Nummer

Kernrus 178

(Enztalbote)

Amtsblatt für M'dbad. Chronik nnb Anzeigenblatt

für das obere Cuztal.

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Druck der Buchdruckerei Wilddader Tagblatt; Verlag und Schriftleituag Tb. Gack in Wildbad

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Wildbad, Montag, den 29 Januar 1923

Fernruf 179

58. Jahigan-

Eine rheinische Währung?

Während die^ rheinische Verräkergeseilschafk der «Sonder-, bündler" immer noch mit dem Rheinischen Franken hausieren geht, zu dem sie nichts Neues zu sagen weiß, hat der Pariser «Temps" kürzlich von einer T a lerwährung gesprochen, die man in Rheinland und Westfalen einführen könne, ein Vorschlag, der nichts als ein täppischer Verschleierungsver- such zur Einführung des entwerteten französischen Papierfrankens wäre. Einige Tage später fand man im «Temps" den triumphierenden Satz, daß die Franzosen mit ihrem Einmarsch ins Ruhrgebiet den «Reichtum" ver­nichten, der es der Berliner Regierung gestatte, ins Unge­messene Papiergeld auszugeben. In der Sonnkagnummer oom 21. Januar, begeistert sich der «Temps" wieder an einer neuen Idee. Er will alle bis zum Einmarsch der französischen Truppen im Ruhrgebiet ausgegebenen deutschen Geld­scheine ab stempeln lassen, soweit das Ausgabedatum vor dem Tag des Einmarsches liege. Man muh über diese Unkenntnis der Dinge tatsächlich staunen. Denn jedermann weiß, daß auch heute und künftig noch RUllionen von Reichs- banknoken mit dem Datum vom September und Oktober ,1922 ausgegeben werden.

Die Möglichkeit, in einem bestimmt abgegrenzken Gebiet neues Geld auf Grund einer neuen Währung auszugeben, st jeder diktatorischen Gewalt verliehen. Frankreich kann also im besetzten Gebiet einen Franken oder Taler oder Dulden oder sonst etwas ausgeben und in Umlauf setzen. Es fragt sich nur^ wer das Geld annimmt und welchen Wert es international haben wird, denn es müssen ja m>t ihm Lebensmittel und Rohstoffe für das Rheinland auf oem Weltmarkt eingekauft werden. Einen bestimmten Wert aber erhält das Geld erst durch die bankmäßige Un­terlage, auf der es beruht. Gibt man, wie der famose Gedanke besagt, Kohlengukscheine und Aehnliches als Unter­lage an, so haben diese die gleiche Bedeutung wie die Do- mänengüter, auf deren Unterlage die französische Revolu- lionsregierung von 1782 die französische Währung zu stützen suchte. Die Folge aber war bekanntlich die ungeheure Flut der Assignaten, die es gestattete, schon im Jahr 1793 mit den französischen Geldscheinen die Wände zu tapezieren. Einem ähnlichen Verfall würde ein rheinisches Geld ausgeseht sein, bas auf Kohlenscheinen oder Aehnlichem gegründet würde.

