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Amts- und Anzeigeblatt für den OberamtsbezirL Calw.

98. Jahrgang.

Nr. 161

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Freitag, den 13. Juli 1823.

»ezuakpr«!»: In d«r Stadt mit TiSgerlohn 10000 M. monatlich. Poftb-zug»pr«ii 10000 Mt. ohne Bcfteligrld. Einzelnummer 400 Mk. Schluß der Anzeigenannahme 8 Uhr vormittags.

Die englische Regierungserklärung.

Verurteilung der französischen Methoden. - Ankündigung einer Antwort auf das deutsche Angebot nach vorhergehender Benachrichtigung der Alliierten. Der Vorstoß Englands

Die Erklärung des englische» Ministerpräsidenten.

London, 12. Juli. (Unterhaus.) In Erwartung der wichti­gen Erklärung Baldwins waren das Haus und die Zuschauer- tribüne dicht besetzt. In der Diplomatenloge nahmen zahlreiche Botschafter und Gesandte, darunter der deutsche Botschafter Dr. Ethamer und der französische Botschafter St. Aulaire, anwesend. Der Premierminister verlas seine Erklärung in Er­widerung einer Anfrage des Führers der Opposition, Ramsey Macdonald. Seine Ausführungen wurden häufig durch lebhafte Aeußerungen der Zustimmung und Hört! Hört!-Rufe, besonders von Seiten der Oppositionsparteien, unterstrichen. Seine Schluß­worte, daß die britische« Vorschläge kein anderes Ziel verfolgten als die Befriedung Europas und die Wiederherstellung d«r er­schöpften Welt erntete« stürmischen Beifall. Außer den bereits gemeldeten Ausführungen erklärt« Baldwin u. a. noch: Wir find fest überzeugt, daß die Methoden, die nur zum Ruin Deutsch­lands führen können, für England, für seine Alliierten und für ganz Europa verhängnisvoll sein würden. Wir waren «ns von Anfang an Aar, Laß die Besetzung des Ruhrgebiets nicht geeignet Ist, den Höchstbetrag an Reparationen für die Alliierten einzu­dringen. (Beifall.) Im Januar machten wir in Paris ein An­gebot, das wir als eine sehr großmütige Regelung betrachteten, um etwas zu verhindern, was wir für eine Wirtschaftskata­strophe hielten. Dieses Angebot wurde von unseren Alliierten verworfen. Seitdem standen wir beiseite, beseelt von dem Geiste aufrichtiger Loyalität für die Allianz» die unseres Erachtens die Hauptsicherheit für den europäischen Frieden war und ist. Viele damals vorausgesehene Folgen treten heute in die Erscheinung. Die Alliierten erhalten weniger an Reparationen als vor der Besetzung (Hört, hört bei der Opposition) und was sie erhalten» wird eingetrieben um den Preis der zunehmenden Zerrüttung des deutschen Wirtschaftssystems mit der Aussicht auf den voll­bändigen Zusammenbruch dieses Systems in Zukunft. (Hört, hört!) Die Einwohner der betroffenen Gebiete find in vielen Fällen schweren Leiden unterworfen und es besteht die ernste Besorgnis einer Lebensmittelknappheit. In dem Maße, wie die produktive Krpft Deutschlands erschöpft wird» schwindet »je Möglichkeit der Wiederherstellung seines Kredits und der Be­zahlung seiner Schuld«« in eine ungewisse Zukunft. Den Preis für diesen Stand der Dinge bezahlt jedes europäische Land, das eine Land mit dem Schwanken seiner Wechselkurse, ein anderes Mit der Abnahme seines Handels» ein drittes mit zunehmender Arbeitslosigkeit. Es ist keine Uebertreibung, wenn man sagt, haß die Wiederherstellung der Welt in Gefahr ist und daß der Frieden, für den so große Opfer gebracht wurden, aus dem Spiele steht. Nachdem Valdwin die Rede beendet hatte, sprach Ram­sey Macdonald die Hoffnung aus. daß die Bemühungen des Pre­mierministers von Erfolg gekrönt sein werden. Er stellte meh­rere ergänzende Fragen, die der Premierministe wie folgt be­antwortete: Die Angelegenheit der Antwort auf die deutsche Note wird sofort in Angriff genommen werden. Was die Erör­terung im Unterhaus betreffe, so hoffe er, daß sich dazu Gelegen­heit Lei der zweiten Lesung der Consolitated Fonds-Bill finden werde. Die dritte Anfrage Macdonalds, ob die Regierung be­absichtige, ihre Antwort für diesen Fall zur Information den Vereinigten Staaten zu übersenden, bat Baldwin auf morgen zu vertagen. -

Baldwin hofft auf die Mitarbeit Frankreichs, Belgiens und Italiens.

