Nr. 97

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

Jahrgang.

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Freitag, den 27. April 1823.

In der Stadt mit TiSzerlohn S<XX> Mk. monatlich. Poslbezugiipret» S000 Mk.

ohne LesteSgeld. Einzelnummer 12V MI. Schluß der Anzeigenannahme s Uhr vormittags.

Neueste Nachrichten.

Zn Berlin wurde» »je Verhandlungen der Reichsregierung mit Parteien und Wirtjchastssührern über di« Frage eines neuen deutschen Reparationsangebots fortgesetzt. Wie wenig wir übrigens von der englischen Politik im allgemeinen und den Arutzerungen englischer Staatsmänner im besonderen zu erhoffen haben, das geht aus einem halbamtlichen Artikel Reuters hervor, wonach selbstverständlich keine Rede von einer englischen Vermittlung fein könne, «nd immer «och die Auf­fassung in London bestehe, daß Deutschland sich an Frankreich l!) mit neuen Vorschlägen zu wenden habe. Die letzte Rede Curzons hatte denen, die die englische Doppelzüngigkeit immer noch nicht erkannt habe«, wieder einmal Illusionen oorgega«- kelt.

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Die Berliner Presse weih von dem bevorstehenden Abschluß eines großzügigen Wirtschaftsabkommens »er deut­schen Industrie mit Rußland zu sprechen.

Im englischen Unterhaus« wurde die Frage eines bevorstehen­den Schritts der Entente gegen di« deutsche Schutzpolizei er­örtert. Man warf der Regierung vor, daß sie sich an dem Schritte beteiligen wolle, trotzdem sie erklärt habe, daß Deutschland sämtliche militärischen Bedingungen des Versail­ler Vertrags erfüllt habe.

Vor dem Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik wurde ge­stern mit den Verhandlungen über die Beschwerde der Deutsch- völkischen Freiheitspartei gegen die Auflösung ihrer Organi­sation in Preußen, Sachsen und Thüringen begonnen.

Das Reparationsproblem.

Die Frage des Angebots eines neuen deutschen Reparatiousplans.

Berlin, 27. April. Die Beratungen der Reichsregierung über die Frage eines deutschen Reparationsangebots wur­den, den Blättern zufolge, gestern hauptsächlich in Ressort- Lesprechungen fortgesetzt. Der Reichsverband der deutschen Industrie hat, wie die Blätter entgegen anders lautender Meldungen berichten, bisher keinerlei Beschluß über eine neue Garantiebereitschaft der Industrie für ein eventua­les deutsches Reparationsangebot gefaßt. Der Meldung einer sozialistischen Korrespondenz zufolge kehrt der Reichs­präsident heute nach Berlin zurück. Es sei zu erwarten, daß sich dann das Reichskabinett in Gegenwart des Reichspräsi­denten mit den Vorbereitungen eines deutschen Angebots befassen werde.

Die Übliche Nilckzugspolitik Englands.

London, 26. April. Die Havas-Agentur veröffentlicht heute eine offiziöse Erläuterung über die Bedeutung der letzten Curzon-Rede im englischen Unterhaus, die mit den Auslegungen und Warnungen der deutschen Korrespon­denten in London Lbereinstimmt. Die Agentur sagt, daß man in englischen offiziellen Kreisen darüber erstaunt sei, baß über die Bedeutung der Rode Lord Curzons noch Miß­verständnisse bestehen könnten. Es sei unverständlich, wie die Worte Curzons zu der Auslegung hätten führen kön­nen, daß England irgend ei« Vermittlungsprojekt im Auge habe, oder daß gar Deutschland ihm ein Projekt zur Rege­lung der Reparationsfrage unterbreiten solle. Er habe Deutschland durchaus klar zu verstehen gegeben, daß es sich nach der Ansicht des Londoner Kabinetts a« Frankreich zu Wenden habe, wenn es Verhandlungen zur Regelung der Lage im Ruhrgebiet einzuleiten beabsichtige. Ferner dementierte man in zuständigen Kreisen die Nachricht, England habe Deutschland irgend einen Vorschlag gemacht oder wolle ihn machen, der im Zusammenhang stünde mit der von Deutschland vorzuschlagenden Reparationssumme. Lord Curzon habe die deutsche Regierung nur davon in Kenntnis setzen wollen, daß der erste Schritt zur Beilegung der gegenwärtigen Schwierigkeiten für Deutschland darin bestünde, Frankreich zu benachrichtigen, daß es zu Verhand­lungen bereit sei.

Auch England schließt sich den Verdächtigungen gegen die deutsche Schutzpolizei an.

