Nummer 171

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Fernruf 179

Wildbad, Mittwoch, den 23. Juli 1924

Die Einladung

Der Streik um die Form

In der Nacht auf Montag wurde bekannt, daß die Lon­doner Konferenz endlich an dem Punkt angelangt sei, wo man Deutschland gnädigst und huldvoll zu den Verhandlun­gen zuziehen könne. Außenminister Dr. Stress manu, her gerade in Swinemünde bei der Hundertjahrfeier des See­bads weilte, wurde im Flugzeug nach Berlin geholt, um die Einladung der Entente doch noch nicht vorzufinden.

Die Verbündeten hatten es nicht so eilig. Die großen Fünf, Mac Donald, Herriot, Theunis, Stefani und Kellog, der Amerikaner, traten erst am Montag vormittag zusam­men, um Vorschläge für die Vollversammlung über eine etwaige" Einladung deutscher Vertreter zu beraten. Die Vollversammlung hat also die Entscheidung zuge­wiesen erhalten. Dazwischen liegen einige Festessen, auf denen Mac Donald mit amerikanischer Rückenstärkung versucht, die widerstrebenden Wünsche unter einen Hut zu bringen. Wie denkt man denn in London in- und außerhalb der Konferenz über die Einladung an Deutschland?

Die englische öffentliche Meinung, soweit sie billig denkt, und Deutschland wohl will, vertritt Garvin imObserver". Er gibt seinem tiefen Bedauern Ausdruck, daß Mac Donald nicht imstande gewesen sei, Deutschlands Zulassung auf glei­chem Fuß mit den anderen Teilnehmern der Konferenz von Anfang an zu sichern. Deutschlands bisheriger Ausschluß sei sinn- und zwecklos gewesen. Das war aber nur ein beson­ders ehrliches Zugeständnis. Die Zuneigung der übrigen Blätter ist durchaus nicht so groß. DieMorning Post" z. B. meldete, scheinbar trocken und unparteiisch, die bereits in Lon­don weilenden deutschest Sachverständigen Dr. Schacht, Berg­mann und Mayer, die wegen der drei Dawesgesetze dort sind, hätten in einer Unterredung mit Sir Robert KindersleyB e- dingungen" genannt, die nach deutscher Auffassung er­füllt werden müssen, bevor der Dawesplan in Wirksamkeit treten könne. . . . Das war von dem Blatt durchaus nicht in deutschfreundlichem Sinn gemeint. Es sollte vielmehr heißen: Die anmaßenden Deutschen fangen schon wieder an, Bedingungen zu stellen.

Aehnlich die sonstige britische Presse. Sie stellt sich höchst verwundert darüber, daß das Berliner Blatt der Deutschen Volkspartei, dieZeit", ist einer Stresemann zugeschriebenen Auslassung erklärt habe: Die Formel, welche die erste Unter- kommisston in London über die Aufgabe des zugewählten Amerikaners in der Entschädigungskömmission und beson­ders über die Beschließung künftiger Sanktionen angenom­men hat, seifür Deutschland unannehmbar". Diese Formel sei doch in Geist und Wortlaut das Werk des amerikanischen Sachverständigen Iung, und der amerikanische Bevollmäch­tigte Logan habe in der Schlußsitzung des ersten Ausschusses die Genugtuung der Amerikaner über das Ergebnis der Be­ratungen dieses Ausschusses zum Ausdruck gebracht. End­lich sei diese Feststellung ganz im Sinn des in England einge­troffenen amerikanischen Staatssekretärs Hughes gewesen, der sich während der Ueberfahrt nach England auf draht­losem Weg genau über die Bindungen der Amerikaner im ersten Ausschuß habe unterrichten lassen.

So wird also sogar von englischer Seite der Versuch gemacht, die deutschen Vertreter einzuschüchtern und ihnen mit amerikanischer Ungnade zu drohen. Wenn dies am grünen Holz Mac Donalds geschieht, wie sieht es dann auf franzö­sischer Seite aus? Die düstere Umgebung des lachenden, den harmlosen Fröhlichen spielenden Herriot läßt bereits die Meldung verbreiten, Frankreich werde nicht nur auf den 4000 französischen und belgischen Eisenbahnern in Rheinland- Westfalen, sondern auch darauf bestehen, daß die Deutschen, ^ London reden läßt, vor den Richterstuhl der gungskommission gestellt werden, als vor den allein Richter. Ja. Herr Peretti della Rocca, der Alba Dramas, soll den Wunsch geäußert haben, daß es für die deutsche Abordnung nicht mögich sein dürfe, Form- abanderungen des von den Verbündeten gemeinsam festqe- legten Programms zu erreichen.

