Berlin, 7. Juni. Wie di« Blätter aus Breslau melden, hat der in Niederschlesien ausgebrochene Landarbeiterstreik weiter um sich gegriffen. Es wird in 18 Kreisen gestreikt. Auch der Ausstand der Bergarbeiter in Oberschlesien dehnt sich weiter aus.

Beuthen, 0. Juni. Im oberschlesischen Industriegebiet kam es anläßlich der neuen Teuerungswelle zu Streiks unter den Bergarbeitern, Metallarbeitern und Transport­arbeitern. Die Streikenden veranstalteten in Beuthen einen Demonstrationszug und verlangten vom Oberbürger­meister die Auszahlung der Löhne unter Zugrundelegung ser Goldwährung, sowie eine einmalige Ausgleichszah­lung. Von den Gewerkschaften wird der Ausbruch des Strei­kes nicht gebilligt. Sie ersuchen die Arbeiterschaft, sich wil­den Streiks zu widersetzen.

Eine Interpellation der preußischen Sozialdemokratie.

Berlin, 7. Juni. Die sozialdemokratische Fraktion des preußischen Landtags hat eine große Anfrage eingebracht, in der gefragt wird, ob die preußische Staatsregierung be­reit sei, der wucherischen Ausbeutung des Volkes mit schärf­sten Maßnahmen entgegenzutreten und alles zu tun, um auf die Reichsregierung einzuwirken, daß auch diese nichts unterlasse, was geeignet sei, eine weitere Verelendung breiter Volksschichten zu verhindern.

* Deutschland.

Der Landesverratsprozeß gegen die bayrischen Sonderbündler.

München, 6. Juni. Der bisherige Verlauf des Prozes­ses gegen Fuchs und Genossen ergab ungefähr folgendes Bild: Die Verhandlungen mit dem französifchen Oberst Richert führte in der Hauptsache Machaus. Außer Geld­mitteln sicherte Richert den Verschwörern auchAusrüstungs- gegenstände und Waffen zu. Richert gestand unumwunden die französischen Absichten auf das linke Rheinufer zu, gab aber keine bindende Zusage bezüglich der Pfalz, wohl aber sicherte er Bayern für den Fall, daß eine Verschwörung zu­stande käme, die Mainlinie zu. Richert sprach die Erwar­tung aus, daß der Rücktritt des Kabinetts Cuno die Folge des Putsches sein müsse. Eine extrem linksradikale, den Ab­sichten Frankreichs willfährige Reichsregierung sollte ans Ruder gebracht werden. Die Betätigung Munks, der tsche­chischer Staatsangehöriger ist, bestand darin, daß er mit einer Reihe leitender Regierungsmanner der Tschechoslo­wakei in Fühlung trat. Die militärischen Maßnahmen von Fuchs und Machaus erstreckten sich auf die Bildung einer für den Umsturz erforderlichen bewaffneten Macht, welche sie in dem BundTreu-Oberland", jetztBlücherbund", ge­funden zu haben glaubten. Ihre innerpolitischen Maßnah­men zielten auf die Schaffung eines Negentschaftsrats mit diktatorischer Macht, sowie auf die Verhaftung der Regie­rung und der Parlamentarier hin. Diese Pläne entwarf Fuchs, der politische Kopf der Verschwörung. Als Zeit­punkt dex Aktion war die Zeit zwischen dem 13. und dem 20. Februar festgesetzt. In wirtschaftlicher Beziehung war Machaus mit Ungarn und der verstorbene Rechtsrat Küh­les mit italienischen Beamten ins Benehmen getreten. Bei oem Verhör behauptete Fuchs, lediglich eine Abwehr des Bolschewismus beabsichtigt zu haben. Richert habe man in Bayern viel zu verdanken. Er habe in der Frage der Ent­waffnung stets zu Bayerns Gunsten geredet und viel er­reicht.

