Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

Nr. 160

08. Jahrgang.

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Donnerstag, den 12. Juli 1S2S.

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Neueste Nachrichten.

Die Welt wird in Atem gehalten durch die bevorstehende Erklä­rung der englischen Regierung über die Ruhr- und Repara­tionsfrage. Auch die heute aus London vorliegenden Nachrich­ten erhärte» nur die Gedanken, wie sie i« «ebenstehrndem Leitartikel wiedergegeben find. Die Kundgebung der englischen Regierung scheint uns mehr propagandistischen Charakter zu verfolgen, als positive Schritte einzuleiten. Versucht soll an­scheinend die Ingangsetzung einer Aussprache sowohl über die Frage der Aufgabe des passiven Widerstands bzw. über die Räumung des Ruhrgebiets werden, weiter über den Vorschlag -er Bestellung einer internationalen Kommission zur Feststel­lung des Grades der Zahlungsfähigkeit Deutschlands und über die Möglichkeit einerSicherung" Frankreichs, d. h. einer po­litischen Einflußnahme der Franzosen auf deutsches Gebiet über den Versailler Vertrag hinaus.

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,An Paris sieht man der Erklärung anscheinend mit ruhiger Ge­lassenheit entgegen, und weist aus die erst gestern erfolgte freundschaftliche Aussprache des französischen Botschafters in London mit dem englischen Außenminister hin, aus Grund deren erwartet wird, daß die englische Erklärung die gewünschte Annäherung der beiden Regierungen nur günstig beeinflussen werde. Es scheint, daß auch die Kleine Entente im Sinne des Ausgleichs zwischen London und Paris tätig ist.

^>er Postgebührenausschuß des Reichsrats genehmigte die Er­höhung der Postgebühren vom 1. August ab um etwa das 3^ fache der heutigen Sätze.

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Bm -er englischen RegittungserMung.

, Am Freitag morgen werden wir wohl, wenn nicht ein ».Zwischenfall" die Absicht der englischen Regierung noch im letz­ten Augenblick verzögert oder verhindert, über die Hal­tung Englands in der Ruhr- und ReparationspolitikBe­scheid" wissen. Wie diese Politik gemeint ist, darüber hat ja gestern die englische Presse schon einen größeren Bruchteil ver­öffentlicht, und es ist anzunehmen, daß die seitherigen Mittei­lungen wenigstens die Erundziige der englischen Auffassung wie­dergeben. Nach diesen Mitteilungen will die englische Regierung erklären, daß sie bisher das äußerste getan habe, um Lei den Verhandlungen über das letzte deutsche Angebot eine gemein­same Aktion mit Frankreich zu erzielen, daß es aber unmöglich gewesen sei, die französische Forderung zu unterstützen, daß Deutschland in der Ruhrfrage bedingungslos kapituliere. Auch habe man keine klare Antwort auf die Anfrage erhalten, wel­ches Regime die Franzosen und Belgier nach Beendigung des deutschen Widerstandes im Ruhrgebiet errichten wollten, und wenn sie das Gebiet überhaupt zu räumen beabsichtigten. In allen diesen Punkten komme ein Kompromiß nicht in Frage, und die britische Regierung stehe daher vor der Notwendigkeit, eine besondere Antwort auf die deutschen Vorschläge zu erteilen, und «inen Plan vorzubcreiten, der, wie man hoffe, Europa vor einer Katastrophe bewahren werde. Dieser Plan soll darin bestehen, daß man vorschlagen will, die von Deutschland zu zahlende Summe von einer internationalen Kommission feststellen zu lassen, weiterhin eine internationale Wirtschaftskonfcrenz zu berufen, die die beste Methode für die Zahlungen und die Re­gelung der Schulden der Alliierten unter sich finden soll, und daß man schließlich die Regelung der Probleme des Ruhrgebiets And der Rheinlande, kurz der Frage der Sicherheit (?!) Frank­reichs durch eine ähnliche internationale (!) Aktion versuchen solle. Rein äußerlich betrachtet könnten die hier angeführten englischen Absichten als erwägenswert bezeichnet werden. Eng­land will also nach der seitherigen ergebnislosen Aussprache mit Frankreich die Flucht in die Oeffentlichkeit unternehmen, und damit an die andern Alliierten und die Neutralen um moralische Unterstützung seiner Aktion werben. Wenn die Absichten der englischen Regierung im gegenwärtigen Augenblick aufrichtig sind, so ist es auch möglich, daß man auf die öffentli.che Meinung Frankreichs einwirken will, damit sie eventuell der Aera Poin- carL und ihrer Methoden ein Ende bereiten möchte. Ein wirklich drnst gemeinter Vorstoß Englands in dieser Richtung wäre an­gesichts der auch in Frankreich zunehmenden Stimmung gegen Poincare durchaus nicht aussichtslos, wenn die in Betracht kommenden politischen und wirtschaftlichen Faktoren dort auch tzie Ueberzeugung -es sesten Willens in London erhalten, daß

