37 Milliarden geraubt

Paris, 9. Juli. Nach einer Havas-Meldung aus Düssel­dorf ist in der Nacht vom 6. zum 7. Juli in Maximiliansau bei Ludrvigshafen ein Transport von 37 Milliarden Mark beschlagnahmt worden, der angeblich zur Bezahlung von Streikunterstützungen für die Eisenbahner bestimmt war.

In Pirmasens wurde das Postamt bis 14. Juli besetzt, angeblich, weil es einige von den Besetzungstruppen ge­wünschte Fernsprechanschlüsse nicht ausgeführt hatte.

In der Pfalz regnete es wiederSanktionen". Auf dem Schienengleis zwischen Neustadt und Speyer soll ein Haufen Ziegelsteine gesunden worden sein.

Bei neueren Ausweisungen in Recklinghausen wurde morgens 6 Uhr von den Franzosen so gewalttätig gegen die Familien verfahren, daß selbst französische Sol­daten sich weigerten, an der Bestialität weiter mitzumachen.

In Aachen wurde ein noch unbekannter-Mann von einem belgischen Posten erschossen.

Bei Linz am Rhein fand man den Arbeiter und Kriegs­invaliden Alster aus Ockenfels in unmittelbarer Nähe eines marokkanische» Postens furchtbar verstümmelt und tot auf. Die Kleider waren zerrissen. In der Luftröhre fand man einen Fingernagel mit Fleischteilen. Ohne Zweifel ist Alfler ron den braunen Franzosen ins Nachtlokal geschleppt und in viehischer Weise vergewaltigt worden, worauf verschiedene Verletzungen an der Leiche Hinweisen. Dabei scheint er einer der Bestien die Fingerspitze abgebissen zu haben. Die Leiche wurde dann auf die Straße geworfen. Der französische Kom­mandant verweigerte die Bestrafung der Täter.

Geiseln für Spione

Düsseldorf, 9. Juli. Wegen der Verhaftung eines in Mannheim wohnenden Spions namens Edmund Schril­les sind der Professor an der Düsseldorfer Kunsthochschule Keppler, der Bankdirektor Sommerfeld in Essen, der Iustizrat Nieder st ein in Bochum und der Gymnasial­lehrer Weichrag in Dortmund auf Befehl des General» Degoutte als Geiseln verhaftet worden.

Aufruf des Kardinals Dr. Schulte

Köln, 9. Juli. Kardinalerzbischof Dr. Schulte richtet an seine Diözesanen einen Aufruf, in dem er auf den Papst­brief Bezug nimmt und in dem es u. a. heißt:Es ist frag­los, daß die Entwicklung der Dinge, unter denen unsere tapfere Bevölkerung an Rhein und Ruhr so namenlos zu leiden hat, einem entscheidenden Wendepunkt naheaekommen ist. Daher drängt es mich, die unerschütter­liche Beharrlichkeit eures guten Willens, der unter Wahrung von Pflicht und Ehre nur nach Frieden und Versöhnung strebt, nochmals wachzurufen und euch inständig zu bitten, die Bemühungen unseres Heiligen Vaters, die Bestrebungen unserer Regierung und überhaupt aller, die irgendwie ehr­lich für den Weltfrieden arbeiten, in diesen schicksalsschweren Tagen und Wochen mit eurem unablässigen Gebet zu be­gleiten.

Das Leben lahmgelegl

London. 9. Juli. DieTimes" veröffentlicht eine Zuschrift, in der der konservative Peer, Lord Lamington, früherer Gouverneur von Bombay, beschreibt, wie er mit der Fran­zosenbahn von Frankfurt nach Koblenz von vormittags 7 bis über 6 Uhr abends unterwegs war. Er setzt hinzu:Ich kann alles bestätigen, was Ihnen ein anderer Berichterstatter über die vernachlässigten Zustände der Lokomotiven und Wagen mitteilte. Soweit ich sehen konnte, war das Leben des Lan­des von Krisgsheim bis Koblenz buchstäblich lahmgelegt. Man könnte gerade so gut von einer Familie verlangen, sie soll eine große Summe Geldes zahlen und dann ihre zwei Ernäh­rer auf den Kopf schlagen, als von Deutschland verlangen, es solle Entschädigungen zahlen, während die Ruhr und anderes deutsches Gebiet von den Franzosen besetzt sind."

