Nummer 304

Fernruf 1.7V

(Enztalbote)

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Wildbad. Montag den ZI. Dezember 1923

Fernruf 179

58. Jahrgang

Jahreswechsel

Mensch! hinter dir findest du in deinem Leben lauter Vorsehung, warum nicht vor dir? kann denn von deiner vergangenst die Zukunft abarten?

Jean Paul.

Achtlose Wege

Zum Neujahr 1924

Erloschen ist der Sonne Strahl, verwelkt die Rosen allzumal, mein Lieb zu Grad getragen.

Ich reit ins finstre Land hinein im Winterskurm ohn' allen Schein, de» Mantel umgeschlogen. Uhland.

bo gehen die Ernsten in das düstere Neuland des Jahres 1V24 hinein. Erstorben ist. was licht gewesen, zertreten, was unser Stolz war, lichtlos di« Wege. Jetzt, nehmt alle Kraft zusammenI Dazu reicht sie freilich heute nicht, daß wir uns vom Elend losreißen könnten, wenn wir nur ernstlich wollten. Es ist unbarmherzig, das immer wieder ins Volk hinein­zurufen. So drückt sich der Stachel nur tiefer hinein. Nein, sichtlor die Wege.

Eins aber ist deutlicher als je, u n s r « Pflicht. Wer fie jetzt nicht sieht, der will sie nicht sehen. Wir sind bettelarm geworden, das ist allen deutlich, seit die neue Mark den Mil­liardenschwindel entlarvt hat. Nun gilt es damit rechnen, r'-rklich einfach werden in Wohnung. Kleidung, Lebens­haltung und Genüssen. Jetzt ist es Pflicht, die Armut in die Lebenshaltung hineinnehmen, bis auf die Ansprüche an die

Geselligkeit und bis in die Kindererziehung hinein. Mr müs­sen hart werden gegen uns selbst. Dil'

Zieles, was früher Bedürf­nis war, darf nicht mehr sein. Wenn wir hinauswollen aus der Bettelarmut, so gibt es nur einen ehrenhaften und siche­ren Weg Arbeit und Sparen. Damit muß Schluß gemacht werden, daß man irgend welche Verdienstarbeit unfein und nicht standesgemäß findet. Wir müssen mehr leisten und Bes­seres als früher. Schande über jeden, der mühelosem Gewinn auf Kosten der andern nachjagt! Und dann: Wir sind der Spielball der Fremden geworden, weil wir vergaßen, daß wir eines Volkes Kinder sind. Werden wir wieder deutsch, brüderlich, hilfreich, freundlich, geduldig, bis das Band neu geknüpft ist.

Da lächelt mancher schmerzlich. Dieses müde Lächeln ist unsere Not, in ihm äußert sich die Hoffnungslosigkeit. Wir andern wollen zufassen, unsere Pflicht sehen und ihren Weg gehen, den Weg zu den Brüdern. Das Wollen genügt freilich nicht. Wir brauchen die Kraft, welche immer wieder über den toten Punkt hinüberhilft. Jetzt ihr Christen an die Front! Mit Recht sagt der neue Reichskanzler, das Volk will Taten sehen. Laßt euer Licht leuchten, euren Glauben, die Gewißheit, auch in Not und Chaos sei Sinn und Zweck. So demütiget euch unter die gewaltige Hand Gottes, daß er euch erhöhe zu seiner Zelt. Hinein in den lichtlosen Weg. ein­mal kommt die Treue ans Ziel. E. W.

Frankreichs tönerne Füße

Wer kennt nicht jenes merkwürdige Traumbild Nebukad- nezars von der Riesenfigur mit den tönernen Füßen? Ein Stein riß sich los und »schlug das Bild an seine Füße, die Eisen und Ton waren, und zermalmte es."

