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Nummer 63
Fernruf 179
Wildbad, Donnerstag, den 19. März 1925
Fernruf 179
60. Jahrgang
Der Hagenschieß-Prozeß
Der Zusammenbruch einer Siedelungsbank
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Vor dem Schöffengericht in Karlsruhe spielt sich zurzeit ein Prozeß ab, der einen interessanten Beitrag zur Geschichte der Verschleuderung von Staatsgut und Staatsmitteln liefert. Die Auffassung, daß die staatskassen unerschöpflich seien, wenn man nur die Steuern hoch genug schraube, hat sehr viele, denen die Verfügung über Staatsgut anvertraut war, zu sorgenloser Ausgabenlust verleitet. Bekanntlich wurden im Jahr 1919 die Siedelungspläne mit großer Begeisterung in Angriff genommen, um die Schwierigkeiten machte man sich keine allzu großen Sorgen, da die Kassen des Staats zur Verfügung standen. Auch die badische Regierung beschäftigte sich mit Siedelungsplänen und erwog ganz ernsthaft den Gedanken, den Hardtwald im Norden der Stadt Karlsruhe ab zu holzen, um Gelände zu gewinnen. Nur durch ein Gutachten der Forst- behöode, die auf die Gefahren der klimatischen Veränderungen hinwies, wurd die Verwirklichung des Gedankens verhindert. Auf betreiben des früheren Wohnungsinspektors Kampffmeyer wudre im Juni 1919 in Karlsruhe eine Siodelungs- und Landbank gegründet. Der Bank wurde die Aufgabe gestellt, billiges Siedelungsgelände zu beschaffen. Das Stammkapital wurde auf 3,5 Millionen Mark festgesetzt, mit 2 Millionen beteiligte sich der S t aat, der Rest wurde von Städten und öffentlichen Körperschaften gegeben. Die Siedelungsbank begann ihre Tätigkeit damit, daß sie die 25 v. H. des eingezahlten Aktienkapitals zunächst einmal zur Anschaffung der Bureaueinrichtung und zur Anschaffung eines Automobils verbrauchte. Schon im Spätjahr 1919 faßt« die Bank den Plan, ein Darlehen aufzunehmen, um über die ersten Geldschwierigkeiten hinwegzukommen. Zunächst wurden Bankschulden gemacht, die bis Ende März 1920 schon auf zwei Millionen angewachsen waren. Anfang April erhielt die Siedelungsbank ein Darlehen von acht Millionen Mark von dem Bankhaus Arons u. Walter in Berlin.
Um die ihr gestellte Aufgabe zu lösen, machte sich die Bank auf die Suche nach Siedelungsland. Im Spätjahr
1919 wurde mit der Forstbehörde um die Ueberlassung eines 800 Hektar großen Waldgeländes bei Pforzheim, des sogenannten Hagenschieß, verhandelt. Der Finanzminister, die zuständige Behörde, sagte am 10. Oktober 1919 die sofortige Ueberlassung von 200 Hektar zu, 300 Hektar sollen später zur Verfügung giestellt werden. Am 10. April
1920 wurde der Kauf des Walds fest, und zwar zum Preise von 600 Mark für das Hektar und 60 Mark für das Festmeter Nutz- und Brennholz. Die Kaufbedingungen wudren für die Bank sehr günstig gestellt, jährlich füllten 5. v. H. des Kaufpreises an die Domänenkasfe bezahlt werden, der Rest mußte mit 3 v. H. verzinst werden. Für das Holz sollte'die Bank nur 25 v. H. des Preises zahlen, die restlichen 75 v. H. wurden als Zuschuß des Staats zu dem Siedelungsunternehmen betrachtet. Außerdem gab der Staat noch 3 Millionen Mark in bar für die Holzfällung. Die Herrichtung des Siedelungsgeländes wurde nun von der Bank in der unsinnigsten Weife vorgenommen. In kurzer Zeit wurden ISO Hektar in der Weise niedergeschlagen, die allen fachmän. Nischen Grundsätzen zuwider war. Zur Fällung wurden nur Arbeitslose beschäftigt. Mit Löhnen und Gehältern wurde in der freigiebigsten Weise gowirtschaftet, das Unternehmen wirkte direkt lohntreibend. In der Anstellung von Personal ging man sehr großzügig vor. Die gesamten Lieferungen für das Unternehmen bekam der Kaufmann Honnef in Dinglingen in die Hand, der gleichzeitig Berater der Bani war- Das Holz wurde schnell verschleudert, um Geld für die hohen Unkosten zu bekommen.
