(Enztalbote)

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Nummer 252

Fernruf 179

Wildbad, Samstag, den 25. Oktober 1924

Fernruf 179

Jahrgang 59.

Das 6in- und Hergezerre in den Verhandlungen über die Regierungserweiterung, das fast vier Wochen dauerte, mün­dete schl eßlich kaum zu glauben in einen Streit um den Reichswehrminister Geßler aus. Einige Stunden schien es, als ob der Handel doch noch zu einem Ergebnis führen wolle. Zwischen dem Reichskanzler und den Deutsch- nationalen war grundsätzlich eine Einigung hergestellt; die letzteren waren damit einverstanden, daß der demokratische Reichswehrm nister Dr. Geßler im Ämt bleibe. Da von der Reichswehr der Wunsch zum Ausdruck gebracht worden war, daß Geßler auf seinem Posten bleibe, den er seit 1919 bekleidet. Die demokratische Fraktion erklärte aber dem Reichskanzler, daß sie auf ihrer Weigerung, mit den Deutsch- nationalen in einem Kabinett zusammenzuarbeiten, beharre und daß sie auch keinem Fraktionsmitglied gestatten werde, im Kabinett zu bleiben, und sei es auch nur alsFachmini­ster", der für sich die Fraktion nicht bindet, für die Regierung zu stimmen.

Die Lage war nun so: Wurden die Deutschnationalcn nicht in die Regierung einbezogen, wie es ihnen im Mai und am 28. August von der Regierung und von Zentrum und Deutscher Volkspartei zugesagt war, so trat die Deutsche Volkspartei mit ihren 45 Fraktionsmitgliedern aus dem Block der Mitte aus; wurden die 108 Deutschnationalen in die Regierungskoalition ausgenommen, so schieden die 27 demo­kratischen Abgeordneten aus und Geßler ging verloren. In -em einen Fall blieb der Regierung nur noch ein Rest von rund 90 Stimmen, im andern Fall bekam sie zwar eine ab­solute Mehrheit von etwa 15 Stimmen im Reichstag, aber ohne Geßler und die Demokraten. Wenn im Kabinett ein kräftiger Wille vorhanden gewesen wäre, um endlich aus der Sackgasse herauszukommen, so hätte die Möglichkeit dazu Vorgelegen. Denn so bedauerlich es ist, daß unter den Par­teien keine Einigung herbeigeführt werden konnte, so ist nicht einzusehen, warum nicht der Versuch hätte gemacht wer­den sollen, mit der möglichen, wenn auch nicht großen Mehr­heit zu regieren. Und daß man wegen eines einzigen Mini­sters, und hätte er sich noch so gut in seinem Amt bewährt, den ganzen Parlamentsapparat über den Haufen werfen müßte, das war doch wirklich unnötig. Glaubte aber die Regierung, im Parlament keine genügende Stütze mehr zu finden, so hätte sie nach parlamentarischem Brauch eben zu­rücktreten und es dem Parlament überlassen sollen, die Re­gierung zusammenzustellen, die vorläufig der genügenden Unterstützung sicher sein konnte.

Aber die Regierung scheint die Fassung verloren zu haben. Der Reichskanzler begab sich zum Reichspräsidenten Ebert und dieser Unterzeichnete die Verordnung zur Auf­lösung des Reichstags gern, denn seine Partei, die Sozialdemokratie, war die einzige im Reichstag, die für die Auflösung eintrat. Das geschah am 20. Oktober. Drei Tage vorher hatte das Reichskabinett mit allen gegen eine Stimme die Reichstagsauflösung abgelehnt. Am Sonntag hatte Außenminister Stresemann auf dem Parteitag der Deutschen Volkspartei in Frankfurt a. M. die Auflösung als ein außenpolitisches Unglück erklärt, und am Montag be­schloß, nach der amtlichen Mitteilung, das Kabinetteinstim­mig" die Auflösung. Das kennzeichnet die Lage zur Genüge.

