(Enztalbote)

Amtsblatt für M'dbad. Chronik und Anzeigenblatt

Mr das obere Enztal.

Erscheint täglich, ausgenommen Sonn-«. Feiertag«. Bezugspreis im Oktober: 1. Loche Mk. 9 000 000. frei ins Haus geliefert; durch die Post bezogen im innerdeutschen Verkehr .... zuziigl. Postbeftellgeld. Einzelnummern 1500 000 M.:: Girokonto N. 50 bei d. Obrramtssparkafie Reuenbürg, Zweigstelle Wildbad. Bankkonto r Enzta'bank Komm.-Ges HSberle u. Lo. Wildbad. Postscheckkonto Stuttgart Str. 29174.

Anzeigenpreis: Die einsvaltige Petitzeile oder bereu Raum i. Bez. Grundvr. Ml. 30 außerh. 35 eknschl. Ins.- Steuer. Rekiamezriie 70 M. Bei größere» Aufträgen Rabatt nach Tarif. Für Offert.«. b. Auskunfterteilung werden jeweils 500000 M.-nehr berechnet Schluß der Anzeigenannahme: täglich 8 Uhr vorm. In Konkurs» fällen oder wer.» gerichtliche Beitreibung notwendig wird, fällt jede Rachlaßgrwährnng weg.

Druck der Buchdruckerei Wilddader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung Th. Gack in Wildbad.

Kummer 228 Fernrnf 17S Wildbad, Montag, den 1. Oktober 1923 _ Fern ruf 178

58. Jahrgang

Zwei Ausnahmezustände

Berlin und München

Ein in Berlin lebender bayerischer Jurist schreibt uns: Deutschland steht wieder einmal unter Velagerungsrecht. Darunter leidet auch die Presse und jeder, der mit ihr zu tun hat. Man darf nicht alles sagen, was man meint, nicht einmal alles, was man weiß.- Gleichwohl ist eine sachliche Betrach­tung erlaubt, die feststellt, was bis jetzt geschehen ist und was Sie nächste Sekunde dieser schweren Zeit bringen wird.

Ueber Nacht (im buchstäblichen S-iunj sind zwei Aus­nahmezustände geschaffen worden, ein bayerischer und einer des Reichs. Wie greifen die beiden Notverordnungen ineinan­der? Vergleicht man denWortlaut, fo könnte man auf denGe- danken kommen, daß die Münchner Erklärung das Aus- führungsgefetz der Berliner Maßnahmen darstelle, nur eben in bayerischer Lesart. Aber dies ist nicht der Fall. Vielmehr ist die Reichsregierung von der Ernennung des Herrn v. Kahr zum bayerischen Generalstaatskommissar und von d^m Erlaß der bayerischen Notverordnung überrascht worden. Das Kabinett Stresemann muhte, um Mitternacht zu einer Sitzung zvsammentrekm und eine Verordnung aosarbeiten, die zwar m ihren Grundgedanken bereitsgeplant war, nun aber plötzlich dem bayerischen Vorgehen anzugleichen war. Das ist jedoch nicht ganz geglückt. Ja, boshafte Kritiker, die es auch in dieser trostlosen innerpolitifchen Lage noch gibt, behaupten, die Reichsregierung habe mst ihrem Erlaß einen Leg en stoß gegen Bayern geführt. Das ist wiederum nicht der Fall. Trotzdem geht die Gleichung Berlin-München nicht ganz! auf. Es sind schwer lösbare Unterschiede vorhanden. Worin liegen sie?

Der bayerische Generalstaatskommissar ist unumschränkter Z i v i l d i k t a t o r. Er ist befugt, nach Paragraph 17 des Wehrgesetzes die Hilfe der Wehrmacht anzurufen. Die An­ordnungen und Verfügungen des Geller rlstaatskommissars, so heißt es weiter in dem Erlaß des bayerischen Staatsmini- s.sriums, gehen denen aller anderen Behördenmit Aus­nahme der obengenanten" vor. Dieobengenannten" Be­hörden sind: Gerichte, Verwaltungsgerichte und Militärbehör­den. Das sieht nun so aus, als unterständen die Militär­behörden, also die bayerische Reichswehr, dem Genernlstaats» b.-minsisar n i ch t. Da dieser aber unumtchränkter Diktator ist und die Hilfe der Wehrmacht anfordern kann, verfügt er tat­sächlich auch über die Reichswehr. Wie ist aber das Verhältnis »wischen Zivil- und Militärbehörden nach der Berliner Verordnung gestaltet? Paragraph 2 d-eser Verordnung be­stimmt, daß die vollziehende Gewalt auf den Reichswehr- minister übergeht, der sie auf M'litärbefehlshaver über­tragen kann. Also Reichswehrminister Dr. Geßler kann die "allziehende Gewalt auf den Münchner Milltärbefehlshaber General von Lossow übertragen. Er kann es! Aber der bayerische Protest würde nicht ausbleiben. Der Reichsmehr­minister kann aber noch mehr, nämlich im Einvernehmen mit -ein Reichsminister des Innern Zrvilregierungskommissare ernennen.

