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Amtsblatt für M'^bad. Chronik und Anzeigenblatt

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Druck, Verlag u. Hauptschristleitung Theodor Gack. Für den lokalen Teil verantwort!. Karl Th. Flum in Wildbad

Nummer 124

Fernruf 179

WUdbad, Samstag, den 30. Mai 1925

Fernruf 179

60. Jahrgang

Pfingsten

Wir werden nicht vorwärts kommen ohne heiligen Geist, denn es wird nicht von selbst gehen wie viele meinen, sondern nur durch Taten, besonders durch Leiden, durch Opfer. Diese können aber nur aus weiten, reichen, glühen­den Seelen kommen. Diese Seelen findet ihr aber nur. wo Gott Wohnung nimmt, wo heiliger Geist schafft.

Leon h. Raga z.

Politische Wochenschau

Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung, sagt man. Und es ist das Verdienst des Reichsfinanzministers von Sch lieben, daß er den Reichstag auf diesen Weg geführt hat, indem er den Haushaltansfchuß in voriger Woche einlud, einmal im stillen Kommissionskämmerlein nachzurechnen, was die verschiedenen Reichstagsausschüffe untereinander und gegeneinander durch ihre volkstümlichen Steuerbeschnipfelungen und das noch volkstümlichere Frisch- drauflosbewilligen für eine Verwirrung im Reichshaushalt angerichtet haben. Der Sparausschuß und der Steueraus­schuß setzten sich zusammen und das Ergebnis ihrer For­schung war, daß der Abgeordnete Crsingin seinem Bericht darüber erklären mußte: der Reichsfinanzminister hat ganz recht gehabt: er hat nicht nur keine Geldansammlungspölitik getrieben, wie ihm im Reichstag törichterweise vorgeworfen wurde, sondern die von ihm gemachten Rücklagen von den Ueberschüssen des vorigen Steuerjahrs (zwei Milliarden) bekunden eine weise Vorsicht. Die allseitig gewünschte Auf­hebung der Steuervorauszahlung und die Einführung der . vierteljährlichen Steuernachzahlung und der vierteljährlichen Gehaltszahlung wäre z. B. ohne die hiefür vorgesehene Rück­lage von 235 Millionen Mark einfach undurchführbar, und ebenso begründet ist die Rücklage von 220 Millionen für die Daweszahlungen, denn für diese märe eben sonst kein Geld vorhanden gewesen, vielmehr haben die Bewilligungen der * Ausschüsse auf Grund von Reichstagsanträgen bereits einen Fehlbetrag von 175 Millionen zur Folge gehabt. Diese Be­willigungen sollen also noch einmalnachgeprüst" werden, zu­gleich wurde aber auch ausgesprochen, daß mit der Ueber- spannung der Steuerpolitik nicht fortgefahren werden dürfe,

was um so eher ermöglicht wird, je sorgsamer der Reichs­tag künftig bei der Ausstreuung seiner Gaben verfährt. Im Reichstagsausschuß für die Kriegsbeschädigten sind allein Anträge im Gesamtbetrag von über einer Milliarde Reichs­mark laufende und einer halben Milliarde einmalige Aus­gaben gestellt worden. 400 Millionen laufende Ausgaben hatte der Ausschuß bereits bewilligt, umfangreiche Neufor­derungen, insgesamt über 300 Millionen gehen unter der Flagge des Ministeriums für die besetzten Gebiete.

Ein Vergleich zwischen dem, was die öffentliche Belastung Deutschlands, durch Steuern vor dem Krieg ausmachte, und dem, was sie heute darstellt, gibt ein geradezu erschreckendes Bild. Der Steuerbedarf des Reichs betrug im Haushaltsjahr 1913/14 2,12 Milliarden, im Jahr 1925/26 ist er, nach Abzug der Ueberweisungen an die Länder, nach den ^aben des Reichsfinanzministers auf etwa 5,2 Milliarden abzuschatzen. Es ist ausgeschlossen, daß wir für den Reichs- Haushalt rn Zukunft noch die Summen aufbringen, die gegenwärng getraMn merden. Noch viel weniger wird Ls möglich sein, darüber hinaus die beträchtlichen Ausgaben für den Dawesplan zu leisten. Also sparen! Das gilt besonders auch für die Ausgabenwirtschaft der Länder und Großstädte, die so nicht weitergehen darf. Nach vorsichtigen Schätzungen betrug die Steuerbelastuna durch die Länder im Haushaltsjahr 1913/14 1,115 Milliarden, durch die Gemeinden und Kirchen 1,643 Milliarden. Nach den Ermittlungen des Statistischen Reichsamts betrugen da­gegen im Haushaltsjahr 1923/24 die Einnahmen der Länder und Gemeinden aus eigenen Steuern und Betriebsverwal­tungen, sehr nieder gerechnet, mindestens 3,274 Milliarden,