' Don Angriffen, die sehr bald in den Blättern gegen das Unternehmen und seine Geschäftsführung einfetzten, schenkte der Arbeitsminister Rücke rt keine Beachtung. Die Mißwirtschaft ging, wie die Direktoren behaupteten, mit Wissen dr zuständigen Behörden weiter. Erst im Juli 1920 grif! der Aufsichtsrat endil chein, die beiden Direktoren wurden sofort entlassen, und gleichzeitig Wurde Strafantrax gegen sie gestellt. Auch der Landtag befaßte sich mit der An- gelegenheit. Schließlich trat der Arbeitsminister im Spät jahr 1920 zurück. Im Frühjahr 1920 wurde die Liquidation der Bank beschlossen, sie ist heute noch nicht durchgeführt Der Staatnahm das Siedelungsgelände wieder zurück, ei, Teil wird wieder aufgeforstet, ein andrer Teil ist als land wirtschaftliches Gelände verpachtet. Das ganze Aktien ^ 2 l ist "Floren, der Staat hat heute noch dre Millionen Mark zu fordern. Im Sommer 1921 wurde, die Aktiva der Bank auf 10 Millionen, die Passiva auf 1' Millionen Mark geschätzt. Ein Sachverständiger wurde mi der Untersuchung der gesamten Geschäftsführung beauftrag! Drei Jahre lang hat er Wr Anfertigung des Gutachtens ge braucht, das über 1500 Schreibmaschinenseiten umfaßt
Auf der Anklagebank sitzen jetzt der Direktor Abele die beiden früheren Angestellten dr Bank Grieaer uni Würtenberger, die Kaufleute Honnef, Deter uni Mager, der Mitglied des badischen Landtags ist
Taaesiyieqel
Die Reichsregierung hak ihre Zustimmung zur Ernennung des neuen amerikanischen Botschafters Jakob Schurmann gegeben. Schurmann stammt aus Holland.
Reichsminister Dr. Skresemann berichtete im Reichs- kagsausschuß für Auswärtiges über den Notenwechsel mit dem Völkerbund und legte die Schwierigkeiten dar, die dem Beitritt Deutschlands immer noch entgegenslehen. Der französische und der englische Wortlaut der Note des Völker- bundsraks weise wieder schwerwiegende Verschiedenheiten auf. So spreche der englische Wortlaut nur von einer „eventuellen" (allenfallsigenf Mitwirkung Deutschlands an einem Völkerbundskrieg, während im französischen Wortlaut »effektive" (tatsächliche) Mitwirkung unter allen Umstände verlangt werde.
Zn Pisa wurde ein kleines wellenförmiges Erdbeben von drei Sekunden Dauer wahrgenommen: auch in anderen Stödten wurde das Erdbeben verspürt.
Griechenland hat bei römischen Fabriken 50 000 Handgranaten bestellt. — Das nennt man Abrüskungi
Präsident Loolidpe hak als Generalstaatsanwalk nun- Sargent statt Warrcn vorgeschlagen, er hat also nach- gegeben.