Auch Frankreich steht auftönernen Füßen". Wohl ver­fügt es heute über das größte Heer der Welt, und sein Kolo­nialreich, das Bismarck seinerzeit aus lauter Großmut nicht verhindert hatte, steht mit seiner gewaltigen Ausdehnung unter allen Kolonialstaaten an zweiter Linie. Aber wie ist's mit seinen Finanzen bestellt? Poincarä und seine Leute hüten ängstlich dieses Geheimnis. Ja, er verschmäht e» nicht in seinen nachgerade langweiligen Sonntagsreden, seinen Volksgenossen Sand in die Augen zu streuen, damit sie nicht den wahren Sachverhalt erkennen. Ludwig XV. trö­

stete sich und seine Umgebung mit jenem fatalen Trost: »Nach " Sinkst.

uns die Sinkflut". Und die kommt auch nach Poincare und wenn er ihre drohende Nähe noch so sehr verbergen möchte.

Der bekannte amerikanische Bankier Sinclair lüftet den Schleier, den die gegenwärtigen französischen Machthaber Poincare, Millerand, Loucheur und wie sie alle heißen, über Frankreichs Finanzlage ängstlich und sorgsam zuhalten. Sinclair hat sechs Monate Europa besucht. Er hat die Ver­hältnisse in Frankreich, Deutschland, Oesterreich, Italien und England genauer angesehen und das Ergebnis seiner Studien über Frankreichs Wirtschaftspolitik in der »D. Mg Ztg." be- kannt gegeben. Aus dem interessanten, mit genauen Zahlen belegten Stoff nur einiges Wenige und Wichtigste.

Während des Weltkriegs und bis Januar 1921 vermehrte Frankreich sein P a p i e r g e l d von 1350 auf 8400 Millionen Dollar. Zu gleicher Zeit sank die Golddeckung. Ende 1S20

Tagesspieqel

Die bayerische Regierung wird nächster Tage der Reichs­gierung eine Denkschrift über die Abänderung der Wei­marer Verfassung (Wiederherstellung des früheren Bundes- iaakssyskeins) zugehen lassen.

Der japanische Gesandte in Wien. Honda, so! zum Bot- .chaster in Berlin ernannt werden.

Der deutsche Großindustrielle Arnold Rechberg hak unbe- fugkerweise Poincare eigene Vorschläge gemacht, wie die Kriegsentschädigung zu zahl,m sei (namentlich auch durch Verpfändung und Auslieferung der Aktienpapiere). Das Vorgehen hat die vorauszusehende Wirkung gehabt, daß die Pariser Blätter halbamtlich erklären, die Vorschläge Rech, oergs beweisen, daß Deutschland zahlen könne und muffe.

Die Pariser Botschafterkonferenz wird erneut über die storderung der militärischen Aeberwachuna Deutschlands Zeschlutz fassen.

»Echo de Paris" meldet, die Beratungen de, franzöfi- chen Kabinetts über die Antwort auf die deutsche Denkschrift oom 24. Dezember seien zum Stillstand gekommen, weil die -on Deutschland angebotenen Bürgschaften ungenügend seien. Die Zusagen gehen zwar über diejenigen, die Rakhe- nau und Wirth seinerzeit gemacht haben, noch hinaus, aber

Frankreich müsse verlangen, daß Industrie und Kapital >» Deutschland kffe Sicherheitsleistung aufertegk we

Sie Angebot« erusLich behandelt werde« sollen.

werde, we«»

betrug sie nur noch 9 o. H. des Papiergeldumlaufs. Was war die Folge? Dasselbe, wenngleich in geringem Maß, wie in Rußland, Polen, Italien, Oesterreich, Ungarn und Deutsch­land: da die Ausfuhr von Erzeugnissen nicht Schritt hielt mit der Inflation d. h mit der Anschwellung des Papiergelds, sank die Kaufkraft des Franken. Die Durchschnittspreise der französischen Lebensmittel, wenn man sie im Juli 1914 aus 100 ansetzt, stiegen im Juli 1920 auf 373. Der Franken hatte am 17. November d. I., wo er einen jähen Sturz erlebte, nur noch ein Viertel seines Vorkriegswerts. Oder ein Dollar ist jetzt 20 Franken'wert.