Frankreich bleibt aber noch ein andrer Weg. Es kann eine rheinisch ^Staatsbank mit der Ausgabe eines neuen Gelds beauftragen. Wenn dieses aber Wert und An­erkennung finden soll, so muß es auf einer Goldunter - läge beruhen. Deutschland hak gegenwärtig einen Papier- geldumlanf von 1590 Milliarden Mark bei einer Gesamt­einwohnerzahl von 60 Millionen. Würden nun in Rhein­land und Westfalen etwa 12 Millionen vom Reich abge- krennt, so entfielen auf diese etwa 300 Milliarden Papier- m k. Der französische Franken steht durchschnittlich auf 1200 Papiermark, der Goldfranken auf 3600 Papiermark. Um dem jetzigen Stand zu genügen, müßte diese rheinische Staatsbank also von Frankreich mit 300 Milliarden dividiert durch 3600 gleich rund 85 Millionen Goldfranken ausgestattet werden. Bei der großen Wirtschaftskraft des Rheinlands aber muß unbedingt auf dieses Gebiet ein höhe­rer Papiergeldbedarf gerechnet werden, vielleicht 600 Mil­liarden Papiermark. Dann aber sind schon mindestens 170 Millionen Goldfranken für die neue Bank notwendig. Da­mit aber wäre Frankreich noch keineswegs gedient, denn es erstrebt ja eine Besserung der Mark an. Wünscht sie nur eine zehnfache Besserstellung, so hat sie logischerweise schon zwei Milliarden Goldfranken der rheinischen Bank zuzu­stecken, und das ist selbst bei dem Goldvorrat von 5 Milliar­den, den die Bank in Frankreich besitzt, ein recht erheblicher Betrag. Alle Welt ist sich wohl einig darüber, daß eine solche Schwächung des französischen Goldvorrats den französischen Papierfranken sofort ganz gewaltig entwerten müßte, eine Folge übrigens, die auch cintreten muß, wenn Frankreich nur daran dächte, seinen Papierfranken auf das Rheinland zu übertragen. In diesem Fall mühte es seine Notenausgabe mindestens verdreifachen, und die Entwertung des Franken wäre gleichfalls Lie natürliche Folge,

für die Ruhrhllfe!

VermiltlungsschntLe

Wer spricht das erlösende Wort?

Ein an maßgebender Stelle unterrichteter Mit­arbeiter schreibt uns: Während Frankreich sich vor den Mainzer Kriegsgericht arg bloßgestellt hat, scheinen die Ver­mittlungsbemühungen der am Ruhrkrieg unbetei­ligten Mächte doch allmählich in Fluß zu kommen. Nicht ge­rade als Unglück ist es zu bezeichnen, daß die Schritte, die Mussolini durch seinen Botschafter Torretta in London versuchen ließ, zu keinem Ergebnis geführt haben. Denn die italienischen Vorschläge sind nicht viel wert. Italien hat durch sein beständiges Schwanken zwischen der Anbiederung an England und dem Liebäugeln mit Poincare seinen Kredit als ehrlicher Makler verloren. Bonar Law vertröstete den Gesandten Roms, man müste warten, bis der tote Punkt des Nuhrunternehmens erreicht sei, dann würden sofort interna­tionale Vermittlungsbestrebungen einsetzen.

- Dieser Korb, den sich Torretta im britischen Außenamt holte, hat insofern sein Gutes, als er den Eifer der diploma­tischen Nebenbuhler verstärkt. Die K! e i n e E'n t e n t s tritt auf den Plan. Der tschechoslowakische Gesandte in Berlin, Tuszar, ist nach Prag gereist, um seine Regierung über die dringende Notwendigkeit eines Vermitllungsschritts aufzu­klären, da die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutsch­land und der Tschechoslowakei bereits in Mitleidenschaft ge­zogen sind. Noch größer ist die Sorge eines polnischen Politikers, der nach Paris gereist ist, um darauf hinzuweisen, daß- Polen bei einem etwaigen militärischen Zusammenstoß im Osten dem ersten Anstoß des Sowjeth-eers ausgesetzt sei und deshalb an einer raschen Beilegung des Ruhruntermh- mens das größte Interesse habe.