Die Anklage lautet auf Untreue, Verleitung zum Meineid, unlautern Wettbewerb, unerlaubten Handel, Preistreiberei und Begünstigung Der Angeklsgöte Mager wird beschuldigt, daß er den Bericht über eine vertrauliche Landtagssitzung an den Kaufmann Honnef gegeben habe. Der Direktor Abele wird hauptsächlich beschuldigt, daß er sich von dem Kaufmann Honnef, der Hauptlieferant des Unternehmens war, habe bestechen lassen. Im Lauf des Prozesses hat der Staasanwalt gegen den Direktor Abele noch Anklage auf Grund des 8 266 des Strafgesetzbuches erhoben mit der Beschuldigung, daß er sich von dem Bankhaus Arons n. Walter für Vermittlung des Darlehensgeschäftes 20 000 Mark Bestechungsgelder habe geben lassen. Die Angeklagten behaupten, die Bank sei dadurch zu« fammengebrochen, daß auf dem Holzmarkt ein Konjunkturumschwung eingetreten sei. Die Sachverständigen sind jedoch der Auffassung, daß bei ordentlicher Geschäftsführung der Iusammnebruch nicht gekomemn wäre. Wie schlecht das Holz geschlagen wurde, schilderte ein Forstsachverständiger: unter den 41 000 geschlagenen Stämmen waren 4000 abgespüttert. Der Prozeß, der seit acht Tagen im Gang ist, wird noch etwa 14 Tage dauern- Sovil steht jetzt schon fest, daß an den Verlusten, die der badische Staat bei diesem Unternehmen erlittn hat, nicht die schlechte Geschäftsführung allein schuld ist, sondern auch die Vertrauensseligkeit der verantwortlichen Stellen in der Regierung, wo man Sozialpolitik mit Freigebigkeit verwechselte.
Neue Nachrichten
Die preußische Dauerkrise
Berlin, 18. März. Das preußische Kabinett, das gestern dem Landtag vorgestellt werden sollte, ist noch nicht zustande- gekommen. Nachdem von den Rechtsparteien und den wirtschaftlichen Gruppen das Kabinett Marx nunmehr überhaupt abgelehnt wurde, weil Marx als Kandidat für die Reichspräsidentenwahl für die Ministerpräsidentschaft in Preußen nicht mehr ernstlich in Frage kommen könnte, wollte Dr. Marx auf die Kabinettsbildung verzichten. In einer Besprechung der Vertreter der Weimarer Koalition wurde er jedoch gebeten, zuvor mit der Reichsparteileitung des Zentrums, die ihn als Reichspräsidentenkandidaten ausgestellt hat, Fühlung zu nehmen. Die Entscheidung wurde auf Freitag vertagt.
Vertreter der Volkspartei hatten heute eine Besprechung mit Dr. Marx, um gegebenenfalls über eine neue Lösung zu verhandeln.
Der Eisenbahnerstreik
Berlin, 18. März. Die Reichsbahngesellschaft hat zu dem Schiedsspruch Vorschläge ausgearbeitet, um die durch die Forderungen der Arbeiter entstehenden Mehrausgaben auszugleichen, ehe zu dem Mittel der Tariferhöhungen gegriffen werden muß. Die Vorschläge werden besonders auch auf weitere Einsparungen Bedacht nehnen. Die Reichsregierung wird die Vorschläge zunächst prüfen.
Die Einigungsverhandlungen werden da- durch erschwert, daß von den Gewerkschaften die restlose Wiedereinstellung der Streikenden verlangt wird, während die Gesellschaft erklärt, sie könne nicht alle, die ihr den Betrieb aufrechterhalten halfen, entlassen, zumal ausdrücklich fcstgelegt worden sei, daß die durch die etwaige Verbindlichkeitserklärung geschaffene Rechtslage von den Verbänden anzuerkennen sei. — Heute streiken noch insgesamt 10 31O Mann.
Die streikenden Eisenbahnarbeiter des Bezirks Hof (Oberfranken) sind zur Arbeit zurückgekehrt.
Ruhrenkschädigung der Angestellten?
Berlin, 18. März. Der Afabund hat an das Reichsarbeitsministerium die Anfrage gerichtet, ob Maßnahmen vorbereitet feien, um die durch den passiven Widerstand im Ruhrkampf nachweislich geschädigten kaufmännischen und technischen Angestellten aus Reichsmitteln zu entschädigen.
Der Barmakskandal
Berlin, 18. März. Durch ein eigentümliches Versehen wäre beinahe H. Barmat in Freiheit gesetzt worden. Der Direktor der Preußischen Staatsbank, Oberfinanzrat Dr. Rühe war auf Antrag seines Verteidigers gegen eine Sicherheit von 5000 auf freien Fuß gesetzt worden. Die Tatsache, daß Rühe wegen fahrlässiger Kreditgebung sowohl in den Fall Barmat wie in den Fall Kutisker verwickelt ist, hatte es notwendig gemacht, daß zwei Entlassungsscheine von verschiedenen Untersuchungsrichtern ausgestellt wurden. Im Untersuchungsgefängnis scheint die Meinung entstanden zu sein, daß H. Barmat freigelassen werden solle und von dort wurde der Verteidiger Barmats benachrichtigt, der diesem sofort Mitteilung machte. Der Irrtum wurde rechtzeitig entdeckt. Wie er entstanden ist, ist noch nicht aufgeklärt.
