(Enztalbote)

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Nummer 56

Fernruf 179

Wildbad, Montag, den 9. Marz 1925

Chamberlain bei Herriot

Am gestrigen Freitag traf der britische Außenminister Chamberlain in Paris ein und hatte am Samstag vor seiner Abreise nach Genf eine Aussprache mit dem französi­schen Ministerpräsidenten Herriot. Ueber diese Aus­sprache stritten sich die verbündeten Regierungen seit mehr als-einer Woche herum. Frankreich wünschte die sofortige und gründliche Auseinandersetzung. England zögerte, weil es eine baldige allgemeine Erörterung derschwebenden Fragen" vorzieht. Aber man gab schließlich wie immer in London nach. Nur ließ man dieTimes" verkünden, daß die Pariser Zusammenkunft Chamberlains mit Herriot nicht amtlich sei. Das war die Rache für das ungeduldige Drängen der französischen Diplomatie.

Worüber werden sich Herriot und Chamberlain unter­halten? Zweifellos über die deutschen Sicherheitsvorschläge. Nach dem stets gut unterrichtetenDaily Telegraph" hat Chamberlain in der Zusammenkunft, gestützt auf die gleich­artige Auffassung in Italien und Belgien, der Meinung Aus­druck gegeben, daß die deutschen Vorschläge eine geeignete Grundlage für die Erörteru»g bilden können und außerdem den Vorzug besitzen, England von der Verpflichtung zu ent­lasten, selber bestimmte Sicherungsvorschläge zu machen. Um diese zarte Andeutung zu verstehen, muß man wissen, daß im Schoß des englischen Kabinetts lebhafte Auseinander­setzungen über die Frage stattfanden, was denn nun eigent­lich geschehen solle, ob England voranzugehen und Deutsch­land ins Schlepptau zu nehmen habe oder ob man weiter zusehen dürfe, wie die deutsche Regierung in Paris arbeitet.

Man entschied sich für das letztere und behielt sich einen englischen Vorstoß offenbar für Genf vor. Tatsache ist, daß das englische Kabinet in den letzten Tagen vor Chamberlains Abreise mehrmals zu längeren Beratungen zusammentrat und daß an diesen Beratungen auch Valfour teilnahm. Die Hinzuziehung Valfours, die nun schon zum zweitenmal erfolgte, beweist, daß das Kabinett zum Valfourschen Ge­danken eines Sicherheitsabkommens zurückkehrt. Der Nie­derschlag dieser Beratungen zeigt sich in der Mitteilung der Londoner Presse, daß infolge der deutschen Angebote eine bessere Atmosphäre" für die Erörterung der Äbrüstungs- frage und die Räumung der Kölner Zone geschaffen sei. In London weht also zurzeit ein den deutschen Bestrebungen günstiger Wind. Es fragt sich nur, was denn eigentlich auf deutscher Seite geschehen ist. Die ausländischen Bericherstat- ter haben darüber eine solche Fülle von Gerüchten und Ver­einbarungen losgelassen, daß unser Auswärtiges Amt schließ­lich sich äußern mußte. Diese Aeußerung wurde in den Auf­regungen des Ebert-Begräbnisses wenig beachtet und gab auch leider nicht die volle Klarheit, die die politische Oeffent- lichkeit heutzutage erwarten kann.

Vergleicht man die gewundene Meldung mit den ernst zu nehmenden nichtamtlichen Berichten und den ausländischen Erwiderungen, so ergibt sich folgendes: .Botschafter von Hoesch hat schon am 9. Februar dem Ministerpräsidenten Herriot deutsche Vorschläge über einen europäischen Sicher­heitspakt unterbreitet, und zwar mündlich. Vierzehn Tage später schickte die Berliner Regierung einen schriftlich aus­gearbeiteten Plan unser Auswärtiges Amt nennt ihn einen Rahmen-Vorschlag in Form einer Verbalnote nach Paris, London, Brüssel und Rom. Die Verbalnote wurde dann, dem diplomatischen Brauch entsprechend, durch eine Denkschrift" ergänzt. Warum ist Dr. Stresemann mit die­se? Denkschrift nicht gleich in die volle Oeffentlichkeit ge­treten? Er hat sich wieder einmal um eine moralische Wir­kung gebracht. Im übrigen sind die Vorschläge kein schlech­ter Schachzug gegen das, was sich im Anschluß an den Schlußbericht der Ueberwachungskommission im Pariser Botslbafterrat zusammengebraut hat. Chamberlain wird gewiß nicht wie ein Jupiter mit dem Blitz zwischen die Wol­ken fahren, aber sein Gespräch mit Herriot könnte zu einer gewissen Entspannung führen.er.

