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Nr. 108

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Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

98. Jahrgang.

Erscheinung-weise: 6mal vöchentl. Anzeigenpreis: Dir Zeile 150 Mk., Familienanzeigen IDOMk., RÄlamen 400Mk. Auf Sammelonzeigen kommt ein Zuschlag von 100 °/g. Fernspr. 9.

Freitag, den 11. Mai 1823.

Bezugspreis: In der Eladt mit Trägerlohn LOOV Mk. monatlich. PostbezugSpreiS SOOOMk. obne Bestellgeld. Einzelnummer) Mk. Schluß der Anzeigenannahme 8 Uhr vormittags.

Neueste Nachrichten.

Die deutsche Reichsregierung wird wegen der Schandurteil« gegen die Kruppdirektoren eine Protestnote an Frankreich richten.

De, deutsche Reichskanzler will die englische und französische Ant­wort auf das neueste Reparationsangebot Deutschlands ab- warten, ehe e, Stellung zu der französisch-belgischen Antwort­note nimmt.

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Di« bayrische Regierung kündigt in einer Verordnung Maßnah­men gegen die Uebergriffe von Organisationen an» die sich der allgemeinen Rechtsordnung nicht fügen.

In Lausanne ist der Vertreter der russischen Regierung von einem Schweizer Faszisten ermordet worden. Seine Be­gleiter wurden verwundet.

Mch dm GmMrieil vo« Werde«.

Essen, 9. Mai. Wie wir hören, sind die gestern in Wer­ken Verurteilten in Automobilen in Richtung nach Düssel­dorf abtransportiert worden.

Paris, 9. Mai. Nach einer Hävasmeldung aus Werden wird der Revisionsprozetz gegen die im Zusammenhang !mit dem Zwischenfall bei Krupp Verurteilten wahrschein­lich in Düsseldorf stattfinden. Im Widerspruch hierzu be­sagt eine vomTemps" veröffentlichte Düsseldorfer Mel­dung, daß die Entscheidung über die von den Verteidigern eingelegte Revision nicht vor Mitte nächster Woche ge­troffen werden solle.

Der wahre Charakter der Werdener Arteile.

/ Paris, 10. Mai. Während die Pariser Presse sich bis jetzt damit begnügte, tendenziöse Berichte ihrer Sonderkorresponden­ten über den Prozeß in Werden wiederzugeben, findet heute ein Platt den Mut, die politischen Motive der llrteilssprüche ein­zugestehen. Es handelt sich um denGaulois", der in seinem Leitartikel schreibt, der Charakter der Deutschen sei genügend bekannt, um keinen Zweifel darüber zn lassen, daß sie nur für eine Politik der Energie empfiirvlich seien. Daher sei man in Werden geschickt vorgegangen. Dadurch, daß die Franzosen Krupp von Bohlen und Halüach zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt hätten, hätten sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Das Blatt hofft, daß diese ernste Warnung der Bevölkerung an der Ruhr und im Rheinland, deren Blicke auf Berlin allein gerichtet ge­wesen seien und die sich eingebildet habe. Frankreich werde nie- ,mals ihnen gegenüber die starke Hand zeigen, die Augen aff­inen werde. Je mehr Frankreich gefürchtet werde, umso stärker werde es sein und um so eher beschleunige es die Lösung, nämlich !die Unterwerfung Deutschlands unter den Willen der Sieger.

Eine Protestnote der deutschen Regierung gegen die Urteile.

Berlin, 9.Mai. (Wolfs.) Wie den Blättern zufolge in parlamentarischen Kreisen verlautet, wird die Reichsregie­rung eine Protestnote gegen das Urteil im Krupp-Prozeh an Frankreich richten.

Der Reichstagsprkistdent über die Arteile.

