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Nummer 169

Fernruf 179

WUdbad, Montag, den 21. Juli-1924

^ V. -I-

W

Fernruf 179

Jahrgang 59.

Eine Woche Kon.^enz

Die drei Ausschüsse

Das Ergebnis der ersten Verhandlungswochtz, liegt vor. Cs besteht in den Berichten der drei Ausschüsse. Auf der Grundlage dieser Berichte soll die Vollversammlung zu ihren Beschlüssen, sotten Mac Donald und Herriot zu einer Eini­gung kommen. Wir glauben nicht, daß die Einigung ohne ein Machtwort Amerikas erfolgen kann, denn in den Vorschlägen der Ausschüsse herrscht nach wie vor der Zwiespalt.

Der erste, der sogenannte politische Ausschuß, hatte die Frage künftiger Sanktionen im Fall deutscher Nicht­erfüllung zu behandeln. Erste Unterfrage: Wer Pll entscheiden? England und Amerika wünschten einen un­parteiischen Gerichtshof. Die Franzosen verlang­ten die Entschädigungskommission. England und Amerika fügten sich dem französischen Verlangen. Ministerialdirektor Peretti della Rocca, das Faktotum des verschlossenen Herrn Poincare, siegte mit der von ihm ausgearbeiteten Denkschrift. Die Entschädigungskvmmission also, dieselbe Stelle, die für^ alle Vertragsbrüche und Gewalttaten Frankreichs in den letz­ten Jahren den fadenscheinigen Rechtsgrund abgab, dieselbe Diktatmaschine, die auch dieVerfehlungen" bei den gefor­derten Kohlen- und Holzlieferungen feststellte und so den Vor­wand für den Einmarsch in das Ruhrgebiet schuf, diese Kom­mission soll auch künftig das Machtwort sprechen, wenn nach ihrer Meinung Deutschland bei der Erfüllung des Dawesg >t- achtens im Rückstand bleibt.

Die zweite Unterfrage des ersten Ausschusses lau­tete: Müssen künftige Sanktionen gemeinschaftlich oder dürfen sie auch von einem einzelnen Staat gegen Deutschland angewandt werden? Die Franzosen forderten natürlich Vollmacht für ein allein'ges Vorgehen. Darauf kommt es ihnen an. Wenn Herriot tausendmal die Einigung mit England predigt und die Versöhnung mit Deutschland verspricht, die Mächte h'nter den Kulissen seiner parlamen­tarischen Mehrheit sind stärker. Sie wollen die politische Oberaufsicht und die freie militärische Hand behalten auch bei rein geschäftlicher Regelung der Entschädigung ... Hier riß nun den Engländern in dem ersten Unterausschuß die Geduld. Der Vorsitzende S n o w d e n, unterstützt von depi zweiten britischen Vertreter mit dem deutschen Namen Nie­meyer, erklärte, es werde der französischen Partei nicht ge­lingen, die wesentliche Unterscheidung zu verwischen, ob künf­tig Nichterfüllung gegenüber dem Friedensvertrag oder Nicht­erfüllung gegenüber dem Sachverständigenbericht vorliege. Außerdem traten die beiden Engländer nachdrücklichst dafür ein, daß die Londoner Konferenz ein gemeinschaftliches feier­liches Versprechen ablegen solle, niemals Sanktionen seitens eines einzelnen Staats vornehmen zu lassen. Darüber kam es zum lebhaftesten Streit. Man rief Mac Do­nald zu Hilfe, der ein Essen mit Herriot und Theunis ver­anstalten mußte, um eine Einigungsformel zu finden. Die Formel, die man sich abquälte, ist das Tollste von inne­rem Widerspruch, das sich denken läßt. Sie hebt im zweiten Satz auf, was sie im ersten zugibt. Mit solchen Herriotschcn Zugeständnissen wird auch die Vollkonferenz nichts anfangcn können. Kommt es nicht zur Einigung, so hat es auch gar keinen Sinn, über den unparteiischen Amerikaner zu streiten, der für die Entscheidungen der Entschädigungs- Kommission zugezogen werden soll, oder gar darüber zu streiten, wer ihn ernennen soll, die Washingtoner Regierung oder der Haager Gerichtshof oder wer sonst. Erst muß die Londoner Geschäftswelt und der internationale Geldgeber wissen, ob Frankreich das Geschäft oder die Gewalt will.