Der englische und amerikanische Botschafter bei Poincare

Paris, 9. Juli. Poincare wurde nacheinander von dem englischen Botschafter Lord Crewe und dem amerikanischen Botschafter Herrick besucht. In den Pariser politischen Krei­sen erregen die Besuche das größte Aufsehen, da man befürch­tet, daß es England bereits gelungen sei, die Vereinigten Staaten zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen Frankreich zu gewinnen. In dieser Woche wird eine Erklärung des britischen Erstministers Baldwin erwartet, daß die Politik Frankreichs keine Klarheit bezüglich des Fragebogens er­

«... es zogen drei Arsche« mhl iidcr de» Rhein...!" «

Roman von Erica Grupe-Lörcher s9

.Dann wird es Sie angenehm berühren, Herr v. Schätzer, daß wir das diesjährige Fest zum Besten der Armenverwaltung ganz im Rahmen einer vaterländischen Kirchweih halten werden. Gerade eben kam ich her, um mit meinen Freunden hier Details zu besprechen!"

Eine famose Idee! Ich komme auch! Aus unserer Verbin­dung wollen ja auch einige Freunde mitmachen, nicht wahr, Raymund? Und noch uns bekannte Studenten"

»Das ist uns lieb, Herr v. Schölzerl Ich bin Mitglied des Komitees. Und ich kann Ihnen versichern, es freut uns, wenn von Jahr zu Jahr gerade dieser Wohltätigkeitsball sich immer mehr zu demjenigen Feste auswächst, auf welchem einheimisch-elsässische und deutsche Kreise sich zusammenfinden und einige Stunden sich gemeinsam vergnügen!"

Fritz Wenger zog die Uhr.Ich muß aufbrechen. Wir haben nachher eine Komiteesitzung."

Aber Raymund zog seinen Stuhl um eine Kleinigkeit näher zum Freund heran:On Moment! Ich muß noch eben wegen des Charles Dubais mit dir reden! Der will die Dekorationen über­nehmen!"

Während die beiden Herren sich in eine geschäftliche Ängelegen- heit vertieften, gerieten Dietwart und Melusine in ein Gespräch. Dem Fritz Wenger aber wurde es unterdessen etwas unbehaglich. Er wußte selbst nicht, warum überhaupt eine Unbehaglichkeit in , ihm aufstieg. Aber er hörte Melusine wiederholt im Gespräch mit Herrn v. Schölzer leise auflachen. So silberhell, so entzückend, so erfrischend wie eben nur sie für seine Begriffe lachen konnte. Sein Herz tat mühsame schwere Schläge. Bei einer leichten Wendung des Kopfes sah er genau, wie Herr o. Schätzer ihr etwas entgegen­geneigt saß, und ihr voll ins Gesicht blickte. Ach, in diesem reizen­den pikanten Mädchenangesicht funkelten eben hundert Sprüh­teufelchen des Vergnügens und der Lebenslust! Waffenlos war Fritz Wenger schon als Junge diesem Lachen von der kleinen Me­lusine gegenüber gewesen! Den schönsten Dank sah er in ihrem Lachen, wenn er sie durch irgend etwas erfreut hatte. Und die ver­rücktesten Dinge hätte er auf ihre Bitte unternommen, wenn ein solches Lachen seine Müh» gekrönt hätte.

hoffen lasse. Baldwin wird voraussichtlich auch darauf Hin­weisen, daß durch die Ruhrbesetzung die Leistungsfähigkeit Deutschlands vermindert und die anderen Verbündeten ge­schädigt werden.