Berlin, 11. Mai. Zu Beginn der Mittwochsitzung des Reichstags wies Präsident Löbe (Soz.) in einer kurzen Ansprache auf die Schandurteile der französischen Mili­tärgerichte in Werden und Mainz gegen die Leiter der Krupp'schen Werke und den Betriebsrat, sowie gegen die Gewerkschaftsführer der Eisenbahner hin, die die Welt blenden und den französischen Militarismus von der Schuld an dem Essener Blutbad reinwaschen sollten. Zum Schluß sprach er im Namen des Reichstags den von den Urteilen Betroffenen und den Hinterbliebenen der Essener Gefalle­nen die Versicherung aus, daß ihre schuldlosen Leiden auf den Blättern der Geschichte voll und leuchtend erstrahlen würden, während die Grausamkeiten ihrer Feinde verächt­lich beiseite geschoben würden. Die Mitglieder des Hauses hatten die Ansprache des Präsidenten stehend augehört. Die Werkleitung und der Dezirksrat der Firma Krupp zum Urteil.

Essen, S. Mai. Die Werkleitung und der Betriebsrat der Firma Krupp haben heute folgenden Anschlag innerhalb der Kruppschen Fabrik veröffentlicht: Wegen der Vorgänge am Kar- famstag fällte das französische Kriegsgericht in Werden nach viertägiger Verhandlung sein Urteil. Es find folgende Strafen verhängt worden (folgen die bereits in der Presse veröffentlich­ten Strafen). Gegen das Urteil ist das Rechtsmittel der Revi- sipu eingelegt worden., Nach eingehender Prüfung und Ueber-

Ermordung des russischen Vertreters in Lausanne.

Lausanne, 11. Mai. Gestern Abend um S.20 Uhr wurde im Hotel Cecil, wo die russische Delegation wohnt, beim Abendessen de» russische Bevollmächtigte Worowsky durch einen Revolver- schuß ins Genick getötet. Seine Begleiter, der Pressechef Ahrens und der Sekretär Diwilkowski, wurden ebenfalls durch mehrere Schüsse verletzt, Diwilkowski ziemlich schwer; Ahrens dagegen be­findet sich außer Lebensgefahr. Der Mörder gehört der Gruppe der sogenannten Schweizer Faszisten an, die in den letzten Tagen wiederholt Drohungen gegen Worowsky und gegen seine Kol­legen bei der Delegation ausstieb und bereits am letzten Sonn­tag morgen eine Demarche bei dem russischen Bevollmächtigten gemacht hatte, um ihn zum Verlassen der Schweiz zu zwingen. Der Mörder ist Graubündener. Er ist gestern abend ins Hotel gekommen und hatte sich einige Tische von Worowsky entfeint zum Abendessen niedergelassen. Als er fertig war, bestellte er zwei Gläser Schnaps, trank sie eilig aus und gab dann sieben Schüsse auf die drei Herren ab. Der Vertreter des WTB-, der sich wenige Minuten nach dem Attentat an das Kranken­lager von Ahrens, der in Berlin Mitarbeiter der russischen Bot­schaft ist, erhielt von dem Verwundeten folgende Erklärung: Die Alliierten, die durch ihre Manöver gegen die russische Dele­gation Verwirrung in die Geister trugen, die Stellung der De­legation erschütterten und Ungewißheit über ihre Haltung in Lausanne verbreiteten, haben eine schwere Verantwortung an den Ereignissen, denen Worowsky zum Opfer gefallen ist. Ahrens protestierte auch in lebhaften Worten gegen die Haltung der hiesigen Behörden, die seit dem ersten Tage von den Machen­schaften unterrichtet gewesen seien, ohne irgendwelche Schritte dagegen zu ergreifen. ""

legung bitten wir alle Werksangehörigen dringend, auch ange­sichts dieses für jedes Rechtsempfinden unfaßbaren Urteils die berechtigten Gefühle tiefster Entrüstung zurückzuhalten und wie bisher Würde und Besonnenheit zu wahren. Dies entspricht, wie wir hören, auch dem Wunsche des Herrn Krupp von Bohlen und Halbach und der übrigen Beteiligten.

Englische Presseurteile zum Schandurteil in Werden.