Nun sind die Würfel gefallen. Im Alter von etwa fünf Monaten wurde der verflossene Reichstag zu Grabe getragen, alle bereits angesetzten Ausschrißsitzungen wurden abgesagt. Am Montag abend setzte der Staatssekretär der Reichskanz­lei den Reichstagspräsidenten von der Auflösung in Kennt- is^'o ^ seit Gründung des Reichs nur einmal, im Jahr 1878 beim Erlaß des Sozialistengesetzes, vorgekommen, daß der Reichskanzler den Reichstag nicht in voller Sitzung auflöst. Die Neuwahlen finden am 7. Dezember statt. Gleich- zertig wurde auch der preußische Landtag be- >/Utet bis zum 8. Dezember aufgelöst. Es soll, nebenbei bemerkt, künftig eine engere Verbindung zwischen Reichs- regierung und preußischer Regierung dadurch hergestellt wer­den, daß der preußische Ministerpräsident auch

dem Reichskabinett angehört. Neuwahlen sollen ferner auch in Hessen und vielleicht in Sachsen abge­halten werden.

r.- Dsi^Auflösung des Reichstags erfolgte in e nem unqün- siegen Augenblick. Nach der Weimarer Verfassung ist der Reichstag nicht vollkommen ausgeschaltet: der ständige Aus­schuß für auswärtige Angelegenheiten und der sogenannte Ueberwachungsausschuß können in der Zwischenzeit tätig werden, praktisch wird aber der Reichstag für reichlich zwei Monate ausgeschaltet sein, wodurch die Fortführung der bis­herigen Außenpolitik, z. B. der Hanoelsvertragsverhand- mngen. wie Minister Stresemann selbst wohl befürchtete, bedenklich gestört sein werden. Auch die Erledigung dringen- der gesetzgeberischer Aufgaben ist unmöglich gemacht; man dsnke an die Steuer- und Finanzreform, die Aufwertung, d>e Zollvorlage u. a.

Inzwischen vollzieht sich der Aufmarsch der Par- ->en, zu denen ja auch das Kabinett gehört, zu einem

Tagesspiegel

Die italienischen Oppositionsparteien beschlossen, sich nicht mehr an den parlamentarischen Arbeiten zu beteiligen, bis die foszistische Parteimiliz abgeschafft sei und die Gesetze wieder- hergeslellt seien.

In Angora wurden nach Blältermeldungen 6 Armenier verhaftet, die aus Athen kamen, um Keniat Pascha zuz er­morden.

Der britische Geschäftsträger in Angora hat gegen die Ausweisung von 1090 Griechen aus konftantinopel bei der türkischen Regierung Einspruch erhoben. Die Griechen waren schon vorher auf freien Zutz gesetzt worden.

In Omsk (Vestsibirien) sind 11 Professoren und 63 Stu- denlen wegen angeblicher Verbindung gegen die Räkeherr- schaft durch die Sowjeiregierung verhaftet und nach dem Norden verschleppt worden.

Die Japaner haben aus Port Arthur 2 Infanterie- regimenter und schwere Artillerie nach Norden abgesandt, offenbar mit der Bestimmung. Tschangksplin zu Hilfe zu kom­men. Die chinesische Regierung hak gegen die Einmischung Japans und den Einmarsch japanischer Truppen in chinesi­sches Gebiet in Tokio Einspruch erhoben. Die Beziehungen zwischen beiden Staaken sind gespannt.

Wahlkampf, der aller Voraussicht nach mit äußerster Erbit­terung geführt werden und die Volksgemeinschaft vollends in Trümmer gehen wird. Der Wahlaufruf der Regierung sagt:Im neuen Reichstag müssen die einenden Kräfte stärker sein als dis entzweienden." Das wäre wahrscheinlich ein zugkräftiges Wahlwort für die Wah­len vom 4. Mai gewesen, wenn damals die Regierung ge­schlossen die Führung übernommen hätte. Vielleicht wäre damals die tragfähige Mehrheit zu schaffen und bei. dem Londoner Abkommen wäre in der Folge vielleicht erheblich mehr für Deutschland herauszuschlagen gewesen. Von welcher Schlagkraft das Kampfwort der Regierung jetzt sein wird, muß abgewartet werden.

