Nr. 113

Amis- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

98. Jahrgang.

Erscheinung»»«!!«: Sinai wöchentl. «nz-igrnpret»: Di« Zette 150 Mk., tzamilien-nzeigen 100 M!.. Reklamen 4M M. Aus Sammcianzcigen komiut ein Zuschlag von IM Fernspr. L.

^ Donnerstag, den 17. Mai 1923.

Bezugspreis: In der Stadt mit TrLgulohn 3000 Mk. monatlich. PostbezugtzpreiS 3000 Mk. ohne Bestellgeld. Einzelnummer 120 Mt. Schluß der Anzeigenannahme 8 Uhr vormittags.

Neueste Nachrichten.

Im Reichstag gaben gestern die Parteien anläßlich der Bewilligung des Gehalts des Reichskanzlers und des Außenministers Erklärungen über ihre Stellung zur englischen und italienischen Antwort auf das deutsche Reparationsangebot ab. Die Sozialdemokraten wünsch­ten ein konkreter gefaßtes neues Angebot namentlich be­züglich der Sicherheiten, damit die Franzosen Farbe be­kennen müßten, die Mittelparteie« liehen ihren Sprecher erkläre«, daß sie im gegenwärtigen Augenblick eine Aus­sprache nicht sür zweckmäßig halten, und die Deutschnatio- ualen vertraten den Standpunkt, daß bei alle« Wünsche«, den einmal angeknüpften Faden nicht abreißen zu lassen, sie doch keine Möglichkeiten sehen, den Faden fortzuspin­nen. Strengste Zurückhaltung sei am Platze. Der Neichsaußenminister antwortste, daß er keiner­lei Erklärung zu der Frage abgeben könne, die Reichs­regierung sei mit Ernst und Sorgfalt in die Prüfung sämtlicher Noten eingetreten. Das Haus dürfe überzeugt sein, daß die Regierung nur den Weg gehen werde, den sie für die Interessen von Volk und Vaterland und für das Gesamtinteresse für beschreitbar halte.

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Die Reichsregierung hat einen neuen scharfen Protest wegen der Ausweisung und Verurteilung von Beamten im be-

setzten Gebiet an die Alliierten gerichtet.

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Der englisch-russische Konflikt zeigt jeden Tag ein anderes Gesicht. Einmal scheint es, als ob die Bezie­hungen sich verschärfen würden, dann wieder, als woue man einen Ausgleich suchen. Heute herrscht der Eindruck vor, daß man zu Ver handlungen kommen will.

ReiWig «nd Reichsregierung zu der eugiWn und italienischen Antwort.