Und wie steht es mit Frankreichs Schulden? Bor dem Krieg betrug die Staatsschuld 6652 Millionen Dollar. Im Krieg verausgabte die Republik 21 677 Millionen, von denen es nur 21 Millionen in Steuern aufbrachte (also Deutschland war nicht der einzige Kriegsstaat, der eine falsche Kriegs­steuerpolitik getrieben haben soll). Die Schuld stieg also nach dem Krieg auf 28 700, heute beträgt sie 60 000 Million«» Dollar! DieZins Verpflichtungen Frankreichs haben sich als« während der letzten zehn Jahre um das Zwölffache ver­mehrt. Sie betragen jetzt mehr als das Dreifache der ganzen Staatsausgaben Frankreichs vor dem Krieg. z

Während des letzten Jahrs betrugen die Ausgaben Frankreichs 45 Milliarden Franken, seine Einnahmen nur 22 Milliarden. Der Abmangel mit 23 Milliarden muß durch Anleihen aufgebracht werden. Nun aber hat schon seit länge­rem die Nachfrage nach französischen Wertpapieren stark nach­gelassen, und dies trotz erhöhten Zinsfußes.

Die Bevölkerung Frankreichs ist in den letzten zehn Jahren um zwei Millionen Seelen zurückgegangen. Während derselben Zeit sind stüe täglichen Einkünfte für den Kopf von 185 auf 150 Dollar gesunken. Dagegen ist die nationale Verschuldung von 166 auf 1605 Dollar auf den Kopf gestiegen Damit ist auch die Steuerlast um das Zehn­fache gesteigert worden. Aber nicbt die Großindustriellen haben sie hauptsächlich zu tragen, sondern sie liegt mit ihrem Uebergewicht auf den Schultern des Mittelstands und des Proletariats. Also eine verkehrte und ungerechte Steuerpolitik, die von den Großindustriellen, deren Sachwalter Poincare ist, begünstigt wird.

Dazu kommt noch, daß der größte Teil der französischen Guthaben im Ausland, etwa 85 Prozent von 8000 Millionen Dollar, durch den Krieg verloren ging. Dafür aber schuldet Frank ich dem Ausland, namentlich Amerika, rund 12 000 Millionen Dollar. Um diese ungeheure Schuld inner­halb 50 Jahren abzutragen, müßte Frankreich jedes Jahr um 750 Millionen Dollar mehr ins Ausland verkaufen als es einkauft. Das ist ausgeschlossen. Zu all dem treibt es eine ganz falsche Entschädigungspolitik. Statt die deut­schen Entschädigungsleistungen für den Wiederaufbau zu ver­wenden, hat es mit deutschem Blutgeld seine unsinnigen Be­satzungskosten bestritten und will daneben auf eigene Rech­nung den Wiederaufbau betreiben. Daneben leiht es Hun­derte, von Millionen an Polen, Tschechien uni» Serbien für deren Kriegsrüstungen aus.

Frankreichs einzige Rettung liege, meint Sinclair, genau wie bei Deutschland, in Vermehrung seiner Pro­duktion und in Verminderung seines Ver­brauch». 2« erster«, hat es sich bis jetzt unfähig erwiesen.

Gerade durch die » u h r b e s e tz u n g hat es, trotz üer gegen- teiligen Versicherungen PoincareS, erwiesenermaßen seine Produktion an Kohlen und Eisen verschlechtert. Poincare aber glaubt durch die Besetzung des Ruhrgebiets Deutschlands reichste Kohlenlager an sich reißen und damit den Ausfall aus- gleichen zu können. Es wird ihm nicht gelingen. Eher wird der Stein der Revolution sich losreißen und an die tönernen Füße schlagen und das ganze Bild zermalm«,.^

N e u e Nachrichten

Herabsetzung der Sohlenpreise

Berlin, R). Dez. Der Reichskohlenverband und der Gruß Ausschuß des Reichskohlenrats haben einstimmig beschloffen.

nach der Ermäßigung vom 15. Dezember eine weitere Preis-

gung r....-.. .