. wozu die Steuerüberweisungen aus der Reichskasse mit 2,274 Milliarden kommen. -Das ergibt eine Summe von 6.019 Milliarden gegen 2,758 Milliarden im Jahr 1913, die Steigerung gegenüber der Vorkriegszeit ist also noch erheblich größer als beim Reich. Während aber dem Reich immerhin beträchtliche Mehrausgaben in der Nachkriegszeit erwachsen

_-sind, insbesondere durch die Verfassungsänderung und die

Entschädigungszahlungen, trifft dies für die Länder und Ge­meinden nur in erheblich beschränktem Umfang zu. Die Ee- samtsteuerbelastung betrug im Jahr 1913 etwa 4,9 Milliar­den, was einer Belastung des auf 43 Milliarden geschätzten Volkseinkommens von 8,8 v. H. entsprach. Die Gefamtsteuer- belastung 1924/25 betrug mindestens 10,9 Milliarden. Be­rechnet man das heutige Volkseinkommen auf 32 Milliarden, so ergibt sich heute eine Belastung des Volkseinkommens von 33 v. H. Eine solche Finanzpolitik muß, wie der Reichsfinanz­minister mit Recht betont hat, schließlich zum Krach führen. Der obengenannte Ausschußbericht rügt es deshalb auch, daß in den größeren Gemeiichen es vielfach üblich geworden ist

infolge des leichten verantwortungsfreien Hereinströmens der Reichsüberweksungen Ausgaben für werbende Zwecke Mie Straßenbahnen Md andere bedeutende Betriebsunter;

Tagesspiegel

Die V freier der Länder werden nach Eintreffen der Enkwaffnungsnoke des Verbands in Berlin eine Besprechung mit der Reichsregierung haben.

Die Botschafter der verbündeten Regierungen in Berlin sind über die Wngsttage zur Berichterstattung heimberufeu worden.

Die sozialdemokratische Fraktion beabsichtigt, im Reichs­tag einen Antrag auf Umbildung der Reichswehr einzu­bringen.

Der Pariser Dokschafkerrak wird am Samstag >. rAut- worknote in der Enlwaffnungsfrage feststellen. Die Rote soll am Anfang nächster Woche in Berlin übergeben werden, während die Rote über die Sicherheitsfrage kaum vor Herbst zu erwarten sein soll. Die Enkschädigunaskommission hak in ihrem Bericht festgestellk. daß Deutschland seine Ver­pflichtungen bisher erfüllt habe.

In Tanger soll nach einer Madrider Meldung ein fran­zösischer Oberst eingekroffen sein, um mit Abd el Krim über die Einstellung des Kampfes zu verhandeln. Abd el Krim bedroht den äußersten rechten Flügel der Franzosen und die Verbindung mit Algier, die Franzosen sind daher ge­zwungen, ihre Front auf über 300 Kilometer auszudehnen.

nebmungen aus den Steuereinnahmen zu bestreiten. Es geht einfach nicht an, der Gegenwart Lasten aufzuladen für An­lagen, die auch späteren Geschlechtern, und diesen vielleicht mehr noch als der heutigen, zu Nutz und Frommen sind. Solche Ausgaben sollen nach der Ansicht des bekehrten Reichstagsausickusses billigerweise wenigstens zum großen Teil auf Anleihen übernommen werden, an denen auch die Nachkommen ihr Teil zu tragen haben. Anders würde der Steuerabbau nicht möglich sein.