Berlin, 18. Mai. In seiner letzten Sitzung vor den Pfingstferien verabschiedete heute der Reichstag eine ganze Reihe Vorlagen, u. a. den Gesetzentwurf über die Abfindung von Witwen in der Unfallversicherung, den Entwurf betreffend den Verkehr mit edlen Metallen, Edelsteinen und Perlen, fer­ner das Reichsentlastungsgesetz, das Liquidationsschädengesetz und das Reichsausgleichsgesetz. Bei der dritten Beratung der Etats des Auswärtigen Amts, des Reichskanzlers und des ReichspräsLenten nahm Abgeordneter Müller-Franken (S.) das Wort zur außenpolitischen Lage und erklärte, der jüngste Notenwechsel habe keine Befriedigung geschaffen, im Gegenteil, die Gewalttaten hätten in den besetzten Gebiete« zugenommen. Die Kriegsgerichtsurteile von Werden und Neuß seien ein Hohn. Die französisch-belgische Note verlange von der Reichsregierung die Einstellung des passiven Widerstands. Dieser sei aber aus dem Willen des Volkes heraus geboren. Seine Partei habe es deshalb nicht verstanden, wie in der deutschen Note von dem passiven Widerstand geredet werde, den man der Bevölkerung allein überlassen solle. Redner verwahrte seine Partei dagegen, daß sie die deutsche Note beeinflußt habe und sagte, auf diese eingehend, wir müßten mehr Wert auf die Schaffung von Ga­rantien legen. Wenn es gelte, das Ruhrgebiet zu befreien und am Rhein wieder geordnete Verhältnisse zu schaffen, dürfe kein irgendwie tragbares materielles Opfer zu hoch sein. Die eng­lische Antwort zeige, daß ein Weg zu Erfolg versprechenden Verhandlungen vorhanden sei. Eine Lösung lasse sich nur fin­den, wenn wir substantivierte Garantien böten. Leider laste die deutsche Note in diesem Punkt Konkretes vermissen. In dieses Gebiet gehörten die allerdings jetzt noch nicht vorhandenen Eisenbahnüberschüste, vielleicht auch die Einnahmen aus dem Branntweinmonopol, vor allem aber konkrete Garantien von Landwirtschaft, Industrie, Banken und Handel. Gesetzgeberische Maßnahmen in dieser Beziehung seien sofort vorzubereiten. Auch konkrete Vorschläge für die politische Sicherheit seien zu machen, damit die Franzosen zeigen müßten, ob es ihnen nur darum und nicht um annexionistisch« Ziele zu tun sei. Abgeordneter Leicht (Bayer. Vp.) gab namens seiner Partei, des Zentrums, der Deutschen Volkspartei und der Demokratischen Partei eine Er­klärung ab, wonach es diesen Parteien im gegenwärtigen Zeit­punkt nicht angängig erscheint, zu den eingegangenen Antworten auf das deutsche Angebot im Reichstag Stellung zu nehmen. Abgeordneter Hergt (Deutschnat.) sieht nach dem Vorliegen ^r Antworten keine Möglichkeit, den Faden fortzuspinnen. PoincarL »erlange bindende Angebote. Die deutsche Wirtschaft dürfe durA sslch^ aber nicht geschädigt werden; nur et-vaige

Ueberschüsse könnten in Frage kommen. England habe sich selbst desavouiert, wenn cs jetzt einen scharf ablehnenden Standpunkt gegenüber dem deutschen Angebot einnehme. Wir könnten schon um den Glauben an die deutsche Ehrlichkeit nicht zu erschüttern, über unser letztes Angebot nicht hinausgehen. Reichsminister des Aeußern von Rosenberg erklärte, daß er es sich im gegenwärtigen Augenblick versagen müsse, den Vorrednern zu antworten. Die Reichsregierung prüfe mit Ernst und Sorgfalt die eingegangcnc» Antworten, doch sei die Prüsung noch nicht abgeschlossen. Die Reichsregierung werde nur den Weg gehen, den sie nach Pflicht und Ueberzeugung im Interests von Volk und Vaterland für beschreitbar halte. Abgeordneter Kühnen (Komm.) erklärte, wir ständen unmittelbar vor der Gefahr eines neuen Krieges. Er machte den Zechendirektoren im Ruhr­gebiet hochverräterische Absicht zum Vorwurf, da diese schon jetzt die deutschen Arbeiter zwängen, für die Franzosen zu ar­beiten. Abgeordneter Wulle (Deutschvölk.) wandte sich gegen die Geheimdiplomatie der Regierung, als deren Produkt die Noten zustandekämen, die den nationalen Selbstmord bedeuteten. Damit schließt die allgemeine Aussprache. In der Einzel­beratung der Etats richtete Abgeordneter Dr. Hertzfeld (Komm.) heftige Angriffe gegne den Reichspräsidenten, weil er revolutionären Arbeitern keine Amnestie gewähre. Nach Ab­lehnung eines kommunistischen Antrags auf Aufhebung des Se- vering'schen Erlasses gegen die proletarischen Hundertschaften wurden die obengenannten Etats, sowie das Etatgesetz gegen die Stimmen der Kommunisten angenommen. Bei der nun fol­genden zweiten Lesung der Ergänzung des Reichssiedelungs- gesetzes, wonach Len aus den abgetrennten Gebieten verdrängten Siedlern von den Landlieferungsverbänden 10 000 Hektar zur Verfügung gestellt werden sollen, wurde ein weitergehender deutschnationaler Antrag bezüglich der Fristfestsetzung abgelehnt und die Vorlage nach den Ausschutzbeschlüsten in zweiter und dritter Lesung angenommen. Das Gesetz betreffend Rege­lung der Brot Versorgung im Jahre 1923/24, das die Umlage aufhebt, aber eine Brotgetreidereserve in Höhe von 3)4 Millionen Tonnen vorsteht, wurde nach kurzer Debatte an den Ausschuß verwiesen. Präsident Löbe erbat und erhielt darauf die Ermächtigung, Zeitpunkt und Tagesordnung der ersten Sitzung nach den Psingstfeiertagen zu bestimmen. Er entließ die Abgeordneten mit einem Hinweis auf die am Frei­tag in Frankfurt am Main sürtifindende Gedenkfeier in der Paulskirche an das Zusammentreten der ersten deutschen Natio­nalversammlung und entbot der Stadt Frankfurt und den dort versammelten Männern solidarische Grüße.