Man stelle sich vor, welcher Zusammenstoß entstehen konnte, wen» es dem Demokraten Geßler einfiele, im Einver- mhmen mit dem sozialdmokratischen Reichsinnenminister Sollmann in Bayern Unterdiktatoren zu ernennen. Aber es fällt ihm natürlich nicht ein, und so bedenklich auch die organischen Unterschiede zwischen dem Berliner und Münchener Ausnahmegesetz erscheinen, es gibt eine ver­nünftige und ausgleichende Lösung, nämlich wenn der baye­rische Diktator von Kahr dem Militärbefehlshaber von Los­sow in München als Zivilkommissar zur Seite tritt. Dann ist er Regierungskommissar nach Reichsrecht und Staats­kommissar nach bayerischem Willen. Der Reichstag, dem die Berliner Ausnahmeverordnung zur Annahme unterbreitet worden soll und in dem doch die baye:sichen AdaeordneDur ihren Einfluß geltend machen werden, kann diese goldene Brücke bauen und so die Lücke füllen, tue zwischen den nord­deutschen und den bayerischen Diktdturparagraphen klafft.

Die Währungsbank

Das Neichskabinett hat den ersten, verfehlten Entwurf der Währungsbank einer gründlichen Umänderung unterzogen, d:e besonders darauf abzielt, die Einwirkung der Wirtschaft auf die neue Notenbank zu beschränke. Während nach dem ersten Entwurf die Regierung nur das Recht hatte, einen vor­läufigen Präsidenten zu ernennen, soll sie nach dem neuen Plan zur Besetzung aller maßgebenden Stellen berechtigt werden. Es soll ein Verwaltungsrat eingesetzt wer­den, in dem nicht nur die Wirtschastsgruppen, sondern nun auch die Gewerkschaften vertreten.sind, obgleich diese von den Zwangsabgaben für die Bank n:cht betroffen wer­den. Dieser Verwaltungsrat schlägt den Präsidenten vor, die Regierung kann den Vorschlag annehmen oder bestäti­gen. Die Aufnahme der Gelverkschastsvertreter in den Auf­

sichtsrat gibt der Bankoerwaltung einen vorwiegend pani­schen Charakter.

Um eine größere Sicherheit der neuen Noten zu erzielen, :st die Höhe der Notenausgabe von 2.3 auf 1,2 herabgesetzt und die hypothekarische Belastung von 3 auf 4 Prozent er­höht worden. Die Beteiligung soll nicht mehr rach dem Wehrbeitrag, der die Neureichen nicht ersoffen kann, sondern nach der Zwangsanleihe vorgenommen werden. Die Verzinsung wird von auf 6 Prozent reduziert. Dagegen wird die Zuständigkeit der Währungsbank bedeutend erwei­tert. Der alte Entwurf sah nur bankmäßige Geschäfte mit dem Reich vor. Der jetzige Entwurf gestattet aber auch Ge­schäfte mit der Reichsbank in der Form, daß die Währungs­bank Eoldwechsel diskontieren darf. Die eigent­liche Kreditgewährung blieb noch der alten Vorlage aus­schließlich der Neichsbank überlassen, die sie nur gegen kurz­fristige Warenwechsel vornehmen durste. Der Geschäfts­bereich der Währungsbank ist in dem abgeänderten Ent­wurf genau umschrieben. Der wirtschastspolitischs Einfluß der Reichsbank, die im Gegensatz zur Währungsbank vom Reiche beaufsichtigt wird, bleibt jedoch u. a. bestehen.

Deutscher Reichstag

Me Anträge belr. Aufhebung des Ausnahmezustands ^

Berlin, 29. Sept.