Das Gebot der sparsamsten Finanzpolitik muß sich auch aufdrängen im Hinblick auf die Entwicklung des deutschen Außenhandels, dessen Ueberschuß nach landläufiger Mei­nung einen wesentlichen Teil der Kriegsentschädigungskasten decken soll. Aber mit dem Ueberschuß sieht es böse aus. Im vorigen Jahr war die deutsche Einfuhr aus dem Ausland, um 2,7 Milliarden größer als die Ausfuhr dorthin, wir hat­ten also allein im Warenhandel 2,7 Milliarden Mark mehr an das Ausland zu zahlen als von draußen hereinkam. Die Silberstreifenpolitiker glaubten eine entschiedene Besserung im Jahr 1925 prophezeien zu dürfen. Aber in den ersten vier Monaten d. I. beläuft sich der Fehlbetrag der Handels­bilanz nach den amtlichen Mitteilungen bereits auf 1,7 Mil­liarden, also weit mehr als di« Hälfte des Jahresfehlbetrags von 1924, und wenn es so weiter geht, werden wir im Jahre 1925 im Außenhandel eine Unterbilanz von vielleicht fünf Milliarden haben. Vielleicht auch mehr, wenn die kommenden Handelsverträge nicht sachkundiger und geschickter abgeschlossen werden, als der Vertrag mit Spanien, den der Reichstag soeben mit 170 gegen 96 Stimmen bei 98 Stimmenthaltungen angenommen hat, obgleich er, wie männiglich zugegeben wurde, der deutschen Landwirtschaft und dem Obst- und Weinbau schweren Schaden bringen wird und in keiner Weise für Deutschland die Meistbegünstigung bringt. Der Vertrag sei nötig aus politischen Gründen, sagte Minister Stresemann; wir müssen das sich an­bahnende gute Verhältnis zu Spanien mit wirtschaftlichen Geschenken erkaufen, weil es dem spanischen Weinbau gar so schlecht geht. Die nachbismarckische Politik hat es auch so gemacht, aber weit sind wir damit nicht gekommen. Was soll uns denn der spanische Wein? Großenteils wird er doch nur dazu benutzt werden, unsere eigenen guten Wein« zu verpantschen und zu verhunzen. Minister Stresemann hat ja wohl versprochen, daß die Regierung dem Wein- und Obstbau mitKrediten" an die Hand gehen und auch sonst Notstands­maßregeln treffen wolle. Den Weinbauern wäre es aber wahrscheinlich lieber gewesen, wenn sie statt der heimzuzah­lenden und zu verzinsendenLiebesgabe" einen Schutz ihrer Wittschaft vor dem ausländischen Wettbewerb erfahren hät­ten. Und inwieweit sich Las politische Geschäft bezahlt macht, bleibt abzuwarten; bisher hat Deutschland noch nie großen Dank geerntet.

Es mag ein Zeitungs-Hirngespinst sekn, wenn ein Pariser Blatt behaupete, der französische Sondergefandte Malvy habe mit den maßgebenden Kreisen in Madrid u. a. ver­einbart, daß eine Bahn von Paris in der kürzesten Linie über Madrid nach dem spanischen Hafen Eadiz gebaut werde, die um 10 Stunden kürzer wäre, als der bisherige Eisen­bahnweg. So könnten die französischen Truppen späterhin in kürzester Zeit nach Marokko und Re Truppen in Marokko ebenso schnell nach Frankreich befördert werden wenn der nächste Krieg mit Deutschland ausbreche, sagt das Blatt wörtlich. Daß derartige Gedankengänge der franzö­sischen Regierung nicht fern liegen, beweist die Forderung in Vriands Antwortnote, daß Frankreich im Kriegsfall für seine Truppen das Durchzuqsrecht durch Deutschland haben müsse. Das ist ja mit ein Hauptgrund, warum Deu tschlan d

bedingungslos Mitglied des Völkerbunds werden soll wo­gegen sich Frankreich früher mit Händen und Füßen ge- sträbt hatte, bis es, oder bis sein Berater Bene sch diese überaus befriedigende Lösung gefunden hatte. Man kann den Verdacht nicht ganz unterdrücken, ob nicht die Sendung Malvys auch den Nebenzweck hatte, einer etwaigen Annähe­rung Spaniens an Deutschland wenigstens mittelbar einen Riegel vorzuschieben.

Wie man in den Pariser sZitungen zwischen den Zeilen lesen kann, wäre die französische Regierung froh, wenn sie das Marokko-Abenteuer auf gute Art vom Halse bekäme, denn sie hat sich den Spaziergang ins Rifland doch leichter vorgestellt, als er ist. Die bisherigenSiegesberichte" der Generale Lyauthey, Freudenberg ufw. sind blauer Dunst gewesen, wenn die Regierung in Paris überhaupt das wahr­heitsgetreu veröffentlicht hat, was die Generale gemeldet haben. DerKrieg" ist in Frankreich nichts weniger als volkstümlich, schon der Kosten wegen, die sich jetzt schon auf eine Milliarde Franken (etwa 200 Millionen Mark) belaufen sollen, und die dem Finanzkredit Frankreichs so wenig zu­träglich sind, daß der französische Franken nunmehr auf den Tiefstand von 97.50 zu einem Pfund Sterling gesunken ist. Außerdem ist bereits der Ehrgeiz Italiens gereizt wor­den, daszum Ausgleich" noch ein Stück vcm Tunis haben möchte.