Der Papst mahnt Frankreich und Belgien Rom. 9. Juli. DerOsservatore Romano" bestätigt, daß der Papst in Rom und Brüssel amtlich die Hoffnung aus­sprechen ließ, daß die beiden Regierungen wegen des An­schlags gegen den Urlauberzug in Duisburg keine Maßnah­men ergreifen werden, die die Spannung mit ihren Folgen vermehren würde::, (In Paris hatte man einen solchen Schritt des Papstes abgeleugnet.)

*

Das Urteil für die Saar-Regierungskommission Genf, 9. Juli. In geheimer Sitzung wurde das Ver - hör der Saarkommission vom Ausschuß des Völkerbunds­rats zu Ende geführt. Auf die erste, besonders angefochtene Notverordnung" vom 7. März ging der Ausschuß nicht weiter ein, da sie von der Regierungskommission (nach einein Entrüstungssturm der Saarbevölkerung und ent­sprechenden Vorstellungen) selbst durch eine andere ersetzt worden sei. Der Ausschuß vertraut aber, daß die Einsicht der Kommission sie den Augenblick bestimmen lassen werde, wo auch dis zweite Notverordnung aufgehoben werde. Von deinA m n e st i e e r l a ß" fürVergehen" gegen die (un­erhörten) Verordnungen nahm der Ausschuß m>t Befriedi­gung Kenntnis. Die Einfübruna der Frankenwäh- r u n g im Saargebiet wird gebilligt. Es wird gewünscht, daß die französischen Truppen aus dem Saargebiet zu­rückgezogen werden, sobald die örtliche Gendarmerie ge­nügend ousgebaut sei. Ein sehr gelinder Tadel, aber dach immerhin ein Tadel.

Neue Nachrichten

Vom Reichstag

Berlin. 9. Juli. Der mit halbem Fuß schau im Feuien- land stehende Reichstag hatte > n Samstag noch die seHr wichtige, aoer nicht minder schwierige Frage der wert­beständigen Entlohnung zu behandeln. Das In­teresse war bei der Tageslütze und dem Reisefieber nicht gar groß. Einstimmig war alles, was anwesend war, daß die Gehalts- und Lohnempfänger in eine unerträgliche Lage geraten, wenn der Dollarkurs und die Warenpreise von Tag zu Tag nach oben springen. Aber wie die Wertbeständigkeit zu machen s«, ehe nicht die Währungsnot überhaupt über­standen ist, das entdeckte der Reichstag nicht, auch nicht die Antrag stellende sozialdemokratische Fraktion, dis eine feste Lohnberechnung auf Grund des Index verlangte. In Oester­reich hat man den Versuch gemacht, es hatte aber nur den Erfolg, daß die Preise sofort und um vieles schneller nach­folgten als in Deutschland, so daß dort jetzt, obgleich die Währung endlich fest geworden zu sein scheint, die Waren­preise doppelt so hoch sind, wie in Deutschland. Ein Zen­trumsantrag wurde schließlich, nach Ablehnung des sozial­demokratischen, angenommen, der grundsätzlich mit der Wertbeständigkeit der Entlohnung einig geht, aber die Ein­zelheiten des' Anpassungsverfahrens der Einigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern überlassen will. Tatsächlich wird also nur gewünscht, daß die beiden Parteien sich auf möglichst annehmbarer Linie zusammenfinden mögen.

Der Reichstag vertagte sich auf unbestimmte Zeit.

Die Reichsfeierkage

Berlin, 9. Juli. Das Gesetz über die Reichskeier - tage ist vom Reichstag nicht mehr erledigt worden. Für die christlichen großen Feiertage, den Eefallenengedenktag und den Verfassungstag war eine Mehrheit gesichert, die Revolutionstage 1. Mai und 9. November wurden dagegen von der Mehrheit abgelehnt. Das Gesetz wurde zu­rückgestellt. Trotzdem soll die Weimarer Bersas- sungsfeier auch in diesem Jahr durchgeführt werden, und zwar soll, um auch die ablehnenden Volkskreise für den noch nicht gesetzlichen Feiertag heranzuziehen, mit dem Tag eineRhein- und Ruhrfeier" verbunden werden.