Der Druck, den diese Kleinen jetzt in Paris ausüben wer­den, erscheint bei kühler Ueberlegung fast noch wichtiger, als die Erklärung des amerikanischen Senators Borah, die l ei manchen wieder voreilige Hoffnungen erweckt. Borah hat im Senatsausschuß für auswärtige Angelegenheiten gespro­chen. Was er sagte, war feine persönliche Ansicht und die Meinung seiner nächsten Parteifreunde. Etwas klarer wird man erst sehen, wenn es zur Aussprache in der Vollver­sammlung des Senats kommt. Dort sprechen nicht nur die Parteiführer, sondern auch diejenigen Senatoren mit, die gegenüber den Parteien eine selbständige Haltung einnehmen, und es ist noch sehr fraglich, wer dabei siegt, die Vertreter des Einmischungsgedankens oder diejenige Gruppe, die Amerika künftig von allen europäisckjen Angelegenheiten fern­halten will. Man darf nicht übersehen, daß der republikanische Senator Johnson die Abberufung Boydens aus der Ent­schädigungskommission verlangt, um die künftige Nichtein­mischung zum Ausdruck zu bringen, während die demokra­tische Opposition wünscht, die Regierung möge erklären, welche Mittel sie anzuwenden gedenkt, um den Frieden in Europa wiederherzustellen, oder, wenn sie keinen Plan haben sollte, ob sie dann gewillt sei, sich überhaupt von jeder Be­schäftigung mit europäischen Fragen zurückzuziehen.

Zweifellos spielt sich zurzeit ein lebhafter Kampf hinter den Kulissen des amerikanischen Parlamentarismus ab. Der soeben nach London zurückgekehrte Botschafter Harvey hat in den Lagern beider amerikanischer Parteien und im Staats­amt nichts unversucht gelassen, um endlich eine Entscheidung herbeizuführen. Auch der bekannte Senator Mc Cormick ist immer noch in einem für Deutschland und die europäische Befriedung günstigen Sinne tätig. Aber das erlösende Wort wird nicht heute und nicht morgen gesprochen werden. Eher noch, daß sich der Völkerbund zu einem entscheidenden Schritt aufrafft. Am 29. Januar wird der Völkerbundsrat in Paris zusammentreten. In mehreren neutralen Ländern sind einflußreiche Kräfte bemüht, ihre Regierungen zu veran­lassen, im Völkerbundsrat einen Antrag auf Behandlung der Entschädigungsfrage zu stellen. Die Schweizer Regie­rung neigte bis jetzt der Ansicht zu, daß der Augenblick für eine solche Aktion noch nicht gekommen sei. Die Entscheidung der schwedischen Regierung, ob der Ministerpräsident Branting, der dem Völkerbundsrat jetzt angehört, voran­gehen soll, steht noch aus. Doch jeder Tag des Ruhrkriegs läßt von neuem erkennen, was auf dem Spiel, stehst_WirH