Was die einzelnen Parteien betrifft, so hat das führende Blatt der Sozialdemokratie für den Kampf erklärt: Die Wahlen müssen so ausfallen, daß den Vertretern des Besitzes ein für allemal die Lust vergeht, eine Regierung gegen die Republik und gegen die breiten Massen des arbei­tenden Volks aufzinuchten." Das heißt also der Klassen- k a m p f: Sozialdemokratisch oder Bürgerlich. Die Deutsch nationalen antworten mit dem Kampfruf: National oder Sozialdemokratisch. Die Demokraten wollen die Trennungslinie zwischen Republikanern und Mornarchisten gezogen wissen. Die Deutsche Volkspartei erklärt, daß sie bei der geraden Linie verbleiben und die bisherige Politik weiter verfolgen werde. Das Zentrum hat ein eigentliches Wahlprogramm noch nicht veröffentlicht, es soll dies in der Vorstandssitzung geschehen, die am Sonntag in Berlin stattfindet. Wer es ehrlich mit dem Vaterland meint und das darf man doch wohl von allen Parteien voraussetzen, soll auch im schärfsten Kampf nicht ver­gessen, daß über allem das Wohl des Vaterlands steht. Mit Recht heißt es in dem Wahlaufruf der Reichsregierung, es sei eine Schande, daß der deutsche Reichstag mit polizeilicher Hilfe tagen müsse, um gegen gewalttätige Ueberfälle geschützt zu sein. Dieser polizeiliche Schutz scheint zu einer stehenden Erscheinung in den deutschen Parlamenten zu werden; der am 21. Oktober eröffnete württembergifche Landtag hatte seine Schutzwache so gut wie der am 23. Oktober eröffnete Landtag von Bayern und wie die Parlamente in Sachsen, Thüringen usw. Mag sein, daß es auf eine Kinderkrankheit des Parlamentarismus in Deutschland zurückzuführen ist, wenn manche Abgeordnete das Parlament mit einer Athle­tenschule verwechseln, aber beschämend bleibt es doch. Es gibt dagegen kein besseres Heilmittel als die Erziehung zu dem Grundsatz, daß des Vaterlandes Wohl das oberste Ge­setz ist. Wer sich zu diesem Grundsatz nicht erziehen lassen will, der gehört auch in kein Parlament. Das sollen sich die Wähler merken.

Die Reichstagsauflösung hat übrigens merkwürdige Be­gleiterscheinungen gehabt. Aus der Demokratischen Partei sinh eine ganze Reihe von Abgeordneten und füh­renden Männern ausgetreten, weil sie mit der hart­näckigen Ablehnung der Regierungserweiterung nach rechts durch die Fraktionsmehrheit, die mittelbar zu der nicht ge­wollten Auflösung führte, nicht einverstanden sind und auch das Kampfwort der Demokratie: hie Republik, hie Monar­chie nicht billigen. Selbst der bisherige Reichswehrminister Geßler trägt sich mit Austrittsgedanken, er will aber vorher hören, was seine bayerischen Wähler dazu sagen. Für 32 kommunistische Abgeordnete hat die Reichstagsauflösung die fatale Wirkung gehabt, daß die persönliche Abgeordneten- frecheit aufgehört hat und das gegen sie. anhängige Straf­

verfahren wegen Hochverrats nun seinen Lauf nehmen kann. Die Grenze nach dem Osten ins schützende Sowjetreich Ruß­land wurde von der Staatsanwaltschaft fürsorglich sofort nach bekannt gewordener Auflösung gesperrt, und manch einer der gewesenen Abgeordneten sitzt schon hinter Schloß und Riegel; andere scheinen dem Staatsanwalt zuvorge­kommen zu sein oder halten sich verborgen, darunter der Ab­geordnete R e m m e l e, der in der Eile der Flucht wichtige Papiere dahinten lassen mußte, die ihm verhängnisvoll werden können.

In dem Wahlkampf in England geht es agch hart auf hart, und die englischen Blätter klagen über die Verrohung der Wahlsitten, die bisher im Jnselreich unbe­kannt gewesen sei. Schadet gar nichts, wenn die Engländer die Geister zu spüren bekommen, die einst Lloyd George mit der niederträchtigsten Wahlhetze gegen diedeutschen Hun­nen" aufpeitschte, um in der Macht zu bleiben. Damals, bei den berüchtigten Khakiwahlen", hat man drüben über dem Kanal die niedersten Instinkte entfesselt, und jetzt jammert man, daß der alte brave Gehorsam sich nicht mehr einstellen will. Der kommt nicht wieder: das Verbrechen an Deutsch­land wird seine schlimmen Früchte tragen, das ist der Fluch der bösen Tat, und alle Schuld rächt sich auf Erden.