Im zweiten Ausschuß, der die Räumungsfrage zu behandeln hat, herrschte ein ähnlicher Zwiespalt. Der fran- zosijche Vorsitzende Seydoux hatte eine Denkschrift ausge- arveitet, die nicht nur bei den Engländern, sondern auch bei Mißfallen erregte. Theunis sprach den m einer vorhergehenden Unterredung mit Herriot Ewen selbständigen Räumungsvorschlag aus- Ruhrabenteuer ja ein gemeinschaftliches Unternehmen Belgiens und Frankreichs gewesen sei. Sm- doux erhielt den Antrag, einen neuen, abqeänderten Vor- Wag aufzusetzen. Aber der Riß ist da und wird von der Vollkonferenz, wie gesagt, ohne die Amerikaner nicht geflickt werden können.

Der dritte Ausschuß endlich hatte sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was an Stelle des Jndustrieabkim­mens treten soll und welche Sachlieferungen für jeden Ver-. kündeten am wichtigsten sind, Dinge und Sorgen, die sich vorerst gar nicht entscheiden lassen, ehe nicht die Vollkonferenz M einer grundlegenden Beschlußfassung gekommen ist Liese «chickfalsbeschlüsse wird aber erst die nächste Woche bringen.

er.

Die Räumungsfrage

Mac Donald. Herriok und Barthou

> schreibt uns aus parlamentarische,, Kreisen: Am

wachsten Dienstag, 22. Juli, wird nicht nur der Reichstag,

Tagesspiegel

Dem Reichstag ist der Gesetzentwurf zugegangen, der die Zahl der Reichstagsabgeordneten von gegenwärtig 471 auf 389 abbaut.

Wie man aus Regierungskreisen hört, haben die Be­mühungen der Reichsregierung für eine Würdigung des deut< scheu Standpunkts in der Gukachtenbehandlung bei den Ver­bandsregierungen keinen unmittelbaren Erfolg gehabt.

Der Verfassungsausschuh des bayerischen Landtags nahm den Antrag der Bayerischen Volkspartei auf Aenderung des 8 92 der bayerischen Verfassung an. daß Aenderungen an der Verfassung nur beschlossen werden können, wenn Zwei Drit­tel der gesetzlichen Mitgliederzahl des Landtags anwesend sind und wenigstens zwei Drittel der Anwesenden zustimmen.

Das englische Unterhaus nahm das Gesetz über die Ar- beitslosenversicherung an mit der Abänderung, daß die Löhne auch an solche Arbeiter bezahlt werden sollen, die unfreiwillig arbeitslos werden, durch einen Streik, an dem sie sich nicht beteiligen.

Die kanadische Regierung forderte telegraphisch das Recht, auf der Londoner Konferenz vertreten zu fein wie auf der Konferenz in Versailles und in Washington. Man glaubt, daß aus der Frage der Vertretung der Dominions noch große Schwierigkeiten entstehen können.

Zn Teheran (Persiens ist der amerikanische Konsul vom Strahenpöbel erschlagen worden.

sondern auch dessen Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten zu neuen Verhandlungen zusammentreten. Ist bis dahin von der Londoner Tagung der Verbündeten ein greifbares Er­gebnis zu erwarten? Wir glauben nicht. Nachdem Paris und London sich vorher zweimal feierlich verständigt, nach­dem alle Regierungen der Entente sich zwanzigmal des gegenseitigen Vertrauens versichert haben, ist es bis jetzt in den fleißig tagenden Ausschüssen der Konferenz nicht ge­lungen, auch nur in einer einzigen der großen Streitfragen eine Kläruzig, geschweige denn eine Uebereinstimmung zu er­zielen. Das gewaltige Pressekonzert? das die Tagung begleitet, ist ein mißtönendes Durcheinander von Enttäuschungen und Vorwürfen. Jede Stimme kommt nicht nur aus einer an­deren Welt, sondern auch aus einer anderen Weltanschauung, und das einzig gemeinsame ist die Redensart, daß der Da- wesplan durchgeführt werden müsse, weil er die Schicksals­frage für Europa sei.