München, 6. Juni. Im Prozeß Fuchs fuhr das Gericht heute in der Vernehmung der Angeklagten Fuchs und Munk fort. Letz-x terer leugnete, an eine gewaltsame Loslösung Bayerns vom Reich gedacht zu haben. Fuchs wurden eine Reihe verschleierter Telegramme vorgehalten, die er teils von München, teils von Garmisch unter Decknamen an einen gewissen Hartmann in Saar­brücken gerichtete hatte, der in Wirklichkeit der französische Oberst Richert war. Die Telegramme lauteten:Zementgeschäft kurz­fristig abschließbar" oderZementlieferung rollt Mittwoch früh ab".Mitbringet unbedingt sechzig Serien". Mit dem Zement und mit den Serien waren Geld, bezw. Millionen gemeint. Auf Vorhalt des Vorsitzenden, daß hier ein unmittelbar bevorstehen­des Losschlagen in Aussicht gestellt werde, redete sich Fuchs dahin hinaus, daß zu der Zeit der Absendung der Telegramme jeder­mann mit der Möglichkeit des Ausbruchs größerer Unruhen und des Bolschewismus gerechnet habe. Rechtsanwalt Graf Pesta- lozza als Verteidiger schlug als Sachverständige die Abgeordneten Auer, Held und Hilpert vor. Der Antrag wurde abgelehnt. Darauf begann die Vernehmung des Hauptzeugen des Prozeßes, des Majors Mayr. Graf Pestalozza widersprach der Vereidigung des Zeugen, da dieser seiner Ansicht nach als Anstifter und Mit­täter in Frage komme. Das Gericht beschloß, Mayr zu vereidi­gen, da es auf Grund des bisherigen Verhörs die Ueberzeugung gewonnen habe, daß dieser weder als Mittäter, noch als An­stifter in Betracht komme.

Die Frage der Erhöhung der Telegraphen« und Fernsprechgebühren.

Berlin, 6. Juni. Nachdem der Verkehrsbeirat im Reichs­postministerium gestern sich mit der Erhöhung der Post­gebühren (Vervierfachung der Gebühren für Postsendun­gen und Verdreifachung der Telegraphen- und Fernsprech- gebühren)) beschäftigt hatte, nahm heute das Reichspost­ministerium dazu Stellung. Es scheint, als ob das Reichs­postministerium sich den Vorschlägen des Verkehrsbeirats anschließen werde, die Gebühren für Postsendungen und Te­legramme auf das Dreifache und die Fernsprechgebühren auf das Fünffache zu erhöhen.

Nu« schweige mir jeder von seinem Leid und noch so tiefer Not!

Sind wir nicht alle zum Opfer bereit und zu dem Tod?

Will Vesper.

Sammelstellen in Calw: Calwer Tagblatt, Lederstratze; Kaufmann Dreist und Kaufmann Räuchle, Marktplatz; Kaufmann Serva, Lederstratze; Oberamtspflege Calw; sowie Kassenstelle der Bereinigten Deckensabriken.

Aus Stadt und Land.

Ealw, den 7. Juni 1923. Was heißt Mensch sein?

Von Artur Brausewetter.

Jeder spielt seine Rolle in der Welt wie der Schauspieler auf der Bühne. Rollen sind Mäntel, sind Kleider. Kleider machen Leute, ganz richtig. Aber Menschen machen sie nicht. Das ist das Wesentliche des Menschsein, daß man ist und nicht scheint.

Wie i» dem Schauspieler, mag er als König oder Prinz oder Milliardär über die Bühne stolzieren, immer dasselbe steckt: ein armer Komödiant mit seiner Plage und Not, so ist es auch im Leben. Ob einer reich und verehrt oder arm und unbekannt, ob er auf Sonnenhöhen wandert oder in der Niederung sich müht, im Grunde ist es immer dasselbe. Und Eins nur ist das Entscheidende: Ob hinter alledem ein Mensch steckt oder nicht.

'Uebrigens aber ist der Mensch ein dunkles Wesen", sagt Goethe zu Eckermann,er weiß nicht, woher er kommt, noch wohin er geht: er weiß wenig von der Welt und am wenigsten von sich selber."

Alle ausgezeichnete» und überlegenen Menschen sind melancho­lisch", hat einmal Aristoteles gemeint.

So ist das Leben im Grunde nichts als ein Kampf mit den dunkeln Machten der Melancholie.

Und wiederum Goethe: Des Menschen Verdüsterungen und Erleuchtungen machen sein Schicksal.Es täte uns not, daß der Dämon uns täglich am Gangelbande sührte und uns sagte und triebe, was immer zu tun sei. Aber der gute Geist verläßt uns, und wir sind schlaff und lappen im Dunklen."

Daß der Mensch nun aus dem Dunkeln zum Hellen strebt, daß er den Kamps niit den Mächten der Finsternis auf sich nimmt und nicht ruht, bis er ihn zum Siege des Lichtes geführt, das macht das Wesen und den Adel des Menschseins aus.

Mensch sein heißt Kämpfer sei».Denn ich bin ein Mensch Und das heißt Kampfer sein."

Und Leben ist nichts anderes als der urewige Kampf des Lichtes mit der Finsternis.