London, 27. April. Im Unterhaus fragte gestern das Parla- mentmitglied Wedgewood Ben den Premierminister, ob di« bri­tische Regierung irgend ein Abkommen mit ihren Allierten be­treffend bi« Organisation der deutsche« Polizei in militärisch«

Gruppen und andere darauf bezügliche Fragen getroffen habe. Guineß erwiderte, die Antwort laute bejahend. Wedgewood Ben fragte hierauf, ob Guineß nicht erst neulich dem Hause mitgeteilt habe, die Regierung sei befriedigt, daß Deutschland die Abrü­stungsbestimmungen des Vertrages aussühre. Guineß erwiderte, der Botschasterrat stehe in diesen Fragen mit der deutschen Re­gierung in Veribndung. Bezüglich der Einzelheiten könne er weiter keine Antwort geben. Wedgewood Ben fragte: Welchen Wert hat es, eine neue Forderung an Deutschland zu stellen, wenn die Regierung erklärt, befriedigt zu fein, und daß die Bedingungen ausgeführt wurde«. Guineß erwiderte, gewisse Tat­sachen feie« wahrscheinlich ans Licht gekommen und die Auf­merksamkeit der deutschen Regierung werde zweifellos aus diese Tatsachen gelenkt. Diese Frage liege in der Hand des Botschaf­terrats. Guineß selbst verfüge nicht über die verlangten Infor­mationen. Wedgewood Ben erklärt«: Die Antwort, die neulich gegeben wurde, lautete, daß die Bestimmungen durchgeführt wurden. Hat dies jetzt nicht mehr Geltung? Guineß erwiderte, anscheinend seien dem Botschasterrat einzeln« Beschwerden vor- gebracht worden. Das Parlamentsmitglied Derkley fragt«, welche Schritte die Regierung zu tun beabsichtige, um dieses Abkommen durchzuführen. Guineß erwiderte, die Regierung verhandle durch den Botschafterrat, aber natürlich könne er nicht sagen, welche Schritt« infolge dieser Frag« nötig fein würden.

Die französische Gewaltpolitik.

Die planmiitzige Fortsetzung der Gewalttaten.

Mülheim. 26. April. Die Franzosen haben für die Nam­haftmachung von Kriminalbeamte«, die sich im Besitz von Waffen befinden, eine Belohnung von einer Million Mark ausgesetzt.

Bingen, 26. April. Ausgewiesen wurden hier von der Bau­gewerkschule Direktor Tölk, Ingenieur Weiß, Ingenieur Kreb und Lehrer Fries, sowie der Polizeibeamte Wolf. DieMit­telrheinische Volkszeitung" ist auf 3 Tag« verboten worden.

Darmstadt, 26. April. Ausgewiesen wurden drei her­vorragende Industrielle der rheinhesstschen Industrie und zwar Kommerzienrat Böhringer und dessen Sohn Albert Vöhringer aus Niederingelheim, Dr. Popp, Inhaber der Vleilveißsabrik in Frei-Weinheim. Ferner wurde der hes­sische Landtagsabgeordnete Rechtsanwalt Dr. Schreiber aus Oberingelheim ausgewiesen.

Darmftadt, 27. April. Rechtsanwalt Beck von Alzey, der be­reits vor vier Wochen ohne Angabe von Gründen verhaftet worden war, ist gestern zum ersten Mal vernommen worden. Obwohl dabei seine völlige Schuldlosigkeit sich ergab, wurde er ausgewiesen.

Wetzlar, 27. April. Zn Dossenheim-Süd, Griesheim und Schwanheim wurden alle für di« Beförderung von Arbeitern dienenden Lastkraftwagen an den Uebergangsstellen von den Franzosen an der Weiterfahrt verhindert. Ein großer Teil der Personenkraftwagen wurde beschlagnahmt.

Speyer, 27. April. In Speyer, Kaiserslautern und Zwei- brücken sind von den Franzosen die Fürsorgestellen des Roten Kreuzes auf den Bahnsteigen verboten worden. Die Fürsorge­stelle in Kaiserslautern wurde am 22. April von vier französi­schen Kriminalbeamten durchsucht. Ins Militärgefängnis Kastrop wurden gestern der Generaldirektor Germann der Zeche Minister Brambauer" und Antonius Strohbusch wegen angeb­licher Sabotage eingeliesert.

Schandurteile der französischen Kriegsgerichte.

Landau, 26. April. Vor dem französischen Kriegsgericht wurden heute abgeurteilt Regierungsastesor Dr. Eschenbach in Breitenbach wegen Beleidigung von Angehörigen der Besatzungsarmee zu 1 Jahr Gefängnis und 106 000 Mark Geldstrafe, Zollassistent Löffler von Sanddorf wegen Zu­rückhaltung von Waffen zu 2 Monaten Gefängnis und Zollinspektor Settelmayr, der seine Beamten aufgefordert hatte, ihren Dienst weiter zu versehen, und der einen Re­volver nach Landau bringen ließ, zu 2 Jahren Gefängnis und 10 Millionen Mark Geldstrafe, die Zolls Menten Tremel und Mammock zu 1 Jahr Gefängnis, weil sie trotz ihrer Dienstenthebung durch die Besatzungsbehörden ihren Dienst weiterversehen haben, die Zollassistenten Bauer, Beckert, Scheidet, Mayer und Bierle aus demselben Grunde zu 6 Monaten Gefängnis. Emil Koch, der Führer der Ju­gendgruppe der kommunistischen Partei, und Wilhelm Mül­ler, Vorsitzender der Kommunistischen Partei in Kaisers­lautern, wurden wegen Verbreitung antimilitaristischer Schriften zu 1 Jahr bezw. 3 Jahren Gefängnis verurteilt.