Die Gehallsregelung

Berlin. 9. Juli.. Nach den im Reichsfinanzministerium

getroffenen Vereinbarungen wird ab 1. Juli der Teuerungs­zuschlag bei den Beamtenbeziigen um ISO Prozent auf 237 Prozent, der Frauenzuschlag auf 166 000 monatlich erhöht und die Nachtdienstzulage verdoppelt. Die höchsten Orts- sonderzuschläge wurden etwas gekürzt, dagegen die Be- sctzungszulage von 80 000 aus 144 000st und die Kinder­zulage im besetzten Gebiet auf 28 000 -A sowie die Orts- jonderzufchläge im allgemeinen erhöht. Die Erhöhung des Gesamteinkommens beträgt wie bei den Reichsarbei­tern 80 Prozent.

Vermittlung im Berliner Melaklarbüterslreik

Berlin, 9. Juli. Der Reichsarbeitsminister hat Arbeit­geber und Arbeitnehmer der Berliner Metallindustrie zu einer Verhandlung eingeladen, die heute stattfindet. Die Kommunisten versuchten, durch Fernsprüch? weitere Betriebe zum Streik zu bringen. Die Streikleitung hat daher ange­ordnet, daß nur persönliche Streikmitteilung gültig sei.

Der Streit um den Welfenfonds.

Leipzig, 9. Juli. Das Reichsgericht hatte gestern über einen Rechtsstreit endgültig zu entscheiden, den das Haus Braunschwcig-Lüneburg mit dem preußischen Staat über Len Welfenfonds führt. Der preußische Staat hat das Recht, von ii)en Zinsen des Welfenfonds, der in Höhe von 48 Mil­lionen Mark an König Georg V. von Hannover für den Verzicht auf die hannoversche Königskrone gezahlt worden war, 300 000 -ll für die Erhaltung des Schlosses Herrn­hausen bei Hannover zu verwenden. Infolge der fortschrei­tenden Geldentwertung hatte der preußische Staat auch die weiteren Zinsen dieses Fonds angegriffen. Dagegen hat das 'Haus Braunschweig-Lüneburg Feststellungsklage erhoben, die vom Landgericht abgewiesen, vom Kammergericht aber genehmigt worden war. Die hiergegen vom preußischen Staat eingelegte Revision ist vom Reichsgericht verworfen worden.

Lus Urteil im Münchener Hochverralsprozetz

München, 9. Juli. Das Volksgericht München l hat heute das Urteil >m Fuchs-Machhaus-Prozeß verkündet. Es lautet gegen Pros. Georg Fuchs wegen eines Verbrechens des Hochverrats auf 12 Jahre Zuchthaus, abzüglich 4 Monaten Untersuchungshaft, ferner auf 2 Millionen Mark Geldstrafe, sowie auf Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von 10 Jahren; in der Richtung gegen den Kaufmann Johann Munk wegen eines Verbrechens der Beihilfe zu einem Verbrechen des Hochverrats auf 1 Jahr 3 Monate Zuchthaus, abzüglich 6 Monaten Untersuchungshaft und 30 Millionen Mark Geldstrafe, sowie auf Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer oon 3 Jabren und Ausweisung aus dem Reichsgebiet. Munk und Fuchs haben die Koste.'. des Verfahrens zu tragen. Gegen die Ange­klagten Johann Berger, der aus der in anderer Sache inzwischen über ihn verhängten Untersuchungshaft vo>-geführt wurde, sowie gegen die Brüder Rudolf und Richard Guter- mann erkannte das Gericht auf Freisprechun g.