Dieser Kamps adelt das Lebe», gibt ihm Reiz und Schön­heit und schmückt es auf seinen Höhen mit unvergänglichen Kronen.

Nicht was einer ist, auch nicht einmal wie er es ist, entscheidet über seinen Wert und Unwert.

Sondern wie er den Kampf des Lebens auf sich nimmt und in ihm besteht.So jemand auch kämpfet, wird er doch nicht gckrönet, er Kämpfe denn recht."

Beitrag der Amtskörperschaft für den Neubau des Neatprogyninasiums in Calw.

* Nach eingehender Aussprache genehmigte gestern die Amtsversammlung unter bestimmten Bedingun­gen, die wir schon in unserem letzte» Rathausbericht über diese Angelegenheit gekennzeichnet hatten, den von der Stadt Calw erbetenen Zuschuß zum Bau des 1. Teils (Mit­telbau) des Realprogymnasiums in Höhe von 3 SV Mil; lionen Mark. Als Gegenleistung dafür erhält die Amtskörperschaft das Rektoratsgebäude des Realprogymnasiums» das zur Einrichtung der landwirtschaftlichen Winterschule benützt werden soll, sowie das Gelände gegenüber der Dreitzschen Brauerei in der Badgasse im Umfange von 1 Ar, samt dem darauf stehenden Schuppen für die Zwecke der amtskörperschastlichen Baumaterialienverwaltung. Die Genehmigung erfolgte mit 22 gegen 8 Stimmen.

Ein ausführlicher Bericht folgt morgen.

Das verregnete Kinderfest.

* Auch unsere Kleinen haben kein Glück. Trotz alles Wünschens und Flehens um gutes Wetter hat der Himmel kein Einsehen gehabt, und die letzten regnerischen Tage -haben die Abhaltung des Festes ganz unmöglich gemacht, abgesehen von dem Temperatursturz, der selbst bei Aufhö­ren des Regens kein wärmendes Gefühl hätte aufkommen lassen. In dieser Woche ist es nun nichts mehr mit dem Feste. Man wird überhaupt ein wärmeres Wetter abwar- ten müssen. Wie wir erfahren, soll die Bevölkerung recht­zeitig von der Festsetzung eines neuen Tages benachrichtigt werden. Heute mittag können die Kinder mit Freischeinen, die ihnen vom Kindersestausschuh übergeben werden, Ka- russel fahren, damit sie wenigstens eine kleine Entschä­digung für die entgangene Festesstimmung haben, eben­

so wie die Unternehmer. Uebrigens sollen aus Amerikck l 0 Dollar zur Bereicherung des Festes eingetroffen sein, das eröffnet für das spätere Fest ganz ungeahnte Perspek- tiven.

Don der Kinderschule.

Von der Kleinkinderschule Calw wird uns geschrieben: Fröh­lich tummeln sich im Kinderschulgarten unter den hohen Bäumen die Kleinen in Spiel und Sandhaufen und an der Schaukel. Wenn man sieht, wie gut sie umsorgt werden, freut man sich die­ser Friedensstätte in schwerer Zeit. Ein Schulgeld von 500 Mk. im Monat ist sicher nicht zu hoch gegriffen, wenn man bedenkt, wieviel es wert ist, die Kinder mehrere Stunden im Tag in sich­rer Hut zu wissen. Bei dieser Gelegenheit sei übrigens darauf hingewiesen, daß Kinder unter 5 Jahren nicht ausgenommen werden können, da sie dem ganzen Zweck der Kinderschule nach nicht in diese gehören.

Wetter für Freitag und Samstag.

Im Westen steht ein Hochdruck, der aber nicht stark ge- nug ist, um noch vorhandener Störungen Herr zu werden. Am Freitag und Samstag ist deshalb, wenn auch in der Hauptsache trockenes, so doch mehrfach bedecktes Wetter zu erwarten.

Bürgerpartei und Bauernbund zur Regierungsumbildung.