Auch der englische Ministerpräsident hat diese Redensart in seiner Ansprache in der ersten Vollsitzung der Konferenz gebraucht. Ramsay Mac Donald fügte allerdings hinzu, daß zu den wesentlichen Bedingungen des Gelingens gehöre: erstens die Wiederherstellung der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands und zweitens die Schaffung von Sicherheiten für die Zeichner der Anleihe. Aus diesen Worten scheint man an maßgebender Regierungsstelle in Berlin einige Hoffnung schöpfen zu können insofern, als man annimmt, daß der bri­tische Arbeiterführer nach einigen poincaristischen Anwand­lungen bei seiner Pariser Rettungsreise in London wieder zu seinem alten Standpunkt zurückgekehrt sei. Mac Donald spricht neuerdings zwar nur mehr von der wirtschaft­lichen Räumung des Auhrgebieks, nicht von der militä­rischen. Er schont die Empfindlichkeit der Franzosen. Aber er erwähnt auch nicht mehr die Sicherheit Frankreichs, son­dern kennt nur noch die Sicherheit für die K a p i t a l i st e n.

Auf der Londoner Konferenz ist nachgerade viel mehr von der Entschädigungskommission und ihren Aufgaben, als von dem Dawesgutachten und seinen Formen die Rede. Bei allen Auseinandersetzungen herrscht auf französischer Seite, wenn nicht der Geist Poincares, so doch der heimliche Wille Bar­th o u s, des Vorsitzenden der Entschädigungskommission. Louis Barthou aber ist der Freund Poincares, man darf wohl sagen, der Vollstrecker des Poincareschen Erbes. Mini­sterpräsident Herriot, der mit vollen Segeln seiner Ver­söhnungspolitik nach London fuhr, hat in der Räumungs­frage schon lange keine freie Hand mehr. Er ist gebunden durch die Politik Barthous.

Barthou behauptet, das Sachverständigengutachten ver­lange zwar die Wiederherstellung der wirtschaftlichen und finanziellen Einheit des Deutschen Reichs, aber mit keiner Silbe, mit keinem Komma die Räumung der Ruhr. Sollte sich Herriot dieser Barthouschen Auslegung des Dawesgut- achtens bereits gefügt haben? Wird ihm Mac Donald nicht endlich den ursprünglichen englischen Standpunkt entgegen­stellen? Und was gedenkt der deutsche Außenminister in' der furchtbarem Gefahr, die seiner Politik droht, dem Auswär­tigen Ausschuß des Reichstags zu sagen?

Die Londoner Konferenz

Französische Fortschritte

London. 20. Juli. Im ersten oderpolitischen" Ausschuß

wurde von der französischen Vertretung ein Vorschlag für die Sanktionen vorgelegt. Die englischen Mitglieder ver­langten, daß der Entwurf ins Englische übersetzt werde. Es wurde ferner beschlossen, daß das amerikanische Mit­glied der Entschädigungskommission 30 Tage nach Annahme des Entwurfs von der Entschädigungskommission auf die Dauer von ö Jahren ernannt werde. Wiederwahl ist zulässig. Die Ernennung muß einstimmig erfolgen. Als nun über die Verfehlungen und Sanktionen gesprochen wurde, traten die Gegensätze zutage. Nach dem englischen Vorschlag sollten außerhalb des Rheinlands überhaupt keine Besetzungen mehr stattfinden. Die Franzosen lehnten diese Fassung ab, da sie auf die Handlungsfreiheit Frankreichs nicht verzichten- wollten. Die Amerikaner machten einen Vermittlungsvor­schlag, der Frankreich ein gewisses Ausnahmerecht einräumt. Die Engländer zogen ihren Vorschlag zurück und stimmten für den amerikanischen Antrag, der aber den Franzosen noch nicht weit genug geht. Die Beratungen wurden auf Sams­tag vertagt.