Herabsetzung bis 10 Prozent ab 2. Januar 1924 eintreten zr-

laffen, womit der Nettopreis ab Grube im unbesetzten Deutschland in Goldmark aus etwa 150 bis 130 Prozent de? Vorkriegspreises und damit wesentlich unter den Weltmarkt preis zurückgebracht wird. Es rrürd erwartet, daß in den Bergwerken durch die verlängerte Arbeitszeit bald die Bor kiegsleistung wieder erreicht wird, und daß die übrie Wirtschaftszweige die Preisermäßigung mitmachen, daß ins­besondere die Reichseisenbahn ihre übertriebenen Frachtsätze herabsetzt. Für das besetzte Gebiet, wo infolge des Jnb"- strieabkommens besondere Verhältnis)« herrschen, gelten dis Beschlüsse nicht.

keine Einigung über dl« Arbettszeik !m Ruhrgeblet,

Essen, 30. Dez. Die Verhandlungen des Zechenverbands mit den Angestelltenverbänden über die in Goldmark zu be- messenden Gehälter haben sich zerschlagen und somit kam auch keine Einigung über die Arbeitszeit zustande. Der Reichskommissar wird am 3. Januar einen Schiedsspruch fällen. Auch die Verhandlungen mit den Bergarbeiter­verbänden blieben ohne Ergebnis. Durch Schiedsspruch vom 30. November war der Gesamtdurchschnittslohn des Berg­arbeiters auf 4,20 Mark für die Schickt festgesetzt worden. Dazu kam eine Teuerungszulage von 25 Prozent des Gold­lohns. Diese Teuerungszulage wurde inzwischen von 25 Proz. auf 10 Prozent herabgesetzt. Viele Zechen haben erklärt, sie können nur mit Mühe die Goldlöhne aufbringen, wenn in der nächsten Woche die Teuerungszulagen nicht ganz Weg­fällen. Dagegen wehren sich die Bergarbeiterverbände.

Parleiverschmttzung iu Bayern

München, 30. Dez. Da die Deutsche Volks par- tei in Bayern durch die Abtrennung eines Flügels erheb­lich geschwächt worden ist und auch di« Demokratische Partei in Bayern viel Boden verloren hat, sind in letzter Zeit zwischen beiden Parteien Verhandlungen über eine Verschmelzung zu einer gemeinsamen Liberalen Par- t e i geführt worden, die vor dein Abschluß stehen sollen. Die Deutsche Volkspartei war bisher im Landtag mit der Deutschnationalen Volkspartei durch Arbeitsgemeinschaft in der Bayerischen Mittelpartei verbunden.

Vier Todesurteile iu Abwesenheit

Mainz, SO. Dez. Der vom Mainzer Kriegsgericht seiner-, zeit wegen versuchter Störung des Eisenbahnbetriebs zum Tod verurteilte Landwirtschaftsinspektor Georges aus Mannheim hatte in der Verhandlung angegeben, daß an dem Versuch drei weitere Mannheimer, Paul Bach, August Schneider und ein Ungenannter beteiligt gewesen seien. Letzter Tage fand nun gegen die drei Angeklagten, die schow lang« von Mannheim nach Stuttgart verzogen sind, die Verhandlung statt und das Kriegsgericht verurteilte sie in Abwesenheit zum Tode. Georges wurde seinerzeitzw lebenslänglicher Zwangsarbeit begnadigt" und verbüßt i seine Strafe in Saint Martin de Re.

Das französische Kriegsgericht in Essen verurteilte den Arbeiter Sablvwski zum Tode. Er war beschuldigt, in einer Fensternische des von den Franzosen besetzten Gebäu­des des Rheinisch-westfälischen Kohlensyndikats vor mehreren Monaten emen Sprengkörper niedergelegt zu haben. Sad- lowski gelang es vor einigen Wochen, aus der Hast zu ent­fliehen.

Wird die Reichsregierung dem verbrecherischen Unfug der fremden Kriegsgerichte, die auf deutschem Boden im Frieden Todesurteile und andere barbarische Strafen gegen deutsche Staatsbürger sich anmahen, nicht ein Ende machen? Wenn sie selbst nichts dagegen tun kann, warum erläßt sie nicht einen flammenden Protest cm dieVerbündeten" und an alle BÄker der Wett? . _ _ , ,

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