London, io. Mai. Der diplomatische Berichterstatter des Daily Telegraph" schreibt, man werde in England zwar nicht sentimental wegen des über Krupp gefällten französischen Ur­teils, sei jedoch der Ansicht, daß das Urteil kaum dazu angetan sei, die Deutschen zu ermutigen, ihren passiven Widerstand auf­zugeben, oder mit neuen und besseren Reparationsvorjchlägen hervorzutreten. DieWestminster Gazette" sagt in ihrem Leit­artikel, die britische Regierung werde vielleicht nicht den Mut h-.ben, irgendeine öffentliche Vorstellung wegen der Werdener Urteile zu wagen, aber das französische Volk könne aus der eng­lischen Presse die Warnung entnehmen, daß es das Gefühl der Gerechtigkeit beleidigt habe, das bei dem Durchschnittsenglünder vorhanden sei. Die Werdner Urteile stießen durch ihre Strenge fast jeden Teil der englischen öffentlichen Meinung vor den Kopf. Das Blatt erwartet davon eine Festigung des passiven Widerstands in allen Kreisen Deutschlands.

London, 9. Mai. (Wolfs.) In einemWesten Ver­brechen?" überschriebenen Leitartikel befaßt sich dieDaily News" außer mit der britischen Regierungserklärung auch mit dem Werdener Urteil. Das Blatt schreibt:Die wil­deste Phantasie der eingefleischtesten Franokphoben hätte niemals die gestrige Folge der Niedermetzelung der drei­zehn Krupp-Arbeiter durch französische Soldaten vorher­sehen können. Es wurde dargelegt, daß die Arbeiter keinen Angriff auf die Soldaten gemacht haben. Das photographische Beweismaterial zeigt, daß die Arbeiter in voller Flucht niedergefchossen wurden. Die Arbeiter han­delten nicht auf Veranlassung der Direkto­ren, sondern des Arbeiterrats in Uebereinstimmung mit einem Brauch, der von den Franzosen nicht verboten war. Die gestern verhängten Strafen von zehn bis zwanzig Jahren Gefängnis und Hunderten von Millionen Mark Geldstrafe seien auferlegt nicht den Franzosen, die für das Schießen verantwortlich seien, sondern den Krupp'schen Direktoren. Soweit von London aus beurteilt werden könne, sind die lleberführungen und Urteile nicht nur ohne irgendwelches belastendes Beweismaterial zustande gekom­men, sondern trotz des genau entgegengesetzten Beweismaterials. Das Frankreich des 20. Jahr­hunderts betrachte den Widerstand gegen die Invasion durch die jsranMlchen Truppen als ei» Verbrechen und

zerstöre um seiner Ansicht Geltung zu verschaffen seinen eigenen Ruf.

Die Auffassung des Schweizer Verteidigers.