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Der Streit zwischen Danzig und Polen

Genf, 9. Juli. Der Völkerbundskommissar Macdonald (England) hat den polnischen Vertreter Plucinski veranlaßt, nach Warschau das Ersuchen zu richten, alle Maßnahmen der polnischen Regierung gegenüber Danzig aus den letzten Tagen noch vor der grundsätzlichen'Entscheidung des Völ- kerbundsrates, die für heute, Sonnabend, zu erwarten ist, auszuheben. Eine Antwort der polnischen Regierung steht noch aus, doch haben tatsächlich die Maßnahmen der.pol­nischen Regierung noch eins Verschärfung erfahren dadurch, daß gestern an der polnisch-Danziger Grenze Lebensmittel­transporte angehalien wurden, nach Danzig Reisenden wur­den alle Lebensmittel abgsnommen, auch Viehtransporte und Mikchsendungen wurden angehalten.

Der Völkerbundsrat trat in der Beschwerde Dan­zigs gegen Polen idem Bericht von Quenones de Leon (Spanien) bei, das polnisch-Danziger Uebsreinkommen von 1920 stelle eine Erläuterung und Ergänzung des Artikels 104 des Vertrags von Versailles dar und habe als Richtlinie zu gelten. Bei Streitfragen sollen sich die beiden Parteien an den Völkerbundskommissar oder an den Völkerbundsrat wenden, es gehe jedoch nicht an, daß ein Teil (Polen) den Entscheidungen des Völkerbundsrats eigenmächtig vorgreife. Der Präsident von Danzig, Dr. Sahm, erklärte, die Auf­fassung Danzigs stimme mit den Grundsätzen des Berichtes vollkommen überein.

Wenn es nun Herrn v. Schölzer ihr ebenso bedingungslos aus- lieferte?

Sie ist ein ganzer kleiner Racker!" fuhr es dem etwas ernsten und schwerfälligen Fritz Wenger durch den Sinn.Ein kleiner Racker, der jeden am Bündel führt, den sie sich aufs Korn nimmt!"

Trotzdem drängte sich seine "'ewissenhaftigkeit jetzt wieder vor, und er brach auf, um nicht verspätet zur Sitzung zu kommen. Als sie bei der Verabschiedung ihre Hand i. die seine legte, und ihm nochmals mit einigen Worten des Dankes in die Augen sah, var er wieder beglückt. Er schied mit ihrer Zusicherung: daß sie als seine .Metztimaib" beim Umzug auf der Kirchweih am Ballabend mitmachen würde.

Raymund geleitete den Freund hinaus. Anscheinend gerieten beide draußen auf dem Gang und vor der Entrestür nochmals in ein Gespräch, denn es verging eine Weile, bis er zurückkehrte. Die wenigen Minuten aber genügten, um drinnen im Zimmer zwischen dem zurückbleibenden jungen Paare verhängnisvolle Fäden voll süßer geheimer Zartheit anzuknüpfen.

Sonderbar, wie ein einziger Augenblick ein Menschenherz in seinen Tiefen zu erfassen, ein Schicksal in seinen Angeln zu wenden vermochte!

Mit dem eigen feinen Tastsinn des Liebenden hatte Fritz Wenger soeben das Richtige geahnt. Dietwart v. Schölzer begann, sich in die Baronesse zu verlieben. Zum erstenmal hatte er den Reiz ihres Lachens auf sich wirken lassen. Und nun zwang ihn weiter vibrierendes Gefühl die Situation einiger unbeobachteter Momente zu nutzen.

Beide hatten ihre Plätze noch nicht wieder am Rundtische eingenommen, und da sich gerade jetzt der^erste klare Sonnenstrahl des Wintertages Hindurchrang und breit ins Fenster hereinlegte, eilte Melusine auf den Blumenflor auf der Blumenkrippe zu und rief:Sehen Sie nur, Herr v. Schölzer, wie entzückend die Sonne aus all den rosa Alpenveilchen liegt!"