Die italienische Valuta

Die italienische Lira, die vor dem Ausbruch des Kriegs nahezu den Goldkurs erreicht hatte, ist seitdem beständiq zu- rückgegangen. Sie galt 1915 nur nock 79 Gold-Centesimi, uüd sie sank d-ann m den folgenden Jahren in folgender Skala: 1916: 76, 1917: 62, 1919 : 50. 1920 und 1921: 22, 1922 und 1923^ 23, 1924: 22,8, 1925 : 22 Centesimi. Zu Be­ginn dieses Jahrs erreichte die Lira ihren bisher größten Tiefstand: für das englische Pfund mußten 121, für den Dollar 25, für den französischen Franken 1,38, für den schweizerischen Franken 4,90 Lire gezahlt werden. Zurzeit ist eine leichte Besserung eingetreten, aber es ist nicht aus- geschlossen, daß nach kurzer Erholung eine weitere Ver­schlechterung erfolgt Der Fascismus sucht die Gründe in rein politischen Ursachen und mmht die Opposition für den Dalutaverfall verantwortlich.Der Papierumlauf ist vom U. Juni 1924 bis zum 30. November," wie der fafcistische

Tagesspiegel

Der englische Schatzkanzler Churchill erlitk einen schwe­ren Blutsiurz, Möglicherweise wird eine Operation not­wendig werden.

Die belgische Kammer ist aufgelöst worden. Die Neu­wahlen sind auf 27. April ausgeschrieben.

Die englische Flugzeugfabrik Vlackkon richtet in Phale- ron bei Athen eine Flugzeugfabrik und eine Fliegerschule ein. Weitere Flugzeuglager sollen auf Kreta und auf der Insel Melos errichtet werden. Griechische Fliegeroffiziere werden in England ausgebildek.

Den englischen Einwendungen zufolge hak die französische Reaiermrq die türkische Regierung ersucht, über die Eisen­bahnbrücke von Aleppo nur noch die unbedingt notwendigen Truppen zu entsenden.

Der Vorsitzende des französischen Verufungsgerichkshofs in Aleppo (Syrien) wurde in seiner Wohnung kok und verstümmelt aufgesunden. Man glaubt nicht, daß es sich um einen politischen Mord handle.

In Sofia wurde der kommunistische Abgeordnete Sko- sti'ioff aus der Straße ermordet. Der Täter ist verhaftet, seine Persönlichkeit ist aber noch nicht festgestellt.

Abgeordnete Lanrillo in derEvaca" schreibt,nicht einmal um eine halbe Milliarde (von 19 Milliarden und 942 Mil­lionen auf 20 Milliarden und 293 Millionen) vermehrt wor­den. Der Auslandbandel steht gut, und die passive Handels­bilanz ist beträchtlich zurückgegangen. Die Industrien sind voll befchäftiat, und die Eissn6"bnen und die Seeschiffabrt baden gute Einngbmen. Der Fremdenverkehr ist jedes Jahr in beträchtlichem Steigen." Nach Lanzillo trägt di« Oppo- siNm,--yresse in Italien und die lreimaurerisch-demokratilche Greste in der Welt mit ihren Schilderungen von den Zu­ständen im faseistischen Jtrllen an dem Verfall der italieni­schen Valuta die Schuld. Außerdem seien dieSchwarzen Banden" an den Banken lind den Börsen anzuklagen. Fari- nacci fordert deshalb eine scharfe Beaufsichtigung des ge-. samten Finanzlebens des Landes, der Banken und der Börse. ImPopolo" führt dagegen der Abgeordnete Gilardoni fol­gende Gründe für den Fall der Lira an:1. Der Mangel und der Preis von Rohstoffen. 2. Die Einfuhr steigt, und die Ausfuhr sinkt. 3. Das System der öffentlichen Ausgaben Italiens und der Schuldenlast ist für die nationale Wirt­schaft noch zu hoch. 4. Der Geldumlauf läßt an Qualität zu wünschen übrig. 5. Die auswärtigen Kriegsschulden, für die besondere Gutscheine zur Zinsenzahlung ausgegeben werden, im zweiten Halbjahr 1924 allein ungefähr zwei Milliarden Papierlira zugunsten Englands/