bas Gewissen der neutralen Regierungen erwachen, wenn e» zu spät ist? er-

Ernahrungssorgen im Ruhrgebiet

Aus Essen wird derKöln. Ztg." geschrieben: Die Ernäh­rungsfrage nimmt im Ruhrgebiet besorgniserregende For­men an. In einem Bezirk, der auf einer gedrängten Fläche mehr als vier Millionen Menschen zusammenfaßt, ist es unter den augenblicklichen Verhältnissen verständlich. Das Ruhr­gebiet hat den stärksten Ledeusmittelverbrauch und ist bet seiner landwirtschaftlichen Armin gänzlich auf das benach­barte Gebiet angewiesen. Die Franzosen sind nach franz» zösischen Blättermeldungen mchl in der Lage, Abhilfe zu schaffen. Die Besetzungstruppen vermindern den Verbrauch an Lebensmitteln natürlich auch nicht. Durch Requsitionen an Stroh haben sie in den ländlichen Bezirken schon jetzt dis Viehhaltung und Milchversorgung gefährdet. Der Mark­sturz tut ein übriges, und die Bevölkerung steht einer wach­senden Preissteigerung bei knappstem Angebot von Nah­rungsmitteln gegenüber. In der kurzen Zeit vom 1. Januar bis. heute sind die Preise üir Gegenstände des täglichen Be-' dar'fs teils auf das Vier- bis Fünffache gestiegen. Der Ar­beiterschaft hat sich daher eine Aufregung bemächtigst. In Recklinghausen wurden auf dem städtischen Schlacht». Hof durch die Besetzungstruppen große Mengen von Fleisch gewaltsam requiriert. In Essen stand der Schlachtvieh- Markt im Zeichen größter Aufregung. Die Metzger hatten bereits in der vorigen Woche eine Erhöhung der Lebend­gewichipreise für Vieh von etwa 300 -R für das Pfund hin­nehmen müssen. Als jedoch einzelne Händler Preise vis zu 2500 -K für das Pfund Lebendgewicht für Schweine forder- ten, konnten die Metzgermeister ihre Erregung nicht mehr, zügeln, und es kam zu stürmischen Auseinandersetzungen zwischen ihnen und den Viehhändlern. Die Metzger wagten nicht, solche Preise anzulegen, da sie mit Recht befürchten mußten, daß die ohnehin durch die Besetzung des Ruhrge­biets aufs höchste erregte Arbeiterschaft in erster Linie sie selbst für diese geradezu tolle Preiserhöhung verantwortlich machen würden. Die Viehnotierungsn auf den übrigen deut­schen Märkten, wie Köln, Leipzig, Hamburg und Bremen, bewegen sich zwischen 2000 und 2500 --K. Mit der Lebens­mittelnot verbindet sich auch hier im Ruhrgebiet ein allzu oft gewissenloses Geschäftsgebaren von Händlern und Agenten, die mit wucherischen Mitteln das Volk ausbeuten. Erst nach langen Verhandlungen kam es zu einer Verständigung, daß als höchst zulässiger Preis für erste Qualität Vieh 2000 -R für ein Pfand Lebendgewicht anerkannt wurde. In der vorigen Woche kostete das Pfund Lebendgewicht für Schweine 1200st. Es ist also in dieser Woche eine Steige­rung um 800st erfolgt. Die Ernahrungssorgen erhalten noch eine besondere Bedeutung durch das auftauchende Ge­spenst der Zollinie. Ausländische Firmen, die bisher einen regen Absatz im Ruhrgeb'et unterhielten, mnden zu- rückhaltend, weil sie Zugriffe, und Requisitionen der Be­setzungsbehörden befürchten. Die Möglichkeit der Beliefe­rung des neubesetzten Gebiets mit Lebensmitteln, dis nur oom unbesetzten Deutschland aus erfolgen kann, hängt auch eng mit der Kohlenfrage zusammen: denn die Kohle ist die Vorbedingung für das Transportwesen, ohne sie ist eine Belieferung unmöglich. Weiterhin ist die Kohlenliefsrung ins unbesetzte Gebiet die Voraussetzung für die Aufrscht- erhaltung her deutschen Landwirtschaft, bei deren Zusam­menbruch Hunger und Not an der Ruhr eintreten müssen.

Deutscher Reichstag

Erste Lesung des Reichshaushaltplans

Berlin. 27. Jan.

Finanzminister Dr. Hermes wendet sich in der gestri­gen Sitzung gegen die Anschuldigungen des Abg. Weis wegen 'Stundung der Kohlensteuer, die wenig Sachkunde verraten. Die Borwürfe müssen aber widerleg! tverden, weil die feindlich gesinnte Presse des Auslands der­artige Behauptungen gle ch aufgreife, um gegen die deutsche Reichsregierung Waffen zu schmieden. Die Stundung ist gar nichts ungewöhnliches und nichts weniger als eineLie- besgabe an die Kohlenbarone", wie Wels meinte. Bei einer Reibe von indirekten Steuern ist eine solche Stundung aus volkswirtschaftlichen Gründen vorgesehen. Nun lagen bei der Kohlen st euer zwingende w i r t s a; al t l > che Gründe vor. Im Dezember war vereinbart worden, dag den Arbeitern zwei Drittel ihres Lohns jeweils einen Monat vorher gezghli. werden sollen. Das bedeutete besondere Aus-