgend einer Antwort auf die deutsche Note zustimmen werde, welche die Notwendigkeit der Feststellung der deutschen Zahlungsfähigkeit durch eine unparteiische Körperschaft erkläre, sei sehr gering. Wenn Poincare also de« Entwurf einer solchen Antwort durch de« Premierminister zugesandt erhalte, wisse dieser im Voraus, -aß Poincare ihn ablehnen werde. Er gebe Poincars lediglich die Möglichkeit» die Sache einige Monate zu verschleppen.
Französische Stimmen zu Baldwins Rede.
Paris, 13. Juli. Zu der englischen RegierungserNärung schreibt der „Gaulois", er bedauere, daß Frankreich und Belgien nicht die Initiative zu einer Antwort an Deutschland ergriffen hätten, anstatt diese einer Regierung zu überlassen, die im Grunde genommen die französische Politik nicht billige, und in fataler Weise die Rolle des Vermittlers deshalb spiele, weil sie die Grundlage für ein eventuelles Arrangement schaffe. Auf diese Frage könne man allerdings antworten, daß das Entgegenkommen gegenüber einem Text leichter sei, den man nicht selbst geschaffen habe. England werde aus der van ihm ergriffenen Initiative Nutzen ziehen, ob sein Vorschlag angenommen werde oder nicht. Gustav Herve schreibt in der „Victoire", wenn man sich bemühe, den Eedankengang des englischen Premierministers zu erfassen, sei man ungefähr gerade so weit, als ob er gar nichts gesagt hätte. Man höre nur Lamentationen und die Ankündigung, daß er Deutschland eine Antwort erteilen und versuchen werde, sich mit den Alliierten zu verständigen. Die Rede Baldwins habe zwar keine Töpfe zerschlagen, aber auch keinen Schritt der Lösung näher geführt. Die „Republiqe Frangaise" betont, man müsse zugestehen, daß die Aussicht, die so weit voneinander entfernten Thesen auszugleichen, sehr schwach sei und daß das Verhandlungsgebiet für morgen außerordentlich klein und schwierig sei.
? - Aus dem angebliche» Anhalt der englischen Antwort an Deutschland.
London, 14. Juli. Das Reuter'sche Bureau meldet: Zn amtlichen britischen Kreisen wird über die Natur der britischen Antwort auf das deutsche Memorandum, deren Fertigstellung bis zum IS. Juli zu erwarten ist, weiter vollständige Zurückhaltung geübt. Es kann aber als sicher angenommen werden, daß die britische Antwort den Vorschlag enthalten wird, eine internationale Kommission einzusetzen, die Deutschlands Fähigkeit zu Reparationszahlungen bestimmen soll. Möglicherweise wird auch die Frage der Beendigung des passiven Widerstands im Ruhrgebiet berührt werden. Die Note wird wahrscheinlich der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika zur Information mitgeteilt werden. „Preß-Associated" meldet, datz der endgültige Entwurf der Antwort an Deutschland anfangs nächster Woche, vielleicht schon am Montag, den alliierten Regierungen zur Begutachtung übersandt werden wird.
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MiiScrMMe Besetzung nun Namen.
Besetzung von Barmen.
Barmen, 13. Juli. Heute früh zwischen 6 und 7 Uhr rückte eine große Abteilung französischer Truppen aller Waffengattungen, die aus der Richtung Haßlinghausen kamen, hier ein und besetzten die öffentlichen Gebäude, wie Rathaus und Post, sowie sämtliche Barmener Bahnhöfe. Der Fernsprechverkehr ist zur Zeit noch nicht unterbunden. Auf den Bahnhöfen wurde heute morgen 9 Uhr bereits die Kontrolle ausgeübt. Die Franzosen befinden sich zur Zeit im Anmarsch auf Elberfeld von Kronenberg her.
Elberfeld, 13. Juli. Zur Besetzung von Barmen wird noch mitgeteilt: Die 13. Polizeihundertschaft Barmen wurde von den Franzosen verhaftet, später aber wieder auf freien Fuß gesetzt. Sämtliche Schupobeamte wurden entwaffnet. Im Laufe des Vormittags ist der grWe Teil
der französischen Truppen in Richtung Ronsdorf wieder aus Barmen abgerückt. Nur in der Umgebung blieben noch ungefähr 20 Lastkraftwagen zurück, um den Rückzug zu decken. Gegen Mittag räumte auch das etzte französische Kommando die Stadt Barmen. Verhaftet und mitgeführt wurden außer dem Reichsbankdirektor Dr. Krusius Polizeihauptmann Wechtesheimer und Polizeioberleutnant Jo- hannsen. Gesucht wurde von den Einbruchstruppen Regierungspräsident Dr. Erützner und Regierungsassessor Knappe, die sie aber nicht fanden.