man gegebenenfalls die Regelung der Reparationsfrage auch gegen Frankreich in Angriff nehmen würde. Diesen Eindruck hat man bisher nicht in Deutschland gewinnen vermocht, noch weniger aber in den unterrichteten und führenden Kreisen Frank­reichs, die seit Jahren sich daran gewöhnt haben, daß England zwar sehr ausgiebige moralische Gesten zu machen versteht, daß es aber jedesmal im entscheidenden Augenblick sich mit einem Kompromiß" zufrieden gegeben hat. Und auch die halbamtliche Boranzeige Reuters über das Verhältnis zu Frankreich ist nicht geeignet, die Opposition Poincare's in Frankreich zu ermutigen. Sagt diese Erklärung doch, daß die amtlichen Kreise alles Ge­rede über einen Bruch mit Frankreich mißbilligen, und zwar nachdrücklich, und daß in der Regierungskundgebung eine Türe offen gelassen werde für einevolle Zusammenarbeit zwi­schen England und Frankreich". Aber selbst wenn England ge­zwungen sein sollte, eine eigene Richtlinie zu verfolgen, so brauche das noch keineswegs den Bruch mit Frankreich zu be­deuten, denn Frankreich habe in der Reparationsfrage schon zweimal ohne England gehandelt. Und überdies ziehe die eng­lische Regierung keine Aktion in Erwägung, die einen solchen drastischen Charakter habe. Also mit andern Worten, England kann wohl einen andern Weg in der Reparationssrage ein- schlagen, das braucht die Franzosen jedoch gar nicht zu beun­ruhigen, die können ruhig weiter im Ruhrgebiet bleiben, dort ihre Raub- und Mordtaten ausführen, und durch ihre Absper­rung?- und Hungermethoden die Bevölkerung der besetzten Ge­biete vollends zur Verzweiflung bringen, ebenso wie die Bevöl­kerung im unbesetzten Deutschland, die durch die im Zusammen­hang mit der Ruhraktion stehende vollständige Entwertung der deutschen Mark in verzweifelte Stimmung geraten ist. Von die­sem Gesichtspunkt aus betrachtet ist der bevorstehende Schritt der englischen Regierung, wenn er nicht einen positiven Cha­rakter inbezug auf eine etwaige aktive Mobilisierung der po­litischen Machtfaktoren innerhalb der Entente und darüber hin­aus, u. E. von geringem Wert, ja er kann durch seine weiter hinzögernde Wirkung für Frankreich, dem dadurch freie Hand ge­geben wird, nur vorteilhaft, für uns aber verhängnis­voll werden, weil die Franzosen dann ihre Zermürbungspolitik ungestört fortsctzen können. Und abgesehen von diesem Punkt, wo schließlich das Moment der Disziplin und der noch vorhan­denen Ncrvenkraft des deutschen Volkes