Die französische Gewaltpolitik.

Wiederholter deutscher Protest ge<«en die Ausweisungen der Eisenbahner.

Berlin, 16. Mai. Den Regierungen in Paris, Lon­don und Brüssel wurde nachfolgende Note übergeben: In dem Bestreben, die deutschen Eisenbahnbeamten im be­setzten Gebiet unter allen Umständen zum Dienst für die sranz.-belgische Regie der Eisenbahnen im besetzten Gebiet zu zwingen, geht die interalliierte Rheinlandslommission in immer schärferer und rücksichtsloserer Weise gegen diese Beamtenschaft und ihre Familien vor. Die Zahl der Aus­weisungen von Eisenbahnern aus dem besetzten Gebiet zählt bereits nach Zehntausenden. Die Vertreibung der Eisen- bahnbeamten aus ihren Wohnungen, und zwar nicht nur aus de« Dienstwohnungen, sondern auch aus Privathäu­sern und Eenossenschastskolonien wird systematisch fortge­setzt. Am 2. Mar mutzten die Werkswohnungen der Haupt­werkstätte Crefeld-Oppum von 189 Familien geräumt wer­den. Am gleichen Tage wurden 35 Familien binnen weni­ger Stunden in Troisdorf gezwungen, ihre Wohnungen zu verlassen. Von der gleichen Matznahme wurden am 5. Mai 118 Eisenbahnerfamilien in Euskirchen betroffen, desglei­chen am 8. Mai 178 Familien in Düren und 180 Familien in Bonn. In den meisten Fällen ist die Frist zur Räumung der Wohnungen so kurz bemessen, datz die Betreffenden nicht in der Lage sind, ihren Hausrat mitzunehmen. Da es aber in einigen Fällen dank übermenschlicher Anstren­gungen der Beteiligten und mit Hilfe mitleidiger Nach­barn gelungen war, ihre Habe zu retten, hat in letzter Zeit das System gewechselt. Jetzt wird meistens den Ver­triebenen nur gestattet, das mitzunehmen, was sie aus dem Leibe tragen, dann nur noch ein kleines Bündel geringen Umfangs. Aus den gleichen Gründen werden von den Kriegsgerichten gegen deutsche Eisenbahner, die nichts ge- tay haben, als ein weder mit, dem. Völkerrecht noch mit

dem Diensteid vereinbartes Ansinnen abgelehnt, Urteile gefällt, die immer grausamer werden. Als typisches Bei­spiel wird auf das Urteil des franz. Kriegsgerichts in Mainz vom 8. Mai verwiesen, wodurch gegen 17 Eisen- bahbeamte, die meist führende Mitglieder verschiedener Eisenbahnergewerkschaften sind, Gefängnisstrafen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, im ganzen 73 Jahre ver­hängt wurden. Die deutsche Regierung legt gegen di--ft terroristischen Matznahmen erneut Verwahrung ein.

Die vergeblichen Versuche der Franzosen deutsche Eisenbahner zu gewinnen.

Berlin, 17. Mai. Nach einer Meldung aus Koblenz werden die Möbel ausgewiesener Beamten von jetzt an nicht mehr herausgelassen. Nach einer weiteren Mel­dung ist die von den Franzosen für gestern nach Koblenz einberufene Eisenbahnerversammlung ein völliger Fehl­schlag gewesen. Es ist nicht gelungen, deutsche Eisenbah­ner für die Dienste der franz. Eisenbahnregie zu gewinnen. Die planmäßige Fortsetzung der Gewalttaten.