Die „Gründe- der Besetzung von Barmen.
Elberfeld, 13. Juli. Wie gemeldet, erfolgte heute morgen gegen 7 Uhr die Besetzung Barmens durch zahlreiche französische Truppen aller Waffengattungen. Die Besetzung galt in erster Linie dem Rathaus Barmen. Als Grund der Besetzung wurde angegeben, daß vor einigen Tagen französische Soldaten und Zollbeamte, die versehentlich die Grenze des besetzten Gebietes bei Hermesdorf überschritten hatten, von Schupobeamten mißhandelt und nach Elberfeld gefangen abgeführt worden seien. Die Behauptung entspricht nicht den Tatsachen. In Wirklichkeit spielten- sich die Dinge folgendermaßen ab: Es fand ein Geplänkel zwischen französischen Soldaten und Zollbeamten einerseits und Schmugglern andererseits an der Grenze statt, wobei die Schmuggler einige in ihre Hand gefallene Soldaten mißhandelt haben sollen. Ein zu Hilfe geeiltes Lastauto mit Schupo- Leamten aus Elberfeld befreite die französischen Soldaten und Zollbeamten aus der Hand der Schmuggler und brachte sie nach Elberfeld in Schutzhaft. Der Vorfall wird von dem die Besatzungstruppen befehligenden Oberst jetzt so bärge- stellt, als ob die Schupobeamten die französischen Soldaten und Zollbeamten mißhandelt hätten. Bei der ganzen Aktion handelt es sich zweifellos vor allem um ein Vorgehen gegen die Reichsbank und das zum Teil in Elberfeld befindliche Personal des Regierungspräsidiums Düsseldorf, dessen Zimmer erbrochen und beraubt wurden, llebrigens liegt es auf der Hand, daß auch dieser neueste französische Gewaltakt bezweckt, die Bevölkerung zu beunruhigen und ihren Widerstand zu brechen.
Die Räumung.
Barme«, 13. Juli. Die Franzosen sind gegen 11 Uhr aus Barmen wieder abgerückt.
Barmen, 13. Juli. Die Franzosen, die auch das Neichs- bankgebäude und die Handelskammer besetzt hatten, haben vormittags kurz nach 11 Uhr die Besetzung der einzelnen öffentlichen Gebäude wieder aufgehoben und darauf das Barmer Gebiet verlassen und sich ins alte besetzte Gebiet zurückgezogen. Reichsbankdirektor Prüfe wurde aus unbekannten Gründen von den Franzosen verhaftet und mitgeführt. Irgendwelche Beschlagnahmungen sind, soweit bis- her bekannt, nicht erfolgt.
Barmen, 13. Juli. Nach der gegen 11 Uhr erfolgten Räumung der Stadt wurde bekannt, daß die Franzosen äußer sämtlichen staatlichen und städtischen Gebäuden auch das Gebäude der Reichsbank und der Handelskammer besetzt hätten. Der Straßenbahnverkehr war dadurch behindert worden, daß an verschiedenen Stellen Tanks quer über die Schienen gestellt worden waren. Die Ausgänge der Stadt waren stark bewacht. Außer einigen Schutzpolizeibeamten wurde der Reichsbankdirektor verhaftet. Sie wurden von den Franzosen fortgeschleppt.
Französischer Borstotz in der Richtung Elberfeld.
Elberfeld, 13. Juli. Während heute früh Barmen von den Franzosen besetzt wurde, rückte von Kronenberg aus französische Kavallerie in der Richtung auf Elberfeld vor. Eine Kavalleriepatrouille erschien am Außenrande der Stadt und erkundigte sich nach der Lage des Rathauses. Kurz darauf machten die Franzosen kehrt und zogen wieder ab.
Ein neuer Raub von 60 Milliarden.
Paris, 13. Juli. Nach einer Havasmeldung aus Dussel, dorf sind gestern vormittag in Vohwinkel 60 Milliarden Markbeschlagnahmt worden, die angeblich von Privatpersönlichkeiten in Berlin an eine Adresse in Köln geschickt worden seien. Die Summe sei konfisziert worden, weil sie nicht deklariert gewesen sei.
Notschreie der Arbeiterorganisationen des Ruhrgebiets.
Berlin» 14. Juli. Wie der „Vorwärts" aus Duisburg meldet, hat die sozialdemokratische Partei Duisburgs an die sozialistische Kammerjraktion in Brüssel fob