In der gestrigen Sitzung beantragte Abg. Neuhaus- Düsseldorf, die politische Aussprache, die erst am Dienstag erfolgen soll, sofort zu eröffnen. Die unerhörte Behauptung des Zentrumssührers Marx, daß die Rheinlands von Preußen immer schlecht behandelt worden seien und daß sie nun ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen wollen, dürfe nicht länger unwidersprochen bleiben, da sie im Rheinland größte Verwirrung Hervorrufen. Abg. v. Guerard (Ztr.) erklärt, die Worte seines Parteifreunds Marx seien mißver­standen oder entstellt worden. Er (Guerard) lege sin Treu- bekentnis zum Reich und zu Preußen namens der rheini­schen Vertreter ab. Der Antrag Neuhaus wird abgelehnt.

Cs folgt die Aussprache über die Anträge der Kom- mMisten und der Deutschnationalen Volkspartei je auf Auf­hebung der neuesten Ausnahmeverordnung des Reichspräsidenten vom 26. September. Die Anträge werden einerseits von Abg. Könen (Komm-), anderseits von Abg. G r ä s-Thüringen begründet. Letzterer führt aus, die Arbeit des gegenwärtigen Kabinetts sei nach außen die völlige Kapitulation, nach innen der Belagerungszustand für das ganze Reich. Zu einer solchen Regierung könne man kein Vertrauen haben. Die Veranlagung des Deutschen schreie jetzt geradezu nach einem Diktator. Auf Bayern blicken die Deutschen mit sehnsüchtigem Hoffen; Herr v. Kahr an der Spitze des bayerischen. Ausnahmezustands bedeute ein völkisches Programm. Anders liege es mit der Aus­nahmeverordnung Eberts im Reich, die willkürlich ohne Reichstag erlassen worden sei. Die Rechte werde nicht ruhen, bis auch im Reich ohne Sozialdemokratie regiert werde wie in Bayern. Das deutsche Volk müsse seine Freiheit bis zum letzten Blutstropfen verteidigen, deshalb müsse man eine andere Regierung haben. Minister Sollmann erklärt, daß die Regierung zu den beiden Anträgen sich äußern werbe. Darauf wird die Aussprache auf Dienstag verscho­ben. In dieser Sitzung wird der Reichstag die Erklärung der Reichsregierung über -die Einstellung des passiven Widerstands entgegennehmen.

Neue Nachrichten

Sozialisierungsvorfchläge der Gewerkschaften Berlin, 30. Sept. Von gewerkschaftlicher Seite sind dem Reichsfinanzminsiter Hilferding folgende Vorschläge vorgelegt worden: Das Reich soll an den Erträgnissen der Privatwirt­schaft beteiligt werden und zwar in der Weise, daß z. B. A k- tiengesellschaften usw. ihre Geschäftsanteilscheine um ein Drittel erhöhen, das an das Reich abzutreten sei. Alle Privatunternehmun-gen in Handel Verkehr und Gewerbe mit über 100 Arbeitern oder einem Anlagekapital von mehr als einer Million Goldmark soll durch Reichsgesetz in Gesellschaftsform gebracht und gleichfalls mit der Drittel­abgabe belastet werden. Die übrigen kleineren Betriebe solle eine Reichsgewerbesteuer von einem Viertel ihres Reinertrags treffen. Auf inländischen Grundbesitz soll eine erststellige Grundschuld von einem Viertel des vom ab­gabepflichtigen Eigentümer angegebenen Werts zugunsten des Reichs eingetragen werden. Weiterhin soll das Erb­recht dahin abgeändert werden, daß Verwandte des dritten und weiteren Grads überhaupt nicht mehr erbberechtigt sein sollen, für diejenigen ersten und zweiten Grads soll die Erb­schaftsberechtigung auf einen Betrag von 100 000 Goldmark

vejchrankk werden; was darüber an Erbmasse vorhanden fft. soll dem Reich verfallen. Die Landwirtschaft soll wesentlich höher besteuert und der Steuereinzug gründlicher vorgenommen werden. Weiter wünschten die Gewerkschaften/ daß die Betriebsräte zur Ueberwachung der Steuer­erhebung herangezogen werden. Da Reichsfinanzminister Hilferding selbst der Sozialdemokratie angehört, wird man in den Vorschlägen sein eigenes Programm zu erblicken haben.