Wenn sich Herriot und Mac Donald diesen diplomatischen Rat zu eigen machen sollten, dann ist die Diktat- und Ulki- matumspoitik wieder einmal fertig. Hat es dann Dr. Strese- semann noch nötig, persönlich nach London zu gehen? Ein einfacher Legationsrat aut es dann auch.er.

Die Londoner Konferenz

Unerwarteter Widerstand der Bankiers

London, 22. Juli. Die Vollsitzung der Konferenz soll nach ueberemkommen dergroßen Fünf" am Mittwoch stattfinden. Bie Verzögerung soll angeblich den Grund darin haben, daß man den Tankleuten Zeit lassen will, darüber klar zu werden, oo d>« vorgeschlagenen Sicherheiten für die 800 Millionen- -kmeihe ausreichend seien.

Gestern fand eiste Besprechung der Finanzminister mit den Vertretern der Banken, darunter Lamont,.der

Taqes ' p ? egel

Die 8VV MMonen-Anlsiko des Auslands wird »rach Neuyorker Meldungen wahrscheinlich mit 10 Prozent zu verzinsen sein.

In London wurden wieder mehrereFrühstücke" abge- halten, die neuerdings wieder in die Brüchs gegangene Einigkeit scheint aber noch nicht ausgebesserk z« sein. Mac Donald besprach sich am Dienstag mit den anderen vier Großen über wichtige Fragen, die nach demDaily Tele­graph" über die Reichweite der Ausschußbeschlüsse und der Konferenz selbst hinansgehsn.

Vertreter Morgans, Norman, Direktor der Bank von Eng­land, und Mac Ke n n a, Direktor Der Londoner Mutual- Bank, statt. Wie verlautet, haben die Banken verlangt, daß über etwaige deutsche Verfehlungen nichtdie Entschädigungs­kommission, sondern ein Fi nanzrat des Völkerbunds zu befinden habe. Ferner solle der Sachverständigen- Ausschuß weiterbestehen und bestimmen, welcher Art Sanktionen zu ergreifen seien, falls die Entschädigungskom­mission einwandfrei Verfehlungen sestgestellt habe. Die Ban­kiers beanstandeten, daß die Unterzeichner des Vertrags von Versailles alle Vertragsrechte aufrechterhalten wissen wollen. Der französische Finanzminister Elemente! soll erwidert haben, es hänge nur von Deutschland ab, ob die vorgeschlage­nen Sicherheiten für die Anleihe genügen und ob Sanktionen verhängt werden. Beruhigende Versicherungen müßten die Bankiers also von Deutschland verlangen, nicht von Frank­reich oder Belgien. Eine Verständigung wurde nicht erzielt, die Besprechung wurde am Dienstag wieder ausgenommen. Es scheint, daß der unerwartete Widerstand der Bankiers die Verhandlungen verzögern werde.

Clement ei hatte eine einstündige Besprechung mit dem englischen Finanzminister Sir Crowe über die For­derungen der englischen und amerikanischen Bankiers. Herriot besprach sich mit Lord Robert Cecil über den Völkerbund und die Sicherhettsfrage, und darauf mit La- mont, dem Vertreter Morgans. Morgan soll bereit sein, von der Anleihe 400 Millionen Goldmark zu übernehmen.

Herriot und Theunis sind von König Georg empfangen worden.

Das «Echo de Paris" berichtet, der Amerikaner Owen Jung habe zu amerikanischen Berichterstattern gesagt: «E s ist einfach unmöglich, sich mit der französi­schen Politik zu verständigen."