London, 13. Juli. Zum Schluß seiner Rede im Unterhaus sagte Valdwin noch: Wir hoffen aus die Mitwirkung Frankreichs und Belgiens nicht weniger als aus die Mitarbeit Italiens. Tat­sächlich haben wir Men Grund» anzunehmen, daß die Ansichten der italienischen Regierugn sich in wesentlicher Uebereinstim- mung mit den unsrige» befinden. ^ ,

Vorbereitung einer englischen Antwort auf das letzte deutsche Angebot. . '

London, 12. Juli. (Vormeldung.) Ministerpräsident Bald- win teilte heute im Unterhause mit, Großbritannien habe die iAlliierten dahin informiert, daß es bere it Brr«twMn«g

für die Vorbereitung des Entwurfes^ einer Antwort aus die deutsche Note zu übernehme». Die Antwort solle Len Alliierten zur Kommentierung unterbreitet werden. Baldwin sprach die Hoffnung aus, daß man hinsichtlich der Fassung der Antwort zu einer Einigung gelange. Die in der deutschen Note enthaltenen Vorschläge ob sie nun angenommen würden oder nicht dürften nicht ignoriert werden. Baldwin wies nachdrücklich auf die wirtschaftlichen und die anderen Gefahren der jetzigen Lage hin und erklärte, eine Ruhrbesetzung von unbestimmter Dauer für eine recht bedauerliche Erscheinung, für die sobald wie mög­lich ein ehrenhafter Abschluß gefunden werden müsse.

Die Aufnahme der Erklärung im Oberhaus.

London» 12. Juli. Im Oberhaus richtete Viscount Erey eine Anfrage an den Staatssekretär des Aeußern über die europäische Politik der Regierung, worauf Lord Curzon die gleiche Erklärung verlas, die Baldwin im Unterhaus abgegeben hat. Die Mitglieder des Oberhauses nahmen sie mit großem Beifall auf. Hierauf ergriff Lord Grey das Wort zu längeren Ausführungen, in denen er u. a. zur Frage der Sicherheit Frankreichs bemerkte, die von Frank­reich gebrauchte Methode der Besetzung des Ruhrgebiets sei nicht geeignet, das erstrebte Ziel zu erreichen, sondern gerade das Gegenteil zuftandezubringen. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigten, daß der Militarismus keiner Nation und keiner Gruppe von Nationen Sicherheit brin­gen könne. Der Versuch, Sicherheit auf Kosten anderer Nationen zu erhalten, habe stets mit einem Mißerfolg ge­endet.

Millerandsche Phrasen.

Paris, 11. Juli. Auf seiner Reise durch die Provinz sprach der Präsident der Republik, Millerand, heute in Vaux-les-Bains. Er sagte u. a.: Mit einer Zähigkeit, die unserer Mäßigkeit gleich kommt, betreiben wir die Erlan­gung der Reparationen, die wir erhalten werdest und die uns doppelt gebühren, weil wir die Sieger sind und weil wir die Opfer waren. Mit jenem gefunden Menschenver­stand aber, der fein Charme und seine Stärke ist, hat sich das französische Volk unverzüglich (?) an das Wiederauf­bauwerk mit eigenen (?) Mitteln gemacht. Es ist bekannt, wie weit es hier schon fortgeschritten ist und daß es heute bereits 100 Milliarden vorgeschossen hat für den besiegten Angreifer, der sich seiner Verpflichtung hartnäckig entzieht. Von einem Ende bis zum anderen hat die Friedensarbeit wieder begonnen. Niemals in seiner Geschichte hat sich das in seinem Besitz so schwer getroffene Land ruhiger, entschlos­sener und zukunftssicherer erwiesen.

Antimitttaristische Schriften und - Hitzfälle in Paris.

Paris, 12. Juli. Wie die Havasagentur mitteilt, hat Oberst Eirod eine Interpellation über Zwischenfälle ein­gebracht, die sich gestern mit Soldaten ereignet haben, die aus dem Ruhrgebiet kamen, um an der Parade am 14. Juli teilzunehmen. Nach demMatin" handelt es sich um folgendes: Als die Truppen gestern nachmittag vor dem Gebäude der kommunistischen Jugend vorbeikamen, wur­den antimilitaristifche Schriften von den Fen­stern aus unter die Soldaten geworfen. Etwas später ist ein Soldat vom Hitzschlag getroffen zusammengebro- chen. Andere Soldaten haben ebenfalls wie dieser nach dem Krankenhaus übergeführt werden müssen, weil ihnen die Hitze Schaden zugefügt hat.

Amerika bewahrt strengstes Stillschweigen.

Paris, 12. Juli. Nach einer Kavas-Meldung aus Washington wird im Staatsdepartement strengstes Stillschweigen hinsichtlich der Ruhrfrage bewahrt. Man erklärt, nicht zu wißen, warum der Botschafter der Ver. Staaten seinen Urlaub abgebrochen habe und sich nach Washington begab. Daß er nach Washington be­rufen worden sei, bestreitet man. Er sei aus freien Stücken vor der Beendigung seines Urlaubs nach Washington gekommen, um vor feiner Rückkehr nach London gewiss« Fragen zu be­handeln,. .-"-ü

Neueste Nachrichten.