Schließlich ist auch England nicht zu vergessen, das wegen derSicherheit" seinesMittelmeerkanals" von Gi­braltar die Entwicklung des französischen Vorgehens in Ma­rokko mit merkbarem Interesse verfolgt. Die Londoner Blätter haben schon erklärt, daß die Küste des spanisch­marokkanischen Gebiets nicht ohne britische Zustimmung an­gerührt werden dürfe. Man sähe es daher wohl in Paris ganz gern, wenn Abd el Krim sich zu Verhandlungen herbeiließs, die dem französischen Weltansehen, Prestige ge­nannt, keinen zu großen Knax versetzen würden. Mittler­weile könnte man sich mit England verständigen.Verstän­digungen" aber bauen sich auf Zugeständnissen auf. Steckt Frankreich sein Ziel in Marokko diesmal noch zurück, so wird wahrscheinlich England den französischen Wünschen in d°n deutschen Fragen entgegerckommen. Nebcr die Antwort auf die deutschen Sicherheitsvorschläge ist man nach vier Monaten zwischen London und Paris noch nicht einig, immer wieder gehen Fragen und ausweichende Antworten hin und her, und die Sache kommt nicht vom Fleck. Der englische Außenminister Austin Chamber- l a in soll nun den Plan vorgebracht haben, das besetzte Ge­biet, also einschließlich der Pfalz und der sogenannten Brücken­köpfe, zu einem selbständigen neutralen Staa­te n g e b i l d e zu machen, wie z. B. Luxemburg ein solches kraft des Londoner Vertrags von 1867 ist. Das ganze Ge­biet soll also von Deutschland losgerissen und was die selbstverständliche Folge wäre unter französischen Einfluß geb. .. ' t werden, wie auch Luxemburg heute ganz von Frank­reich beei : ßt wird. Die Franzosen könnten somit am Rhein bleib::;, wenn auch nicht nach dem gröberen Vertrags­bruch, den Poincare, Herriot, Painlevö usw. bisher vertreten haben. Praktisch käme aber der Wan Chamberlains auf das gleiche hinaus, nur aus englische Manier. Cs ist einfach em­pörend, wie die Verbündeten sieben Jahre nach Friedens­schluß glauben mit Deutschland umspringen zu dürfen. Aber warten wir einmal ab, ob die allerdings gut beglaubigte Meldung sich bewahrheitet. Trifft sie zu, dann wi' ' der Vorschlag Chamberlains wohl als ein Stück der englisch­französischenVerständigung" über Marokko zu betrachten, für die, wie üblich geworden, Deutschland die Rechnung zu be-ahlen hätte.

Neue Nachrichten

Der Eisenbahnerabbau in Berlin

Berlin, 29. Mai. In den Betriebswerkstätten von Groß- Berlin sind die ersten Kündigungen auf 1. JE ausgegeben worden. Sie haben nicht den Umfang, von dem bisher in Zeitungsberichten die Rede war.

Painlevs über den Marokkokrieg

Paris, 29. Mai. In der gestrigen Kammersitzung er­klärte Ministerpräsident Painlevs, Frankreich tue in Marokko nur seine Pflicht, es sei bereit, die Befriedung des Rifs zu erleichtern, ohne die Grenze zu überschreiten, und den Rif­stämmen bei der Ausbeutung ihrer Bodenschätze zu helfen. (Eben für dieseHilfe" bedanken sich die Rifkabylen. D. Schr.) Ueber die Stärke der Truppen an der Front könne er keine Mitteilung machen. Die Verluste betragen bisher 400 Tote, 300 Vermißte, davon drei Fünftel Eingeborene, 1100 Verwundete. In der marokkanischen Frage gehe er mit dem Kabinett Poincarä und Herriot durchaus einig. (Starker Beifall auf der Rechten.) Von den Rechten Frank­reichs werde er nichts aufgeben. Abg. Berthou führt aus, in Frankreich seien große Mengen Munition unter Bei­hilfe französischer Beamten für die Kabylen aufgekauft wor­den, solange sie mit den Spaniern kämpften. Minister Briand gibt zu, daß aus diesem Grund drei Beamt« best raft worden feien. ------- ^

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