Neue Nachrichten

Simon Reichspräsidenten-Stellvertreter Berlin, 8. März. Wie das Nachrichtenbüro des Vereins Deutscher Zeikungsverleger aus parlamentarischen Kreisen erfährt, haben sich die großen Parteien des Reichstags ge­einigt, daß durch Gesetz der Reichsgerichtspräsidenk Dr. Si­mon als stellvertretender Reichspräsident ernannt werden soll.

Gegen die Absicht, den Reichstag bis nach der Wahl des neuen Reichspräsidenten zu vertagen, haben die Völkischen und die Kommunisten beim Präsidium Einspruch erhoben. Auch von sozialdemokratischer und Zentrums Seite haben sich Stimmen gegen eine Ausschaltung des Reichstags wäh­rend der kommenden drei Wochen erhoben.

In der Sozialdemokratischen Partei will eine Richtung im ersten Wahlgang einen eigenen Kandidaten für die Reichspräsidentschaft aufstellen, die andere ist für eine ge­meinsame Linkskandidatur schon bei der ersten Wahl.

Deutschland und der Völkerbund Berlin, 8. März. Der Sekretär des Völkerbunds, Drummond, soll von seiner Besprechung mit Dr. Stresemann sehr befriedigt sein, da Stresemann die gegen den Eintritt Deutschlands ln den Völkerbund geltend gemachten Bedenken (Artikel 16 und 17 des Völkerbunds­abkommens: Verpflichtung Deutschlands, an kriegerischen Unternehmungen des Völkerbunds teilzunehmen und fremde Völkerbundstruppen durch Deutschland ziehen zu lassen) infolge des Zuredens Drummonds habe fallen lassen. Da­durch werde die Aussicht für einen unmittelbaren Sicher­heitsvertrag zwischen England, Frankreich und Deutschland gebessert, undbei günstigem Verlauf der Verhandlungen" könne mit einer baldigen Aufnahme in die Falle des Völ­kerbunds gerechnet werden. Stresemann sieht anscheinend neue Silberstreifen.

Fernruf 179

60. Jahrgang

Der Barmatskandal ,

Berlin, 8. März. 3m Untersuchungsausschuß des Reichs­tags, der nun die Geschäfte der Reichsfettstelle mit Barmat behandelt, ist ein Antrag eingsbracht worden, Be­weis zu erheben und die betreffenden Beamten und Abge­ordneten darüber zu vernehmen, daß mit öudko (Julius) Barmat auf Anweisung des damaligen Ernährungsministers Schmidt Einfuhrbewilligungen für 250 000 Kilogramm hol­ländische Butter, 500 000 Kg. amerikanischen Speck, 100 000 Kg. amerikanisches Schmalz abgemacht wurden. Barmat hat dafür Preise erhalten, die höher waren, als die vom deut­schen Lebensmittelhandel geforderten. Es soll ferner Beweis erhoben werden, daß in Vertretung des Direktors des Büros des Reichspräsidenten, Frz. Krüger, vom damaligen Kon­sulatssekretär Wucherpfennig mit den Einfuhrgeschäf­ten H a r t w i g und Heedfelddie Vereinbarung getroffen worden sei, daß für jedes Kilogramm der eingeführten Wa­ren 15 Pfennig an die sozialdemokratische Parteikasse haben bezahlt werden müssen. Es wird ferner ein Brief Krügers vom 6. Juni 1919 an den Ernährungsminister vorgelegt, in dem das Einfuhrgesuch dringend befürwortet und um schnellste Erledigung der Angelegenheit ersucht wird. Hart­wig und Heedfeld sollen als Zeugen vernommen werden. Von sozialdemokratischer Seite wird noch die Vernehmung Schmidts und des sozialdemokratischen Perteivorstands be­antragt.