Düsseldorf, 15. Mai. Bei der Zahlstelle Derendorf der Düsseldorfer Erwerbslosenfürsorge beschlagnahmten gestern die Franzosen die Kaste mit 25 Millionen. Der Betrieb mutzte deshalb eingestellt werden.

Bochum, 16. Mai. Nachdem die Franzosen in der vori­gen Woche die Seilbahn zwischen der Zeche Karolinenglück und Bochnmer Verein lahmgelegt hatten, ist nunmehr auch die Eisenbahnverbindung zwischen der genannten Zeche und dem Bochumer Verein von ihnen unterbunden wor­den, sodatz der Bochumer Verein keinen Koks mehr bezie­hen kann. Es droht die Stillegung des 22 000 Arbeiter beschäftigenden Werkes.

Düsseldorf, 17. Mai. Heute vormittag haben die Fran­zosen Lei zwei Zweigstellen der Düsseldorfer Erwerbslosen-' fürsorge die Kaster beschlagnahmt. In den Kasten befanden sich 2530 Millionen Mark.

Berlin, 16. Mai. Wie dasBerliner Tageblatt" aus Düsseldorf meldet, wurden die Direktoren der Nheinmetall- werke, Eltze und Potthoff, wieder freigelasten. Die Fran­zosen erklärten, datz sie den Requisitionsbefehl gegen sie wiederholen werden. Die Werke sind vollkommen stillge­legt. Die Franzosen haben in den Fabrikräumen Truppen untergebracht.

Gelsenkirchen mit 3 Bataillonen besetzt.

Celsenkirchen, 17. Mai. Beim Oberbürgermeister er­schienen gestern drei französische Offiziere und teilten ihm mit, datz auch Gelsenkirchen nunmehr eine dauernde Be­satzung erhalten werde und zwar würden drei Bataillone in die Stadt gelegt werden, von denen eines auf dem Flug­platz, das andere im Stadtteil Bismarck und das dritte in­mitten der Stadt in der Nähe des Hauptbahnhofs unter­gebracht werden solle.

Die Besetzung deutscher Farbwerke.

Düsseldorf, 16. Mai. Die Belgier rückten gestern mit Maschinengewehren und Tanks in die beiden chemischen Fabriken Weiler ter Meer und Wedekind ein. Die Di­rektionen lehnten die von den Belgiern geforderten Sach- lieferungen ab. Die Arbeiter mutzten die Werke verlassen und haben beschlosten, erst nach der Räumung der Werke wieder zur Arbeit zurückzukehren. Zur Frage der Besetzung selbst wird die Arbeiterschaft heute Stellung nehmen.

Iurn englisch-russischen Konflikt.

London, 16. Mai. Mac Neill führte im Unterhaus weiter aus, die Auftastung der englischen Geschäftswelt sei im allge­meinen die, daß eine Annullierung des Handelsabkommens kei­nen schädigenden Einfluß auf den britischen Handel ausüben werde. Rußland habe das Abkommen niemals eingehalten. Mac Neill wiederholte die Beschuldigungen der englischen Note wegen der russischen Propaganda. Die Behauptung, daß das vorge­legte Beweismaterial unrichtig sei, widerspreche den Tatsachen. Aus welcher Quelle das Beweismaterial stamme, werde er nich! Mitteilen. Es sei aber durchaus zuverlässig. Außerdem seien in 116 Fällen britische Untertanen in Rußland zu Unrecht einae- sperrt und schlecht behandelt worden. Die russische Regierung habe trotz energischer Noten nichts getan, um den Enlschä-i gungsforderungen für diese Fälle nachzugeben. Es wurde aber eine Entschädigung für die Festhaltung in Aussicht gestellt. Die Forderung nach einer Zwölfmeilengrenze werde aufrecht erhal­ten, während doch seit 1869 lediglich eine Dreimeilengrenze ein­gehalten werde. Die britische Regierung könne nicht zugeben,