Der dritte Ausschuß hat die Fragen der Sachliefe-, rungen und Ueberweisungen der Barzahlungn bis auf einige Einzelheiten erledigt.

Der amerikanische Vermittlungsvorschlag

London, 20. Juli. Die amerikanischen Vertreter machten im ersten Konferenzausschuß zur Sankkionsfrage folgenden Vorschlag:

Die Verbündeten enthalten, sich aller Sanktionen, die die Interessen der Gel dl ei her beeinträchtigen könnten. Sie verpflichten sich, daß, wenn Sanktionen angewendet wer­den, der Dienst derÄnleihe weiterhin gesichert wird und daß die Sanktionen mit den Anempfehlungen des Dawes- plans Übereinskimmen.

Unter Zugrundelegung dieser Vorschläge wurde von Pe- rekti della Rocca eine neue Formel unterbreitet, wonach der private amerikanische Bürger, den man in die Enkschädi- gungskommission wählen wird, im Zusammenhang mit einer deutschen Verfehlung zurückkreken kann, wenn zu irgend­einer Zeit Amerika feine volle Mitgliedschaft in der Kom­mission geltend macht. Um den Dienst der Anleihe von 800 Millionen Goldmark sicherzustellen, erklären die verbündeten Mächte, daß im Fall von Sanktionen der Dienst dieser Anleihe von ihnen als er sie Hypothek angesehen wird. Unter Berücksichtigung der formalen Bestimmungen wer­den alle Rechte, die die am Friedensverkrag beteiligten Mächte augenblicklich unter dem Vertrag genießen, Vorbe­halten. (Also: Frankreich kann nach wie vor tun, was es will.)

General Lastelnau berufen

Straßburg, 20. Juli. Die Straßburger Neue Zeitung mel­det aus Paris, Kriegsminister Nollet habe den General Ca- stelnau telegraphisch nach London berufen. Es soll sich um Nebenverhandlungen mit England über die Dauer der Be­setzung handeln. Man hofft, England für den französischen Standpunkt zu gewinnen, daß die Räumungsfrist für das Rheingebiet noch nicht zu laufen begonnen habe.

Havas stellt im amtlichen Bericht fest, daß die französischen Anträge auf der Londoner Konferenz immer mehr an Boden gewinnen. Die Verhandlungen der amerikanischen Minister Hughes und Mellon mit französischen und italienischen Ver­tretern über die Rückzahlung der Kriegsschulden nehmen ihren Fortgang.

Am die Zulassung Deukschlands

Paris, 20. Juli. ..Ere Nouvelle" berichtet, Mac Donald und Herriok haben über die Zulassung Deutschlands zur Konferenz gesprochen. Mac Donald wünsche die beding­ungslose Zulassung, Herriok dagegen wolle sie nur unter den gleichen Bedingungen wie in Versailles genehmigen. Deutschland soll also stumm das Diktat anhören und unterzeichnen. Mer wird nachgeben?

Neue Nachrichten

Die Deukschnakionalen lehnen das Gutachten ab Berlin, 20. Juli. In einer Sitzung der deutschnationalen Aeichskagsfraktion wurde ausgesprochen, dem Ergebnis der Londoner Konferenz könne man nur mit ernster Sorge ent­gegensetzen. Deutschland, das nicht geladen sei, stehe wieder vor einem Diktat der Verbandsmächte, das dem deut­schen Volk schwerere Lasten aufbürde als der Vertrag von Versailles, dazu das Opfer seiner Selbständigkeit, ohne daß es eine Sicherheit für die Befreiung von Rhein und Ruhr erhalte und daß weitere Vergewaltigungen in Zukunft ausgeschlossen seien. Die deutschnationale Fraktion sei nicht gewillt, einem solchen Abkommen zuzustimmen.

Gegen den Achtstundentag

Berlin, 20. Juli. Die Vereinigung der leitenden Ange­stellten erklärt sich entschieden gegen den Beschluß der Ge­werkschaften, einen Volksentscheid über den achtstündigen Arbeitstag herbeizuführen. Bei den Lasten, die das Sach- verständigen-Gutachten.dem deutschen Volk aufbürde, könne