Die Willkür der Franzosen grenzenlos.

Verhaftung eines Polizeiwachtmeisters im unbesetzten Gebiet.

Mannheim, 26. April. Heute nachmittag nach 4 Uhr wurde hier ein Polizeiwachtmeister, der an der außer­ordentlich verkehrsreichen Äelle diesseits der Neckarbrücke Dienst tat, von einem französischen Offizier, weil er den­selben nicht grüßte, verhaftet und durch 4 französische Sol­daten abgeführt. Bis jetzt ist der Wachtmeister noch n?cht frei gesetzt worden. Zu bemerken ist, daß die Stelle, wo der Wachtmeister verhaftet wurde, vollständig außerhalb des be­setzten Gebiets liegt.

Die planmäßige Unterbindung des Verkehrs durch die Franzosen.

Kreuznach, 26. April. Die Rheinlandskommisston hat die Beförderung von Reisenden, Paketen und Briefen mit den Autos der Reichspost verboten. Das Verbot tritt aus Anordnung des hiesigen Kreisdelegierten heute Nacht 12 Uhr in Kraft. Bei Zuwiderhandlungen werden die Wagen­führer verhaftet, die Reisenden vor Gericht gestellt und die Pakete und Briefe konfisziert. Jeder Autoverkehr, der den Zweck hat, di« Eisenbahn zu umgehen, ist vom gleichen Zeit­punkt an verboten.

Mainz, 25. April. Von heut« an haben di« Besatzungsbehör- den jeden Verkehr mit gedeckten oder offenen Personenkraftwa­gen, gedeckten oder offenen Omnibussen und Lastkraftwagen, ob sie der Post oder Privaten gehören, soweit sie der gemeinsamen Befinderung von Personen dienen, verboten. Hierunter fallen auch Taxameter und andere Personenkraftwagen, di« Personen, namentlich ausgewiesene Famili-n, befördern sollen.

Frankfurt a. M., 26. April. Infolge der Erenzschwierigkeiten, die seit heute vormittag im Automobilverkehr bestehen, hat auch die hiesige Oberpostdirektton den Verkehr ihrer Kraftwagen nach dem besetzten Gebiet einstellen lasten. Auch die sonstigen Kraftwagenlinien sind zur Einstellung ihres Betriebs gezwun­gen worden

Wieder ein Daterlandsverräter.

Trier, 26. April. Der Weingutsbesitzer Baden wurde von der französischen Besatzungsbehörde zum Zwangsver­walter der beschlagnahmten Domänen-Weinkellereien be­stellt. Baden, der seit langem verdächtig ist, ein Partei­gänger Dortens zu sein, entsprach dem Ansinnen der Fran­zosen und inspizierte gestern Nachmittag in Begleitung französischer Offiziere mehrere Kellereien der Domänen- vevwaltung. In der Bürgerschaft herrscht über die Hal­tung Badens größte Empörung.

Zur auswärtigen Lage.

Verhandlungen der deutschen Industrie über ein Wirtschaftsabkommen mit Rußland.

Berlin, 27. April. LautBerliner Lokalanzeiger" wur­den in der gestrigen Vorstandssitzung des Reichsverbands der deutschen Industrie Mitteilungen über Verhandlungen gemacht, die mit Rußland über ein großzügiges Wirt­schaftsabkommen eingeleitet seien. Näheres könne über die­sen Plan zur Zeit noch nicht gesagt werden.

Englisches Entgegenkommen gegenüber Rußland?

Moskau, 25. April. Wie die Russische Tel.Agentur aus Lon­don meldet, hat der britische Gerichtshof beschlossen, daß der russischen Freiwilligen Flotte neun Schiffe zurückzuerstatten sind

Die Konferenz in Lausanne.

Die Wirtschastsfragen.

Lausanne, 26. April. Unter dem Vorsitz des italienischen Delegierten Montague verhandelte heute das Wirtschafts komikee über die Artikel 799V des alliierten Vertragsent­wurfs. Die türkischen Delegierten erklärten wie bereits im Ver­lauf der ersten Lausanne! Konferenz, daß sie keine Einwendun­gen gegen die Durchführung der einschlägigen Bestimmungen dci Versailler Vertrags und der anderen Friedensverträge zu er heben gedenken, daß man ihnen aber nicht zumuten könne, die Roll« von ausfiihrenden Organen der Entente zu übernehmen Die Frage müsse von den Beteiligten direkt geregelt werden

Nachgiebigkeit Rußlands in der Meerengenfrage?

London, 25. April. Reuter berichtet aus Lausanne, daß die Haltung Zsmed Paschas, der in der ersten Kommission auf Ruß­land und die Meerengen Bezug genommen hat, beträchtliche Aufmerksamkeit erregt habe und als Anzeichen dafür aufgesaßt werde, daß Rußland beabsichtige, sein« Haltung zu ändern und den Vertrag »nkerzeichnen wolle. Di« Rückkehr der Rüsten nach Lausanne «erd« infolgedessen als wahrscheinlich angesehen.