Polnische Frechheit
Graudenz. 18. März. Die „Straznica Valtycka" (Baltische Wacht) veröffentlicht einen Aufruf an dis Kriegsteilnehmer in Polnisch-Westpreuhen, Danzig durch einen Handstreich in Besitz zu nehmen.
In dem Kampf Mussolinis gegen seine Gegner in Italien veröffentlicht der „Popolo d'Jtalia" eine Reihe von Enthüllungen über den früheren italienischen Außenminister Sforza, der als Mitglied des Obersten Rats und des Völkerbundsrats an dem Raub Oberschlesiens durch Polen beteiligt war und dafür einen besonderen Plan ausgearbeitet hatte. Sforza unterhielt mit der Frau des polnischen Gesandtschaftssekretärs in Rom vom September 1920 bis 1921 ein Verhältnis, das von dem Ehemann auf Wunsch des polnischen Gesandten aus politischen Gründen begülistig t wurde. Ein Arzt aus Trient, der eines Tags den betrunkenen polnischen Sekretär auf der Straße auflas und ihn in seine Wohnung schaffen ließ, traf dort den Minister Sforza unter heiklen Umständen. Das war kurz, nachdem Oberschlesien durch den Völkerbund und den Botschafterrat an Polen verschenkt worden war. (Daß die Polen ihre Politik seit Jahrhunderten vielfach durch Dirnen machen, ist bekannt. D. Schr.) „Popolo d'Jtalia" schreibt: „So wurde in jenen Tagen die Würde der italienischen Politik in den Schmutz gezogen. So wurden die italienischen Interessen durch die Schlafzimmer geschleift."
Die englisch-französischen Meinungsverschiedenheiten
London. 18. März. Der „Daily Telegraph" läßt sich berichten, die Meinungsverschiedenheiten in Genf seien so schwer gewesen, daß die französischen Vertreter ganz verblüfft waren und nicht wußten, was sie sagen sollten. Chamberlain habe es daher aus Höflichkeit für ratsam gefunden, mit Herriot noch einmal zusammenzukommen. Die Meinungsverschiedenheit beziehe sich nicht nur auf das Genfer Protokoll, sondern auch auf die von Frankreich geforderte Einsetzung einer dauernden „Nachspürungskom- mission" im besetzten Gebiet, für die nach englischer Erklärung der Vertrag von Versailles keine Berechtigung gebe. Das Verhalten der Polen habe Chamberlain sehr verstimmt, während Frankreich die Polen absichtlich besonders begünstige..
Der Streik in Italien ..
Rom. 18. März. Der Streik der oberitalienischen Metallindustrie dehnt sich weiter aus. Auch die sozialistischen Ar- beiter sind großenteils in den Ausstand geirrtem In Breccia, Bergama ung teilweise in Monza wurde die Arbeit wieder ausgenommen. Die Regierung verschärfte die Bestimmungen über den Waffenbesitz. Zwischen Faszisten und Sozialisten und Demokraten kam es mehrfach zu Schlägereien.
Erhöhter Unfallschutz
Berlin, 18.'März. Der Reichstagsausfchrch für soziale Angelegenheiten befaßte sich mit der allgemeinen Aussprache über den Entwurf eines Uveiten Gesetzes bezüglich Aende- rung der Unfallversicherung. Der Entwurf fordert vor allem einen erhöhten Unfallschutz, der durch möglichst unabhängig zu stellende besondere Auffichtspersonen schärfer als bisher überwacht werden soll. Auch der Begriff „Unfall" soll erweitert werden. Durch Verordnung sollen eine Reihe von Berufskrankheiten der Unfallversicherung unterstellt werden. Neu ist die im Entwufr ausgesprochene Verpflichtung, die Unfallfürsorge durch Schaffung einer Verufsfür- scrge zu erweitern. Wiederherstellung der Arbeitskraft Müsse das höchste Ziel sein. Berufsberatung, Umschulung
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