Werde«, 8. Rkai. Der schweizerische Rechtsanwalt Moriand-Eenf nimmt nach der Mittagspause das Wort. Er war in der Vormittagssitzung von dem Verteidiger Sols als einziger Unparteiischer bezeichnet worden. Moriand schildert zu­nächst die Gefühle, die ihn augenblicklich fesseln. Als die Firma Krupp sich an ihn wandte, der er durch sein« Anhänglichkeit be­kannt sei, habe sie dem Willen Ausdruck gegeben, daß die Ver­teidigung in der objektiven Art und mit größtem Willen zur Wahrheit erfolge. Moriand betonte dann den politisch neutralen Charakter der Firma Krupp, um, wie er sagt, etwaigen Tendcnz- berichten zu begegnen. Was man bei Krupp wolle, sei in erster Linie friedliches Arbeiten. Ihrem ganzen Wesen nach bestehe in den Krupp'schen Werken pazifistische Atmosphäre. Moriand ver­weist ferner darauf, daß in zahlreichen Fabriken des Ruhrge­biets gleich zu Anfang der Besetzung ähnliche Kundgebungen des passiven Widerstands stattgefunden haben, bei denen Arbeiter durch Niederlegen der Arbeit ihren Willen bekundeten, unter Aussicht von Soldaten nicht zu arbeiten. Militärbehörden hätten dagegen niemals Einspruch erhoben, auch nie gegen Direktoren und gegen Arbeiter Strafverfahren eingeleitet. Zu den Ereig­nissen am 31. März übergehend, erinnert Moriand an das Er­gebnis zahlreicher photographischer Ausnahmen, die den Beweis erbringen, daß die Kundgebung in voller Ordnung ohne Gewalt­tätigkeit erfolgte. Von Machinationen könne keine Rede sei», ebensowenig davon, daß, wie die Anklage behaupte, unter den Ar­beitern gewaltsamer Widerstand gegen die Vesatzungstruppeu sur den Fall des Eindringens in den Betrieb vorbereitet worden sei. Angriffe oder Gewalttätigkeiten gegen Franzosen seien niemals geplärrt gewesen. Eine Aufforderung an die Arbeiter aber, die Arbeit niederzukegen, als strafbare Tat auszulegen, sei unmög­lich. Uebrigens hätten die französischen Behörden bisher in glei­chen Fällen niemals Strafverfolgung eingeleitet. Wie könne, so fragt der Verteidiger, unter diesen Umstünden der Gerichtshof, der sich durch Einflüsse von außen nicht beeinflussen lassen könne noch dürfe, auf die gestellten Schuldfragen mit Ja antworten? Es gehe um Recht und Gerechtigkeit. Keinerlei Gründe politischer oder anderer Art erlaubten es, diesen Boden zu verlassen. Zu ein­zelnen Punkten der Anklage übergehend, stellt Moriand vor allem fest' daß der Betriebsrat Müller keinerlei gewaltsame« Wider­stand unter den Arbeitern vorbereitet hat und daß die angeklag. ten Direktoren keinerlei Verantwortung trisft. Ihr Eingreifen gegen den einmütigen Beschluß der Arbeiter wäre sogar unnütz gewesen und hätte nur einen Konflikt zwischen den Arbeitern und den Direktoren erzeugt. Was Krupp selbst betreffe, erinnert Moriand an die Tatsache, daß der Angeklagte sich zweimal als Zeuge vernehmen ließ und auch einer dritten Vorladung ohne Zögern von Berlin aus gefolgt ist. Der Verteidiger stellt sodann die Aussagen der Belastungszeugen denen der Entlastungszeugen gegenüber, um darzutun, daß die Arbeiter keine aggressive Ab­sicht hatten; sonst hätte der Betriebsrat nicht zwei Stunden mil dem französischen Offizier parlamentiert. Unter diesen Umstän­den sei es ganz unzulässig, eine Anklage auf Störung der öffent­lichen Ordnung oder gar auf eine Verschwörung der Direktoren gegen die Sicherheit der Besatzungstruppen zu konstruieren. Der Verteidiger weist dann auf die besondere Stellung des Herrn Krupp von Bohlen im Krupp'schen Unternehmen hin. Er habe nichts mit der Ausführung der Direktionsbeschlüsse zu tun und stehe dem ganzen Tatbestand fern. Die Freisprechung, so schloß der Verteidiger, ist unvermeidlich. Die Vernunft will siegen; die Gerechtigkeit verlangt Sieg. Die französischen Offiziere können ihre Ohren weder der Stimme der Vernunft noch der Stimme der Gerechtigkeit verschließen. Ich habe das unerschütterliche Ver­trauen, daß die französischen Richter die Gerechtigkeit über alles stellen und daß keine andere Macht sie beherrschen kann noch darf. Ihr gerechtes Urteil wird der Achtung begegnen. Der sprach­lich und kulturell den Franzosen eng verwandte Schweizer Jurist hat sich getäuscht, wenn er wirklich geglaubt haben sollte, daß der bis zum Wahnsinn gesteigerte Nationalhatz Gerechtigkeitsempfin düngen noch Zutritt zu dem künstlich überreizten Hirn der fran­zösischen Volkspsyche zulasse.

Die Neparationsfrage.

Verschiebung der Antwort des Reichskanzlers auf die französische Note.

Berlin, 11, Mai. Wie dieVossische Zeitung" meldet, hat der Reichskanzler die Absicht, am Freitag anläßlich der dritten Lesung seines Etats in einer Rede zu den Antwor­ten der Alliierten aujs die letzte deutsche Note Stellung zu