Neue Nachrichten

Aus der Vahlbewegung

Berlin, 24. Okt. Der Vorstand der Demokratischen Partei beruft auf 2. November einen außerordentlichen Reichspar­teitag nach Berlin ein. In dem Aufruf heißt es u. a.: Wir wollen zeigen, daß die Demokratie nicht tot ist; sie ist stärker als je.

Der bisherige demokratische Reichswirtschaftsminister Dr. Hamm hat die ihm wieder angetragene Kandidatur für Oberbayern-Schwaben abgelehnt.' Än seiner Stelle wurde von der Demokratischen Partei der Archivrat Dr. Dirr in München aufgestellt.

Die Deutsche Volkspartei hält am 16. November in Dort­mund einen außerordentlichen Parteitag ab.

Die Deutsche Volkspartei erklärt, daß sie den Wahlkampf selbständig, ohne Anlehnung nach links und rechts führen werde.

Die Vaterländischen Verbände, sowie der Reichslandbund rufen zu einem nationalen Wahlkampf auf, zu einer Volksgemeinschaft des schaffenden Deutschlands unter schwarz-weiß-roter Flagge. Es sollen nur solche Persönlich­keiten gewählt werden, die rücksichtslos dafür eintreten, Laß bei den kommenden Regierungsbildungen in Reich und Län­dern Landvolk und Landwirtschaft entsprechend vertreten seien. Die Losung sei: Für nationale und christliche Volks­gemeinschaft, gegen Internationale und Klassenkampf.

Die Wirtschaftliche Vereinigung, bestehend aus der Wirt­schaftspartei des deutschen Mittelstands, dem Bayerischen Bauernbund und den Deutsch-Hannoveranern, werden eine einheitliche Reichsliste äufstellen.

Die Nationalsozialistische Freiheitepartei sagt in ihrem Wahlaufruf: Die Regierung hat mit der Durchführung der Dawesgesetze den verfassungsmäßigen Rechten des Volks Ge­walt angetan. Durch die Reichstagsauflösung versucht die Regierung sich dem zu entziehen, ihren Verfassungsbruch emzug'stehen. Die Regierung mischt sich verfassungswidrig in den Wahlkamps ein und spricht es lchne Scham und Scheu aus, daß die radikalen Parteien (rechts und links) zertrümmert werden sollen. Die Unverfrorenleit muß den letzten völkischen Mann und die letzte völkische Frau zum äußersten Eiser im Wahlkamvf ansporr-cn.

E In München fand' eine unverbindliche Besprechung zwi­schen der Bayerischen Volkspartei, den Deutschnationalen, der Nalionalliberalen Landespartei und der Deutschen Volks­partei statt. Wie verlautet, wurde vereinbart, daß die ge­nannten Parteien sich bei den Reichstagswahlen möglichst nicht bekämpfen sollen.

Mitglieder der demokratischen Partei in Bayern ersuchen Dr. Stresemann um Auskunft, auf welchen Unterlagen sich der öffentliche Vorwurf der Deutschen Volkspartei gegen die demokratische Fraktion stütze, daß sie von ausländischen Geldleuten bestochen worden sei, um die Regierungserweite­rung nach rechts zu vereiteln.

Die Polen stellen auch im Ruhrgebiet eigene Kandidaten auf.

Beachtenswerte Richtigstellungen

Die Presseleitung der Nationalsozialistischen Freiheits­partei teilt mit, die Meldung gewisser Berliner Blätter, daß General Ludendorff auf dem Parteitag aufgefordsrt wor­den sei, sein Mandat niederzulegen, sei frei erfunden. Luden­dorf werde auch diesmal Spitzenkandidat der Partei sein. Gegenüber angeblichenEnthüllungen" in einem Wiener und einigen bayerischen Blättern über amerikanische Spio­nage im Jahr 1918 wird erklärt, - -je ganze ErzäMng

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