Die mit Spannung erwartete Kundgebung des englischen Mi­nisterpräsidenten ist nun erschienen, das Wolffbiireau hat heute nur einen Auszug wiedergegeben, aus dem zu ersehen ist, daß Valdwin die französischen Methode« der Ruhrbesetznng verur­teilte, weil sie nur zum Ruin Deutschlands führen, und für England, seine Alliierten und ganz Europa verhängnisvoll sein müßten. Die englische Regierung habe die Ruhrbesetzung nicht gebilligt, weil sie die jetzt eingetretenen Folgen voraus­gesehen habe. Die Fortführung der seitherige» Methode« Frankreichs sührr zur Katastrophe und zur Gefährdung des Friedens der Welt. England wolle deshalb allein vorgche», und eine Antwort auf das letzte deutsche Angebot erteilen. Die Antwort solle Mer zuerst den Alliierten und wahr­scheinlich auch Amerika zur Begutachtung zugestellt werden. Dan« werden also wohl die Alliierten ihre Aeußerungen dazu machen, die Antwort wird darauf hin vielleicht nochmals redi­giert, und so fort in inlmitum. Ganz besonders betont wird di« Notwendigkeit der Beibehaltung der Allianz, die die Haupt» ficherheit für den europäischen Fried«« biete. Wer sich also auf die Illusion einer Loslösung der englische» Politik von de» französische« eingestellt hat, der wird wieder einmal sanft in die Wirklichkeit zurückgesührt. Es werden nun also wieder Woche« vergehen, bi» der Schritt Englands neue politische Momente auswirkt, die aber auch dann noch weit von der För­derung einer Verhandlungsgrundlag« entfernt fei» dürften, denn Frankreich hat ja freie Hand.

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Wir sehen denn auch, daß die Gewaltakte im besetzten Ge» biete in derselbe«, ja «och in verschärfter Art fortgeführt wer­den» die Borstöße ins unbesetzte Gebiet nehmen täglich zu, jetzt ist auch Limburg als Garnison besetzt worden.

I» Lausanne ist wieder einmal ein« Verschärfung der Verhand­lungen zu verzeichnen» weil die Türken anscheinend auf mög­lichst rasche Räumung der Dardanellen dringen, während er den Alliierten natürlich nicht so eilt.

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Besetzung von Limburg.

Limburg a. L.» 12 Juli. Heute morgen 6 Uhr wurde laut Nassauer Bote", Limburg, das seit dem 15. Mai nur für besetzt erklärt war, militärisch besetzt. Die Stadt wurde seitens des französischen Kommandos als französische Garnison erklärt. Die Franzosen haben das Gymnasium als Kaserne eingerichtet und unter Musik die französische Fahne aus dem Gymnasium aufge­zogen. Der Schulbetrieb im Gymnasium ruht. Alle Behörden sollen ihre bisherige Tätigkeit weiter ausüben, stehen aber unter französischer Gewalt. Der Post- und Telegraphen- und Fern­sprechverkehr ruht zur Zeit. Oberstudienrat Louis, Stellvertre­tender Direktor des Gymnasiums, ist von den Franzosen ver­haftet worden. In den Bahnbetrieb haben die Franzosen bisher nicht eingsgriffen. Die Blockstelle Rohrbach zwischen Limburg und Diez, die vorübergehend besetzt war, wurde wieder freige­geben. Der Zugverkehr wird gegenwärtig noch bis Limburg durchgeführt.

Das «Ergebnis- der Ruhrbesetznng in einem halben Jahr.

Berlin, 12. Juli. Aus den bisher von deutscher, halbamt­licher Seite veröffentlichten Ergebnissen des Ruhreinbruchs sei folgendes mitgeteilt: Durch französische und belgische Truppen wurden 93 Deutsche hingemordet, 9 Deutsche zum Tode verur­teilt, Schlaget«, wurde hingerichtet. Die Eesamthöhe der Frei­heitsstrafen beträgt rund 1000 Jahre, im einzelnen 967 Jahre, 7 Monate 23 Tage Gefängnis und Zwangsarbeit. 2 Personen wurden zu lebenslänglichem Zuchthaus oder Zwangsarbeit ver­urteilt. Die Eesamthöhe der Geldstrafen beträgt 1,64 Bil­lionen Mark und 1108 069 Franken. Bon Haus und Hos ver­trieben wurden 75714 Personen. Im preußischen Einbruchsge­biet wurden 169 Schulen mit 1537 Schulklassen für 50 000 Schü­ler bezw. Schülerinnen beschlagnahmt; der sachliche Erfolg aller französisch-belgischen Verbrechen ist kläglich. In der Zeit vom 11. Januar bis 30. Juni sind für Frankreich und Belgien insge­samt 478700 Tonnen Kohle und 515 200 Tonnen Koks, zu­sammen 993 900 Tonnen gefahren worden. Im Monat Dezem­ber 1922 betrug die deutsche Lieferung aus dem Ruhrgebiel 677 425 Tonnen Kohle und 531310 Tonnen Koks, zusammen .1206735 Tonnen. Im Januar 1923 bis zum Ruhreinbruch (d.