Räumung und Eisenbahnen

Der erste Unterausschuß des zweiten Haupkausschusses bestimmte gegen den englischen Vorschlag, daß ein be­stimmter Zeitpunkt für die Räumung nicht festgesetzt, die Frage vielmehr der Entschädigungs- Kommission überlassen werden solle, die nötigenfalls die Konferenzbeschlüsse abändern könnte. Die rhei­nischen Eisenbahnen sollen nicht an Deutschland, sondern an die zu gründende Aktiengesellschaft abgetreten werden. Die Gründung der Gesellschaft und die lieber gäbe der rheinischen Eisenbahnen könnte 6 bis 8 Wochen nach der Annahme der erforderlichen Gesetze durch den deutschen Reichstag, also bis 1. oder 15. Oktober vollzogen sein.

Industrie-Schuldverschreibungen und Notenbank

Da es nicht für möglich gehalten wurde, daß die 5 Mil­liarden Industrie-Schuldverschreibungen vor Februar 1925 ferkiggestellt werden, schlug der zweite Unterausschuß des zweiten Hauptausschusses vor, daß vorläufige Schuld­verschreibungen angeferkigt werden sollen, die zwei Monate nach Annahme der erforderlichen Gesetze durch den Reichs­tag ausgegeben und ab 15. August zu verzinsen seien. Ebenso soll nach einem Beschluß des dritten Unterausschusses die Goldnotenbank zwei Monate nach der Gesetzeserledigung durch den Reichstag, die etwa für den 15. August in Aus­sicht zu nehmen sei, ins Leben treten.

Neue Nachrichten

Tirpitz über das Gutachten

Berlin, 22. Juli. Ein amerikanischer Berichterstatter be­fragte den Abgeordneten Großadmiral v. Tirpitz um seine Ansicht über den Dawesplan. Tirpitz erklärte: Er sei nicht als Parteimann in den Reichstag eingetreten, und er habe kein anderes Ziel, als alle Parteien, die Sozialdemo­kraten ausgenommen, für das Wohl der Nation zusammen­zuschweißen. Die Begeisterung der Sozialdemokratie für das Sachverständigen-Gutachten bezwecke nur, ihre politische Macht zu wahren. Die Berbündeten wußten, daß er (Tirpitz) sich als Reichskanzler dem Gutachten in seiner jetzigen Form widersetzen würde, darum haben sie gegen seine Ernennung Einspruch erhoben. Wenn Deutschland versuchen würde, die unmöglichen Bedingungen, des Gutachtens auszuführen, so

Fernruf 179

Jahrgang 59.

würde das den amerikanischen Kuhhandel so nachteilig be­einflussen, daß für die Vereinigten Staaten eine ernstere Wirtschaftskrise entstünde, als die vor dreißig Jahren war. Deutschland habe im letzten Jahr für über 800 Millionen Dollar Waren von Amerika gekauft. Das Gutachten würde aber die Kaufkraft Deutschlands stark Herabdrücken und dem deutschen Volk Hunger, Arbeitslosigkeit und Not bringen. Die Vereinigung amerikanischen Kapitals mit der deutschen Ar­beit könne nicht mit der Reitpeitsche gemacht werden, das Gutachten sei tödlich für Deutschland. Deutschland sei hilf­los gegen die stark bewaffneten Mächte Europas, aber als Kanzler würde er streng auf der Bedingung bestanden haben, daß das besetzte Ruhrgxbiet und die im Jahre 1922 widerrechtlich besetzten Rheinhäfen geräumt werden. Eng­land habe die Widerrechtlichkeit zugegeben. Trotz aller Ab- leuanungen sei das Gutachten auf den Vertrag von Ver­sailles begründet und es gehe in vielen Fällen darüber hinaus, wie Mac Donald anerkannt habe, so z. B. dis fi­nanzielle und wirtschaftliche Ueberwachung, die eine Entwür­digung für das deutsche Volk sei. Deutschland müsse klare und bestimmte Sicherheiten haben, wann das Rheinland von den weißen und farbigen Truppen befreit sei. Frankreichs Hal­tung gebe keine Hoffnung. Er (Tirpitz) zweifle nicht daran, daß das Gutachtenvon anderer als von ameri­kanischer Seite sei. Würde der Bericht