ausschlaggebend sein wird, sollen in der voraussichtlichen englischen Regierungserklä­rung aber noch gewisse Fragen behandelt werden, die noch mehr zu denken geben. In der Presse kam darüber in letzter Zeit nur die Andeutung, daß England auch in der Angelegenheit der Sicherheit" Frankreichs einen Vorschlag zu machen beabsichtige. Bekanntlich hatte die englische Presse schon vor Monaten zu melden gewußt, daß England bereit wäre, über eine Neutralisierung" des linken und rechten Rheinufers mit sich sprechen zu lassen, damit Frankreich endlich ein Gefühl der Si­cherheit bekomme. Von deutscher Seite wurde darauf deutlich abgewinkt, und dagegen wiederholt auf den Vorschlag der deutschen Regierung an Amerika hingewiesen, der dahin ging, daß ein lOjähriges Abkommen zwischen Deutschland und Frankreich abgeschlossen werden soll, auf Grund dessen keiner der beiden Staaten den andern während dieser Zeit angreifen darf, und der Angegriffene sofort von einer diesen Pakt garantieren­den Mächtekoalition (insbesondere England u. Amerika) unter­stützt werden soll. Frankreich hat diesen Vorschlag wie erinner­lich abgewiesen, weil er Deutschland nur Gelegenheit gäbe, wäh­rend dieser Zeit seine Rüstungen durchzuführen. Und seitdem ist die Frage derSicherung" Frankreichs in konkreter Form nicht mehr behandelt worden, aber in der Presse der Alliierten mehr und mehr als wichtigster politischer Faktor gegenüber der Repa­rationsfrage in den Vordergrund gerückt worden, wobei zu be­achten war. daß die englische Presse sich von Tag zu Tag besser mit dem Gedanken derNeutralisierung" des Rheinlands, etwa unter der Herrschaft des Völkerbunds befreundet hat. Und nun will also die englische Regierung in ihrer bevorstehenden Kund­gebung auch dieses Problem aufgreifen, und zwar anscheinend durch den Vorschlag der Schaffung einerinternationalen" Sicherheit. Wenn dabei beabsichtigt sein sollte, das Rheinland, und womöglich auch das Ruhrgebiet unter die Aufficht einer Organisation wie die des Völkerbundes zu bringen, von dessen Neutralitätssinn" wir erst anläßlich der letzten Entscheidungen des Dölkerbundsrats über das Saargebiet und Danzig eine starke" Probe erhalten haben, dann müssen wir uns gegen diese Verständigungs"-Politik mindestens so scharf zur Verteidigung setzen wie gegen die geplante französischeRheinlandrepublik', da beide Konstruktionen im Grunde genommen, und nur im Tempo verschieden, dasselbe erstreben, nämlich die allmähliche