Die Barmaksche Bremer Staatsbank hak infolge ihrer Ueberschuldung die Auflösung der Bank und die Einberufung des Aufsichlsraks beantragt.

Zur preußischen Regierungskrise Berlin, 8. März. Dr. Marx hakte am Samstag vormittag weitere Besprechungen mit Vertretern der Deutschnationalen Volkspartei und der Wirtschastspartei, die aber wiederum ergebnislos blieben.

Nach der Voss. Ztg. haben die Fraktionsführer der Sozialdemokraten, des Zentrums und der Demokraten in einer gemeinsamen vertraulichen Beratung beschlossen, Dr- Marx wieder als Bewerber für den Posten des preußischen Ministerpräsidenten aufzustellen.

Die Beamkenräkewahl im Bezirk Koblenz Koblenz, 8. März. Bei der Beamtenrätewahl der Kob­lenzer Eisenbahndienststellen wurden folgende Stimmen ab­gegeben: Liste 1 der christlich-nationalen Gewerkschaft Deut­scher Eisenbahner 592 (bei der letzten Wahl 1921: 298) Stim­men, Liste 2 der Einheitsorganisation Deutscher Eisenbahner­verband und Reichsgewerkschaft 20 (915), Liste 3 Lokführer 381, Liste 4 Berufsbeamtenschutz (national) 267 (0).

Schwierigkeiten für den Vslkerbundsrak London, 8. März. Der diplomatische Mitarbeiter des Daily Telegraph" weiß von ernsten Schwierigkeiten zu berichten, die sich auf der Tagung des Völkerbundsrats in Genf auftürmen werden. Die deutsche Note, die gegen die vertragswidrige Besetzung des Saargebiets Lurch fran­zösische Truppen Widerspruch erhebe, sei in solchscharfem Ton" gehalten, daß das Völkerbundssekretariat sie nicht veröffentlicht und auch nicht an die verbündeten Regierungen vorzeitig weitergegeben habe. Ueber die deutsche Entwaff­nung seien starke Meinungsverschiedenheiten zwischen Eng­land und Frankreich möglich. England lehne besonders auch die französische Forderung ab, daß in Köln oder in einer anderen Stadt am Rhein eine ständige Militär­überwachungskommission eingesetzt werde für den Fall, daß das Kölner Gebiet geräumt würde. Nach englischer Auffassung seien für die französischen Forderungen keine Anhaltspunkte im Vertrag von Versailles gegeben,

Herriot befriedigt

Paris, 8. März. Als Herriot am Freitag abend von der ersten Besprechung mit Ehamberlain zurückkehrte, ant­wortete er den ihn befragenden Zeitungsberichterstattern kurz, er sei von der Unterredung befriedigt. DerNewyork Herold" will wissen, Chamberlain habe schließlich der For­derung Herriots zugestimmt, daß Polen und die Tschecho­slowakei in das allgemeine Sicherheitsablommen einge­schlossen werde, daß also Deutschland sich vertragsmäßig verpflichten müsse, die Gebietsabtretungen im Osten für alle Zeiten anzuerkennen. Am Samstag fand eine zweite Be- sprchung statt.

Die Verschleppung des Ueberwachungsberichts Paris, 8. März. DasJournal" glaubt zu wissen, daß der Botschafterrat sich noch nicht so bald wieder mit der Entwaffnungsfrage beschäftigen werde. Der Militäraus­schuß habe mit der Ausarbeitung des Gutachtens, das der Botschafterrat einforderte, noch nicht begonnen. Die Aus­arbeitung des Gutachtens werde längere Zeit beanspruchen. Vor einigen Tagen wußte dasselbe Blatt aber zu be­richten, daß Marschall Foch einen neuen Plan zur wirksamen Ueberwachung Deutschlands fix und fertig habe.