Die Löhne der Bergarbeiter

Berlin, 30. Sept. Für die Lohnwoche vom 24. Sept. bis 1. Okt. wurden im Rsichsarbeitsministerium vom Schlich­tungsausschuß die Vergarbeiterlöhne (ohne die Freikohlen usw.) auf den Arbeitstag festgesetzt im Ruhrgebiet auf 280. Sachsen 168, Oberschlesien 180, Mitteldeutschland 1S7.5 Mil, lionen Mark.

Nach Cayenne verschleppt

Elberfeld. 30. Sept. Nach bei derBergisch-Märkische« Zeitung" eingeangenen Nachrichtn sind die im Schlageter- prozeß zu langjährigen Freiheitsstrafenverurteilten" An, gehörigen der OrganisationHeinz" «adowski, Zimmermann, Becker, Pnllmann, Bisping und Werner in Cayenne einge, troffen. '

Generalstreik im Ruhrgeblel

Gelsenkirchen, 30. Sept. Die Kommunisten haben vis Antwort auf die Einstellung des passiven Widerstandes zu einem 24stündigen Proteststreik gegen die Regierung Strese- mann-Hilferding und die Arbeiter- und Vaucrnregierunq oufgerufen. Im Gelsenkirchener Bezirk schloß sich etwa ein Drittel an, die Arbeitswilligen wurden mit Gewalt aus den Gruben herausgeholt. Die Franzosen waren in Alarmbereit­schaft, brauchten aber nicht einzugreifen

In Bochum wurde beim Generalstreik eine Versamm­lung unter freiem Himmel, bei der aufreizende Reden gehalten wurden, von der Polizei auseinandergeirieben.

Ruhe ln Bayern

München, 30. Sept. In Bayern ist bisher die Ruhe von, keiner Seite gestört worden. Der Generalstaatskommissar oonKahrhat eine beträchtliche Sammlung erreicht. Hinter , ihm stehen geschlossen die bayerische Reichswehr, die Landes­polizei, die Vereinigten vaterländischen Verbände (frühere Einwohnerwehr,Bayern und Reichs und die Beamtenschaft von Verkehr und Verwaltung). In Opposition stehen außer )en Linksparteien die Nationalsozialisten und der Kampfbund (die den Nationalsozialisten jetzt angesthlos- senen VerbändeOberland" undReichsflaggs"), die darüber erregt sind, daß Kahr die am letzten Mittwoch geplanten 14 Massenversammlungen der Nationalsozialisten verboten hat. Vor demVölkischen Beobachter" kam es zu einer Kund­gebung für Hitler, der vom Ferrster aus eine beruhigende Ansprache hielt. Die Menge ging dann ruhig auseinander. Man glaubt, daß zwischen v. Kahr und Hitler eine Verständi­gung zu erzielen ist.

DieBayerische Staatszeitung" erklärt, es sei unrichtig, von einer Diktatur in Bayern zu sprechen. Von einen: Ge­gensatz zwischen Bayerischer Negierung und Reichsregierung könne keine Rede sein. Die bayerische Regierung habe von ihrem Entschluß Berlin sofort Kenntnis gegeben. Die Voll­macht sei Herrn von Kahr übertragen worden, weil man von seinem Einfluß auf die rechtsstehenden Kreise in Bayern dos Beste für die Erhaltung der Ruhe erwartete. Darin habe man sich nicht getäuscht. In Berlin werde man hoffentlich einsehen, wie unrecht man bisher Kahr getan habe, daß man ihn auch nur des Gedankens für fähig hielt, Bayern vom Reich loszutrennen.

Daffenfun-e

Del einer Durchsuchung des Hauses der sozialdemokrati­schenMünchener Post" wurden Maschinengewehre, Muni­tion und Handgranaten gesunden und beschlagnahmt.

Der Reichswehr-minister hat nach der Soz.dem. Korresp das nationalsozalistische HauntblattVölkischer Beobachter" im ganzen Reich außerhalb Bayerirs verboten.

Der Ausnahmezustand im besetzten Gebiet verboten

Düsseldorf, 30. Sept. General Degoutte hat den deutschen Behörden die Ausführung der Ausnahmeoerordnuug des Reichspräsidenten ohne besondere Erlaubnis in jedem Fall verboten.

Aufhebung von Sperrmatznahmen

Berlin, 30. Sept. Nachdem die Reichsregierung den Ab­wehrkampf an Rhein und Ruhr abgebrochen hat, haben der Reichspost- und der Reichsverkehrsminister die von ihnen er­gangenen Anordnungen, soweit sie den ALwehrkampf be­trafen, aufgehoben.