(SCB.) Stuttgart, o. Juni. Die Fraktion der Württ. Biirgerpartei und des Bauernbunds hat zu der Regie­rungsbildung in Württemberg Stellung genommen. Der Abg. Bazille erklärte, der Gedanke, die Sozialdemokra­tie zur Mitverantwortung an den Staatsgeschäften heran­zuziehen, sei an sich richtig, werde aber zum Verhängnis für den Staat, wenn die Sozialdemokratie von ihren Staat und Volk verderbenden doktrinären Auffassungen nicht ablasse. Da sie das nicht tue, sei sie regierungsunsähig. Deshalb sei ihr Ausscheiden aus der württ. Regierung ein Fortschritt, sofern sie nicht geheime Regierungspartei ge­blieben sei, was das Schlimmste wäre. Die Regierungs- Umbildung sei der Rechten unerwünscht und parteipolitisch unbequem, da eine konsequente Opposition nur möglich sei, wenn feststehe, daß die Sozialdemokratie geheime Regie­rungspartei geblieben sei, worüber bis jetzt die Klarheit fehlt, die das Volk verlangen könne. Bestehe die innere Abhängigkeit der Negierung von der Sozialdemokratie weiter, so ände« sich die Haltung der Fraktion nicht. Zeige die neue Regierung Selbständigkeit, sorge sie für Ordnung und Sparsamkeit, so werde die Fraktion ihre Stellung von Fall Zu Fall nehmen und unter Umständen auch den Schwierigkeiten Rechnung tragen müssen, die von einer Minderheitsregierung unzertrennlich seien. In der Aus­sprache wurde mitgeteilt, daß im Volk ein starkes Verlan­gen nach Neuwahlen bestehe und daß solche unter Umstän­den auf dem Wege der Auslösung des Landtags durch eine Volksabstimmung herbeigeführt werden müßten.

Deigelegte Krise im Landwirtschaftlichen Hauptverband.

(SCB.) Stutgart, 6. Juni. Von besonderer Seite wird dem südd. Korrespondenzbüreau geschrieben: Die Krise im Landw. Hauptoerband, die mit der abgelehnten Wiederwahl des bis­herigen Präsidenten des Landw. Hauptverbands, Schultheiß a. D. Maunz, einsetzte, geht einer Klärung entgegen. Daß man den Direktor der Landwirtschaftskammer, Ströbel, in seiner Eigenschaft als Abgeordneter des Bauernbundes zum Urheber der Krise zu machen suchte, hat in den weitesten Kreisen der württ. Landwirtschaft Verurteiluung gefunden. Besonders auch das Vorbringen der persönlichen Gegensätze in der Oeffentlichkeit. Direktor Ströbel hat in einer Erwiderung diese persönlichen An­rempelungen beiseite gestellt und nachgewiesen, daß -er bei den internen Auseinandersetzungen im Vorstand des Hauptverbands nur auf Ordnung und Klarheit und für eine neutrale Haltung dieser landw. Organisation gearbeitet hat. Zugleich hat er den Hauptstreitpunkt, der schon lange Zeit die eigentliche Ursache der Differenzen bildete, die Herstellung des Landwirtschaftlichen Wochenblatts in Ravensburg, in einer Weise beleuchtet, die die Notwendigkeit dartut, daß hier reiner Tisch und Klarheit ge­schaffen wird, zumal es sich um finanzielle Fragen handelt. Eine Versammlung der oberschwäbischen landwirtschaftlichen Gauaus­schüsse, die am Sonntag in Aulendorf stattfand, hat sich gegen den persönlichen Streit ausgesprochen. In dieser Versammlung, der auch Ströbel anwohnte, wurde Maunz zum endgültigen Rück­tritt von der Präsidentschaft des Hauptverbands veranlaßt. Da­mit dürften die Vorbedingungen für ein ersprießliches Zusam­menarbeiten von Hauptverband und Landwirtschaftskammer ge­geben und die Einigkeit der württembergischen Landwirte unter Ausschaltung alles Persönlichen gesichert sein.

Gemeindeanteile an der Umsatzsteuer.

(SCB.) Stuttgart, 6. Juni. Die Staatshauptkasse wird wird sämtlichen württembergischen Gemeinden in den näch­sten Tagen als Gemeindeanteil am Umsatzsteueraufkommen im Monat April 1923 je 200 Zl auf den Kops der Bevölke­rung überweisen.

(SCB.) Stuttgart. 6. Juni. Die 8. Grossisten- und Ex­portfachmesse von Edelmetallwaren ist eben im Stuttgar­ter Handelshof eröffnet worden. Die Messe ist sehr reich­haltig beschickt mt dem Neuesten und Vortelhastesten, so ^ daß de Groß-Einkäufer von Nah und Fern sich von der ständig zunehmenden Leistungsfähigkeit dieser Sonder- ! industrie überzeugen können. Eine reizende Ueberraschung ! bot die Messeleitung, der es gelungen war. die Firma E- , Breuninger A.E. zu veranlassen, in einem Saale ganze Fi- - guren, auf das Modernste gekleidet, aufzustellen, die m>t dem neuesten Schmuck versehen sind, umgeben von den ge«. schmackvollsten Tafelgeräten und Eebrauchsgegenständen.