In wenigen Schritten stand er neben ihr, während sie sich ent­zückt über das leuchtende Gewirr der Blumen und den zarten grünen Ranken der Afpargora beugte. Zum Kuckuck! Mo hatte er denn bis jetzt seine Augen gehabtl So manchesmal war er schon seit Jahr und Tag in dieses Haus gekommen, als Freund von Raymunds und hatte so wenig auf seine reizend) junge Schwe­ster geachtet? Allerdings, sie hatte sich immer wenig sehen lassen, wenn er zu kurzen Besuchen, die ausschließlich Raymund gatten, herkam. Dann war sie längere Zeit auswärts in Pension ge­wesen. Aber jetzt?

Baronesse, ich muß Ihnen ganz offen gestehen, daß mich mein Weg heute in Ihr Haus auch zu Ihnen geführt hat! Ja, auch zu Ihnen! Es sollte heute mein Dank an Sie und Ihren Bruder für die Rettung und all die Hilfe sein, die Sie mir neulich bei der Gefahr des Ertrinkens zuteil werden ließen!"

Sie wandte ihm den Blick zu. Ein Schatten huschte über ihre lebhaften, ausdrucksvollen Züge, welche jode Herzensregung wider- spiegelten. Für Sekunden traten die Augenblicke wieder vor ihre Erinnerung: wie sie, den Kopf erschöpft vor Erregung und Span­nung an die Wand zurückgelehnt, draußen auf dem Gang zitternd den Ausgang des Kampfes zwischen Tod und Leben drinnen im Zimmer abgewartet hatte.

O, Herr v. Schölzer, wir taten doch ganz Selbstverständliches! Aber jener Abend war entsetzlich! Ich kann Ihnen nicht be­schreiben, in welcher Stimmung ich zum Arzt gefahren bin. Und dann nachher auf dem Gang vor Ihrem Zimmer wartete, ob mein Bruder mir die Nachricht von Ihrer Rettung bringen könnte, oder nicht!"

Auch ihm stieg die Erinnerung an jenes Erlebnis deutlich vor Augen. Als er damals wieder zu sich kam, als langsam langsam der Nebel um ihn rings sich zu verteilen begann, hatte er Mühe gehabt, sich auf alles zu besinnen. Er hatte sich mit Raymund zu wett vom Schloßweiher aus auf die verzweigten Nebenarme des Rheins hinausgewagt. An einer Stelle, an der ihnen die Glattheit des Eises wunderbar gut zugesagi, war Raymund einge­brochen. Da er unmittelbar neben ihm lies, konnte er ihm zu Hilfe eilen. Mit starker Kraft brachte er den Freund hoch, um dann als kaum der andere wieder auf den Eisschollen stank, sechst einzubrechen und mit großer Schnelligkeit unterzusinken, do alle Tisstücke, nach denen er als Hall greisen wollte, wie brechender Zunder nachgaben und herabknickten. Do hatte es sich wie ein dumpfer schwerer Schlag über ihn gestürzt und ihn in liefst« Nach: gehüllt bis er sich in einer ihm völlig unbeka-nnken Umgebung wiedergesunden! Wie war er nur in dieses Zimmer gekommen? Er war doch nicht plötzlich in eines der französischen Rokokoschlösser aus der Umgebung von Paris entrückt worden? Ein geraffter Betthimmel in erdbeerfarbenem welchem Cachemir über dem sehr breiten Lager? Die weißen Wände rings als Fries mit goldenen Arabesken und feingeschwungenen Schnörkeln verziert. Das ganze Ambenblement in Hellem Rokoko gehalten. Aber hier an seinem Bette, ihm zu Häupien stand ja Raymund über ihn geneigt! Ja, jetzt erkannte er ihn! Der Gute, mit einem Plick von unend-, licher, noch verhaltener, kaum glaubender Freude! (Forts, folgt.).