e' va Mac Kenna-Bericht statt Dawes-Vericht heißen, damit würde er in Amerika vielleicht genauer geprüft werden, und das amerikanische Volk würde verstehen, daß der Plan den Versuch einer Kur für die internationalen Bankleute aus Kosten Deutschlands darstellt. Dawes verstehe wohl die ganze Tiefe der Ungerechtigkeit nicht, die in diesem Dokument lauere, aber die verbündeten Diplomaten feien sich klar über die" Möglichkeiten, Deutschland zu vernichten. Einem Schiedsrich- l-rausschuß aus amerikanischen Senatoren könnte auch Deutschland eine anständige Lösung zutrauen. Er (Tirpitz) sei sicher, daß in Amerika nicht etwas so Unverantwortliches getan würde, wie die Vermengung der wirtschaftlichen und der politischen Fragen.

Der Kampf bei Böllberg vor Gericht

Hake, 22. Juli. In den letzten Tagen wurde der Angriff der Kommunisten bei Böllberg auf die Schutzpolizei, die an­läßlich der Neueinweihung des Moltkedenkmals in Halle am t l. Mai den angekündigten Anmarsch von 2000 Kommunisten aus Leipzig, Chemnitz und Plauen aufzuhalten hatten, vor dem Gericht verhandelt. Sämtliche Zeugen bekundeten, daß die Kommunisten stark bewaffnet und in militärischer Ord­nung den Angriff aussührten. Sie hatten m.yerere Sanitäts­kolonnen, darunter eine aus Berlin, und zwei Berliner Aerzte bei sich. Die im Kampf verwundeten Polizisten wurden aufs grausamste mit Karabinern und Stöcken geschlagen, mit Mes­serstichen traktiert usw. Das Gericht verurteilte 13 Angeklagte zu Gefängnisstrafen von )4 bis 1)4 Jahren und zu Geld­strafen van 20 bis 100 Mark. Zwei Angeklagte wurden frei- gesprochra.

Von den Reichstagsausschüssen

Berlin, 22. Juli. Heute vormittag 10 Uhr trat der Reichs- tagsausschuß für Auswärtiges zusammen. Nach einer Dar­legung der Lage durch Minister Stresemann sprachen die Ab­geordneten Graf Westarp, Prof. Hötzsch, Müller-Franken, Dr. Wirth und Dr. Scholz.

Der Ausschuß für das besetzte Gebiet beschloß gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und Kommunisten auf einen Antrag Mumm (DN.), die Reichsregierung zum schärfsten Widerstand gegen die Belastung ausländischer Eisenbahner im besetzten Gebiet, schon im Hinblick auf die Wohnungsnot und die Arbeitslosigeit im Westen, aufzufordern.

Die llnkerschlcife bei der Reichsvermögensverwaltung

Köln. 22. Juli. Die deutsche Polizeibehörde hat auf Ver­anlassung des Untersuchungsrichters wegen der Unterschlei­fen bei der Neubauabteilung der Reichsvermögensverwol- tung bisher 60 Haussuchungen in Koblenz-Pfaffendorf, Bop- pard und St. Goar vorgenommen. Die in die Angelegenheit verwickelten Personen sind Beamte, Kaufleute, Holzhändler usw. Ueberall wurden die Bücher beschlagnahmt. Mehrere der Mitbeschuldigten sind ins Ausland geflüchtet. Andere haben ihre Bücher vernichtet oder verschwinden lasten. Bis­her sind 10 Verhaftungen erfolgt. Die genaue Höhe der unterschlagenen Summe konnte noch nicht festgestellt werden. Sie dürfte 1 Million Goldmark weiter überschreiten. Die Unterschleife reichen bis zum ahr 1920 zurück.

Dänische Abrüstungspläne

Kopenhagen. 22. Juli. LautNationaltidende" hat die sozialistische dänische Regierung dem Völkerbund mitgeteilt, daß sie im Herbst beabsichtige, dem Reichstag eine sehr wesent­liche Herabsetzung der Militärausgaben Dänemarks vorzu­schlagen. Statt des stehenden Heers soll ein Polizei­korps von 27 000 Mann errichtet werden, das gegebenen­falls binnen 24 Stunden einberufen werden könne. Seine Aufgabe bestehe darin, zusammen mit der zivilen Seepolizei

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