wirtschaftliche und politische Abtrennung des Rheinlands von Deutschland. Das zu verhindern haben wir den passiven Wider­stand ausgenommen, und wir dürfen nun auch nicht zulassen, daß die Pläne unserer Gegner durch ein abgekartetes Doppelspiel in anderer Form durchgesetzt werden. O. S.

Heute bestimmt die Erklärung der englischen Regierung.

London, 11. Juli. Reuter teilt mit: Wenn es auch möglich ist, daß die gestern abend zwischen Lord Curzon und dem französischen Botschafter stattgehadte Unterredung einiges neues Licht auf die französische Auffassung warf, so kann doch als zuverlässig angenommen werden, daß die Pläne der britischen Negierung unverändert bleiben. Es ist jetzt sicher, daß diese morgen im Parlament ausführlich zur Darstellung gelangen werden. Es wird mit Befriedigung festgestellt, daß die französische Presse eine freundschaft­lichere Tendenz zeigt, da die Anzeichen für ein Verlangen nach engerer Zusammenarbeit vorhanden zu sein scheinen, für das Gefühl, das in London selbstverständlich vorherrscht. Englische Aeberlegungen über die bevorstehende Erkliirung.

London, 11. Juli. Der diplomatische Berichterstatter des Daily Telegraph" schreibt, es könne angenommen werden, daß die morgige Erklärung der Regierung über die Reparations­politik, wenn sie auch rein technische Einzelheiten vermeiden werde, doch eine ziemlich ausführliche Darstellung der Umstände, die zu dem jetzigen Zustand geführt hätten, sowie der Ansichten und Absichten des Kabinetts enthalten werde. Die Mitteilung werde klar, aber freundschaftlich sein und werde in keiner Weise einen Druck oder Abbruch darstellen. Die Türe werde nicht zu­geworfen, sondern weiter offen gelassen, um d«n Alliierten, die jetzt mit Frankreich nicht Lbereinstimmen, die Möglichkeit zu geben, die Zusammenarbeit wieder aufzunehmen, wenn neue Ueberlegungen oder neue Ereignisse Veranlassung geben sollten, von der gegenwärtigen Linie abzugehen. Sogar die Möglichkeit sei Vorbehalten, daß Frankreich während der kommenden Wochen oder Monate (!) seine bisher so unvollständige Antwort auf die britische Fragenliste in der Weise ergänze, daß ein allgemein gehaltenes Abkommen mit Deutschland auf der Grundlage der Einstellung des passive» Widerstandes gegen die Wiedererlan­gung der industriellen und administrativen Freiheiten i^l Ruhr­gebiet getroffen werde. Die Regierungserklärung werde jeden­falls auch darauf Hinzielen, gewisse hartnäckige Auffassungen zu beseitigen, die irrtümlich von alliierter Seite in bezug auf neuer­dings in britischen Kreisen erörterte Gedanken gehegt worden seien. Z. B. sei es falsch, zu sagen, daß die Ernennung einer internationalen Sachverständigenkommission zur Feststellung der Zahlungsfähigkeit Deutschlands eine Verletzung des Versailler Vertrags darstellen würde. Sie könne in beratender Eigenschaft auftreten und auf Wunsch der Reparationskommission beschlossen werden, welche ihr einen entsprechenden Auftrag erteilen könne. Außerdem fordern BuMtabe und Geist des Versailler Vertrags ausdrücklich, daß die Reparationskommiffion sich bei ihrer Ent­scheidung von dem Geist der Billigkeit leiten lasse und die deutsche Zahlungsfähigkeit nach der wirtschaftlichen Leistungs­fähigkeit zu beurteilen. Frankreich habe übrigens selbst die Mög­lichkeit der Einsetzung einer Körperschaft, die nicht in Verbin­dung mit der Reparationskommission stehe, in Erwägung ge­zogen. Dies gehe aus der Resolution Jouvenels vom vorigen Herbst hervor, die von PoincarS gebilligt und von der Völker­bundsversammlung angenommen worden war. Endlich sei eine Konferenz aller in irgend einer Weise an dem Problem inter­essierten Mächte nichts neues. Dieser Gedanke sei von Poincars auf der Londoner Konferenz im August 1922 angenommen und nur wegen des Abbruchs der Januar-Konferenz in Paris unbe­rücksichtigt geblieben. Dieser Gedanke würde in Italien sehr willkommen sein. Als Konserenzort könne, wie ursprünglich be­absichtigt, Brüssel vorgeschlagen werden. Auch einen Sicherheits­pakt der Westmächte zustandezubringen, könne erwogen werden, wenn er unter der Regie des Völkerbundes (I) zustandekomme, obgleich «in solcher Pakt nicht überall als besonders dringend angesehen werde.

Eine englische Stimme über die Möglichkeit der Lösung de» Ruhrkonflikts.

London, 11. Juli. Der Kölner Berichterstatter derTimes" übernnttelt in einem Telegramm das Ergebnis von Besprechun­gen, die er mit örtlich hervorragenden politischen und industriel­len Persönlichkeiten aus dem rheinisch-westsälischen Jndustriede- zirk hatte. Es sei betont worden^ keine Regierung lös« d«»